So, hier ist Teil 17! Danke für das liebe Feedback und viel Spaà beim Lesen!
Teil 17
Gedankenverloren lässt sie ihre Hand in das warme Badewasser gleiten. Die Wanne ist beinahe schon voll, Rauchschwaden tanzen im leichten Luftzug des Raumes. Schon hat sich der angenehme Duft von Rosenblüten im verkachelten Badezimmer verbreitet, schenkt dem Raum eine persönliche Note. Schon immer hat sie diesen Ort gerne gehabt. Aber in den letzten Wochen war er zu ihrem einzigen Zufluchtsort geworden. Hier lässt man ihr noch ein kleines Stückchen Privatsphäre. Hier läuft ihr keiner heimlich hinter her, wirft ihr fragende, besorgte Blicke zu. Niemand fragt ständig wie es ihr geht. So sehr sie sich vor langer Zeit nach Zuneigung sehnte, so sehr geht sie ihr jetzt auf die Nerven.
Sie sieht durch das groÃe Fenster, vorbei an den weiÃen Vorhängen hinaus zu dem grauen Himmel, an dem noch grauere Wolken hängen. Sie kann mit den Wolken mitfühlen, will auch einfach irgendwo grau in der Ecke stehen und nichts tun, nichts sagen, nichts denken. Aber das geht nicht, man lässt sie nicht in Ruhe. Sie kann ihre Augen im Nacken spüren, wo auch immer sie ist. Ständig schleichen sie um sie herum, begleiten sie überall hin. Und seit dem kleinen Zwischenfall mit ihrem Vater, ruft auch dieser jeden Tag an und erkundigt sich nach ihrem Befinden.
Sie fühlt sich schuldig. Erst beschwert sie sich, dass er nicht für sie da ist, nun ist er es endlich und wieder ist sie nicht zufrieden. Sie weiÃ, dass er es nur gut meint, aber er scheint sie mit seiner Zuneigung fast zu erdrücken. Es erscheint ihr, als wäre er sich seiner nicht sicher und müsste sich nun in den perfekten Fernseh-Daddy verwandeln, wobei er doch nur er selbst sein soll. Immer wieder kehren ihre Gedanken zurück zu ihrem Gespräch, wie er ihr sein halbes Leben in ein paar knappen Sätzen geschildert hat. Schon damals hat sie diesen fremden
[size=3]Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen, immer mehr haben sich seine Züge zu einem einzigen Bild verhärtet, wirken beinahe wie eine eiserne Fassade auf sie. Immer und immer wieder hat er dieselben Floskeln wiederholt, sie ihr eingetrichtert, sich selbst eingetrichtert. Doch zu viele Fragen kommen dabei auf. Jeder seiner Sätze, auch noch so knapp, lassen sich perfekt zusammenfügen, zu einer Geschichte. Eine Geschichte, die von einem Kind geschrieben wird, die seinen Papa beschreiben soll. Es klingt so irreal, unwirklich. Zu viel scheint angelehnt zu sein, die Wahrheit so zu Recht gerückt, dass sie gut klingt, die eigentlichen Fakten verdeckt.
Seufzend legt sie das Handtuch ab, das sie gerade noch fest an sich gedrückt hat und steigt in das kochend heiÃe Wasser. Sie genieÃt es, wie sie ganz vom heiÃen Dampf eingeschlossen wird, sich ihre Haut mit einer Gänsehaut gegen die Wärme zu Wehr setzt, bis sie sich schlieÃlich daran gewöhnt hat. Gierig zieht sie die Luft ein, zahlreiche verschiedene Düfte verschmelzen ineinander, hüllen sie in eine Wolke aus Rosen, Pfirsichen und Aloe Vera. Sie genieÃt die Ruhe, genieÃt das Gefühl alleine zu sein. Nicht einsam, alleine. Nur hier kann sie sich einzig und alleine mit ihren Gedanken beschäftigen. Kann versuchen den endlosen Wirrwarr aus Gedankengängen und -strängen zu entwirren, einzuordnen, zu verstehen. Doch so sehr sie sich auch anstrengt, ihr Vater scheint sie zu belügen.
Aber redet sie sich das nicht bloà ein? Warum sollte ihr Vater sie jetzt belügen? Christopher, ihr Vater, dem es schrecklich Leid tut, dass er sie vernachlässigt hat. Hat er sie denn vernachlässigt? Oder spielt ihr ihr Selbstmitleid einen Streich?
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Stumm legt er auf, hat das Gefühl ohnehin zu viel gesagt zu haben. Wieder einer der Anrufe, weitere Lügen, die einfach nicht aufhören wollen. So sehr er sich auch dagegen strebt, sie sprudeln immer weiter aus seinem Mund, er kann sie nicht aufhalten. Es muss vererblich sein. So sehr hat er die feine Gesellschaft gehasst und mit ihr jeden der in ihr verankert war. Er hat sie verabscheut, wie sie alle dasaÃen, über belanglose Dinge sprachen, und sich trotzdem belogen. Jeder will den anderen übertrumpfen, wartet nur auf den nächsten Skandal um sich wieder einen Platz weiter nach oben zu schieben. Still, im Heimlichen leben sie ihr Leben, wagen es nicht die dunklen Geheimnisse preiszugeben, die ohnehin jeder auf irgendeine Art erfahren wird. Hinter dem Rücken anderer werden Lügen und Intrigen gesponnen, immer dichter verflochten, bis es sinnlos, schier unmöglich ist es wieder entflechten zu wollen.
Und jetzt? Jetzt ist er einer von ihnen geworden. Hat sich widerstandslos gefügt, hegt sogar etwas wie Verständnis für all die steifen Leute, deren Leben so schlecht sind, dass sie sich neue Leben erfinden müssen um akzeptiert zu werden.
Wütend schlägt er das Telefon zur Seite, zieht dabei die Blumenvase mit. Ein Lauter Knall durchfährt die kahle Wohnung. Mit einem lauten Aufschrei lässt er seine Faust auf das dunkle Holz knallen, es kracht verdächtig, bleibt seinem Aggressionsausbruch aber doch stand.
Er hat seine Tochter belogen. Seine einzige Tochter, die er über alles liebt, die er beschützen wollte, vor all den schlechten Facetten des Lebens, vor all den Lügen. Doch er hat sie selbst hineingezogen, indem er ihr eine Lüge als Abspeisung gegeben hat. Hat sein eigen Fleisch und Blut belogen. Hat er sich nicht fest vorgenommen, keine Fehler mehr zu machen? Wollte er nicht noch einmal von vorne beginnen? Die schlechten Jahre hinter sich lassen und glücklich mit seiner Tochter leben? Doch die Picknick-Nachmittage aus den Werbungen werden nie stattfinden. Zu oft müsste er ihr in die Augen sehen und sie anlügen. Er kann es, hat nicht mit der Wimper gezuckt, als er ihr von seinem angeblichen Leben erzählt hat. Aber tief in ihm, da brannte es ihm beinahe die Seele aus dem Leib. Mit jedem Wort, jeder Lüge, die aus seinem Mund entsprang, wurde der Schmerz schlimmer. Zerfraà ihn innerlich. Eine Stimme in ihm schrie auf, brachte seine Qualen zum Ausdruck, tat das was er nicht zu tun wagte. Nie, niemals will er ihr noch einmal in die Augen sehen müssen und lügen.
Doch glaubt sie ihm überhaupt? Sie ist nicht dumm, ganz im Gegenteil. Sie verkörpert den scharfen Verstand der beiden Geschlechtslinien ihrer Eltern. In ihr spiegelt sich jede Eigenschaft ihrer Vorfahren wider. Sie weià es noch nicht, doch auch sie wird irgendwann dahinter kommen, dass man sich der feinen Gesellschaft nicht entziehen kann. Dass sie einen einfängt, wenn man am wenigsten damit rechnet.
Sie muss ihm glauben. Auch wenn es ihr Verstand nicht tut, sie wird sich an das Erzählte klammern, es liegt ihr in den Genen. Er wird es geschickter anstellen müssen, wird immer mehr Wahrheiten in seine Geschichten einflieÃen lassen, so dass irgendwann die Wahrheit überwiegt und er die kleinen Lügen, die er ihr zu Beginn ihrer Beziehung eintrichtern hat müssen, getrost Lügen sein lassen kann und irgendwann, vielleicht, aber nur vielleicht, die ganze Wahrheit ans Tageslicht bringen kann.
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