So, schon der zweite Thread für einen Fic...
Hoffe ich muss nicht noch einen eröffnen...
Ich werde ganz einfach alle bis jetzt vorhandenen Teile posten, so kennen sich dann auch Leute aus, die den voringen Thread noch nicht gelesen haben...
Ansonsten: Viel Spaà beim Lesen meiner FF!
Lorelai, die Zweite
Langsam geht sie durch ihr Zimmer. Ihr Blick streift die Wände. Pokale von sämtlichen Reitturnieren die sie mit ihrer Stute âMommyâ gewonnen hat. Alle haben ihr damals zugejubelt, sie und ihr Pferd angefeuert. Sie hat sie alle nicht beachtet, nur diese zwei stolzen Gesichter, inmitten der Menge, die hat sie sich eingeprägt. Auf einer anderen Stelle hängt ein Bild von ihr, und daneben steht eine Trophäe. Diese hat sie bei einem Buchstabierwettbewerb in der 4.Klasse bekommen. Auch bei diesem Erfolg hat der Saal getobt. Eine 10 jährige die mit den 16 jährigen um die wette buchstabiert und dabei noch gewinnt ist schlieÃlich etwas Besonderes. Und wieder sie nur diese beiden Gesichter wahrgenommen. Stolz wirkten sie, wahnsinnig stolz und zugleich so traurig, verletzt.
Sie geht weiter. Ihre Schuluniform liegt ordentlich zusammen gefaltet auf ihrem Bett. Wie gern würde sie sich jetzt in ihr kuscheliges Kingsize Bett werfen. Aber nein, das Hausmädchen hat sicher Stunden an der Uniform gebügelt, das kann sie doch nicht einfach so zerstören. Darum setzt sie sich an ihren Schreibtisch. Auch hier ist alles ordentlich, aber diese Ordnung hält sie selbst.
âOrdnung zu halten ist wichtig!â, sagen sie immer. Sie glaubt es ihnen, schlieÃlich sind sie sehr erfolgreich. So hält also auch sie ihren Arbeitsplatz in Ordnung. Die Bücher stehen kerzengerade nebeneinander, die teuren Stifte liegen brav in ihrer Federschachtel.
Nur eine Box liegt offen auf ihrem Schreibtisch. Diese Box darf unordentlich sein. Das sagen sogar sie. Mit dieser Box darf sie machen was sie will, niemand kümmert sich darum ob sie nun ordentlich zusammengeräumt im Schrank steht, oder ob ihr Inhalt über das ganze Zimmer verstreut ist. Der Inhalt. Die Box liegt zwar offen vor ihr, dennoch traut sie sich nicht hineinzusehen, geschweige denn etwas herauszunehmen. Nur einmal im Jahr kann sie sich dazu überwinden. Einmal, nicht öfter, nicht seltener. Sie legt ihren Kopf auf die Tischplatte. Bilder sausen an ihren Augen vorbei. Es sind dieselben Bilder, die sie jedes Jahr zur selben Zeit sieht. Immer wenn sie diese Box vor sich hat. Sie kann diese Bilder nicht einordnen, doch sie weià genau woher sie kommen. Und sie weiÃt auch warum sie immer wieder kommen. Sie war noch so klein und doch sind diese furchtbaren Bilder fest in ihrem Gehirn verankert. Womit hat sie das verdient? Und das jedes Jahr. Jedes Jahr dasselbe. Sie ist es leid. Fürchtet sich das ganze Jahr vor diesem einen Tag, fürchtet sich, verkriecht sich in ihre Bücher. Kaum ist der Tag vorüber hat sie wieder Angst vor dem Nächsten. Es ist eine endlose Schleife. Nie wird sie aus dieser Schleife heraus kommen. Es ist unmöglich. Was einmal geschehen ist, lässt sich nie wieder rück gängig machen. Nie wieder.
Sie hebt ihren Kopf wieder an. Die Stelle an der er gerade noch gelegen hat ist nun nass und eine kleine Lacke hat sich gebildet. Innerlich flucht sie. Warum? Warum nur? Jedes Jahr dasselbe Debakel! Es ist doch schon so lange her. Wie lange eigentlich genau? Sie beginnt zu rechnen. Nein, sie will es nicht wissen. Will sich nicht ausrechnen wie lange es her ist, dassâ¦
âStoppâ sagt sie sich selbst.
âHör auf ständig daran zu denkenâ¦â
Sie steht auf und geht in ihr Badezimmer. Sie versucht ihr Spiegelbild anzulächeln. Doch es geht nicht. Das Mädchen im Spiegel hat rot geränderte Augen und ihre Miene wirkt verbittert. Sie starrt dieses Mädchen an. Es ist ihr so fremd, und doch kommt es ihr so bekannt vor. Genau, jedes Jahr am selben Tag, zur selben Zeit blickt sie in dieses Gesicht. Es wirkt fahl, ausgelaugt. Dunkle Ringe haben sich unter ihren Augen gebildet. Als ob sie wieder einmal Nächte hindurch gelernt oder gelesen hätte. Oh wie sehr sie sich doch wünscht, dass ihre Augenringe vom Lernen kommen. In Wirklichkeit hat sie seit Anfang dieses Monats keine Nacht durchgeschlafen. Warum quält sie sich so sehr. Es kann doch nicht sein, dass sie jedes Mal wenn dieser Tag näher und näher rückt vollkommen durchdreht. Sie muss es endlich in den Griff bekommen. Entschlossen sieht sie in den Spiegel während sie ihre Haare frisiert. Sie sind braun und glatt. So glatt als ob sie sie gebügelt hätte. Nicht so wie ihreâ¦
âIhre Haare waren dunkel und wild gelockt...â, denkt sie. Sie dreht sich weg, kann nicht in ihre eigenen Augen sehen. Sie erinnern sie zu sehr an ihre Augen.
Sie geht zurück in ihr Zimmer. Ihr Blick fällt auf ein Foto auf ihrem Fensterbrett. Unscheinbar, als hätte es jemand versteckt lugt es hinter einem Familienfoto hervor. Sie selbst hat es vor Jahren dort hinten versteckt. Sie zögert kurz, dann geht sie auf das Bild zu, nimmt es hervor, schlieÃt kurz die Augen und sieht es dann an. Sie sieht eine junge Frau, fast noch ein Kind. Sie hat wilde schwarze Locken und azurblaue Augen. Unbeschwert lächelt sie und in ihrem Arm liegt ein Baby â ihr Baby. Genauso wie das junge Mädchen hat auch das Baby azurblaue Augen. Die Fotographie ist alt, unreal, sie existiert nicht in der kleinen Welt die sie sich aufgebaut hat. Nie hat es so einen Moment gegeben, so ein Bild kann sie in ihrer Erinnerung nicht finden. Verzweifelt drückt sie das Bild an sich. Krallt sich an ihm fest, will es nie mehr loslassen. Stumme Tränen laufen ihre Wangen hinunter. Tränen, die sie gerade noch kunstvoll entfernt und überschminkt hat. Es ist ihr egal, sie lässt den Tränen freien Lauf, ein Jahr lang hat sie die Tränen unterdrückt, sich âzusammengerissenâ, keine Gefühle gezeigt, sie ist abgestumpft. Unfähig über das Vergangene zu sprechen. Sie mag es nicht, immer wenn jemand davon anfängt, steigen ihr die Tränen in die Augen. Tränen zeigen Schwäche, Schwäche die sie nicht zeigen will. Es ist lange vorbei, sinnlos dem noch nachzutrauern. Durch ihren Tränenschleier starrt sie auf das lächelnde Gesicht des Mädchens. Ist es wirklich schon 15 Jahre her, dass jemand zuletzt dieses Lächeln gesehen hat? 15 Jahre, sie war damals gerade mal 2 Jahre alt Heute ist sie ist 17, doch seit 15 Jahren ist es nicht mehr möglich das Lächeln dieses Mädchens zu sehen geschweige denn in ihren Armen zu liegen. Sanft streicht sie über das Bild. Wieder machen sich Tränen auf ihren Weg.
Es klopft an der Tür.
âLorelai, kommst du?â
Schweigend stellt sie das Bild zurück an seinen Platz und geht zu ihrem Schreibtisch. Einmal noch atmet sie tief durch. Dann nimmt sie den Deckel von der Box, greift hinein und nimmt ein Armband heraus. Das Silber glitzert in der Nachmittagssonne. Lorelai steht in geschwungenen Lettern darauf geschrieben. Sie legt sich das Armband um, es passt wie angegossen.
âAlles in Ordnung, Schätzchen?â
Sie hebt den Kopf, wischt sich die Tränen aus dem Gesicht und nickt.
âJa Grandmaâ, sagt sie und macht sich gemeinsam mit ihren GroÃeltern auf den Weg zum Friedhof. Sie gehen zu FuÃ, wie jedes Jahr. Autofahren wäre unangebracht, immerhin hat dieses sie umgebrachtâ¦
Teil 2
Ihre Schritte verlangsamen sich. Besorgt dreht sich ihre GroÃmutter um.
âGeht es dir wirklich gut, Schätzchen?â
Benommen nickt sie. Vor dem groÃen Friedhofstor bleibt sie stehen. Sie bemerkt, dass auch ihre GroÃeltern langsamer werden. Keiner von ihnen möchte hineingehen, das durchgestandene Leid noch einmal Revue passieren lassen. Ihnen widerstrebt es, vor dem Grab ihrer Tochter, ihrer Mutter zu stehen. Die Narben sind noch so jung â genauso wie sie es war. 15 Jahre. In ganzen 15 Jahren war es keinem der dreien gelungen über das Geschehene hinwegzukommen, es zu verarbeiten. Es ist der wunde Punkt der Familie. Niemand spricht es freiwillig an. Es wird verdrängt, dieser Tag ist das einzige Zeugnis, dass es diesen Vorfall überhaupt gegeben hat. Emily mustert ihre Enkeltochter. Wie sehr sie ihr doch ähnlich sieht. Sie wird von Tag zu Tag hübscher, wird ihr von Tag zu Tag ähnlicher. Sie hasst es, dass es ihr so weh tut in das Gesicht ihrer Enkelin zu sehen. Nie wird sie ihre Enkeltochter in die Arme nehmen können, ohne an das Leid zu denken dass über die Familie gekommen ist. Oh wie gut sie sich noch an diesen Tag erinnert. Sie hat ihr Bestes gegeben ihn zu vergessen, die Bilder aus ihrem Kopf zu verbannen. Nichts hat geholfen. Sie hat es alles probiert. Sobald sie in das Gesicht ihrer Enkelin sieht, kommt alles wieder herauf, und sie hasst sich dafür.
~~~~~Flashback~~~~~
Das Telefon klingelt.
âLorelai?!â, Emilyâs Stimme zittert vor Aufregung und Sorge.
âIch muss Sie enttäuschen, Mam. Ich bin Officer John Howell, vom Police Department der Stadt Hardfort. Sind Sie Emily Gilmore, Lorelai Gilmores Mutter?â
âJa, was ist mit Lorelai, was hat sie angestellt?â
âMam, ich muss Sie bitten umgehend zur Park Street zu kommen, es gab einen Unfall.â
âEinen Unfall?â Emily wird bleich. âIch komme sofort.â Wie in Trance legt sie den Hörer auf die Gabel.
âRichard, Richard!â ruft sie hysterisch.
Die Brille noch in der Hand kommt er ins Wohnzimmer.
âEmily, Rory schläft, sei gefälligst ein bisschen leiser!â
âRichard, unsere Tochter hatte einen Unfall! Ich kann mich nicht beruhigen.â Wie der Blitz läuft Emily in das Kinderzimmer, in dem die Wiege mit der kleinen Rory drinnen steht.
Fieberhaft nimmt sie die kleine aus dem Bett und zieht ihr einen Mantel an. Rory, die die ganze Situation nicht versteht fängt zu weinen an. Unten wartet Richard schon in seinem Wagen auf seine Frau und seine Enkeltochter. Alle Geschwindigkeitsvorschriften brechend rasen die drei zur Park Street. Schon von weitem hören sie Sirenen heulen und sehen die Lichter der Rettungswägen. Langsam steigt Emily aus dem Wagen. Was sie sieht bringt sie zum taumeln. Halt suchend greift sie nach der Autotür. Ein Auto liegt im Graben, das andere steht quer über die StraÃe, die Fahrerseite vollkommen zertrümmert. Glassplitter und Autotrümmer liegen über die ganze StraÃe verteilt. Ein Schuh, Blut, eine Tasche. Lorelaiâs Tasche. Langsam geht sie auf die Tasche zu, hebt sie auf. Sie ist zerrissen, der Personalausweis der Tochter schaut heraus. Sie nimmt ihn in die Hand. Lächelnd blickt ihr ihre 16 jährige Tochter entgegen. Sie blickt zu ihrem Mann. Der Officer steht neben ihm. Richard wirkt bleich, schüttelt den Kopf, sackt in sich zusammen. Der Officer hilft ihm auf, schaut zu Emily hinüber, blickt auf die Trage, die neben ihm vorbei rollt. Der Körper auf der Trage ist abgedeckt. Nur einzelne schwarze Locken hängen heraus.
âNein, NEIN! Nein nein nein neinâ¦â Emily schreit. Ihre Schreie verwandeln sich langsam in ein Wimmern, ihr Mann steht neben ihr. So stattlich er sonst immer ist, er steht neben ihr, stützt sie, obwohl er sich selbst kaum auf den Beinen halten kann. Sie schüttelt ihn, hält sich an seinem Jackett fest, zerrt und zieht daran. Richard versucht seine Frau zu beruhigen, kann es aber selbst nicht. Er weint, zum ersten Mal in Richard Gilmores Leben weint er. Und die kleine Rory sitzt in dem Auto, sieht zu wie die Trage mit dem bedeckten Körper an ihr vorbei gerollt wird, sieht zu wie ihre GroÃeltern zusammen brechen, sich nicht mehr halten können, sieht zu und beginnt zu schreienâ¦
~~~~~FlashbackEnde~~~~~
Nach einer Weile macht sie einen Schritt durch das Tor. Sie will wegrennen, nicht diesen Ort betreten müssen, doch schon sind ihre GroÃeltern neben ihr, zwingen sie mitzugehen. Sie will sich umdrehen und nie wieder an diesen Ort zurückkehren. Sie muss sich zu jedem Schritt zwingen, und doch kennt sie jeden in und auswendig. Zwanzig Schritte gerade aus, zehn Schritte nach rechts. Sie sieht auf den Grabstein. Er ist mit Schnee bedeckt. Weihnachten. Wie sehr sie dieses Fest hasst. Jedes Jahr zu Weihnachten, da ist es am schlimmsten. Ständig wird von Familie und Beisammensein geredet. Ãberall auf der StraÃe sieht sie Eltern mit ihren Kindern spielen, Töchter mit ihren Müttern streiten und versöhnen. Es tut so weh, so unendlich weh. Niemals in ihrem Leben wird sie eine Mutter haben mit der sie streiten kann, mit der sie sich wieder versöhnen kann, der sie ihre Probleme erzählen kann. Wie undankbar sie nicht ist! Ihre GroÃeltern bieten ihr ein groÃartiges Leben, sie besucht die beste Schule Connecticuts und auch daheim fehlt es ihr an nichts. Und doch, besonders zu Weihnachten fühlt sie sich alleine. Einsam. Weihnachten â Das Fest der Liebe, ha, darüber kann sie nur lachen. Zu Weihnachten möchte sie sich am Liebsten in Luft auflösen. Sie ist gereizt, kann sich auf nichts konzentrieren, kann ihr Spiegelbild nicht ansehen. Von Jahr zu Jahr wird es schlimmer, immer mehr muss sie sich zusammenreiÃen um nicht in irgendeiner Ecke still zu weinen. Sie schämt sich ihrer Tränen, will sie den anderen nicht zeigen, kann es nicht. Ãber all die Jahre hat sie sich einen Schutzwall gebaut. Lässt niemanden an sich ran. Zu Weihnachten ist dieser Wall besonders gefährdet. Wie oft haben ihre GroÃeltern ihr Geschichten von ihr erzählt, wie oft haben sie ihr gesagt wie sehr sie sich ähneln. Sie versteht sich selbst nicht. Sie liebt es Geschichten über sie zu hören, sie liebt es mit ihr verglichen zu werden, und zugleich hasst sie es. Sie hasst es weil sie dann an sie denken muss, sich sie vorstellen muss. Sie hasst es weil sie sie nie kennen gelernt hat. Hasst sie, weil sie sie schon so früh im Stich gelassen hat, allein gelassen hat, einsam und allein auf dieser groÃen Welt.
Ihr GroÃvater umklammert ihre Schuler. Stumme Tränen laufen ihre Wangen hinab. Energisch wischt sie sich ab â Noch nicht einmal am Grab ihrer Mutter gesteht sie es sich zu, zu weinen.
Teil 3
~~~~Lorelai Gilmore~~~~
1968-1986
Tochter und Mutter,
geliebt und für immer in unseren Herzen
ruhe in Frieden, mein Kind
Immer wieder liest sie die Aufschrift des Grabes, nur leicht spürt sie den Arm ihrer GroÃmutter auf ihrer Schulter. War sie es damals gewesen, die diesen Spruch auf das Grab schreiben lieÃ? Falls es sie gewesen ist, warum steht sie dann trotzdem hier, neben ihrer Enkeltochter. Neben ihrem Mann, den sie so fest umklammert. Sie weint nicht, keiner der drei weint. Warum nicht? Ist es nicht natürlich zu weinen? Ist es nicht das natürlichste der Welt, seine Gefühle zu zeigen? Warum weinen sie dann nicht? Sie hätte es nicht gewollt. Sie hätte nicht gewollt dass man wegen ihr weint. Sie hätte nicht der Grund schlafloser Nächte sein wollen â und doch war sie es.
Unsicher blickt Emily ihre Enkeltochter an. Diese nickt, atmet noch einmal tief ein, wendet den Blick nicht von dem Grabstein. Er ist elfenbeinfarben, so wie sie es gewollt hätte. Sie war eine fröhliche Person, ihre Haare waren zwar rabenschwarz, doch ihre Seele jauchzte vor Fröhlichkeit. Immer hat sie gelächelt, hatte immer einen flotten Spruch auf den Lippen, strahlte. Genauso wie sie selbst sollte auch der Grabstein strahlen, sollte schön sein, sollte auffallen. Emily drückt ihre Enkeltochter sanft in Richtung Ausgang. Auch ihr GroÃvater war plötzlich an ihrer Seite und legt einen Arm um sie, zwingt sie so, mit ihnen mit zu gehen. Was ist los mit ihr? Nie möchte sie diesen Ort aufsuchen, wehrt sich innerlich dagegen auch nur einen Fuà auf diese Erde zu setzen, doch dann, dann steht sie vor dem Grab und möchte nicht mehr weggehen. Möchte sich an das Grab setzen, mit ihr sprechen. Mit ihrer Mutter reden. Und doch wird sie immer wieder weggezogen, gezwungen zu gehen. Noch einmal dreht sie sich um, betrachtet den strahlenden Grabstein. âGood bye, Mommy, vergiss mich nicht, nächstes Jahr bin ich wieder bei dirâ¦â
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Vorsichtig wickelt sie das Päckchen aus. Im Hintergrund läuft klassische Musik. Als sie 10 war, hat sie zum ersten Mal die groÃe Anlage im Hinterzimmer entdeckt, die mit allen anderen Zimmern verbunden ist. Wie war sie damals nicht enttäuscht. Sie dachte immer, das haus wäre irgendwie magisch, überall klang Musik, ohne dass sie jemanden spielen gesehen hätteâ¦.
âLorelai, du darfst das Päckchen schon aufmachen!â
Verwirrt sieht sie ihren GroÃvater an. Warum versinkt sie in letzter Zeit so oft in ihren Gedanken?
Sie macht sich wieder ans auspacken. Eine dunkelrote Samtschachtel kommt zum Vorschein. Verwirrt sieht sie ihre GroÃeltern an, wie sie stolz und aufrecht auf der elfenbeinfarbenen Couch sitzen. Das Bild des Grabsteins kommt ihr wieder in den Sinn. Ist das Zufall? Noch nie ist ihr aufgefallen, dass die Farbe der Couch und die des Grabsteins vollkommen identisch sind.
âLorelai, wo bist du mit deinen Gedanken? Du wirkst so abwesend!â
âEs tut mir Leid Grandma, ich musst nur eben an⦠Nein, es geht mir hervorragend, die Geschenke sind einfach wunderbarâ¦â Die letzten Worte gehen in einem Schluchzer unter. Erschrocken sehen sie ihre GroÃeltern an, was ist nur los mit ihr? Wortlos erhebt sie sich, entschuldigt sich bei ihren GroÃeltern und läuft in ihr Zimmer. Vollkommen perplex sitzen Emily und Richard Gilmore in ihrem Wohnzimmer und sehen ihrer Enkelin nach, die im Vorbeirennen beinahe den Christbaum mitgenommen hätte.
Leise schlieÃt sie die Tür hinter sich und lehnt sich dagegen. Sie atmet tief ein und aus, so wie sie es in einer ihrer Yoga-Stunden gelernt hat. Hat sie das eben wirklich getan? Hat sie wirklich ihre GroÃeltern vor dem Weihnachtsbaum sitzen lassen und ist weggerannt? Nein, das kann nicht sie selbst sein, irgendetwas, irgendjemand muss in sie gefahren sein. Und die Tränen! Schon wieder füllen sich ihre Augen mit Wasser und sie kann sie beim besten Willen nicht aufhalten. Sie konnte sich doch bis her so gut zusammenreiÃen. Hat sie bei der 10-jährigen Todesandacht geweint? Nein, sie ist stumm auf ihrem Sessel gesessen und hat ihrer GroÃmutter und dem Pfarrer zugehört. Weint sie, wenn sie Paris mit ihrer Mom scherzen sieht? Nein, sie weint nicht, lacht mit, lacht so lange bis sie weint, weint weil sie so viel lachen muss. Aber jetzt, sie ist vollkommen durcheinander. Ihr ganzer Körper zittert, sie kann sich nur mit Mühe zu ihrem Bett tasten. Es ist ihr egal, wie lange das Hausmädchen an ihrer Bettwäsche gefummelt hat, sie lässt sich einfach darauf fallen und gräbt ihr Gesicht in den Kopfpolster. Und die Tränen wollen und wollen nicht weniger werden. Kann ein Mensch wirklich so viel weinen? Warum weint sie überhaupt? Es ist Weihnachten, das Fest der Liebe, das Fest der Familie. Familie, bei diesem Wort gibt es ihr einen Stich in die Brust. Das ist es also? Darum ist sie schon seit Wochen ein emotionales Wrack? Darum fängt sie bei jeder Kleinigkeit ohne ihren Willen zu weinen an? Nach 15 Jahren ist sie nun endlich darauf gekommen, dass ihr ihre Mutter fehlt? Ihre Mutter, die sie nie richtig kennen gelernt hat? Ihre Mutter, die sie nur von Erzählungen und Fotos kennt? Das soll es also wirklich sein? Es ist lächerlich! Sie weint einer Frau nach, die sie gar nicht kennt. Wenn es so lächerlich ist, warum kann sie dann nicht aufhören? Warum kann sie verdammt noch mal nicht aufhören ständig zu weinen. Sie bemerkt gar nicht wie sie auf ihren Polster einschlägt, schreit, als sie plötzlich von zwei starken Händen festgehalten wird.
âRory, Rory! Beruhige dich! Was ist denn in dich gefahren?!â
Rory, wer nennt sie Rory? Sie nannte sie so. Ihr Name war Lorelai, genauso wir ihr eigener, doch sie nannte sie Rory, weil sie noch so klein war. Es hört nicht auf, wer ruft nach ihr? Sie blickt auf. Ãber ihr steht ihr GroÃvater, er hält sie an beiden Armen fest, sein Gesicht ist schon ganz rot vor Anstrengung. Hinter ihm, ihre GroÃmutter. Ihre Augen sind weit aufgerissen und sie hält sich eine Hand vor den Mund. Langsam beruhigt sie sich, hört auf zu zappeln, versucht sich nicht mehr aus den Armen ihres GroÃvaters zu winden. Im Gegenteil, sie wirft sich in seine Arme, liegt in seinen Armen wie ein Baby und schluchzt laut. Sie versucht sich zu entschuldigen, bringt jedoch kein Wort heraus. Doch Richard versteht, auch Emily weià was ihre Enkeltochter sagen will. Lange Minuten vergehen, ihr Schluchzen wird immer leiser und leiser, bis man nur noch ein leises Wimmern vernimmt. Sanft versucht Richard sich von seiner Enkeltochter zu lösen, doch diese klammert sich noch fester an ihn. Besorgt mustert Emily das Szenario, erinnert sich wie lange und wie oft sie so in seinen Armen gelegen ist. Das ist es was ihre Enkeltochter nun braucht. Langsam durchquert sie den Raum, holt eine Decke aus dem Schrank und breitet sie über Richard und ihre Enkelin aus. Richard wirft ihr einen fragenden Blick zu, doch sie nickt nur und setzt sich an den anderen Rand des Bettes...
Teil 4
Sie sieht eine Trage, die an ihr vorbei geschoben wird. Schwarze Locken, überall sind schwarze Locken. Ihre Locken. Inmitten der schwarzen Haare tauchen auf einmal ein paar azurblaue Augen auf. Ihre Augen. Verdammt, wo ist sie? Was geht hier vor sich. Sie hört eine Stimme. Eine sanfte warme Stimme. Die Stimme lacht. Ist es ihre Stimme? Sie weià es nicht, hat sie nie gehört. Sie hört ein Lied. Es klingt wie ein Wiegenlied. Singt sie? Dieses Lied hat sie bis jetzt immer in ihre Träume verfolgt, hat sie beruhigt wenn sie sich wieder einmal ihrer Tränen schämte, obwohl sie alleine war, wie immer. Sie muss es gesungen haben. Schwach kann sie ein Bild erkennen. Ein Mädchen. Ein Mädchen mit schwarzen Haaren und azurblauen Augen. Das Mädchen ist sie. Sie beugt sich über sie. Sie sieht direkt in ihre Augen. Das Mädchen lacht. Lacht und singt. Es ist ihre Stimme! Wie sehr sie diesen Klang vermisst hat. Vermisst? Kann man etwas vermissen, das man nie gehört oder gesehen hat? Wie kann ihr etwas fehlen, das sie nie hatte? Sie will sich keine Fragen stellen, will nur das schwarzhaarige Mädchen ansehen und der Stimme lauschen. Ihrer Stimme. Doch was geschieht nun? Das Mädchen verändert sich. Die Augen, ihre azurblauen Augen werden dunkel braun. Die schwarzen Locken werden Rotbraun und glatt. Anstatt des Lächelns sieht sie tränengefüllte Augen.
Emily sitzt an ihrem Bett und singt. Ihre Stimme ist nicht kraftvoll, aber sie singt. Richard hält sie fest. Sie schläft unruhig, scheint zu träumen. Und Emily singt. Seit Jahren hat sie nicht mehr gesungen. Nicht mehr seit â Sie wacht auf! Murmelt etwas. Sie verstehen es nicht.
âRory?â Wieder und wieder hört sie diesen Namen. Sie sagt ihn. Sie ruft nach ihr. Nein, es ist nicht sie. Es ist Emily. Ihre GroÃmutter sitzt an ihrem Bett. Schlagartig setzt sie sich auf. Wo ist das Mädchen? Sie möchte zurück, möchte nicht mehr aufwachen in dieser grausamen Realität. Warum kann sie nicht weiterschlafen. Für immer. So dass sie endlich bei ihr sein kannâ¦
Sie sieht sich um. Sie liegt in den Armen des GroÃvaters. Neben ihnen sitzt Emily. Sie wischt sich Tränen von den Wangen. Weint sie etwa? Nein, eine Gilmore weint nicht, schon gar nicht Emily.
âRory, Schatz, geht es dir wieder besser?â behutsam schiebt Richard seine Enkeltochter von sich. Sie nickt. Natürlich nickt sie. Es geht ihr gut. Sie hat keinen Grund sich schlecht zu fühlen. Die Vergangenheit ist nun mal so wie sie ist und sie lässt sich auf bei literweise Tränen nicht ändern. Warum trauern? Es ändert ja nichts.
âEs geht schon wieder Grandpa. Dankeâ, sie erhebt sich. Sie trägt noch immer ihr Weihnachtsgewand. Wie lange ist es her? Sie hat keine Uhr, möchte nicht immer die endlosen Minuten des Alleinseins zählen. Sie sieht ihre GroÃeltern an. Sie sehen besorgt aus. Sie möchte nicht, dass sie sich um sie sorgen. Niemand soll sich wegen ihr Sorgen machen. Es geht ihr doch gut. Sie hat doch alles â fast alles.
âLorelaiâ, endlich nennt er sie wieder so, sie kann es nicht ertragen bei dem Kosenamen genannt zu werden den sie ihr gegeben hat.
âLorelai, ich denke wir sollten reden.â Reden? Wozu will er reden? Es ist alles gesagt. Das Verschwiegene ist aus einem Grund verschwiegen. Warum sollten sie es noch einmal aufreiÃen. Zu viel von ihrem Schutzwall ist schon abgeblättert. Noch mehr und er stürzt vollkommen zusammen.
âNatürlich, Grandpa.â Warum sagt sie ihn dass es in Ordnung sei? Es ist nicht in Ordnung, sie möchte nicht reden. Nicht in einer Million Jahre. Es hilft ihr nicht. Es macht sie nur noch trauriger. Sie kann und will ihre Gedanken nicht aussprechen. Es ist schon schlimm genug sie nur zu denken. Und doch sagt sie ja.
âLorelai, wir möchten dir etwas zeigen.â Emily spricht sehr langsam. Wieder erinnert sie sich an die Stimme die sie eben noch im Ohr gehabt hat. Es war Emily die gesungen hat, aber sie ist sich sicher. Sie hat ihre Mutter gehört.
Langsam erhebt sich Emily. Richard folgt seiner Frau. Erwartungsvoll sehen sie sie an. Was erwarten sie sich? Sie möchte nicht sehen, was sie ihr zeigen wollen. Sie möchte alleine sein. Ein Buch lesen, sich ablenken. Sie weiÃ, was auch immer sie ihr zeigen wollen, es hat mit der Vergangenheit zu tun. Sie will es nicht wissen. Und doch steht sie auf. Warum folgen ihr ihre Beine nicht. Sie schreit innerlich, wehrt sich, doch ihre Beine lassen sie aufstehen. Lassen sie den GroÃeltern folgen. Sie weià wo es hingeht. Sie meidet diesen Ort so gut wie es geht. Dasselbe Gefühl wie am Friedhof überkommt sie. Sie wehrt sich auch nur einen weiteren Schritt zu tun. Wehrt sich innerlich, stemmt sich gegen den Boden, doch ihre Beine gehorchen ihr nicht. Folgsam geht sie hinter ihren GroÃeltern her. Nun sind sie da. Sie sind in dem Flügel des Hauses, den sie nie betritt. Es ist wie in âDie Schöne und das Biestâ Der verbotene Flügel. Sie nähern sich der Tür. Richard zögert. Dann drückt er die Klinge hinunter. Sie bleibt stehen. Nein, sie will nicht, warum schreit sie nicht? Warum bleibt sie stumm? Sie steht da und starrt die Tür an. Sie setzt sich in Bewegung. Was tut sie da? Nur noch ein Schritt trennt sie von dem verhängnisvollen Ort. Sie ist da. Sie steht in dem Zimmer, das sie noch nie betreten hat. Ihr Zimmer. Sie zittert. Poster hängen an den Wänden. Eine Wiege steht in der Ecke. Ist es die Wiege in der sie gelegen ist? Die Wiege über die sie sich gebeugt hat um ihr etwas vorzusingen? Es liegen Kleider auf dem Bett. Ihre Kleider. Wozu hat sie sie dorthin gelegt? Es sind schöne Kleider. Wollte sie noch ausgehen? Nein, es war doch schon spät. Unbewusst ging sie zum Bett. Sie nahm ein Kleidungsstück in die Hände. Sie spürte den weichen Stoff auf ihrer Haut. Stellte sich vor wie er an ihrer Haut gelegen hat. Sie klammert sich daran fest, zerreiÃt das Stück Stoff beinahe. Sie schmiegt sich an es, richt an ihm. Riecht sie Parfum? Nein, das kann nicht sein. Kein Parfum hält sich 15 Jahre lang. Und doch riecht sie etwas. Es kommt ihr so bekannt vor. Sie hat es schon so oft gerochen. Riecht es immer wenn sie den schweren Weg zu ihrem Grab auf sich nehmen muss. Sie legt das Stück Stoff wieder an seinen Platz. Sie geht hinüber zu dem Kamin. Bilder stehen darauf. Bilder von ihr. Sie nimmt eines herunter, betrachtet es. Sie steht neben einem Mann, eigentlich noch einem Jungen, er trägt eine Bikerjacke. Hat seinen Arm um sie gelegt. Sie kennt den Jungen. Er ist ihr Vater, er ist ihr egal. Sie sieht nur das Mädchen, das frech den dicken Bauch in die Kamera streckt. Sie waren beide auf dem Bild. Sie sieht zu ihrem GroÃeltern. Beide lächeln. Und zum ersten Mal seit langem, lächelt auch sieâ¦
Teil 5
Was denkt sie sich eigentlich? Denkt sie wirklich, einmal lächeln und schon sind alle ihre Probleme zerplatzt wie Seifenblasen. All der Schmerz, die Sorgen, das Alleinsein â das alles soll durch ein Lächeln entschädigt werden? Durch ein Lächeln, das noch nicht einmal echt ist? Durch ein Lächeln, das sie aufsetzt um ihre GroÃeltern glücklich zu machen? Nein. Nein, es geschieht nichts dergleichen. Wieder einmal schafft sie es nicht ihrem eigenen Willen zu folgen, fügt sich dem der anderen. Sie kann es nicht mehr ertragen. Doch ihre Augen bleiben trocken. Zu viele Tränen für einen Tag, eine Nacht. Was heiÃt eine? Zahlreiche Tage, Nächte, Stunden die sie weinend verbracht hat, zehren an ihrem Tränenvorrat. Sie kann nicht mehr weinen. Sie will und kann nicht mehr. Doch was nun bleibt, ist noch viel schlimmer. Sie zerplatzt fast, hin und her gerissen zwischen ihren Gefühlen. Unfähig sie auszudrücken. Warum fühlt sie sich so schlecht? Sie sitzt in dem Zimmer ihrer Mutter. Endlich. Nach so vielen Jahren ist sie ihr näher denn je. Und doch, und doch schmerzt es. Tut so furchtbar weh. Sie leidet, ohne Tränen.
âLorelaiâ¦â, sie spürt die Hand ihres GroÃvaters auf ihrer Schuler. Oh wie sehr sie sich doch schämt. Hat sie nicht noch vor wenigen Minuten in seinen Armen gelegen. Weinend wie ein Baby? Wie enttäuscht er von ihr sein muss. Sie kann ihm das nicht länger antun. Muss sich endlich wieder in den Griff kriegen. Sie ist so undankbar. Bekommt alles was sie will und ist doch nie zufrieden. Können sie ihr das geben, was sie braucht? Können sie sie zur Gänze zufrieden stellen? Nein. Die Antwort lautet nein. Nie wird sie zufrieden sein. Sie sollte es, doch sie ist es nicht. Sie fühlt sich im Stich gelassen, sie ist es doch nicht! Warum fühlt sie sich im Stich gelassen? Ist sie es? Und wieder lautet die Antwort nein. Warum? Warum, das ist alles an das sie denkt. Warum musste ihre Mutter sterben? Warum kommt sie nicht darüber hinweg? Warum geht es ihr erst nach so langer Zeit so schlecht? Warum kann sie nicht mehr weinen? Warum muss sie noch mehr leiden, obwohl ihr Leid doch schon gemindert sein sollte? Warum ist sie nicht mit dem zufrieden, das sie hat? Warum fühlt sie sich im Stich gelassen, wenn sie doch von ihren GroÃelter umgeben und beschützt ist? Warum findet sie keine Antworten auf diese Fragen?
Sie weià es nicht. Weià nichts. Sie starrt auf das Bild. Beginnt sie zu hassen. Warum musste sie gehen? Hätte sie nicht vorsichtiger sein können? Hätte sie nicht zu Hause bleiben können? Nur eine Minute länger zu Hause und ihr Leben wäre komplett anders. Sie kann das Bild nicht mehr sehen. Kann nicht mit ansehen wie sie auf dem Bild so glücklich aussieht, während sie so unglücklich ist. Das Mädchen auf dem Bild verspottet sie. Lacht sie aus. Sie kann es nicht mehr ertragen. Ihre Wut lässt sie erschaudern. Plötzlich hört sie ein Knacken. Ein stechender Schmerz zieht sich durch ihre Hände. Sie sieht Blut. Wessen Blut ist es? Ist es ihr Blut? Das Blut, das sie nach dem Unfall von der StraÃe kratzen mussten? Nein, es ist ihr Blut. Ihr eigenes. Scherben bohren sich tief in ihre Haut. Sie hat es zerbrochen. Sie hat das einzige wirkliche Familien Foto zerbrochen. Fassungslos starrt sie auf ihre Hände, unfähig etwas zu tun, zu sagen. Sieht zu wie das Blut ihre Hände hinunter läuft, wie es langsam auf den teuren Teppichboden tropft. Ihre Kehle ist wie zugeschnürt. Sie kann nichts sagen, nichts denken.
âOh mein Gott, Lorelai! Was ist geschehen?â
Schnell läuft Emily zu ihrer Enkeltochter, reiÃt ihr das zerbrochene Bild aus den Händen. Sie bewegt sich nicht. Ist wie in Trance. Ihre Augen sind starr, wie gebannt starrt sie auf die kleine Blutlache. Da durchfährt es sie. Oh nein! Was hat sie getan? Hastig versucht sie die Scherben vom Boden aufzuheben. Sie kann es nicht, ihre Hände zittern zu sehr.
Panisch blickt Emily ihren Mann, ihren Ruhepol, an. Er handelt ruhig. Holt ein Taschentuch aus seiner Hosentasche. Drückt seine Enkeltochter sanft auf das Bett. Wischt ihre Hände ab. Redet leise mit ihr, wie mit einem Kind. Säubert ihre Wunden, sie sind nicht tief. Es war nur der Schock.
Sie lässt es mit sich geschehen. Lässt sich von ihrem GroÃvater umsorgen. Blickt ihre GroÃmutter an. Entschuldigt sich stumm bei ihr, sie versteht. Wieder hat sie versagt. Wieder ist sie nicht stark geblieben, wieder ist sie hoffnungslos in sich selbst zusammengesackt. Hat sich auf ihren GroÃvater gestützt. Wann? Wann ist es endlich vorüber?
Sanft drückt sie das Tor auf. Es ist dasselbe Tor wie immer. Und doch fühlt es sich anders an. Besser. Leise schlieÃt sie das Tor wieder. Es ist so still. Totenstill. Jeder ihrer Schritte hallt laut. Der Kies unter ihren FüÃen knirscht. Sonst hört sie nichts, sie ist alleine.
Sie trägt einen Blumenstrauà in der Hand. Zehn an der Zahl. Fünf weiÃe Lilien. Ihre Lieblingssorte. Sie strahlen Hoffnung aus. Hoffnung, die so wichtig ist zum Ãberlegen. Und fünf gelbe Margeriten. Ihre Lieblingsblumen. Wertlose Blumen, so jeder Händler sagen würde. Wertlos und doch so wichtig. Leise summt sie ein Lied vor sich hin. Ihr Lied. Sie hört den Klang ihrer Stimme. Leise, aber doch so beruhigend. Der Klang ihrer Stimme gibt ihr den Mut das zu tun.
Sie wissen nichts von ihrem Vorhaben. Sie hat es ihnen verschwiegen, aus Angst dass sie mitkommen wollen. Sie hat nichts gegen ihre GroÃeltern, sie liebt sie von ganzem Herzen. Doch jetzt will sie alleine sein.
Sie sieht ihn schon. Hell erleuchtet strahlt er ihr entgegen. Der einzige elfenbeinfarbene Stein in dieser Umgebung. Er hebt sich von der Menge ab, so wie sie sich von der Menge abgehoben hat.
Sanft legt sie die Blumen vor den Stein.
âEs tut mir Leid, ich habe mich verspätetâ, murmelt sie leise. Wie ein Schulkind steht sie da. Weià nicht was sie sagen, denken soll. Verlegen starrt sie auf ihre Hände. Sie sind einbandagiert. Noch sind ihre Narben zu sehen, doch sie werden verheilenâ¦
Teil 6:
Fünf Wochen. Fünf Wochen sind eine lange Zeit. In fünf Wochen kann viel geschehen. Fünf Wochen ist es her, dass sie sich zum ersten Mal nicht zusammenreiÃen hat können. Fünf Wochen â seit dem sie zum ersten Mal von ihren Gefühlen preisgegeben hat. Ein kleiner Schwank aus ihren Gedanken, die sie stumm ausgeschrieen hat. Es ist vorüber. Die Narben sind verheilt, die Feiertage vorüber. Sie geht wieder ihrem normalen Schulalltag nach. Seit dem ist es â Besser?
Eine Psychiaterin, das soll die Besserung sein. Sie haben es vorgeschlagen. Wollen es zusammen mit ihr machen. Wollen sie dabei unterstützen. Und sie? Sie nickt, stimmt zu, gibt ihnen Recht. Es ist das Beste. Aber ist es besser?
Um diese Frage zu beantworten, geht sie nun einmal die Woche gemeinsam mit ihren GroÃeltern in die Praxis der dunkelhaarigen Frau mit Brille. Einmal die Woche sitzen sie alle im Kreis und reden. Falsch. Sie reden nicht. Die Frau stellt fragen. Die Frau sagt, sie müsse darüber reden, um es zu verarbeiten. Sie nickt. Spricht nicht, aber nickt. Die Frau redet weiter. Sagt, sie müsse nun endlich den Mund aufmachen, handeln. Sie nickt wieder. Ãffnet nicht den Mund, handelt nicht. Wie könnte sie auch? Die Frau redet und redet und redet. In ihrem Kopf nur noch ein störender monotoner Unterton. Ein Unterton gefüllt mit Vorwürfen gegen sie, gefüllt mit Mitleid.
Mitleid. Ist es das was sie braucht? Verständnis. Die Frau sagt, sie würde sie verstehen, sie kenne viele Leute, Mädchen wie sie. Nichts versteht sie, gar nichts.
Die Frau sagt, man müsse sie mit der Vergangenheit konfrontieren, um Besserungen zu erzielen. Sie solle sich einen Plan aufstellen, ihr Ziel solle die Ãberwindung sein.
Gesagt getan. Sie wird eingehäuft mit Fotos, Tagebüchern, Briefen und Zeugnissen.
Sie widerspricht dem aufgestellten Plan. Sieht sich weder Briefe noch Fotos an. Sie kann es nicht. Will es nicht.
Schon so oft mussten sie die Sitzung abbrechen. âNicht vorhandenes Mitarbeitenâ
Diese Frau macht es sich einfach. Kassiert Geld dafür, dass sie sich quält. Erwartet sie wirklich von ihr, dass sie mitarbeitet? Soll sie sich etwa von einer komplett fremden Frau vorschreiben lassen, wie sie über den Tod des wohl wichtigsten Menschen in ihrem Leben hinweg kommen soll? Was für ein absurder Gedanke. Sie muss lachen bei diesem Gedanken. Sie lacht, steigert sich hinein, bald wird aus dem lachen nur noch ein hysterisches Aufschreien. Solange, bis sie sich beruhigt, wieder einmal.
Und die GroÃeltern? Die sind verzweifelt. Sie lässt niemanden an sich heran, redet nicht, noch weniger als früher. Haben sie etwas falsch gemacht? Wollten sie nicht immer nur das Beste für ihre Enkeltochter? Haben sie versagt? Schon wieder?
Sie lebt in einer Trancewelt, sagen die Ãrzte. Ãrzte sind gebildete Menschen, die haben Recht, egal wessen Argument dagegen steht. Ãrzten kann man vertrauen, muss man vertrauen. Ãrzte sagen einem im Notfall auch das was man hören will, sie haben Recht.
Sie geht all ihren Arbeiten nach, verhält sich ganz normal. Doch wenn man in ihre Augen sieht, dann sieht man nichts. Jeder Funke Lebendigkeit ist erloschen.
Sie tun alles, zahlen alles, um diesen Funken wieder zu zünden. Aber sie macht nicht mit. Wehrt sich gegen die Beruhigungsmittel, redet nicht mit den Leuten, die sie engagieren, redet nicht mit ihnen.
Doch sie lacht. Sie lacht nach auÃen hin. Tief in ihr ist es kohlschwarz. Die Scheinwelt in der sie sich bis jetzt so wohl gefühlt hat ist zerbrochen. Es gibt sie nicht mehr, und sie wird sie auch nie wieder aufbauen können. Was geschehen ist, ist geschehen und lässt sich nicht wieder gutmachen. Wie so vieles in ihrem Leben.
Zu lange vermissen sie schon die Wärme ihrer Enkelin, die Freude in den Augen, das Glitzern, dass sie sosehr an ihre Tochter erinnerte. Zu lange haben sie sie schon nicht mehr lachen gesehen. Sie vermissen sie, wollen sie zurück haben. Wollen nicht schon wieder eine Tochter verlierenâ¦
Dass ihr Lachen, ihre Freude, das Glitzern in ihren Augen nie natürlich, sondern eintrainiert und geübt war, das wissen sie nicht. Sie können es nicht wissen. SchlieÃlich hat sie es ihnen zu Liebe getan. Doch damit ist Schluss. Sie haben ihre Schutzmauer ein für alle mal zerstört. Sind sie nicht selbst schuld? Nein, sie sind es nicht, und das weià sie. Will es nicht zugeben, will jemanden die Schuld geben, sucht einen Sündenbock.
Sie ist entsetzt über ihre eigenen Gedanken. Sie liebt sie doch, vergöttert sie. Warum kann sie sich nicht ausdrücken? Konnte sie es jemals? Sie kann schauspielern. Wer ist Marilyn Monroe, Julia Roberts? Sie alle wissen wie man es macht. Doch können tun sie es nicht. Nicht so wie sie.
Ist es besser?
*heul* deine teile sind immer so mitreiÃend, dass man richtig darin versinkt. Wie du die Gedankenwelt von Rory beschreibst ist einfach nur der Wahnsinn. *tief verbeug*
ich finde deine ff einfach super traurig aber auch super klasse
vlg Jamie
Danke!!
Es scheint als wärst du die erste, die den Thread überhaupt bemerkt hat *gg*
ne, aber ich trau mich gar nicht hier was rein zu schreiben
Hoff es geht bald weiter!!!
Geht mir genauso. Ich weià einfach nicht ob ich auch mal was reinschreiben darf, des net unbedingt direkt was mit dieser ff zu tun hat.
lg jamie