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Normale Version: Ein Albtraum wird wahr
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Wow ich bin wow was soll ich sagen!! WOW die FF ist der hammer schreib schnell weiter
So erst mal Danke für das tolle Fb. Ich freue mich, dass die FF euch so gut gefällt!
Und jetzt der nächste Teil:

„Es tut mir Leid“, sagt Dr. Hayes. „Ihr Sohn kommt leider nicht in Frage.“
Meine Augen richten sich auf die Topfpflanze, die noch immer welk und braun auf der Fensterbank steht. Irgendwer sollte sie wegschaffen. Irgendwer sollte sie durch Orchideen ersetzen, durch Paradiesvögel oder irgendeine andere Pflanze, die man hier nicht erwarten würde.
„Es besteht die Möglichkeit, dass wir über die nationale Knochenmarkskartei einen nicht verwandten Spender finden.“
Logan beugt sich vor, steif und angespannt. „Aber sie haben gesagt, dass das gefährlich sei.“ „Ja, das stimmt“, sagt Dr. Hayes. „Aber manchmal müssen wir das Risiko in Kauf nehmen.“ Ich blicke auf. „Und...wenn sie in der Kartei keinen Spender finden?“
„Tja.“ Der Onkologe reibt sich die Stirn. „Dann versuchen wir, Sarah in Gang zu halten, bis die Forschung ein Mittel für sie gefunden hat.“
Er spricht von meiner kleinen Tochter, als wäre sie eine Maschine: ein Auto mit einem defekten Vergaser; ein Flugzeug, bei dem das Fahrwerk klemmt. Statt mich der Situation zu stellen, wende ich den Blick ab und sehe, wie eines der verdorrten Blätter auf den Teppich stürzt. Ohne ein Wort der Erklärung stehe ich auf und nehme den Topf von der Fensterbank. Ich marschiere aus Dr. Hayes' Büro, vorbei an der Empfangssekreterin und den anderen panikstarren Eltern, die mit ihren kranken Kindern warten. Ich werfe die Pflanze samt ihrer ausgetrockneten Erde in den nächstbesten Mülleimer. Ich blicke auf den Terrakottatopf in meiner Hand, und ich überlege gerade, ob ich ihn auf dem Fließboden zerschmettern soll, als ich hinter mir eine Stimme höre.
„Rory“, sagt Dr. Hayes. „Ist alles in Ordnung?“
Ich drehe mich langsam um, mit Tränen in den Augen. „Ja mir geht’s gut. Ich bin gesund. Ich werde ein langes, langes Leben haben.“ Ich überreiche ihm den Topf und entschuldige mich. Er nickt und bietet mir ein Taschentuch an.
„Ich habe gedacht, David könnte sie retten. Ich wollte, dass David sie rettet.“
„Das haben wir alle gehofft“, antwortet Dr. Hayes. „Hören Sie. Vor zwanzig Jahren war die Überlebensrate noch niedriger. Und ich hatte schon mit vielen Familien zu tun, wo ein Geschwister nicht gepasst hat, aber ein anderes eine hundertprozentige Übereinstimmung war.“ Wir haben nur die beiden, will ich sagen, und dann begreife ich, dass Dr. Hayes von einer Familie spricht, die ich gar nicht wollte. Ich blicke ihn an, mit einer Frage auf den Lippen. „Logan wundert sich bestimmt wo wir bleiben.“ Er geht wieder zurück in sein Büro, den Topf in der Hand. „Was für Pflanzen“, fragt er im Plauderton, „würden denn wohl länger bei mir überleben?“


Wenn die eigene Welt zum absoluten Stillstand gekommen ist, glaubt man leicht, das gälte auch für den Rest der Welt. Aber die Müllabfuhr hat die Mülleimer auf der Straße stehengelassen, genau wie immer. Im Briefkasten steckt eine Rechnung vom Öllieferanten. Säuberlich gestapelt auf der Küchentheke liegt die Post von einer Woche. Erstaunlicherweise ist das Leben weitergegangen.
Eine volle Woche nach Beginn der Indukionschemotherapie darf Sarah aus dem Krankenhaus nach Hause. Der Port, der noch immer aus ihrer Brust ragt, beult ihre Bluse aus. Die Krankenschwestern geben mir aufmunternde Worte und viele wichtige Anweisungen mit auf den Weg: Wann wir Sarah ins Krankenhaus bringen sollen und wann nicht, wann wir zur nächsten Chemotherapie kommen sollen, worauf wir in der Phase von Sarah's Immonsupression unbedingt achten sollen.
Um sechs Uhr am nächsten Morgen, öffnet sich die Tür von unserem Schlafzimmer. Sarah kommt auf Zehenspitzen zu uns ans Bett. Logan und ich sind sofort hellwach. „Was ist denn, Schätzchen?“, fragt Logan.
Sie sagt nichts, hebt bloß die Hand und fährt sich mit den Fingern durchs Haar. Es fällt in dicken Büscheln aus und schwebt wie ein kleiner Schneesturm auf den Teppich.


„Fertig“, verkündet Sarah einige Tage später beim Abendessen. Ihr Teller ist voll, sie hat weder die Bohnen noch die Kartoffeln angerührt. Sie hüpft ins Wohnzimmer, um zu spielen. „Ich auch“, David rückt mit dem Stuhl vom Tisch ab. „Darf ich aufstehen?“
Logan führt seine Gabel zum Mund. „Erst wenn du aufgegessen hast.“
„Ich mag keine Bohnen“
„Die sind auch nicht gerade verrückt nach dir.“
David blickt auf Sarah's Teller. „Sie muss nicht alles aufessen. Das ist gemein.“
Logan legt seine Gabel auf den Teller. „Du findest, du kommst zu kurz?“, erwidert er mit zu ruhiger Stimme. „Na gut, David. Wenn Sarah die nächste Knochenmarkspunktion hat, versprechen wir dir was, was genau so weh tut. Und bei ihrer nächsten Chemo -“ „Logan“, unterbreche ich ihn. Er verstummt so aprupt, wie er begonnen hat und fährt sich mit der zitternden Hand über die Augen. Dann fällt sein Blick auf David, der in meine Arme geflüchtet ist. „Es...es tut mir Leid, David. Ich wollte nicht -“ Aber was auch immer Logan sagen will, es verschwindet mit ihm, als er die Küche verlässt.
Einen Augenblick sitzten wir schweigend da. Dann sieht David mich an. „Ist Daddy auch krank?“ Ich überlege angestrengt, was ich antworten soll. „Es wird alles wieder gut, sage ich.

Als wir genau eine Woche wieder zu Hause sind, schreckt uns mitten in der Nacht ein Krachen aus dem Schlaf. Logan und ich hasten in Sarah's Zimmer. Sie liegt im Bett und zittert so heftig, dass sie die Nachttischlampe hinuntergestoßen hat. „Sie glüht richtig“, sage ich zu Logan, als ich ihr die Hand auf die Stirn lege.
Ich habe mich gefragt, woran ich erkenne, ob Sarah ins Krankenhaus gehört, sollte sie irgendwelche seltsamen Symptome haben. Ein Blick auf meine Tochter, und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich je so naiv gewesen bin. „Wir bringen sie in die Notaufnahme“, sage ich, obwohl Logan Sarah bereits in ihre Bettdecke wickelt und hochhebt. Wir legen sie ins Auto und lassen den Motor an, als mir einfällt, dass wir David nicht allein zu Hause lassen können. „Bring du sie hin“, sagt Logan, der meine Gedanken liest. „Ich bleibe.“
Aber er wendet die Augen nicht von Sarah ab. Minuten später rasen wir Richtung Krankenhaus. David sitzt auf der Rückbank neben seiner Schwester und will wissen, warum wir so früh aufstehen müssen, wo die Sonnen noch nicht mal aufgegangen ist.
In der Notaufnahme schläft David auf einem Nest aus unseren Jacken. Logan und ich beobachten die Ärzte, die über Sarah's fiebrigen Körper gebeugt sind, wie Bienen über einem Blumenbeet, und ihr alle möglichen Proben entnehmen, um Bakterienkulturen anzulegen. Außerdem machen sie eine Lumbalpunktion, um die Infektionsursache zu isolieren und eine Meningitis auszuschließen. Ein Radiologe kommt mit einem tragbaren Röntgenapparat herein und macht eine Aufnahme von ihrer Brust, für den Fall, dass sich der Infektionsherd in der Lunge befindet.
Anschließend heftet er das Röntgenbild an eine Leuchtwand. Sarah's Rippen sehen so dünn aus wie Streichhölzer, und etwas abseits von der Mitte ist ein großer, grauer Fleck zu sehen. Meine Knie werden schwach, und ich halte mich unwillkürlich an Logan's Arm fest. „Ein Tumor. Der Krebs hat gestrahlt.“
Der Arzt legt mir eine Hand auf die Schulter. „Mrs. Huntzberger“, sagt er, „Das ist Sarah's Herz.“


Pancytopenie ist ein kompliziertes Wort und bedeutet, dass Sarah's Körper keinen Schutz mehr gegen Infektionen besitzt. Es bedeutet, sagt Dr. Hayes, dass die Chemo gewirkt hat – dass ein Großteil weißer Blutkörperchen in Sarah's Körper vernichtet wurde. Es bedeutet auch, dass eine Sepsos, eine Infektion nach der Chemo, nicht nur wahrscheinlich ist, sondern garantiert eintreten wird.
Sie erhält eine Dosis Tylenol, um das Fieber zu senken. Man hat Blut-, Urin- und Bronchialsekretkulturen von ihr angelegt, um ihr die richtigen Antbiotika geben zu können. Erst nach sechs Stunden lässt der Schüttelfrost nach, der zum Teil so heftig war, dass sie beinahe aus dem Bett gefallen wäre. Eine Krankenschwester, die Sarah vor einigen Wochen mal Zöpfe geflochten hat, um sie zum Lächeln zu bringen, misst ihre Temberatur und wendet sich dann an mich. „Rory“, sagt sie sanft. „Sie können jetzt wieder atmen.“
Sarah's Gesicht ist so winzig und wies auf die fernen Monde, die Logan und ich früher immer von unserer Dachterasse unserer alten Wohnung betrachtet haben. Sie sieht aus wie ein Leichnam ... und was noch schlimmer ist, es ist eine Erleichterung im Vergleich dazu, sie leiden zu sehen.
„He, Ace.“ Logan berührt mich am Hinterkopf. Er balanciert David auf dem Arm. Es ist fast Mittag, und wir sind noch immer im Pyjama. Wir haben gar nicht daran gedacht, etwas zum Anziehen mitzunehmen. „Ich gehe mit ihm in die Cafeteria, was essen. Möchtest du auch was?“ Ich schüttele den Kopf, rücke mit dem Stuhl näher an Sarah's Bett und streiche die Decke an ihren Beinen glatt. Dann nehme ich ihre Hand und messe sie an meiner.
Ihre Augen öffnen sich einen Spalt. Einen Moment hat sie Mühe, zu erkennen, wo sie ist. „Sarah“, flüstere ich. „Ich bin hier.“ Als sie den Kopf dreht und die Augen auf mich richtet, hebe ich ihre Handfläche an meinen Mund und drücke einen Kuss in die Mitte. „Du bist so tapfer“, sage ich und lächle. „Wenn ich groß bin, möchte ich so sein wie du.“
Zu meiner Überraschung schüttelt sie heftig den Kopf. „Nein Mommy“, sagt sie. „Dann wärst du krank.“


Der Engel, der ins Krankenhaus kommt, trägt Armani und brüllt in ein Handy. „Kaufen“, befiehlt Paris Geller. „Und wenn du einen Limostand im Einkaufszentrum aufmachen musst, Doyle. Ich hab gesagt, kauf dieses Haus.“ Sie drückt einen Knopf und streckt mir die Arme entgegen. „He“, sagt Paris tröstend, als ich in Tränen ausbreche. „Hast du wirklich geglaubt, ich hör auf dich, nur weil du gesagt hast, ich soll nicht kommen?“
„Aber -“
„Fax. Telefon. Ich kann bei euch zu Hause arbeitern. Diese ganzen Kranken kann ich auf Dauer sowieso nicht mehr sehen. Bei Sarah ist das was anderes. Ich habe mir zum ersten Mal in meinem Leben Urlaub genommen. Außerdem, wer soll denn auf David aufpassen?“
Logan und ich blicken einander an. Soweit hatten wir noch gar nicht gedacht. Als Antwort steht Logan auf und umarmt Paris linkisch. „Nichts für ungut, Bleichgesicht, aber zu viel Sentimentalität kann ich nicht ausstehen.“ Jetzt kommt David angelaufen. „Was habt ihr denn da für einen Jungen adoptiert, Rory ... David kann doch unmöglich schon so groß sein!“ Sie umarmt auch David und beugt sich dann über das Krankenbett, wo Sarah schläft. „Du erinnerst dich bestimmt nicht an mich“, sagt Paris mit strahlenden Augen. Die Jahre als Ärztin haben sie irgendwie weicher werden lassen. „Aber ich mich an dich.“
Es fällt mir so leicht – Paris alles zu überlassen. Sie überredet David mit ihr Schiffe versenken zu spielen und schafft es auf nicht gerade zartfühlende Art, das ein Chinarestaurant ohne Lieferservice unsere Bestellung ins Krankenhaus bringt. Ich sitze neben Sarah und genieße ihre Tüchtigkeit.

Nachdem Paris am Abend mit David nach Hause gefahren ist, werden Logan und ich für Sarah Beschützer im Dunkeln. „Logan“, flüstere ich. „Ich habe nachgedacht.“ Er rutscht auf seinem Stuhl hin und her. „Worüber?“ Ich beuge mich vor, damit ich seinen Blick auffangen kann. „Ich möchte noch ein Kind.“ Logans Augen verengen sich. „Mein Gott, Rory.“ Er steht auf und dreht mir den Rücken zu. „Ich fass es nicht.“
Ich stehe auch auf. „Du verstehst das falsch.“
Als er mich anschaut, ist jeder Muskel seines Gesichts qualvoll angespannt. „Wir können Sarah nicht einfach ersetzten, falls sie stirbt“, sagt er.
Sarah bewegt sich in ihrem Bett, und die Decke raschelt. Ich zwinge mich, sie mir mit vier Jahren vorzustellen, verkleidet an Halloween; mit Zwölf, wie sie zum ersten Mal Lipgloss ausprobiert; mit Zwanzig, wie sie im Studentenwohnheim in ihrem Zimmer tanzt. „Ich weiß. Also müssen wir dafür sorgen, dass sie nicht stirbt.“
Bin gerade schon wieder so ein bisschen sprachlos, aber diesmal hab ich mehr zu sagen.
Wow, erstmal! Wie du schreibst, das ist einfach klasse. Wo hast du das nur gelernt?! So wunderschön und *schwärm* ich kannn da richtig mitfühlen.
David kommt nciht als Spender in Frage?! Oh nein * schnief* ist ja gar nciht gut.
Zitat:Er spricht von meiner kleinen Tochter, als wäre sie eine Maschine: ein Auto mit einem defekten Vergaser; ein Flugzeug, bei dem das Fahrwerk klemmt.
Richtig guter Vergleich. Die arme Rory. Ich kann sie sehr gut verstehen.
Musste ein bissi grinsen, als sie einfach mit der Pflanze wegging. xD
Zitat:Wenn die eigene Welt zum absoluten Stillstand gekommen ist, glaubt man leicht, das gälte auch für den Rest der Welt. Aber die Müllabfuhr hat die Mülleimer auf der Straße stehengelassen, genau wie immer. Im Briefkasten steckt eine Rechnung vom Öllieferanten. Säuberlich gestapelt auf der Küchentheke liegt die Post von einer Woche. Erstaunlicherweise ist das Leben weitergegangen.
oh mann das ist so ein schöner Part. Könnte glatt aus einem Roman entsprungen sein. Big Grin
Oh armer David, kann ihn verstehen. Ist ja wirklich ungerecht. Armer Logan, dem ist das ganze ja auch irgendwie zu viel. *mitleid hab*
oh nein was ist nun mit Sarah - schnell ins Krankenhaus.
Zitat:Ihre Augen öffnen sich einen Spalt. Einen Moment hat sie Mühe, zu erkennen, wo sie ist. „Sarah“, flüstere ich. „Ich bin hier.“ Als sie den Kopf dreht und die Augen auf mich richtet, hebe ich ihre Handfläche an meinen Mund und drücke einen Kuss in die Mitte. „Du bist so tapfer“, sage ich und lächle. „Wenn ich groß bin, möchte ich so sein wie du.“
Zu meiner Überraschung schüttelt sie heftig den Kopf. „Nein Mommy“, sagt sie. „Dann wärst du krank.“
wie lieb ist das denn. Die kleien ist gerade mal 2 Jahre alt und schon sooo süß und weise. *schwärm* die Kinder hast toll hinbekommen.
Zitat:Der Engel, der ins Krankenhaus kommt, trägt Armani und brüllt in ein Handy.
das kann ja nur Paris sein. Big Grin schön, dass sie kommt.
Rory will noch ein Kind? - mal sehen, ob das auch wirklich passiert.
Zitat:Als er mich anschaut, ist jeder Muskel seines Gesichts qualvoll angespannt. „Wir können Sarah nicht einfach ersetzten, falls sie stirbt“, sagt er.
Sarah bewegt sich in ihrem Bett, und die Decke raschelt. Ich zwinge mich, sie mir mit vier Jahren vorzustellen, verkleidet an Halloween; mit Zwölf, wie sie zum ersten Mal Lipgloss ausprobiert; mit Zwanzig, wie sie im Studentenwohnheim in ihrem Zimmer tanzt. „Ich weiß. Also müssen wir dafür sorgen, dass sie nicht stirbt.“
Logans Reaktion ist nur zu verständlich. Ja, Sarah draf nciht sterben.
Ich freu mich schon auf das nächste Kapitel und hoffe, dass dsa FB besser ist, als das vorherige. xD
kiss juhui
So, mein nächster Teil. Der ist jetzt nicht so gut geworden, weil ich eine Schreibblokade hatte. aber naja. Ich hoffe ihr gebt mir wieder so tolles FB!

RORY
2015-2016 Wie der Zufall es will, vielleicht ist es ja auch eine Frage der Karmaverteilung, sind alle drei Kundinnen beim Friseur schwanger.
„Meine Favoriten sind Freedom, Low und Jack“, sagt die junge Frau neben mir, die sich die Haare pink färben lässt.
„Und wenn's kein Junge wird?“, fragt die Frau auf meiner anderen Seite. „Och die passen doch für beides.“ Ich unterdrücke ein Lächeln. „Ich wäre für Jack.“ Das Mädchen blinzelt und blickt dann zum Fenster hinaus in das lausige Wetter. „Rain klingt schön“, sagt sie nachdenklich und probiert den Namen mehrmals aus. „Rain, räum deine Spielsachen auf. Rain, Schätzchen, beeil dich, sonst kommen wir zu spät zum Scorpions Konzert.“ Sie kramt ein Stück Papier und notiert sich den Namen. Die Frau links von mir grinst mich an. „Ihr erstes?“
„Das dritte.“
„Für mich auch. Ich hab zwei Jungs. Ich frück mir selbst die Daumen.“
„Ich habe einen Jungen und ein Mädchen“, sage ich zu ihr. „Fünf und drei.“
„Wissen sie schon was es diesmal wird?“
Ich weiß alles über dieses Baby, von seinem Geschlecht bis hin zu den Chromosomen und den Genen, die es zu einem perfekten Spender für Sarah machen. Ich weiß genau, was ich bekomme: Ein Wunder. „Es wird ein Mädchen“, antworte ich.
„Oooh, wie ich sie beneide! Mein Mann und ich haben uns beim Ultraschall nichts verraten lassen. Ich hab gedacht, wenn ich höre, dass es wieder ein Junge wird, stehe ich die letzten fünf Monate nicht durch.“ Sie schaltet ihre Trockenhaube aus und schiebt sie zurück. „Haben Sie sich schon einen Namen ausgesucht?“
Erst jetzt wird mir klar, dass ich das nicht getan habe. Obwohl ich imneunen Monat bin, obwohl ich reichlich Zeit zum Träumen hatte, habe ich mir über dieses Kind noch keine besonderen Gedanken gemacht. Wenn ich an diese Tochter denke, denke ich nur daran, was sie für die Tochter tun kann, die ich bereits habe. Das habe ich nicht mal Logan gestanden, der nachts den Kopf auf meinen Bauch legt und auf die kleinen Stöße wartet, die seiner Meinung nach den ersten weiblichen Placekicker für die Patriot ankündigen. Aber meine Träume von ihr sind ja nicht weniger hochfliegend. Ich erwarte von ihr, dass sie das Leben ihrer schwester rettet. „Eir warten noch“, sage ich zu der Frau. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir eigenlich kaum etwas anderes tun.


Nach Sarah's dreimonatiger Chemotherapie im letzten Jahr war ich am Anfang so naiv, mir einzubilden, wir hätten es geschafft. Dr. Hayes hatte gesagt, sie sei anscheinend in Remission und wir müssten nur beobachten, was als nächstes passiert. Und für eine Weile wurde mein Leben wieder normal: Ich besuchte Mom und Luke, ging auf Stadtversammlungen, kutschierte David zum Fuballtraining und half in Sarah's Vorschulklasse aus und nahm sogar gelegentlich ein schönes, heißes Entspannungsbad. Mom und ich haben sogar zusammen meine Grandma besucht. Doch die ganze Zeit wusste ein Teil von mir, dass es nicht so bleiben würde. Dieser Teil untersuchte jeden Morgen Sarah's Kopfkissen, auch noch, als ihre Haare mit den krausen Spitzen schon nachwuchsen, nur für den Fall, dass sie vielleicht doch wieder ausfielen.
Diese rteil ging auch zu dem Genetiker, den Dr. Hayes mit empfohlen hatte, „erschuf“ einen Embryo, der laut wissenschaftlicher bestätigung mit Sarah vollkommen übereinstimmte, nahm die Hormone für die In-vitro-Fertilisation und empfing den Embryo, nur für alle Fälle.
Bei einer routinemäßigen Knochenmarkspunktion wurde dann festgestellt, dass Sarah molekular rückfällig war. Äuerlich wirkte sie wie jedes dreijährige Mädchen. Innerlich hatte der Krebs sich wieder in ihrem Organismus ausgebreitet und den Fortschritt zunichte gemacht, der durch die Chemotherapie erreicht worden war.
Jetzt sitzt Sarah mit David auf der Rückbank, strampelt und spielt mit einem Spielzeugtelefon. David sitzt neben ihr und starrt aus dem Fenster. „Mom? Fallen Busse schon mal auf Menschen?“
„Meinst du aus Bäumen oder so?“
„Nein. Ich meine ... umkippen.“ Er macht eine drehende Bewegung mit der Hand.
„Nur wenn das Wetter richtig schlecht ist oder wenn der Fahrer zu schnell fährt.“
Er nickt, schluckt meine Erklärung, dass er in diesem Universum sicher ist. Dann: „Mom?Hast du eine Lieblingszahl?“
„Einunddreißig“, sage ich. Das ist der tag des errechneten Termins. „Und du?“
„Neun. Das kann nämlich eine Zahl sein oder wie alt du bist oder eine sechs auf dem Kopf.“
Er hält kurz inne um Luft zu holen. Dann: „Mom Gibt es Scheren zum Fleisch schneiden?“
„Ja, die gibt’s.“ Ich biege links ab und fahre an einem Friedhof vorbei, nach hinten und vorne geneigte Grabsteine wie vergilbte Zähne.
„Mom“, fragt David, „Kommt Sarah da hin?“
Die Frage, ebenso arglos wie alle anderen, die David stellt, lässt meine Beine schwach werden. Ich halte am Straßenrand und schalte die Warnblinkanlage ein. Dann löse ich den Sicherheitsgurt und drehe mich um. „Nein, David“, antworte ich ihm. „Sie bleibt bei uns.“


An Silvesterabend setzten die Wehen ein. Mom versucht mich abzulenken, in dem sie von den Sternzeichen anfängt. „Sie wird Steinbock“, sagt sie, während sie mir die Schultern massiert.
„Ist das gut?“
„Und wie. Steinböcke sind ungemein praktisch veranlagt“
Einatmen, ausatmen. „Gut...zu...wissen“, sage ich. Es sind noch zwei andere Babys auf dem Weg in die Welt. Eine Frau, so erzählt Mom, hält die Beine über Kreuz. Sie will es unbedingt bis ins Jahr 2016 schaffen. Das Neujahrsbaby bekommt nämlich Gratiswindeln und ein Sparbuch mit 100 Dollar als Startkapital für das Studium in weider Ferne.
Als Mom mal nach draußen geht, nimmt Logan meine Hand. „Gehts dir gut?“
„Wenn's vorbei wäre, ging's mir besser.“
Er lächelt mich an.
Plötzlich rollt in mir eine Ankerkette ab, faustdick und dreht sich in meinem Unterleib. „Logan“, keuche ich. „Hol den Arzt.“


...


Der erste Tag, an dem Sarah das Nabelschnurblut bekommen soll, ist der Tag nach Elena's Geburt. Ich komme von der Entbindungsstation herunter und treffe Sarah in der Radiologie. Wir tragen beide gelbe Schutzkittel, und sie muss lachen. „Mommy“, sagte sie, „wir sind gleich angezogen.“
Man hat ihr einen pädiatrischen Beruhigungscocktail gegeben, und unter allen anderen Umständen wäre das lustig. Sarah kann sich nicht richtig auf den Beinen halten. Jedes mal, wenn sie aufsteht, fällt sie wieder um. Mir kommt der Gedanke, dass sie so aussehen wird, wenn sie sich auf dem College das erste Mal betrinkt, und dann rufe ich mir hastig in Erinnerung, dass sie ja vielleicht gar nicht so alt wird.
Als die Therapeutin kommt, um sie in den Behandlungsraum zu bringen, klammert die sich an mein Bein. „Süße“, sagt Mom, die mit runter gekommen ist, „das ist überhaupt icht schlimm.“ Sie schüttelt den Kopf und drängt sich noch fester an mich. Als ich in die Hocke gehe, wirft sie sich in meine Arme. „Ich lasse dich nicht aus den Augen“, verspreche ich ihr.
Der Raum ist groß, mit Dschungelbildern an den Wänden. Die Linearbeschleuniger sind sind in der Decke und in eine Vertiefung unter dem Behnadlungstisch eingebaut, der eigentlich nur eine Segeltuchliege mit Laken darauf ist. Die Bestrahlungsthearapeutin legt Sarah dicke, bohnenförmige Bleistücke auf die Brust und schärft ihr ein sich nicht zu bewegen. Sie verspricht ihr, dass sie einen Lutscher bekommt, wenn alles vorbei ist.
Ich starre Sarah durch die Wand aus Schutzglas an. Gamastrahlen, Leukämie, Elternschaft. Gerade die Dinge, die man nicht sehen kann, sind stark genug, um dich unzubringen.


Die Onkoligie hat ihre eigene Logik. Es ist zwar nirgends schwarz auf weiß zu lesen, aber viele glauben daran: Wenn dir nicht richtig schlecht wird, wirst du auch nicht gesund. Wenn dich also deine Chemo völlig fertig macht – dann ist das bestens.
Wenn man danach geht, müsste Sarah inzwischen kerngesund sein.Anders als die Chemo vor einem Jahr hat die neue Behandlung aus einem kleinen Mädchen, das nicht mal eine Schnupfnase hatte, ein physisches Wrack gemacht.
Nach drei Tagen Bestrahlung hat sie unentwegt Durchfall und muss wieder Windeln tragen. Zunächst hat sie sich deshalb noch geschämt. Doch inzwischen ist sie so krank, dass ihr alles egal ist. Als Folge der anschließenden Chemo ist Sarah's Rachen derart verschleimt, dass sie sich an einen absaugeschlauch klammert wie an einen Rettungsring. Wenn sie wach ist, weint sie unaufhörlich.
Seit dem sechsten Tag, als Sarah's weiße Blutkörperchen und ihre neutrophilen Granulozyten absackten, ist sie in reverser Isolation. Jetzt könnte jeder Keim der Welt sie töten. Aus diesem Grund wird die Welt auf Distanz gehalten. Nur wenige Besucher dürfen zu ihr, und jeder der hineindarf, sieht aus wie ein Astronaut, mit schutzanzug und Maske. Wenn Sarah sich ein bilderbuch ansieht, dann nur mit Gummihandschuhen. Es sind keine Grünpflanzen und Blumen erlaubt, weil sie Bakterien beherbergen, die Sarah töten können. Jedes Spielzeug muss zuerst mit antiseptischer Lösung abgeschrubt werden. Ihr Teddybär, den sie zum einschlafen braucht, steckt in einem Ziploc-Beutel, der die ganze Nacht raschelt und sie manchmal aufweckt.
Logan und ich sitzen draußen und warten. Während Sarah schläft, über ich an einer Orange das Spritzensetzten. Nach der Transplatation braucht Sarah Wachsumsfaktorspritzen, und das wird meine Aufgabe sein. Ich stoße die Nadel in die dicke Schale der Frucht, bis ich das weiche Fruchtfleisch darunder spüre. Das Medikament, das ich verabreichen soll, wird subkutan injiziert, dicht unter die Haut. Ich muss den richtigen Ansatzwinkel finden und lernen, wieviel Druck erforderlich ist. Die Geschwindigkeit mit der man die Nadel einsticht kann mehr oder weniger Schmerzen verursachen. Natürlich weint die Orange nicht, wenn ich einen Fehler mache. Aber die Krankenschwestern und Paris versichern mir, dass es sich nicht wesentlich anders anfühlen wird, wenn ich Sarah die Spritze gebe.
Logan nimmt die zweite Orange und fängt an sie zu schälen.
„Leg sie wieder hin.“
„Ich hab Hunger.“ Er deutet mit dem Kinn auf die Frucht in meiner Hand. „Und du hats doch schon eine Patientin.“
„Woher willst du wissen, dass die nicht schon mal jemand für Übungszwecke benutzt hat? Weiß der Himmer, womit die gedopt ist.“
Plötzlich biegt Dr. Hayes und kommt auf uns zu. Donna, eine Lrankenschwester aus der Onkologie, folgt ihm auf den Fersen und hält einen Infusionsbeutel mit einer hellroten Flüssigkeit hoch. „Der große Augenblick“, sagt sie.
Ich lege meine Orange weg, folge ihnen in den Vorraum, wo ich mich so einkleide, dass ich mich meiner Tochter auf drei Meter nähern darf. In Minutenschnelle hat Donna den Beutel am Infusionsständer befestigt und verbindet den Tropf mit Sarah's Portkatheter. Ich bin fast enttäuscht, dass Sarah nicht mal aufwacht. Ih stehe an der Seite des Bettes, Logan auf der anderen. Ich halte den Atem an. Ich starre unten auf Sarah's Hüfte, den Beckenkamm, wo Knochenmark produziert wird. Durch irgendein Wunder finden Elena's Stammzellen, die über den Zugang in Sarah's Brust in die Blutbahn gelangen, den Weg an die richtige Stelle. „Gut“, sagt Dr. Hayes, und wir alle sehen zu, wie das Nabelschurblut langsam durch den Schlauch gleitet, ein Strohhalm der Hoffnung.
Mein Gott, das wird ja immer schlimmer. Wird mal wieder Zeit für eine gute Nachricht, finde ich.
Ich finde es toll, dass Paris gekommen ist. So richtig wie sie leibt und lebt, aber doch irgendwie ...netter. Sie kann plötzlich mit Kindern umgehen. Wow.


Blumenkind schrieb:„Oooh, wie ich sie beneide! Mein Mann und ich haben uns beim Ultraschall nichts verraten lassen. Ich hab gedacht, wenn ich höre, dass es wieder ein Junge wird, stehe ich die letzten fünf Monate nicht durch.“ Sie schaltet ihre Trockenhaube aus und schiebt sie zurück. „Haben Sie sich schon einen Namen ausgesucht?“


Ja, nach drei Jungs würde ich auch durchdrehen, wenn ich erfahre, dass es noch einer wird. Aber ich hätte das Kind Miracle genannt. Ist irgendwie doof, aber in Amerika kannst du deinem Kind ja jeden Namen geben. Rain geht ja offensichtlich auch. Und die Kleine ist ja auch ein Wunder, oder?



Blumenkind schrieb:Nur wenige Besucher dürfen zu ihr, und jeder der hineindarf, sieht aus wie ein Astronaut, mit schutzanzug und Maske. Wenn Sarah sich ein bilderbuch ansieht, dann nur mit Gummihandschuhen. Es sind keine Grünpflanzen und Blumen erlaubt, weil sie Bakterien beherbergen, die Sarah töten können. Jedes Spielzeug muss zuerst mit antiseptischer Lösung abgeschrubt werden. Ihr Teddybär, den sie zum einschlafen braucht, steckt in einem Ziploc-Beutel, der die ganze Nacht raschelt und sie manchmal aufweckt.


Mensch, das arme Mädchen. Was für eine Kindheit



Blumenkind schrieb:Die Geschwindigkeit mit der man die Nadel einsticht kann mehr oder weniger Schmerzen verursachen. Natürlich weint die Orange nicht, wenn ich einen Fehler mache.

Es tut mir leid, ich weiß, der Teil ist extrem traurig und alles, aber dabei musste ich einfach schmunzeln. Eine Orange weint ja nicht.


Schöner, trauriger Teil

kiss
sunny

Sindy85

Wow, erst dachte ich, das wird ja immer schlimmer, aber es gitb Hoffnung!! Ich bete dafür das Elena helfen kann!!!

Ich hoffe der kleinen gehts bald besser!!

Liebe Grüße Sindy Big Grin
Wie Rory und Logan David gegenüber reagieren finde ich zu krass! Ich versteh natürlich voll und ganz aus welchen Gründen dies so ist, aber das darf man NIE machen! Genauso das mit Elena. Finde ich auch sehr schlimm. Da kann man Sarah ja gleich klonen. Hoffentlich ist sie als Spenderin kompatibel, sonst will ich gar nicht wissen, wie ihre Beziehung zu ihrer Mutter aussehn wird.


Aber sehr gut erklärt mit den medizinischen Begriffen! Sehr gut auch im Thema drin und du scheinst dich ja doch einigermaßen auszukennen.
Ich finde deine Geschichte echt gut.
Anfangs dachte ich auch zuerst, dass Sarah geschlagen wurde - ich dachte da sogar erst daran, dass es vielleicht Logan war, ich Böse :-=) - vor allem, als die Flecken über Nacht schlimmer wurden. Aber das sie Krebs hat, damit hätte ich echt gar nicht gerechnet.

Ich finde es nicht schlimm, dass du ein Buch als Vorlage genutzt hast, gerade was den ganzen medizinischen Kram angeht. Es ist manchmal schon etwas schwer zu lesen, also für mich, das muss ja nicht heißen, dass es anderen auch so geht. Trotzdem will man natürlich wissen, wie es weiter geht und bleibt trotz den ganzen Fachausdrücken an deiner FF dran.

Rory kommt mir in manchen Situationen etwas anders vor, als sie in der Serie war, das ist aber nichts schlechtes. Nur wie meine Vorredner habe auch ich ein bißchen Angst, dass sie die neugeborene Elena gar nicht lieben kann, sondern sie nur gezeugt wurde, damit Sarah gerettet werden konnte. Wo ist Elena jetzt, als die Stammzellen bei Sarah injiziiert werden, wer kümmert sich um sie, Paris?

Naja, viel geschrieben, das Fazit ist aber: du sollst nicht denken, dass ich deine FF schlecht finde. Im Gegenteil, sie ist super geschrieben, mal etwas ganz anderes als immer diese Friede-Freude-Eierkuchen-Geschichten. Man macht sich Gedanken und das ist meiner Meinung nach der Sinn einer solchen FF, das man sie nicht einfach nur runterliest, sondern wirklich darüber nachdenkt.

Ich finde sie jedenfalls klasse und werde auch weiterlesen und hoffe, du hast bald einen neuen Teil für uns.

LG, Toony
so ich gebe auch noch ein FB, bevor ich das völlig vergesse und das wollen wir ja auf gar keine Fall.
Wirklich schöner Teil! Hast mich richtig gefesselt mit deiner FF.
Das mit der Lieblingszahl ist irgendwie so süß, wie David das mit der Sechs erklärt *hihi*
aber dann die andere Frage hat mich richtig geschockt. gut, er ist 5 und Kinder sind nun mal sehr direkt.
Ich hoffe nciht, dass Rory Elena nicht lieben kann, denn eig. ist ja "nur" dazu da Sarah zu retten. Was eig. total unfair ist. hoffe, dass sie da noch ihre Meinung ändert und das einsieht, das wäre Elena nicht fair gegenüber.
so ich freu mich auf den nächsten Teil Big Grin
lg juhui
So, erst mal wie immer Danke für das tolle Feetback!
Und jetzt kommt der nächste Teil. Diesmal mit einem großen Zeitsprung:

Rory
2021 Mit
Acht ist Sarah ein langes Durcheinander aus Armen und Beinen. Ich stecke an dem Morgen zum dritten Mal den Kopf in ihr Zimmer, und jedesmal hat sie was anderes an. Jetzt trägt sie ein rückenfreies Kleid, weiß, mit roten Kirschen bedruckt. „Du kommst noch zu spät zu deiner eigenen Geburtstagsparty“, sage ich.
Sarah kämpft sich aus dem Oberteil und steigt dann aus dem Rock. „Ich sehe aus wie ein Eis mit Schlagsahne.“
„Es gibt Schlimmeres“, entgegne ich.
„Was würdest du anziehen, wenn du ich wärst, den rosa Rock oder den gestreiften?“
Ich schaue beide Teile an, sie liegen auf dem Fußboden. „Den rosa Rock.“
„Magst du die Streifen nicht?“
„Dann zieh eben den gestreiften an.“
„Ich zieh die Kirschen an“, beschließt sie, und als sie sich umdreht, um das Kleid aufzuheben, sehe ich hinten auf ihrem Oberschenkel einen Bluterguss, so groß wie ein halber Dollar, als hätte eine Kirsche durch den Stoff abgefärbt.
„Sarah“, frage ich. „Was ist das?“
Sie verdreht den Oberkörper und betrachtet die Stelle, auf die ich zeige. „Da hab ich mich wohl gestoßen.“
Seit fünf Jahren ist Sarah in Remission. Als das Nabelschnurtransplantat die erwünschte Wirkung brachte, rechnete ich zunächst ständig damit, dass jemand mir sagte, es sei doch ein Irrtum gewesen. Als Sarah klagte, ihr täten die Füße weh, brachte ich sie auf dem schnellsten Weg zu Dr. Hayes, überzeugt, das wären die Knochenschmerzen, die den Rückfall ankündigten, bis sich herausstellte, dass nur einfach ihre Turnschuhe zu klein geworden waren. Wenn sie stürzte, gab ich ihr keinen Kuss auf die Schürfwunden, sondern fragte mich gleich, ob ihre Blutplättchen wohl gut seien.
Ein Bluterguss entsteht, wenn es im Gewebe unter der Haut blutet, meistens – aber nicht immer – ist das die Folge eines kräftigen Stoßes.
Es sind jetzt ganze fünf Jahre, erwähnte ich das bereits?
Elena steckt den Kopf ins Zimmer. „Daddy sagt, die ersten Gäste sind schon da, und von ihm aus könnte Sarah auch ruhig in einem Mehlsack runterkommen. Wie sieht ein Mehlsack aus?“
Sarah hat sich das Sommerkleid über den Kopf gezogen, dann zieht sie den Saum hoch und reibt sich den blauen Fleck. „Komisch“, sagt sie.
Unten sind fünfundzwanzig Zweitklässler, ein Kuchen in Form eines Einhorns, den wir Sookie zu verdanken haben, und - kaum zu glauben - Luke, der aus Luftballons Schwerter, Bären und Kronen zaubert. Und dann wäre da noch Kirk, der sich als DJ angeboten hat. Sarah macht ihre Geschenke auf. Halsketten aus Glitzerperlen, Bastelzeug, Barbie-Zubehör und jede Menge Bücher. Den größten Karton hebt sie sich bis zuletzt auf – das Geschenk von Logan und mir. In einem Kugelglas schwimmt ein Goldfisch.
Sarah wünscht sich schon ewig ein Haustier. Aber Logan ist seit einem Besuch bei Babette gegen Katzen allergisch, und Hunde verlangen sehr viel Aufmerksamkeit, was uns auf die Idee mit dem Fisch gebracht hat. Sarah ist schier aus dem Häuschen. Sie tauft ihn Herkules und trägt ihn bis zum Schluss der Party mit sich herum. Glänzend, wie ein neuer Penny zieht er seine Kreise und begnügt sich damit, nirgendwo anzukommen.

Es dauert nur dreißig Sekunden, bis du begreifst, dass du sämtliche Pläne über den Haufen werfen, alles in deinem Kalender streichen wirst, was du anmaßenderweise dort eingetragen hast. Es dauert sechzig Sekunden, bis du einsiehst, dass du kein normales Leben führst, so sehr du es dir auch eingeredet hast.
Bei einer routinemäßigen Knochenmarkspunktion – ein Termin, der schon feststand, bevor ich den blauen Fleck entdeckte – wurden abnorme Promyelozyten festgestellt.
Ein anschließender Polyemerase-Kettenreaktionstest – mit dem sich die DNA utersuchen lässt – ergab, dass bei Sarah die Chromosomen 15 und 17 verlagert sind.
Das bedeutet, dass Sarah einen molekularen Rückfall hat und es nicht mehr lange dauern kann, bis sich klinische Symptome zeigen. Vielleicht ist sie noch einen Monat blastenfrei. Vielleicht dauert es auch noch ein Jahr. Aber es wird unweigerlich passieren.
Sie benutzen das Wort Rückfall, als würden sie Geburtstag oder Steuerfrist sagen, als wäre es etwas, das so regelmäßig kommt, dass es zum Bestandteil deines inneren Kalenders geworden ist, ob du willst oder nicht.

„Mom?“ David kommt ins Wohnzimmer, wo ich auf der Couch sitze, schon seit Stunden. Ich schaffe es einfach nicht, aufzustehen und meine normalen Pflichten zu erfüllen. Was bringt es denn noch, eine Hose auszubessern oder die Heizölrechnung zu bezahlen?
„Mom“, sagt David wieder. „Du hast es doch nicht vergessen, oder?“
Ich blicke ihn fragend an. „Was?“
„Du hast gesagt, wir gehen neue Fußballschuhe kaufen, wenn wir beim Zahnarzt waren. Du hast es versprochen.“
Ja, stimmt. Das Fußballtraining geht nämlich in zwei Tagen wieder los, und David ist aus dem alten Paar herausgewachsen. Aber im Augenblick kann ich mich nicht aufraffen, zum Zahnarzt zu gehen, wo die Sprechstundenhilfe Sarah anlächelt und wie jedes Mal zu mir sagen wird, was für hübsche Kinder ich habe. Und auch der Gedanke, anschließend in ein Sportgeschäft zu gehen, kommt mir geradezu obszön vor.
„Ich sage den Zahnarzttermin ab“, sage ich.
„Cool!“ Er lächelt, seine silberne Zahnspange glänzt. „Dann gehen wir nur die Fußballschuhe kaufen?“
„Jetzt nicht.“
„Aber -“
„David. Keine Diskussion.“
„Ich kann nicht spielen, wenn ich keine Neuen kriege. Und du machst ja sowieso nichts. Du sitzt bloß rum“, sagt David dennoch.
„Deine Schwester“, sage ich ruhig, „ist unglaublich krank. Es tut mir leid, wenn das mit deinem Zahnarzttermin und deinem Plan, Fußballschuhe zu kaufen kollidiert. Aber solche Dinge stehen zur Zeit nun mal nicht ganz oben auf der >Dringlichkeitsliste<. Mit deinen zehn Jahren müsstest du langsam groß genug sein, um zu wissen, dass sich nicht immer alles nur um dich dreht.“
David blickt zum Fenster hinaus und sieht, dass Sarah auf einem Ast in der Eiche sitzt und Elena Tipps gibt, wie sie hochklettern soll. „Ja klar, sie ist total krank“, sagt er. „Du bist doch schon groß. Du müsstest doch eigentlich wissen, dass sich nicht immer alles nur um sie dreht.“
Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich nachvollziehen, wie es kommt, dass Eltern schon mal die Hand ausrutscht – wenn sie nämlich ihren Kindern in die Augen schauen und darin ein Bild von sich selbst erblicken, das sie lieber nicht sehen möchten. David läuft nach oben und knallt die Tür seines Zimmers zu.
Ich schließe die Augen, hole ein paar Mal tief Luft. Und dann kommt mir ein Gedanke: Nicht alle Menschen sterben an Altersschwäche. Manche werden von einem Auto überfahren. Manche stürzen mit dem Flugzeug ab. Manche ersticken an Erdnüssen. Es gibt für nichts eine Garantie, am allerwenigsten für die Zukunft.
Mit einem Seufzer gehe ich die Treppe hoch und klopfe an die Tür meines Sohnes. Er hat vor kurzem Musik entdeckt. Sie dröhnt durch den dünnen Lichtspalt unter der Tür. Als David die Stereoanlage leiser dreht, werden die Klänge schlagartig dumpf. „Was ist?“
„Ich möchte mit dir reden. Ich möchte mich entschuldigen.“
Ich höre ein Schlurfen auf der anderen Seite der Tür, und dann wird sie aufgerissen. David's Mund ist voller Blut, Drahtenden ragen heraus, wie die Abstecknadeln einer Näherin. Ich sehe die Gabel in seiner Hand und begreife dann, dass er sich die Spange herausgerissen hat. „Jetzt musst du mit mir nirgendwo mehr hin“, sagt er.
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