16.02.2007, 00:57
Kapitel 1
I’m so tired of being here
Der Tag ist so kalt, dass mein Atem in weiÃen Blasen vor mir auftaucht und ich habe das Gefühl, dass ich die Blasen auf meiner Haut spüren kann, wenn ich durch sie hindurch laufe, vorwärts laufe. Es fühlt sich an als würde mein eigener Atem meine Wangen kitzeln und hin und wieder schlieÃe ich die Augen wenn er auch dort ankommt.
Es wird langsam dunkel, aber der Himmel ist noch nicht schwarz. Dort wo die Sonne untergeht hat sich der Himmel dunkelrot verfärbt und die blätterlosen Ãste der Bäume verleihen dem Szenario etwas Surrealistisches.
Durch ein buntes Comic zu laufen muss sich in etwa so anfühlen, soweit man etwas fühlen kann wenn man in einem Comic steckt.
Langsam setze ich einen Fuà vor den anderen und stütze mich dabei auf meinen Stock. Ich höre das Klappern, wenn er den Asphalt berührt. Tack, macht es und dann höre ich das schlurfende Geräusch meiner hinkenden Schritte.
Die Hand, die den Stock festhält ist kalt und tut weh, durch das Greifen des Stocks den ganzen Tag. Meine rechte Hüfte schmerzt ebenfalls, mittlerweile seit Jahren, da das künstliche Hüftgelenk, das sie mir vor Jahren eingesetzt haben, eigentlich wieder ausgetauscht werden müsste. Aber für was denn noch?
Alle paar Schritte muss ich anhalten und tief durchatmen, obwohl ich etwa mit der Geschwindigkeit einer Schildkröte laufe. Oder einer Schnecke, ich weià es nicht, ich bin noch nie gegen eine angetreten.
Während ich auf den Stock gelehnt da stehe, schaue ich aus meiner gebückten Haltung auf und stelle fest, dass ich vor dem Haus stehe, in dem ich aufgewachsen bin. Mein Gott, ist das lange her.
Das Haus hat noch immer die weiÃe Fassade und die braunen Fenster, die teilweise etwas schief eingesetzt sind, da mein Vater das Haus damals noch selbst gebaut hat. Ein Haus bauen, einen Baum pflanzen, einen Sohn zeugen, drei Dinge die ein Mann tun soll, dann darf er sterben.
Einen Baum habe ich gepflanzt, einen Sohn gezeugt auch, nur ein Haus habe ich nicht gebaut, jedenfalls nicht vollständig. Reparaturen hier und da, aber mehr nicht. Ob ich deshalb immer noch lebe? Ich weià es nicht, aber immerhin habe ich sogar zwei Söhne gezeugt, das sollte das Haus aufwiegen.
Das Dach wurde neu gedeckt stelle ich fest und blinzle gegen den roten Himmel an, der mich blendet.
Die schwarzen Ziegeln sind verschwunden und wurden durch blaue ersetzt. Alles ändert sich mit der Zeit und ich bin froh, dass unser Haus nie neu gedeckt werden musste, denn Lorelai liebt diese blauen Ziegeln, da bin ich mir sicher.
Oben rechts, über dem Verandadach ist das Fenster zu Liz altem Zimmer, links daneben meines.
Eigentlich müsste an Liz Fensterrahmen Abnutzungsspuren zu sehen sein, so oft wie sie dieses Fenster hinaus geklettert ist, aber von hier unten ist nichts zu erkennen und so schlecht wie ich sehe, für mich ohnehin nicht.
Ich kann mich noch daran erinnern, dass mein Zimmer blaue Wände hatte. Ich glaube meine Eltern haben sie blau gestrichen bevor ich geboren wurde und sie blieben blau bis ich nach dem Tod meines Vaters ausgezogen bin.
Ich kann mich noch dran erinnern, dass meine Eltern das Zimmer ein Mal renoviert haben, da war ich so sieben oder acht Jahre alt, aber sie benutzten wieder das gleiche Blau.
Einige Monate später war meine Mutter tot und die Glocke, unter der wir bis dahin friedlich gelebt hatten, wurde jäh zerschlagen.
Langsam setze ich wieder einen Fuà vor den anderen, gehe weiter.
Keiner von uns hatte je an den Tod gedacht, denn sie war ja nicht krank gewesen. Später habe ich meinen Vater mal gefragt ob sie gewusst hatten, dass sie so krank war, aber er sagte sie hätten keine Ahnung gehabt. Er ist morgens aufgewacht und sie lag neben ihm, tot.
Das schwarze Auto kam um ihren Körper abzuholen, daran kann ich mich noch erinnern und auch das Kennzeichen des Autos wird wohl für immer in mein Gehirn gebrannt sein. Selbst jetzt, achtzig Jahre später weià ich es noch immer.
Mein drittes Schuljahr begann ohne meine Mutter und mir fehlten die Kekse, die sie die beiden Jahre zuvor gebacken hatte, am meisten.
Der heimelige Geruch dieser Kekse wenn man nach dem ersten, furchtbaren Schultag nachhause kam war nicht mehr präsent.
Nach dem Tod meiner Mutter verbrachte ich viel Zeit mit meinem Vater in seinem Heimwerkerladen, spielte am Anfang mit den Schraubenziehern, weil er mir verbot meine Autos mit in den Laden zu bringen.- Dies ist ein Geschäft und kein Spielplatz- sagte er und ich kann noch immer seine tiefe, kratzende Stimme hören.
-Dies hier ist Familie, man kümmert sich um seine Familie- war ein anderer seiner Sprüche.
-Wenn du dich jemals benimmst wie dieser Idiot, trete ich dir in den Hintern- ein weiterer.
Und ich kann nicht wirklich sagen was mich mehr prägte, die ersten wenigen Jahre mit meiner Mutter, oder die nächsten paar nur mit meinem Vater.
Vielleicht waren es auch die vielen ohne die beiden.
Ich kann mich an so vieles erinnern was mein Vater zu sagen pflegte, aber an nichts meiner Mutter. Ich war damals gar nicht mehr so jung, wahrscheinlich sollte ich mich erinnern. Aber das einzig Nützliche was sie zu mir sagte und woran ich mich erinnern kann war – Wechsle deine Unterwäsche Lukas- das war’s dann.
Oh, das ist etwas woran ich mich erinnern kann, sie nannte mich immer Lukas. Ich weià nicht warum. Ich habe sie nie gefragt und ich habe nie daran gedacht meinen Vater zu fragen, was auch nicht sehr weise gewesen wäre. Ich denke seine Antwort wäre wohl gewesen- Aber das ist doch dein Name, Lukas-.
Mein Vater war jemand der mit beiden Beinen auf dem Boden stand, wie Lorelai sagen würde, einer der immer sehr rational war und der sich mehr auf sich selbst verlieÃ, als gut für ihn war.
Ich denke ich habe das von ihm, auch wenn ich mit den Jahren gelernt habe, das etwas gehen zu lassen und mich auf meine Frau zu verlassen.
Ich weià nicht ob sich mein Vater jemals auf meine Mutter verlassen hat, vielleicht war ihre Ehe auch nicht so gut, wie wir als Kinder immer dachten. Vielleicht hatte er sich auch nur verändert nachdem meine Mutter in jener Nacht gestorben war.
Ich kann mir nicht vorstellen was es für ein Schock sein muss, wenn man Abends neben seiner Frau einschläft und am nächsten Morgen neben ihrem toten Körper aufwacht, weil sie ein Aneurysma hatte.
Ich glaube ich wäre nicht fähig den Krankenwagen und die Polizei anzurufen, aber er war es, vielleicht war er auch einfach nur praktisch veranlagt gewesen.
Ich zweifle nicht daran, dass er sie wirklich geliebt hat, immerhin hat er nie wieder geheiratet, was allerdings auch mit seiner wenigen Freizeit zu tun haben könnte, die er aufgrund seiner Arbeit hatte. Ging mein Vater wieder zu Dates?
Seltsam welche Gedanken mir fast siebzige Jahre nach seinem Tod durch den Kopf gehen.
Oh, da ist ja schon das Diner. Es ist schön zu wissen, dass es immer noch gut läuft und meine Angestellten gute Arbeit leisten. Meine Kinder bezeichnen mich schon als verrückt, weil ich mich weigere es zu verkaufen, aber das wird wohl etwas sein, was sie tun müssen, wenn ich nicht mehr bin. Aber ich bin alt, ich habe ein Recht darauf exzentrisch zu sein und auÃerdem ist es ja nicht so, als ob ich die Gäste noch selbst bedienen würde.
Jetzt hat mich Fred gesehen und winkt, ich denke ich werde wohl zurück winken müssen. Gott, tut meine Hand weh.
Suppressed by all my childish fears
TBC (6)