Einen verirrten Sonnenstrahl im Gesicht, lässt sie die Augen geschlossen, ist zu träge sie zu öffnen, unwillig, denn das hieÃe entgültig aufzuwachen, aufstehen zu müssen. Also tastet sie blind neben sich, tastet ins Leere. Die Seite neben ihr ist noch warm, er kann noch nicht lange weg sein. Weg, wieso denkst du, er sei weg, Emily? Er ist sicherlich noch hier, im Badezimmer, in der Küche, hier und nicht weg. Sie atmet tief durch und öffnet die Augen, blinzelt, langsam nehmen die Umrisse des Zimmers scharfe Konturen an. Hier, Erleichterung durchströmt sie, hier. Sie richtet sich auf und sieht ihn an.
âGuten Morgenâ, sagt er und steht auf, erhebt sich aus dem Sessel in dem er saà und geht zum Bett, lässt sich dort auf der Kante nieder und küsst sie sachte.
âDu weiÃt, dass ich es nicht magâ, murmelt sie mit einem Anflug von Missbilligung in der Stimme und vergräbt ihren Kopf an seiner Schulter, hat eigentlich keine Lust auf eine Diskussion.
âDu bist wunderschönâ, antwortet er lächelnd und küsst ihr Haar, während sie ein belustigtes Schnauben von sich gibt.
âUnd du bist ein Charmeurâ, sie löst sich von ihm und sieht ihm in die Augen. âWenn ich nicht wüsste, dass du weiÃt wie ich ungeschminkt aussehe, dann müsste ich dich jetzt vor die Tür setzenâ, seine Hand auf ihrer Wange, ein Finger, der die Konturen ihres Gesichtes nachzieht. âIch hätte es gestern schon tun sollenâ, bekräftigt sie ihre Aussage. Aber ich habe es nicht getan, das erste Mal seit zwei Jahren haben wir die Nacht gemeinsam verbracht, nicht nur wenige Stunden, wenige Berührungen, sondern eine Nacht, Seite and Seite, deine Hand im meiner als ich einschlief, dein Arm um mich, so warm und sicher. Gott, warum ist mir nach weinen zumute, warum?
Sie schüttelt das Gefühl von sich ab, setzt sich stattdessen vollends auf, kniet sich neben ihn und schlingt ihre Arme um seinen Hals, küsst ihn mit wachsendem Hunger. âIch liebe dichâ, flüstert sie ihn sein Ohr, flüstert es, obwohl sie es am liebsten Schreien würde. Seine Hände auf ihrem Rücken, seine Lippen in ihrem Nacken, lässt sie sich treiben, wohlige Schauer als er ihren Namen flüstert. Sie fällt zurück in die Kissen und er fällt mit ihr, ein schneller Sturz, ein Lachen, befreit.
âIch denke langsam haben wir den Bogen herausâ, sagt er und lässt einen Finger über ihr Schlüsselbein gleiten. âBeim einem dritten Versuch würden wir es vermutlich schaffen, die Hochzeitsnacht auch in der Hochzeitsnacht stattfinden zu lassen.â
Ein Lachen, amüsiert, vielleicht ein wenig nervös. âIch denke ich kann auf einen dritten Anlauf verzichten.â
Er schlieÃt die Augen, kurz nur, richtet sich plötzlich auf, sieht sie an. âWeswegen denn, Emily?â, sie öffnet den Mund, will etwas sagen, protestieren, doch er kommt ihr zuvor. âWir könnten uns kirchlich trauen lassen, wir könnten es hier in Paris tun. Es gibt unzählige schöner Kapellen. Es gibt nichts was dagegen spricht.â
âAuÃer das es verrückt istâ, ruft sie belustigt aus, sein Enthusiasmus amüsiert sie, das Leuchten in seinen Augen schmeichelt ihr.
âNicht verrückter als den alten Richter Forster mitten in der Nacht aus dem Bett zu werfen. Nicht verrückter als alles andere. Wir stellen die Regeln selbst auf, Emily, hast du das schon vergessen? Dieses Mal stellen wir sie selbst auf. Weswegen sollten wir es also nicht tun? Es wäre schön, verdammt, es könnte unglaublich werdenâ, die Skepsis in ihren Augen mindert sich, verschwunden ist sie noch immer nicht ganz. âWir wollen doch beide, dass es dieses Mal anders wird, wir haben die Realität deswegen ausgesperrt. Warum sollte wir diese kleine Traumwelt dann nicht auch noch mit Rosen und Lilien ausschmücken?â
Es gibt so viele Gründe, zu viele, es verwirrt mich, Richard, ich bin nicht mehr ich selbst, ständig auf dem Sprung, ich hänge an der Klippe, ein Steinschlag nur und ich würde in die Tiefe stürzen. Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Ich will mehr. âDu hast Rechtâ, sagt sie also, nickt dabei. âWas sollte uns daran hindern?â, sie schluckt den Kloà in ihrem Hals herunter. âEs ändert schlieÃlich nichts, es wäre schlieÃlich nur ein schöner Zeitvertreibâ, ein gekünsteltes Lachen. âWir schlafen schlieÃlich nur miteinanderâ, die Worte entgleiten ihr. Es geht nicht mehr, du kannst es nicht wieder auf die alte Ebene befördern, es ist nicht einmal mehr eine Lüge, die wir voreinander aufrecht erhalten. Es ist eine Lüge, die uns jedes Mal ins Gesicht springt, die spätestens seit dem ersten ich liebe dich in tausend kleine Stücke zerprang, Splitter aus Glas in der Haut. Lügen können mehr als nur verletzten, sie schmerzen, vor allem wenn man sie krampfhaft am Leben erhält. Die letzten einsamen Wochen, angefüllt mit Arbeit, Soupers und Tee, Einsamkeit in mitten einer Horde aus Menschen. Nimm mich mit, ich will nach Hause, Richard, einfach nur nach Hause. Egal was hier ist, egal was es aufzugeben hieÃe, ich will nach Hause. Zurück zu dir. Zurück zu meiner Tochter, meinen Enkelinnen. Gott, Ruth, ich kenne sie ja kaum und es geht alles so schnell. Ein Augenzwinkern nur und auch sie wird erwachsen sein. Und wir, wir werden noch älter sein als jetzt schon und die Zeit des Ãlterwerdens damit verbracht haben, aufeinander zu warten. Ich will nicht mehr warten, ich habe vier Jahre lang auf dich gewartet und habe es gehasst. Wieso tue ich es dann jetzt freiwillig?
âEmilyâ, setzt er vorsichtig an. âIch bin nicht nur hier um dich zu sehenâ, er macht eine Pause, sieht sie an, räuspert sich. âEs verstöÃt gegen alles, aber wir haben schon gegen soviel verstoÃen. Es, Floyd, er hat mir angeboten eine Tochterfirma in Madrid aufzubauen.â Die Gesichtszüge entgleiten ihr, er beeilt sich weiterzusprechen. âEs wäre viel Arbeit, aber die Wochenenden, Emily, ich könnte die meisten Wochenenden hier verbringen, keine zwei Stunden Flug, wir könnten zusammen sein.â
Sie schweigt, sucht nach Worten, findet sie schlieÃlich. âDu kannst sie nicht auch noch alleine lassen, Richard.â
Er braucht einen Augenblick ehe er begreift, ehe er diesen Einwand zur Seite schiebt. âSie ist verheiratet. Luke mag vielleicht nicht unsere erste Wahl sein, aber er sorgt für sie. Sie braucht mich nicht, Emily. Das hat sie noch nie getanâ, bitter klingen sie seine letzten Worte.
âVielleichtâ, murmelt sie. âAber es würde doch nichts ändern. Nichts würde sich ändern. Es würde vermutlich nur noch schlimmer werdenâ, so ruhig wie möglich greift sie nach dem Bademantel neben dem Bett, schlüpft hinein und steht auf, geht zu einem der hohen Fenster. Sie schiebt den Vorhang beiseite, das Licht strömt mit voller Wucht herein, sie sieht auf die StraÃen, er sieht sie an. Sieht sie an und wartet darauf, dass sie etwas sagt. Doch sie tut es nicht, starrt hinaus und schweigt.
Er weià nicht wie lange es andauert, dieses Schweigen, kann es greifen, die Zeit verrinnt in seinen Fingern, während er sie ansieht, sich wieder denkt, wie schön sie doch ist. Sich wieder fragt, weswegen sie nicht noch einmal jung sein können. Ein Augenblick in der Vergangenheit nur und er könnte die Geschichte umschreiben. Hätte er nur noch einmal diese wenigen Sekunden in dem Motel, würde er nur noch einmal seine Hand auf ihrem flachen Bauch spüren, noch einmal ihre Worte vernehmen. Ich brauche dich. Wir brauchen dich. Wir. Einmal noch, nur einmal noch die Gelegenheit dazu diesen Augenblick wieder zu erleben, anders zu reagieren. Das Richtige zu tun. Alles wäre anders. Alles und nichts. Es gibt kein zurück, man kann die Spuren der Zeit nicht wegwischen als wären sie Wassertropfen auf Glas. Zeit ist wie Säure, brennt sich ein und bleibt auf ewig.
âIch werde zurückkommenâ, wie Peitschenhiebe fegen ihre Worte durch das Zimmer, haben sicherlich dieselbe Wirkung auf ihn, denn er springt auf.
âDas wirst du nicht!â, ruft er laut aus und ihr Kopf fährt herum.
âDas werde ich, Richardâ, entgegnet sie nicht weniger laut.
âNein!â, er packt sie an der Schulter, krallt seine Nägel durch den feinen Stoff ihres Bademantels âIch will nicht schon wieder dafür verantwortlich sein, dass du alles aufgibst.â
âGottâ, ein Schnauben, wütend und traurig zugleich, sie stöÃt sich von ihm weg, wäre ihre Schulter nicht bedeckt, dann könnte man sie sehen, die weiÃen Stellen, die seine Fingerkuppen hinterlassen, weiÃe Flecke, in die das Blut nur langsam zurückflieÃt. âEs ist doch gleich, es ist alles gleich. So funktioniert es nicht. Nicht mehr. Wir haben uns zu tief hineinziehen lassen als das es so noch funktionieren könnte.â
âAber Madrid - â, sagt er, sie fällt ihm ins Wort, glühende Augen.
âMadrid wäre doch nur eine weitere Farceâ, sie schüttelt den Kopf, langsam, könnte trotzdem nicht nachdrücklicher sein. âNein. Ich werde zurück nach Hartford gehen. Es wird schon irgendwie gehen, wir werden es schon irgendwie schaffen. Wir sind schlieÃlich beide erwachsen, da sollten wir uns also nicht wie zwei dumme Teenager verhalten. Wir haben es schon zu lange getan, Richard, die ganzen letzten Monate. Es wird endlich Zeit erwachsen zu werden, wieder rational zu denken. Du hast mich gebeten dich zu heiraten und ich habe ja gesagt. Wir sind verheiratetâ, sie unterstreicht ihre Worte mit einer kräftigen Handbewegung. âSo ist es nun Mal. Also sollten wir uns auch dementsprechend verhalten.â
âIch will das aber nicht, Emily. Nicht schon wiederâ, wendet er kraftlos ein.
âSchon wiederâ, ein leises Lachen. âEs ist Jahre her, Richard. Du hast dich damals dafür entschieden nach Vietnam zu gehen, weil du es für richtig hieltst. Und ich habe getan, was ich für richtig hielt. Wir schulden einander nichts.â
âAber du warst schwanger, Emily. In dem Augenblick als du es mir gesagt hast, da hätte ich es vergessen müssen. Ich hätte bleiben müssen. Ich hätte dich nicht alleine lassen dürfen mit all dem. Ich hätte für dich da sein müssen. Ich hätte es nicht zulassen dürfen, dass sie dich von der Universität werfen. Denn wäre ich geblieben, Emily, dann hättest du heute deinen Abschluss, du wärst niemals nur meine Ehefrau gewesen, du hättest das tun können, was du wolltest. Wir hätten wirklich glücklich sein können.â
âVielleicht waren wir nicht immer glücklich. Vielleicht war es nicht immer perfekt. Aber wir waren zusammen und das ist alles was zählt.â
âSei ehrlich, ich bitte dich. Sei einmal ehrlich. Sprich es wenigstens einmal aus.â
âWas willst du denn hören?â
âDie Wahrheit, verdammtâ, donnert er, ist selbst überrascht über die Lautstärke.
âDie Wahrheitâ, wiederholt sie seine Worte leise und presst die Lippen aufeinander, sieht ihn an. âDie Wahrheit ist, dass es meine eigene Schuld war. Ich habe mich auf dich eingelassen, obwohl ich genau wusste, dass ich es besser nicht tun sollte. Ich habe ohne zu verhüten mit dir geschlafen, obwohl ich genau wusste, dass es Konsequenzen haben kann. Ich habe dich gehen lassen, obwohl ich genau wusste, dass es mich umbringt. Du Richard, das einzige was ich dir vorwerfen kann, das einzige wofür ich dich verflucht habe, wofür ich dich vielleicht sogar gehasst habe, ist dass du zurückgekommen bist. Nach all der Zeit, auf meine Hochzeit. Gerade als ich dich endlich vergessen konnte, da bist du zurückgekommen. Du bist zurückgekommen, hast mich geheiratet und vergessen. Nicht, dass du weggegangen bist ist es, dass du zurückgekommen bist.â Auch ihre Stimme ist lauter geworden, harsch und verzweifelt, die letzten Worte hängen in der Luft, scheinen von den Wänden zu hallen und zu ihm zurückzukommen, immer und immer wieder. Entsetzen macht sich breit, er wünschte er hätte sie nie um die Wahrheit gebeten, sie wünschte, sie hätte sie niemals ausgesprochen.
âEs tut mir so leidâ, murmelt er kaum hörbar, eine Phrase, sie kann nichts entschuldigen, er weià es. Doch sie lächelt plötzlich, es ist ein trauriges Lächeln, aber sie lächelt. Lächelt und geht auf ihn zu, legt ihre Arme um seine Hüften, presst ihren Körper gegen den seinen.
âAber es ändert nichts daranâ, sagt sie mit fester Stimme. âIch brauche dich, Richard.â
âNicht so sehrâ, antwortet er, sein Blick geht ins Leere. âWie ich dich.â
âDann lass mich mit dir gehen.â
âNein, Emily, das werde ich nicht. Dieses mal werde ich mit dir gehen.â
âAber ââ, er bringt sie zum Schweigen, sein Finger auf ihren Lippen, ein beruhigendes Schhh.
âVergiss nicht, wir machen die Regeln selbst. Also lass mich dieses Mal die richtigen aufstellen. Ich werde auf dich aufpassen, alles was du tun musst, ist mir zu vertrauen, bitte, Em, vertrau mir.â Em. Sie zuckt zusammen, seit Jahren hat er sie nicht mehr so genannt, nicht seit sie verheiratet waren, nicht seit dem College. Und es fällt ab, alles fällt ab und weg, sie ist es wieder, ist wieder ein junges Mädchen und er der Mann, der einzige Mensch, der nicht von ihr verlangt etwas anderes zu sein, denn sie selbst. Sich zu verlieben und zu lieben, es fühlt sich seltsam an, aber es geht, sie tut beides, empfindet beides für ihn, wieder einmal mehr.
âRichard?â, fragt sie leise, âWas hältst du von der Chapel St. Madeleine in der Rue Caubert?â
âIch denke, sie wäre perfekt.â
âDas denke ich auchâ, antwortet sie. Es wird funktionieren, denkt sie. Will es auch sagen und blickt auf, öffnet die Lippen, doch anstelle ihrer Stimme erklingt das Geräusch eines Telefons.
To be continued.