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~ Äther ~ [R-16]

Ungeduldig sieht er auf die große Uhr an der Wand, der Zeiger hat sich kaum bewegt, scheint beschlossen zu haben, sich nicht schneller als ein toter Windhund zu bewegen. Er hasst Krankenhäuser, diesen Geruch darin, so steril wie ätzend. Und Emily, sie schweigt ihn an, starrt auf die gegenüberliegende Wand, als würde sich eine, nur für ihre Augen sichtbare, Botschaft darauf kundtun. Er stöhnt, hält es hier nicht länger aus, er war nie gut im Warten, hat genug gewartet in seinem Leben, vergeudete Zeit, nutzlos verschwendete Energie.
„Wieso dauert das denn so lange?“, ein Brummen, gelangweilt, ein wenig gereizt.
„Richard!“, mahnt sie ihn, er benimmt sich wirklich unmöglich. Seine Tochter liegt in den Wehen, hat es nicht einmal für nötig gehalten, sie persönlich darüber zu informieren und er jammert über seine Schuhe, darüber, dass es ihm zu lange dauert, verhält sich wie ein Kleinkind und nicht wie ein Mann der Großvater wird.
„Was denn? Wir sind seit Stunden hier“, er blickt erneut auf die Uhr, rechnet nach. „Genauer gesagt seit fünf Stunden und siebenunddreißig Minuten.“
„Du tust gerade so, als wäre es ein Spaziergang, ein Kind zur Welt zu bringen.“ Das ist es nicht, beileibe nicht. Aber du weißt es nicht, du warst nicht hier. Gott, nein, fang nicht schon wieder damit an, Emily, schilt sie sich selbst, als ob das noch wichtig wäre. Nicht er ist schuld an eurer Situation, du bist es selbst.
„Es ist doch auch einfach sie zu zeugen“, murmelt er, sieht sie an, fragt sich, was sie wohl denkt. Ist nicht überrascht, als sie empört reagiert.
„Eine derartige Geschmacklosigkeit hätte ich wirklich nicht von dir erwartet, Richard!“
Du von mir? Ich von dir. Niemals hätte ich es erwartet, nicht von dir. „Scheint so, als würden wir in letzter Zeit öfter Dinge tun, die wir nicht voneinander erwarten.“
„Wovon redest du bitte?“, sie weicht seinem Blick aus, klingt ein wenig unsicher, obwohl sie sich alle Mühe gibt, es nicht zu tun.
„Ach nichts“, er sieht zu Boden, betrachtet seine Füße, hält es für das Beste das Thema zu wechseln. „Diese Schuhe bringen mich wirklich um!“
„Richard, ich schätze es überhaupt nicht, wenn du seltsame Andeutungen machst.“
„Und ich schätze diese Schuhe nicht. Wie rechtfertigen die Hersteller bitte diese horrenden Summen, wenn es doch bequemer wäre, sich ein paar billige Gummistiefel anzuziehen?“
„Richard!“
„Beruhige dich, Emily. Das mit den Gummistiefeln war ein Scherz“, er legt den Kopf schief. „Das mit der Zeugung allerdings nicht.“
„Herrlich, wir sitzen hier in einem Krankenhaus und mein Mann reißt schlechte Witze und macht mir Avancen“, sagt sie, denkt etwas ganz anderes. Fragt sich, worauf er hinaus will, will es gar nicht wissen.
„Ich wollte damit lediglich zum Ausdruck bringen, dass ich gewisse zwischenmenschliche Interaktionen zwischen uns durchaus zu schätzen weiß“, versucht er die Stimmung aufzulockern, sich gleichzeitig wieder an den unberührten Punkt heranzutasten.
„Du benimmst dich unmöglich“, ist alles, was sie entgegnet, tadelt ihn wie ein Kleinkind. Treibt ihn mit ihrer Gefühlskälte in die Verzweiflung. Schon wieder ein Streit, nichts anderes mehr, egal was er tut oder sagt, es endet in einem Streit.
„Und du benimmst dich seltsam.“
„Bitte?“, sie hebt die Augenbrauen, sieht ihn jetzt doch an, erstaunt, in ihren Augen flackert es gefährlich, ängstlich.
„Nun, ich erinnere mich noch gut an Zeiten, in denen du nicht so verschlossen warst.“
„Das ist wirklich nicht der Ort, um derartige Dinge zu diskutieren“, weicht sie aus, windet sich innerlich.
„Wieso denn nicht? Es scheint noch eine Weile zu dauern, wir haben also genügend Zeit es zu diskutieren. Denn ansonsten hast du ja immer zuviel zu tun.“ Diesmal wird er sie nicht davon kommen lassen, kann sie ihn nicht einfach stehen lassen.
„Was redest du da denn für einen Unsinn?“
„Ich rede, richtig. Du redest nicht. Zumindest nicht mit mir, von anderen Dingen ganz zu schweigen. Ich könnte genauso gut mit einem Eisklotz verheiratet sein. Nun, der würde wenigstens schmelzen, wenn ich mir Mühe gebe.“
„Das ist wirklich die schlechteste Metapher die du jemals verwendet hast, Richard Gilmore.“
„Findest du? Vielleicht solltest du es mir dann gestatten, meine Metapher zu unterlegen.“ Er zieht sie an sich, versucht sie zu küssen, doch sie entwindet sich ihm. „Siehst du!“, ruft er aus, doch es klingt nicht triumphierend, im Gegenteil.
„Wir sind hier in einem Krankenhaus. Was erwartest du denn? Das ich laut Hurra schreie und mir die Kleider vom Leib reiße?“
„Ich erwarte, dass du mir endlich die Wahrheit sagst.“
Ein kalter Schauer fährt durch sie hindurch. „Welche Wahrheit?“, sie hat Mühe zu sprechen, ist wie gelähmt, als hätte sie Blei in ihren Adern.
Welche Wahrheit. Die, die mir verrät, was mit dir los ist. Warum du dich so seltsam benimmst. Sag es mir endlich, sag es, Emily. Lass mich dir endlich wieder Nahe sein. „Das du scheinbar keinerlei Wert mehr darauf legst mit mir verheiratet zu sein.“
„Das, das stimmt doch nicht, ich –“, setzt sie an, doch er fällt ihr ins Wort.
Die Wahrheit, Emily, wenn du sie nicht selbst sagst, muss ich es eben tun.
„Hältst du mich für so dumm?“, schnaubt er und sein Atem wird schwerer. „Glaubst du etwa ich hätte es nicht bemerkt? Es war schließlich nicht zu übersehen!“ Er wird diesen Morgen nie vergessen, wie sie ihn mit einem Kuss geweckt hatte, so gar nicht seinen Frau. Die stumme Erklärung die sie ihm lieferte, als sie sich aufsetzte, ihren Bademantel öffnete, den Blick auf ihren nackten Körper freigab, ein Körper der mit einer anderen Sprache als ihre Augen redete. In jenem Moment hatte er nicht gewusst, ob er sie schlagen oder in den Arm nehmen sollte, sich für letzteres entschieden, seither gehofft, sie würde ihn nie wieder so ansehen. Sie hat es nicht getan, sie sieht ihn überhaupt nicht mehr an, lässt sich nicht mehr von ihm berühren, nichts. „Was sollte das überhaupt? Warum hast du überhaupt mit mir geschlafen, wenn es so eine Qual für dich ist? Wenn ich so eine Qual für dich bin, dass du eine Affäre anfängst?“
Sie weiß nicht was sie sagen soll, was sie überhaupt sagen kann. Er hat Recht. Wie hätte er es auch nicht bemerken sollen? Die blassrosa Striemen an ihren Handgelenken, die roten Streifen an denen sich die raue Tapete mit jeder Bewegung tiefer in ihren Rücken gebohrt hatte, die Spuren die Williams Mund auf ihrem Hals, ihren Brüsten, ihrem gesamten Körper hinterlassen hatte. Schon alleine, jedes für sich, ein untrügliches Zeichen, zusammen einem Lippenbekenntnis gleichend. Sie hatte es ihm gesagt, ohne es aussprechen zu müssen. Sie hat an jenem Morgen mit ihm geschlafen, weil sie gewollt hatte, dass er es sah.
„Ich habe keine Affäre“, antwortet sie mit bebenden Lippen, schüttelt unschlüssig den Kopf, aber sie muss es tun, muss etwas sagen. „Ich habe dich betrogen, ja, einmal“, ihre Stimme zittert, klingt ganz heiser. „Ein einziges Mal. Aber nicht, weil du –“, sie bricht ab, ein bekanntes Prickeln breitet sich in ihrem Gaumen aus. Aber sie darf ihm nicht nachgeben, sie darf jetzt nicht weinen. Stattdessen beißt sie sich auf die Unterlippe, der Geschmack von Blut breitet sich auf ihrer Zunge aus. „Und jetzt?“, fragt sie schließlich leise, will keine Antwort. Ist froh, dass er es weiß, wünschte er wüsste es nicht, es wäre nie geschehen.
„Ich weiß es nicht, Emily“, er zieht an seiner Fliege, öffnet sie. „Ich weiß es wirklich nicht.“
„Ich liebe dich“, hört sie sich selbst sagen, wie albern, er muss denken, sie will sich lustig über ihn machen.
„Lass mir Zeit.“ Zeit, seit Monaten wartet er darauf, dass sie es endlich von selbst zugibt und jetzt - er hätte niemals damit anfangen dürfen. Vielleicht stimmt es, vielleicht hat sie ihn nur einmal betrogen. Entzieht sich ihm jetzt, weil sie ein schlechtes Gewissen hat, ihn tatsächlich liebt. Vielleicht aber nur, weil sie ihren Fehler erkannt hat, ihr aufgefallen ist, dass er es früher oder später bemerken würde, ihre Kleider auch jetzt die Spuren der Treffen mit einem Anderen verbergen. Ihr muss klar gewesen sein, dass er es sieht. War es ihr Weg gewesen, ihm mitzuteilen, dass sie einen anderen Mann hat, er sie ihn Ruhe lassen soll?
Der Andere. Er weiß nicht, wer es ist. Weiß, dass er ihn kennen muss. Sie hätte sich nie mit jemandem eingelassen, für den sie nichts empfindet. Aber wer ist es? Er hat diesen Abend im Konzerthaus tausend Mal Revue passieren lassen. Überlegt, wen sie dort gesehen haben, mit wem Emily sich dort länger als gewöhnlich unterhalten hat, sich den Kopf darüber zerbrochen, kann beim besten Willen keine Antwort darauf finden. Ebenso wenig, wie auf die Frage, weshalb sie ihn betrügt, wenn sie ihn liebt. Weshalb hätte sie ihn sonst so angesehen? Wie könnte sie ihn nicht lieben, nach allem was zwischen ihnen war? Wie hätte sie es damals ertragen können, wenn nicht aus Liebe?

***

Sie tätschelt mitleidig seine Hand, armer Kerl, is gar nich schön, wenn die eigene Frau mit einem anderen in die Kiste springt. „Na? Und dann?“, hakt sie nach, gießt ihm sein Glas wieder voll, kann ihr Glück kaum fassen, einen derartig unterhaltsamen Abend hatte sie schon lange nicht mehr.
„Dann“, er lächelt, plötzlich breitet sich ein breites Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Dann kam die Schwester und hat uns Rory gezeigt. Meine Enkelin. Hatten sie schon Mal ein Baby im Arm?“, er nippt an dem Schnaps, schluckt ihn leicht angewidert hinunter, er ist zu klebrig, er hatte bereits zuviel davon. Überhaupt sollte er gehen, wieso erzählt er dieser abgehalfterten Prostituierten all das? Sie kann es doch sowieso nicht verstehen. Wie soll er ihr jemals begreiflich machen, dass er seine Enkeltochter vom ersten Moment an liebte, während es Monate gedauert hat, bis er lernte seine Tochter zu lieben? Er tut es, er liebt Lorelai, aber er tut es aus der Ferne, hat es nie wirklich geschafft eine Beziehung zu ihr aufzubauen. Mehr noch, hat mit seiner Rückkehr auch die zwischen Emily und Lorelai zerstört.
Sie reißt ihn aus seinen Gedanken, mit viel zu lauter Stimme, blechernem Lachen. „Ne, mit Kinnern hab ich nichts am Hut. Die bringen mehr Unglück, als sonst was. Frag Mal meine Olle“, ein Schnalzen mit der Zunge, oh ja, ihre Mutter, hat sie mit Schimpf und Schande aus dem Haus gejagt, als sie mitbekommen hat, womit sie sich ihre Brötchen verdient. „Verklemmte alte Schachtel, ist jetzt auch schon seit Jahren unter der Erde, Gott hab se selig.“
„Meine Mutter war eine Heilige“, entgegnet er wehmütig, nimmt jetzt doch noch einen tiefen Schluck des Selbstgebrannten. „Eine wunderbare Frau.“
„Na, ich weß nich“, Zitty zuckt mit den Achseln. Männer, für die ist ihre Mutter immer ne Heilige, vor allem für die Reichen. Kein Wunder, machen ja auch nie nur einen Finger krumm, müssen nichts tun, als hübsch auszusehen. „Det mit den Brief war ja nich gerade ’ne heilige Handlung, was?“
„Sie wollte immer nur mein Bestes“, entgegnet er verletzt, Zorn schwingt mit. Wie kann diese Person es sich nur erlauben ein Urteil über seine Mutter zu fällen?
„Na, aber du warst doch froh über deine Frau, hast de doch selbst gesagt. Dann war se doch wohl det Beste. Klar, sie hat mit nem anderen rum gemacht, is nich schön, aber ihr habt euch doch wieder eingekriegt, oder etwa nich?“
„Eingekriegt“, er kann sich ein Lachen nicht verkneifen. Eingekriegt. Ja, sie haben tatsächlich irgendwie die Kurve gekriegt, haben zwanzig Jahre weitergemacht. Manche Dinge kann man einfach nicht unter den Teppich kehren, kann sie nicht vergessen, so sehr man es sich auch wünscht.
„Aber was ich nich krieg, was ich überhaupt nich in mein Schädel krieg is, warum se jetzt abgehauen is. Hätt doch froh sein können, dass de die Sache einfach so vergessen hast. Müsst dir doch dankbar sein. Oder is se gar mit nem anderen abgehauen?“, sie beugt sich über den Tresen, blickt nach rechts und links, flüstert verschwörerisch. „Is se beim Farnsworth? Mit ihm auf Urlaub?“ Ne, denkt sie sich, kann eigentlich nich sein, der hat dieses Jahr ’ne Rothaarige dabei, mit nem Vorbau, da hat der Doktor sich n’ Vermögen mit verdient. Sie hat sich auch schon überlegt Mal was machen zu lassen, n’ Schnitt hier, n’ Schnitt da, ein paar größere Titten, bisschen Silikon in den platten Hintern, neue Hackerchen und das Geschäft würde wieder brummen. Aber die Kohle, woher soll sie nur die Kohle für so n’ Tuning nehmen? Sie bemerkt, dass er sie mit offenem Mund anstarrt, wiehert vor Freude weiter als er gedacht zu haben. „Na was denn, darüber hasde nich nachgedacht? Kommst her, weil de ihn vermöbeln willst, aber denkst nich dran, das es vielleicht noch nen aktualerälen Grund gibt, als ne kleine Bumserei von vor zwanzig Jahren?“
Er wird bleich, ihre Worte, wie sie sie sagt - was wenn es ungeachtet der Obszönität stimmt? Woher weiß sie überhaupt, dass es Farnsworth war, wo er es selbst erst vor ein paar Tagen erfahren hat? Was wenn Emily tatsächlich bei Farnsworth ist? Nein, ruft er sich in Erinnerung. Farnsworth ist auf irgendeiner Insel, Emily hat er erst vor zwei Tagen zum letzten Mal gesehen. Und sie hat nicht mit einer Silbe angedeutet, dass sie noch in Kontakt zu Farnsworth steht. Sie könnte es aber auch verschwiegen haben, die Sache mit Lorelai nur als Vorwand benützt haben.

***

Sie kaut auf ihrer Unterlippe herum, er findet sie süß. Süß. Kekse sind süß, Schokolade, Eiscreme. Aber doch nicht ihr Baby. Nicht Rory, ihr winzigen Finger, ihr Gesicht, ihre Augen, einfach alles an ihr, sie ist schlichtweg perfekt. Süß. Wie das klingt. Ich habe mir einen kleinen Hund angeschafft, ist der nicht süß?
„Wir sollten bald heiraten“, sagt er leise, starrt noch immer auf dieses kleine Bündel Mensch, seine Tochter. Sie ist wirklich süß. Aber perfekt? Es wäre perfekt gewesen, wenn sie sich mit ihrer Ankunft noch ein paar Jahre Zeit gelassen hätte. Gewartet hätte, bis er und Lorelai alt genug sind, um Eltern zu sein. Er hat sich in Europa viele Gedanken darüber gemacht, hat festgestellt, dass er nicht bereit ist, ein Vater zu sein, dieser Rolle nicht gewachsen ist. Wie soll er Verantwortung für jemanden übernehmen, wenn er schon Probleme damit hat, die Verantwortung für sich selbst zu tragen?
„Heiraten?“ Nein, Christopher, nein, es würde nicht funktionieren. Niemals, es würde nicht gut gehen, könnte gar nicht gut gehen.
„Das ist der Plan, Lorelai“, wendet er ein. Der Plan. Nicht seiner, nicht ihrer. Der ihrer Eltern.
„S.cheiß auf den Plan“, sie ist laut, viel zu laut, eine vorbeigehende Schwester sieht sie tadelnd an.
„Aber so war es abgemacht“, erwidert er matt, klingt fast gleichgültig.
„Willst du es denn?“, fragt sie bitter. „Willst du mich denn heiraten?“
„Ich werde es wohl müssen“, er hat Richard Gilmore sein Wort gegeben, ihm versprochen Lorelai zu heiraten, Verantwortung zu übernehmen.
„Müssen? Man heiratet nicht, weil man muss. Wenn ich heirate, dann weil ich es will. Weil du es willst. Aber du willst nicht. Ich will nicht. Also werden wir es bleiben lassen.“
„Aber unsere Eltern“, deine, nicht meine. Straub und Francine haben beschlossen es zu ignorieren, sprechen nur davon, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Nennen das Baby „es“, „das Ding“, „Lorelais Kind“. Seine Mutter hat Mal wieder zu heulen begonnen, als sie die Benachrichtigung von Rorys Geburt bekamen, denn jetzt ist es endgültig offiziell, die Haydens haben endgültig einen dunklen Fleck auf der ansonsten blütenweißen Weste der Familiengeschichte, einen unauslöschlichen Makel.
„Vergiss sie, hast du das nicht immer selbst gesagt? Vergiss sie, mach du was du willst. Ich werde machen was ich will.“ Willst du bleiben? Bei mir? Bei uns? Ich will es.
Er hält den Atem an, zählt leise bis zehn, ehe er antwortet. Will ihr so die Möglichkeit geben, noch etwas hinzuzufügen. Doch sie schweigt. „Machst du etwa Schluss mit mir?“, erkundigt er sich zaghaft.
„Nein“, sie schüttelt langsam den Kopf, sie liebt ihn, sie will mit ihm zusammen sein. Aber nicht so, nicht auf diese erzwungene Art und Weise, keiner von beiden fühlt sich wohl damit. „Ja“, fügt sie also hinzu, es ist besser so. Besser sich rechtzeitig trennen, als irgendwann in einer miesen Ehe zu stecken, sich nur noch zu streiten. Sie will nicht wie ihre Eltern enden, niemals. „Wir müssen unser eigenes Ding durchziehen. Jeder für sich.“
„Ich kann dich doch nicht mit dem Baby alleine lassen“, wendet er ein, er will sie nicht alleine lassen, es wäre nicht fair. Fair. Was ist schon fair? Wäre es fair ihr ein schlechter Mann zu sein?
„Rory und ich, wir schaffen das schon“, sein skeptischer Blick entgeht ihr nicht, ebenso wenig wie die Dankbarkeit die darin liegt. „Ehrlich.“
„Ganz sicher?“ Wenn es jemand schafft, dann ist sie es. Vermutlich wäre er ihr nur im Weg.
„Hey, ich hab es geschafft das Wetttrinken mit Digger zu gewinnen, da werde ich doch wohl noch ein Kind aufziehen können.“
„Aber wenn du, wenn du Probleme hast, dann –“
„Ich werde keine Probleme haben. Es wird alles gut gehen, das verspreche ich dir. Wir wissen doch beide, dass es so nicht klappen würde. Du in der Firma meines Vaters und ich zuhause am Herd. Drei Monate und wir würden uns gegenseitig umbringen.“
„Du hast Recht“, sie hat tatsächlich Recht, er fragt sich nur woher sie den Mut nimmt es auch auszusprechen. „Also dann…“
„Also dann. Keine Hochzeit“, sie lächelt, sieht ihn an, umarmt ihn, küsst ihn ein letztes Mal. Der Kuss schmeckt bitter nach Abschied und doch verlockend süß nach einem Neuanfang, einem unausgesprochenen Versprechen für die Zukunft.
„Ich werde euch in den nächsten Tagen besuchen kommen“, sagt er leise, löst sich von ihr. Ist froh Zeit gewonnen zu haben, dass sie ihm die Zeit gibt, die er braucht. Wer weiß, vielleicht genügen ja wenige Tage, Wochen, um einen klaren Kopf zu bekommen, zu wissen was er wirklich will, wie und wo er es will. Mit wem. „Bis dann.“
„Mmh“, ist alles was sie sagt. Er wird nicht kommen, sie weiß es. Sie ist selbst schuld daran, sie hat ihn schließlich gehen lassen, ihn von der Verantwortung entbunden. Den schönen Plan ihrer Eltern zunichte gemacht. Alles was ihr jetzt noch fehlt ist ein neuer Plan, ihr eigener.

***

Sie trägt sie jetzt seit über einer Stunde durch das Zimmer, spricht leise mit ihr, singt ihr vor, wiegt sie, doch Rory will einfach nicht aufhören zu schreien, im Gegenteil, sie wird immer lauter, ihr kleines Gesicht ist ganz gerötet von der Anstrengung, ihre Wangen glitzern tränennass. Lorelai lässt sich auf einen Stuhl fallen, streicht ihrer Tochter über den Rücken, redet ihr gut zu, immer und immer wieder dieselben Worte, richtet sie beinahe an sich selbst, kann nicht mehr, ist selbst den Tränen nahe.
„Komm schon, Rory-Schätzchen. Hör auf, es ist ja gut, mmh?“, sie steht auf, beginnt wieder im Zimmer auf und abzulaufen, obwohl sie sich kaum noch auf den Beinen halten kann, will endlich ins Bett, schlafen, fünf Minuten Ruhe.
„Gib sie mir“, Lorelai fährt erschrocken herum, fantastisch, jetzt hat Rory auch noch ihre Großmutter geweckt.
„Das wird nicht nötig sein, Mom. Wir kommen prima zurecht.“ Sie haben ihr gesagt, dass die ersten Nächte zuhause schwer sein werden, sie werden es schon schaffen. Ohne Hilfe.
„Das sehe ich“, entgegnet Emily kühl.
Obwohl sich alles in ihr dagegen sträubt, lässt sie sich Rory aus dem Arm nehmen, ist erstaunt, als das Schreien tatsächlich nachlässt, ein wenig wütend. Sie lässt sich auf einen Stuhl fallen, sieht ihr Mutter an, die Rory mit einem Lächeln über die Wange streicht, die Tränen wegwischt.
Manchmal ertappt sie sich dabei, wie sie ihre Enkelin anstarrt, sich einredet Ähnlichkeiten mit Christopher zu erkennen. Weiß hinterher nicht mehr, ob tatsächlich welche da sind oder sie sich die Analogien nur einbildet. Dessen ungeachtet sieht Rory Lorelai so unglaublich ähnlich, beinahe so, als wäre es Lorelai. Aber sie ist es nicht. Ihr Baby ist mittlerweile selbst Mutter. Und auch ansonsten ist nicht mehr viel geblieben von ihrem kleinen Mädchen. Sie ist erwachsen geworden, wird mit jedem Tag älter, entfernt sich mit jedem Tag mehr von ihr.
Früher konnte sie genau sagen, was in ihrem Kopf vor sich ging, konnte in ihrem Gesicht, ihren Augen lesen, wie in einem Buch. Jetzt hat sie nur noch leere Seiten vor sich. Keine Antwort auf die Frage, wie ihre Tochter sich nur mit einem Mann einlassen konnte, der ihr Vater sein könnte. Praktisch ihr Vater war und zu einem Fremden geworden ist. Einem Fremden mit dem sie einfach so schläft.
Wie er das hatte tun können, obwohl er sie praktisch seit dem Tag ihrer Geburt kannte. Seit sie so alt war, wie Rory es jetzt ist. Wie er ihr das Gefühl rauben konnte wenigstens nicht alles falsch gemacht zu haben. Ihr auch den letzten Rest Vertrauen in ihre Tochter nehmen konnte. Ihr überhaupt alles genommen hat, was ihr wichtig ist. Es scheint fast so, als hätte er es geahnt, gewusst, dass sie weder Lorelai noch Richard mehr in die Augen blicken konnte, ohne dabei Schuld und Reue zu empfinden. Überhaupt nichts anderes mehr empfindet, es sich nur abstellen lässt, wenn Rorys Anblick ihr in manchen Momenten das Gefühl gibt wenigstens noch etwas richtig machen zu können. Ihr ein gutes Vorbild, eine gute Großmutter zu sein. Nicht noch einmal dieselben Fehler zu machen. So wenigstens einen Teil zurückzahlen zu können.
Rorys Weinen wird wieder lauter, natürlich denkt sie, sie ist Lorelai selbst in diesem Punkt ähnlich. „Hast du sie gestillt?“
„Nein, Mom, ich habe vor sie verhungern zu lassen. Natürlich habe ich sie gestillt“, sie verdreht die Augen, das ist wirklich da letzte Thema, das sie mit ihrer Mutter erörtern will.
„Sie hat Hunger, Lorelai“, entgegnet sie sanft aber bestimmt.
„Oh, und was macht dich zur Expertin für die Ernährung von Säuglingen?“
„Du warst auch Mal klein“, sie versucht die Spitze zu ignorieren, sich ganz auf das Wesentliche zu konzentrieren. „Vielleicht hast du nicht genügend Milch.“
Gott, nein, Mom! Sehe ich so aus, als hätte ich Lust mich über derart intime Dinge mit dir zu unterhalten? Es geht sie doch überhaupt nichts an! „Sie hat solange vor sich hingenuckelt, bis sie selbst nicht mehr wollte.“
„Und sie ist danach nicht eingeschlafen?“ Du bist es immer, bist zufrieden eingenickt, erst dann wieder aufgewacht, wenn du wieder Hunger hattest. Hast nur dann geschrieen, wenn ich nicht schnell genug gekommen bin. Nur dann geweint, wenn ich dich zurück in dein Bett gelegt habe, bevor du eingeschlafen warst. Auch später noch, ich musste immer in deinem Zimmer bleiben, bis du eingeschlafen bist, das war alles was du von mir wolltest. Ich weiß, dass du nicht verstehen konntest, weshalb ich es plötzlich nicht mehr tat. Du warst zu klein, um zu begreifen, was um dich herum geschieht, dass er mich mehr gebraucht hat. Wie weh es getan hat zu sehen, dass du mich plötzlich nicht mehr zu brauchen schienst. Die Kindermädchen mir vorgezogen hast.
„Ähm, Mom, wie du siehst, nein.“ Es sei denn sie redet im Schlaf und träumt davon, wie es wäre, wenn du ihre Mutter wärst. Gruselig. Aber sie wird es anders machen, einfach alles. Sie wird sich gut um Rory kümmern, sie in den Arm nehmen, wenn sie weint, sie trösten, wenn sie nachts aufwacht. Sie wird das alles selbst tun und es nicht irgendwelchen Kindermädchen überlassen. Wieso machst du dir überhaupt solche Gedanken über Rory, Mom? Über mich hast du dir doch auch nie welche gemacht. Wieso kümmerst du dich um deine Enkelin, wo du dich doch nie um mich gekümmert hast? Der einzige Mensch der dir wichtig ist, bist du selbst. Und Dad. Natürlich, Dad. Du bist vermutlich nur hier, um dafür zu sorgen, dass er in Ruhe schlafen kann. Für ihn tust du alles. Für ihn hast du immer Zeit. Aber was ist mit mir?
„Hier“, sie gibt Rory ihrer Mutter zurück, legt sie vorsichtig in ihren Arm. „Still sie.“
Sie wartet, doch Emily macht keinerlei Anstalten das Zimmer zu verlassen. „Mom, würdest du bitte!?“
„Mach dich nicht lächerlich, Lorelai.“
Großartig, denkt sie, knöpft trotzdem ihr Nachthemd auf, da es ihr wichtiger erscheint Rorys Weinen zu unterbinden, als ihre Kraft für eine Diskussion mit ihrer Mutter zu verschwenden, der erhoffte Erfolg bleibt jedoch aus.
„Du hältst sie falsch.“
„Bitte?“, ihre Augen funkeln erstaunt, amüsiert, es fällt ihr schwer sich ein Lachen zu verkneifen.
„Du musst…“, sie hebt Lorelais Hand etwas an, lächelt, als Rory verstummt und Lorelai ein überraschtes Quicken von sich gibt. „Siehst du.“
„Wowh“, ist alles was sie sagt, verblüfft über ihre Mutter, verblüfft über das gierige Saugen Rorys. „Woher..?“
„Ich sagt doch, du warst auch Mal klein“, ein Wunder, unglaublich, makellos, der einzige Grund, weshalb sie noch lebt. Sie spricht es nicht aus, kann nicht, hat Angst sich eine Blöße zu geben, müsste Lorelai dann so vieles mehr sagen. Dinge über die sie nicht sprechen will, nicht sprechen kann.
„Und wer hat dir beigebracht, wie du mich zu füttern hast?“
„Niemand“, sie bemerkt den Ausdruck in Lorelais Augen, beeilt sich Fortzufahren. „Du hast es von alleine gewusst.“
„Oh, dann denkst du also, Rory ist dümmer als ich.“
„Nur nicht so gefräßig“, ein wenig unschlüssig betrachtet sie die beiden, hält es für das Beste zu gehen, flüstert ein Gute Nacht, ist erstaunt, als Lorelai sie aufhält. „Mom?“
„Ja?“
Es tut mir leid, Mom. Aber ich werde nicht mehr lange hier sein. Ich werde gehen. Für immer. „Danke“, sagt sie stattdessen mit einem Lächeln, ist froh, dass ihre Mutter nichts erwidert, sondern geht. So wie immer. Sie geht einfach. Aber selbst wenn sie bliebe, würde das nichts ändern, sie sprechen unterschiedliche Sprachen, leben in verschiedenen Welten. Dimensionen zwischen denen es, bis auf ein marodes Seil, keine Verbindung gibt. Ein dünner Strick, den irgendjemand vor langer Zeit dort angebracht hat, ihn vergaß, verrotten lies. Sie selbst haben ihm zugesetzt, mit jedem Wort, alles was bleibt ist dieses bescheuerte, hässliche, alte Seil. Es hat den Namen noch nicht einmal verdient, da es mehr einem dürren Bindfaden gleicht, einer Nabelschnur, die sie zu durchtrennen bislang noch nicht gewagt hat.

***

Sie können ihren Brief noch nicht lange entdeckt haben, sie hat nicht damit gerechnet, dass sie so schnell kommen würde. Und alleine. Kein Richard, keine Polizei, niemand außer ihr. Sie atmet tief durch, will es hinter sich bringen, so schnell wie möglich. Ist ein wenig verwundert über das blasse Gesicht Emilys, es scheint beinahe so, als hätte sie geweint. Aber nein, nicht Emily Gilmore, niemals. Trotzdem, wie sie so da sitzt, es scheint beinahe so, als wäre sie geschrumpft.
„Mom“, sagt Lorelai mit fester Stimme und Emily fährt herum, steht auf, klammert sich nahezu krampfhaft an ihre Handtasche. Aber es wird ihr nichts nützen, so zu tun, als würde ihr ihr Fortgang wirklich zusetzen, sie hat sich entschieden. Sie weiß was sie will und sie wird es bekommen. Ohne die Hilfe ihrer Mutter, ohne irgendjemandes Hilfe.
„Lorelai“, sie lächelt. Ist es ein echtes Lächeln oder nur gespielt?
„Was willst du hier?“, sinnlos hier aufzutauchen, ich komme nicht zurück, hätte euch die Adresse erst gar nicht dalassen sollen. Gott, wie blöd von ihr, sie beschließt nie wieder einer ihrer sentimentalen Anwandlungen nachzukommen.
„Was ich hier will?“, Emily gibt ein leises Lachen von sich. „Was denkst du wohl, was ich hier will, Lorelai? Ich bin bestimmt nicht gekommen, um dir zu deinem neuen Wohnsitz zu gratulieren.“
„Das solltest du aber. Es ist wirklich sehr schön hier. Gemütlich.“
„Es ist ein Hotel.“
„Tatsächlich? Das ist mir bislang gar nicht aufgefallen“, entgegnet sie pampig. „Aber das würde auch erklären, weshalb sie mich als Zimmermädchen eingestellt haben.“ Vor drei Wochen schon, sie hat alles sorgfältig geplant, wollte nichts dem Zufall überlassen. Das kann sie sich jetzt nicht mehr leisten.
„Als Zimmermädchen? Soll das ein Scherz sein? Oh, natürlich, es macht dir Spaß, dich über mich lustig zu machen. Zimmermädchen, sehr komisch, wirklich.“
„Das ist kein Scherz, Mutter. Das ist mein voller Ernst.“
„Du kannst unmöglich als Zimmermädchen arbeiten. Du warst in Kingswood, du warst Jahrgangsbeste. Du bist eine Gilmore, verdammt!“
„Die Erste die wirklich etwas für ihr Geld tun wird.“
„Wa -“, japst sie, tritt einen Schritt zurück. „Ich erlaube es nicht, dass du so mit mir sprichst, Lorelai Gilmore.“
„Ich wohne nicht mehr Zuhause. Die Regel Solange du deine Füße unter meinem Tisch hast gilt nicht mehr. Pech für dich.“
„Hör auf, Lorelai, bitte! Wir wissen doch beide, dass du es hier keine zwei Wochen durchhalten wirst. Zimmermädchen, also wirklich. Bei deinem Verstand und Talent. Warum fängst du nicht gleich in der Spülerei einer dieser Imbissketten an?“
„Daran habe ich auch schon gedacht. Aber dank meines Verstandes und meines Talentes habe ich schnell realisiert, dass es dort nichts zu spülen gibt, weil sie das Essen für gewöhnlich auf Pappe servieren.“
„Was ist mit Christopher? Was sagt er zu diesem kleinen Ausflug in die Wildnis?“
„Wir haben uns getrennt, Mom. Es wird keine Hochzeit geben.“ Es ist endlich raus, sie hat es gesagt. Sie werden nicht heiraten. Sie wird nicht Mrs. Hayden werden.
„Lorelai! Natürlich wirst du ihn heiraten, er ist Rorys Vater.“
„Davon habe ich bis jetzt nicht viel bemerkt.“ Du hast ihn auch schließlich selbst weggeschickt, blöde Kuh.
„Sie ist doch erst ein paar Monate alt, er ist noch jung, er muss sich erst noch an den Gedanken gewöhnen Vater zu sein.“
Er ist noch jung, aber sie soll plötzlich erwachsen sein? Diese verquere Logik ist doch wirklich zum Kotzen. Nun, bis es wirklich soweit ist, wird sie eben so tun, so tun als wäre sie wirklich erwachsen. Sie ist es ja auch, irgendwie. „Du solltest dich lieber an den Gedanken gewöhnen, dass ich ihn nicht heiraten werde. Das ich weg bin. Für immer. Auf Nimmerwiedersehen, wenn es nach mir geht.“
„Werde jetzt nicht auch noch unverschämt“, ihre Stimme klingt beinahe drohend, ist es vermutlich sogar, aber Lorelai hat beschlossen es zu ignorieren. Alles zu ignorieren, was mit ihren Eltern zu tun hat. Nur so kann sie lernen endlich auf eigenen Beinen zu stehen, selbstständig zu sein, nur so wird sie Rory eine gute Mutter sein können. Sie will ihrer Tochter später nicht erzählen müssen, nichts alleine geschafft zu haben, sie soll stolz auf sie sein.
„Ich bin nicht unverschämt, Mutter. Ich bin nur ehrlich. Ich werde nicht mit dir zurückkommen. Ich werde hier bleiben. Ich werde mein eigenes Leben haben, ob es dir passt oder nicht.“
„Lorelai, bitte. Das hier ist doch kein Leben für dich.“
„Ach, aber bei euch, da habe ich eines? Darf ich lachen? Denn das ist jetzt wohl ein schlechter Scherz.“ Ein eigenes Leben im Hause Gilmore. Eine Gefangene mit Sonderprivilegien.
„Ich habe es langsam wirklich satt, mir deine ständigen Vorwürfe anzuhören müssen. Du bist noch immer meine Tochter, du bist noch immer nicht volljährig. Also wirst du gefälligst nach Hause kommen!“
„Das werde ich nicht!“, sie betont jedes Wort nachdrücklich, ein Hammer, der einen Nagel in die Wand treibt.
„Und ob du das wirst!“ Ein Zischen, ein Befehl.
„Selbst wenn der Papst persönlich hier auftauchen und sagen würde, es wäre das Beste, ich würde es nicht tun. Ich werde hier bleiben, darauf kannst du Gift nehmen!“
„Du wirst jetzt mit mir mitkommen, Lorelai. Und zwar sofort“, jeder versöhnliche Anklang ist verschwunden, jede Milde.
„Das werde ich nicht“, faucht sie, hat endgültig die Schnauze voll davon, ständig gesagt zu bekommen, was sie tun und lassen soll. „Kauf dir doch einfach einen Hund oder schaff dir ein weiteres Kind an, dass du rumkommandieren kannst. Ja, natürlich, was kaputt oder verloren geht, ersetzt man einfach. Na los, nur zu, meinen Segen hast du, obwohl mir das Kleine jetzt schon leid tut. Ich gebe dir auch gerne ein paar Tipps, welche Stellen in unserem Haus besonders empfehlenswert sind, um schwanger zu werden. Der Balkon eignet sich zum Beispiel hervorragend!“
Sie sieht wie jede Farbe aus dem Gesicht ihrer Mutter weicht und für den Bruchteil einer Sekunde tun ihr ihre Worte leid, zumindest bis zu dem Moment, in dem sie die Hand Emilys auf ihrer Wange spürt, sich ein prickelnder Schmerz in ihrer linken Gesichtshälfte ausbreitet. Na schön, sie ist vielleicht zu weit gegangen, aber sie zu ohrfeigen. Das hätte sie selbst Emily Gilmore nicht zugetraut. Doch ehe sie ihre Verblüffung abstreift, ihrer Wut Luft machen, etwas erwidern kann, ist ihre Mutter auch schon verschwunden.

***

Die Haustür gibt ein leises Knarren von sich, er springt auf, erleichtert, froh, dass sie endlich da sind, lauscht, wundert sich nur ein paar Schuhe auf dem Parkett zu hören. Sieht zur Tür, schließt die Augen, als seine Befürchtung sich bestätigt. Sie ist alleine zurückgekommen, keine Spur von Lorelai, keine Spur von Rory. Er sieht sie an, sie sieht müde aus, ganz erschlagen, schüttelt kaum merklich mit dem Kopf und Wut steigt in ihm hoch. Was denkt sie sich? Was um alles in der Welt glaubt sie, wer sie ist? Denkt Lorelai tatsächlich ernsthaft daran, dass sie es alleine schaffen kann? Mit einem Kind? Seiner Enkeltochter! Rory ist es, die unter der Verbocktheit ihrer Mutter leiden wird, sie ist doch selbst noch ein Kind. Wie will sie da für jemand anderen Sorgen können?
„Es reicht, verflucht noch Mal, was denkt sie sich eigentlich? Ich werde die Polizei einschalten!“, er stürmt los, wenn gutes Zureden nichts nützt, dann müssen sie eben zu höherer Gewalt greifen.
„Nein, Richard. Lass es“, sie packt ihn am Ellenbogen, hält ihn zurück. „Sie ist alt genug. Sie will es so. Es würde nichts nützen, sie würde nur wieder abhauen und sich dann wahrscheinlich nie wieder melden“, besser so, besser zu wissen, wo sie ist, wenigstens etwas.
„Emily“, verblüfft sieht er sie an, will ihr über die Wange streichen, doch sie entzieht sich ihm.
„Jetzt wo sie weg ist, müssen wir auch nicht mehr so tun, als wäre alles in Ordnung“, ein schwaches Lächeln, sie reibt sich die Schläfen, holt tief Luft. Sie haben verloren, sie hat verloren.
Sein Erstaunen wächst. Worauf willst du hinaus? Willst du einfach so aufgeben? Sie einfach so ziehen lassen? Wenn sich schon in mir alles dagegen sträubt… „Was redest du denn da, Emily?“
„Wir wissen doch beide, dass es mit uns“, sie hört ihre eigenen Worte wie aus weiter Ferne, versucht ihre schwankende Stimme unter Kontrolle zu bringen, ihre zitternden Knie, sich selbst. „Das es vorbei ist. Ich habe dich betrogen, Richard. Und ich weiß, dass das immer zwischen uns stehen wird. Das ich dich verletzt habe. Du hast eine bessere Frau verdient. Eine die nicht so undankbar ist, die weiß was sie an dir hat. Du bist ein wundervoller Mann, du wirst keinerlei Probleme haben, jemand Besseren als mich zu finden.“
„Hör auf solchen Unsinn zu reden!“
„Das ist kein Unsinn, es ist die Wahrheit!“, entgegnet sie laut, schreit beinahe, die Fäuste geballt, glaubt keine Luft mehr zu bekommen, ersticken zu müssen an all dem.
Er starrt sie an, kann nicht glauben, dass sie es tatsächlich ernst meint. „Ich will aber keine andere Frau. Ich will dich. Egal wie lange ich suchen würde, ich würde keine Bessere finden.“
„Hör auf“, keucht sie, bemerkt die Tränen auf ihren Wangen, wischt sie zornig zur Seite. „Ich sagte doch, es besteht kein Grund mehr zu lügen.“
„Aber ich lüge nicht“, er weiß nicht wie er mit ihr umgehen soll, hat sie noch nie so gesehen, so schwach, so kläglich. „Also bitte, beruhige dich wieder.“
„Ich bin ruhig!“, ihr Ton, ihr Gesicht, alles an ihr straft sie Lügen.
„Emily!“, er packt sie an den Handgelenken, hält sie fest, obwohl sie mit aller Kraft sich ihm zu entwinden versucht.
„Lass mich los!“
„Das werde ich erst, wenn du wieder Vernunft angenommen hast“, ihr Widerstand lässt tatsächlich nach, sie sieht ihm in die Augen, die ihren sind leer, tot.
„Ich habe sie geschlagen, Richard“, sagt sie plötzlich leise, klingt nahezu gefasst. „Ich habe Lorelai...“, sie hat keine Kraft mehr sich zu wehren, fühlt sich plötzlich wieder in dieses Motelzimmer versetzt, fühlt sich wieder wie die schwangere Zweiundzwanzigjährige, deren Welt in sich zusammenbricht, die nichts tun kann außer hilflos dabei zuzusehen. Sie hat zum zweiten Mal in ihrem Leben völlig versagt, alles verloren, was ihr wichtig ist und der Preis hat sich verdoppelt, dieses Mal verliert sie gleich zwei Menschen. „Ich bin nicht nur eine furchtbare Ehefrau, sondern auch eine furchtbare Mutter. Ich habe es gar nicht anders verdient. Ich habe weder Lorelai noch dich verdient.“
Sie zittert am ganzen Körper, sackt in sich zusammen und er fängt sie auf. Sie lässt sich widerstandslos von ihm in den Arm nehmen, vergräbt ihr Gesicht an seiner Schulter, während er sich neben sie auf den kühlen Boden kauert und sie weinen lässt, bis sie keine Tränen mehr hat, sie irgendwann erschöpft einschläft.
Er trägt sie nach oben, legt sie auf das Bett, streicht ihr über die nasse Wange und wartet, beobachtet ihren unruhigen Schlaf, ihre flackernden Lider. Wartet bis sie wieder aufwacht, sich aufrichtet und etwas sagen will, es nicht kann, wortlos wieder zu weinen beginnt. Er drückt sie zurück ins Bett, legt sich neben sie, presst sie fest an sich, obwohl sie ihn bittet zu gehen, nicht will, dass er sie so sieht. Doch er bleibt, hofft, dass sie sich früher oder später wieder beruhigen wird. Weiß, dass es dauern wird, weiß, was sie fühlt, mit welchen Dämonen sie kämpft. Sie hat ihm geholfen, er wird ihr helfen. Aber nicht um eine Schuld zu begleichen, sondern weil er sie liebt.
Er hat nicht gelogen, er könnte niemals eine Frau finden, die auch nur annähernd so wie sie ist. Seit er sie zum ersten Mal gesehen hat, hat sie ihn in seinen Bann gezogen. So als hätte sie einen Zauber über ihn gelegt, einen Bann, den er nicht zu brechen weiß, gar nicht brechen will. Er weiß, was die Leute meinen, wenn sie von ihrer besseren Hälfte sprechen, sie ist es, sie ist das Beste an ihm. Ohne sie könnte er sich gleich einen Revolver an die Schläfen halten, ohne sie gäbe es ihn nicht mehr, könnte es ihn nicht geben.
Heute wird ihn allerdings zum ersten Mal wirklich bewusst, dass es ihr ebenso geht, hat er zum ersten Mal eine leise Ahnung davon, woher die feinen Narben an ihren Oberschenkeln stammen.

To be continued

ATN: So, auch die Fünf ist hiermit zu Ende. Wie bereits angedeutet, wird Kapitel Sechs sich eigentlich (abgesehen von der Eingangsszene) nur mit Lorelai und natürlich Roryna beschäftigen, deshalb wird’s aber nicht weniger spannend … hoffe ich zumindest Big Grin
Riska
PS: Danke für’s Feedback, ihr seid so gut zu mir! ….. mehr davon hören will *SABBER*

*ausdruck und dann lesen tu* Dann gibts FB

EDIT:
Wow, Wow, Wow...das hast du wieder großartig gemacht!!!
Ich weiß garnicht was ich dazu sagen soll!!!

Der letzte Abschnitt, als Richard erkennt wie es Emily wirklich geht, den hast du super geschrieben!!!! Ich bin echt wahnsinnig begeistert.

Ich fand auch den Teil am Anfang echt gut, also den wo Emily zu Lorelai ins Kinderzimmer geht, da bemerkt man mal wieder, dass sie LOrelai doch eine gute Mutter sein will und ihr helfen will.
Aber die beiden reden ja immer so aneinander vorbei....

Bin wirklich wahnsinnig gespannt wie es weiter geht!!!!
Mach ja schnell weiter Riska!
Du machst das echt großartig. :knuddel:

P.s.: Heute hab ich auch mal ein paar Rechtschreibfehler entdeckt. Tongue :lach:

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Sorry, hat viel zu tun und wollte euch nicht zulange warten lassen ... mach ich's in Zukunft einfach wieder andersrum Big Grin

Auf jedenfall: Danke für's Feedback!!! **KNUDDEL**

Riska

Nene, dass is schon okay, ich konnts mir nur net verkneifen. *gg*

Wann gibts denn was neues?!

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Pffffff..... was Neues: Fertig ist's ... wann's kommt .. Mal schauen. Sobald ich zwei neue Kapitel in meinen Lieblingsfics gekriegt habe Big Grin Tongue

Bei einer ff kann ich dir ein neues Kapitel anbieten, bei allen anderen, tja da kann ich net sagen wanns weiter geht.
Ich weiß nur das Biene grad sehr viel Spaß hat, das hilft bestimmt ihrer Kreativität...*gg*

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Na dann .. *emily* könnt schließlich auch Mal wieder was posten ... bei Marie weiß ich ja, dass sie im Urlaub ist Big Grin Smile Big Grin

Tja, dann sag das *emily*. *gg*
Und anscheinend willste ja kein Kapitel. Wink

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... das is ja wohl selbstverfreilich! Help

Okö, muss kurz ne sms schreiben, und dann poste ich.

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