Katzenauge
Als er die körperliche Verbindung zu ihr verliert, ihre Haut nicht mehr spüren kann, versteht auch er dass es vorbei ist. Er ist nicht stark genug um ihr zu helfen. Ihr beizustehen und sich um sie zu kümmern. Er ist einfach nicht mutig genug, sie danach zu fragen und die Verantwortung zu übernehmen.
âIst es, ist es vorbei?â
Sie sieht in fragend an.
âIch meine, ist es vorbei mit uns?â
In seinem Gesicht kann man nicht lesen was er fühlt. Er scheint versteinert und für einen kurzen Moment sehr erwachsen. Er kann ihr nicht helfen und darum muss er gehen.
Jetzt öffnet sie ihren Mund, die Worte bilden sich ganz einfach. Die Hemmschwelle ist überwunden. Redet sie doch mit dem einzigen Menschen, in dessen Armen sie sich jemals sicher und wohlbehütet gefühlt hat.
âEs tut mir leid.â
Als sie ihn in diesem Moment anschaut, begreift auch sie, dass es vorbei ist. Er kann nicht derjenige sein, der ihre Seele rettet.
âJa es ist vorbei.â
Er erhebt sich langsam und reckt seine Schultern. Als er vor ihr steht sieht sie noch einmal ihre gemeinsame Vergangenheit. Sie empfindet so viel Liebe und Dankbarkeit für diesen Menschen, das selbst sein körperlicher Betrug ihr nichts mehr ausmacht. Er hat ihr viel mehr gegeben als körperliche Nähe. Zum ersten Mal seit sie in dieses Krankenhausbett verfrachtet wurde richtet sie sich langsam auf. Sie hebt ihren geschwächten Körper an. Die Wirbelsäule löst sich von der Matratze und sie kommt ihm näher. Sie will eine letzte Umarmung von ihm. Die Kraft die von seinem Körper ausgeht auf sich übertragen. Sie schaut ihn an und streckt ihm ihre Arme entgegen. Er lächelt sanft und zieht sie vorsichtig an sich. Als ihr schmaler Körper seinen berührt schlieÃt er die Augen. Das gebrechliche Wesen in seinen Armen erscheint ihm so schwach, dass er fürchtet es zu zerbrechen. Sie atmet ruhig an seinen Hals, er spürt ihren gleichmäÃigen Atem.
âDanke.â
Ihre Stimme klingt sicher und grundehrlich. Sie ist ihm dankbar, für jede einzelne Sekunde die er mit ihr verbracht hat und sie beschützt hat. Auch wenn es nicht gehalten hat, für die wenigen ganz normalen Momente und das sichere Gefühl in seinen Armen alles überstehen zu können. Sie schlingt ihre Arme um seine Schulternblätter. Für einen kurzen Moment scheint die Zeit stillzustehen. Er gibt ihr soviel Zeit wie sie braucht und wartet bis sie sich selbst aus seiner Umarmung löst. Ihre Gesichter sind auf gleicher Höhe und er schaut ihr noch einmal in die Augen. Vorsichtig finden seine Lippen den Weg zu ihr. Ihr Kuss schmeckt nach gar nichts, ihre Lippen sind rau und trocken.
âMachs gut.â Flüstert er in den Kuss hinein. Dann löst er sich entgültig und geht aus dem Zimmer hinaus.
Sie wissen beide, dass es ein Abschied für immer ist.
Als sie 3 Wochen später aus dem Krankenhaus entlassen wird strahlt sie über das ganze Gesicht. Sie tritt hinaus in den warmen Sommer und das tobende Leben. Die Zeit im Krankenhaus liegt weit hinter ihr. Sie steht vor der Tür und starrt hoch in den Himmel, der Wind weht ihr um die Haare und ihren Nacken hinab. Ihre Haut hat sich noch nicht ganz von den Strapazen erholt, sie ist weiterhin sehr trocken und einige schwache Stellen ihres Bindegewebes zeigen deutlich aus was für einer Vergangenheit sie kommt.
âKommst du? Wir müssen noch deine Sachen holen?â
Sie dreht sich um und strahlt sie an.
âJa ich komme.â
Sie streift sich ihre Tasche über die Schulter und folgt ihr ans Auto. Sie ist völlig ruhig und entspannt. Das Mädchen neben ihr gibt ihr alle Kraft die sie braucht. Und Kraft wird sie viel brauchen, denn das Auto hält vor der Einfahrt zu ihrem Elternhaus.
Sie hat ihre Familie das letzte Mal vor ihrem Selbstmordversuch gesehen, niemand auÃer ihrem Vater war im Krankenhaus.
Sie steigt aus und knallt die Tür zu. Dann holt ihre Freundin aus dem Kofferraum zwei groÃe Kisten. Sie strahlt über den Rand der Kartons hinweg sie an.
âKomm schon, bringen wirs hinter uns!â
Zuversichtlich und mutig wie nie geht sie auf die Eingangstür zu und klingelt. Die Tür wird von ihrem Bruder geöffnet. Der scheint sie kaum wieder zuerkennen und fragt stupide was sie hier will. Sie allerdings ignoriert ihn einfach und führt ihre Freundin in die groÃe Eingangshalle. Sie sind etwa um die Mittagszeit gekommen, ihre Eltern müssten am Essen sitzen. Zielstrebig zeigt sie den Weg ins Esszimmer und betritt den Raum.
Am Tisch sitzen ihre Mutter und ihr Vater.
âWas machst du hier?â Ihrem Vater steht der Schock ins Gesicht geschrieben. Hatte er nicht ihre Verlegung in eine psychiatrische Anstalt beantragt?
âIch packe meine Sachen. Ich ziehe aus.â
[font="]Ihrer Mutter fällt vor lauter Schock nicht nur die Gabel aus der Hand sondern ihr Kinn klappt nach unten. [/font]
Würde mich über Feedback freuen