Im Nichts - PG-13
#19

Und nochmal: Danke euch für euer feedback, it's highly appreciated, really! So, ohne viel Geplapper jetzt weiter zu Kapitel vier, übersetzt in einer schneereichen Hamburger Nacht. Es leben die Semesterferien! |)

--~*~--

Im Nichts – Kapitel 4: Nachts

Er steuert den Truck in die Einfahrt, zieht die Handbremse an sobald das schwere Fahrzeug zum Stillstand gekommen ist und stellt schließlich die Zündug ab. Das Schlüsselbund liegt kühl und schwer in seiner Hand während sich Dunkelheit ausbreitet, wo eben noch die Lichtkegel der Scheinwerfer die Nacht durchschnitten haben. Erst jetzt in der Stille merkt er, dass die ganze Fahrt über das Autoradio eingeschaltet gewesen sein muss.

Sie halten sich in den Schatten der Büsche unterhalb der Veranda versteckt und bemühen sich, leise zu sein. Irgendwann können sie ihr Kichern aber einfach nicht mehr unterdrücken.

Er räumt den Beifahrersitz leer und klettert dann aus der Fahrerkabine. Denkt er jedenfalls. Tatsächlich fühlt er anstelle des sandigen Bodens der Einfahrt unter seinen Füßen nach wie vor wie die Sohlen seiner Schuhe auf dem brüchigen Relief der Gummifußmatten stehen. Sie rühen sich keinen Zentimeter von der Stelle. Sein Körper verwendet sämtliche Energie darauf, die grüne Sporttasche in seinem Schoß nicht durch die Winschutzscheibe zu schleudern. In der Tasche ist Babykleidung, die sie nicht mehr bei sich im Krankenhaus haben wollte. Allerdings weiß er auch nicht so genau, was er jetzt damit anfangen soll.

Sie werfen einander fragende Blicke zu und zucken mit den Schultern. „Vielleicht ist er müde?“ schlägt einer von ihnen schließlich vor.

Endlich gelingt es seinem Verstand, Kontrolle über seine Gliedmaßen zu erlangen. Er kann ja nicht die ganze Nacht hier im Auto sitzen bleiben. Schiere Willenskraft setzt ihn langsam in Bewegung und er als er aussteigt, fühlt er sich wie ein alter Mann. Alles tut weh.

Sie nehmen das Notwendige zur Hand und beziehen ihre Positionen.

Er erklimmt die Verandastufen. Die grüne Sporttasche hat er sich unter den rechten Arm geklemmt und mit der linken Hand durchwühlt er seine Hosentasche auf der Suche nach dem Haustürschlüssel.

Von da, wo sie hocken, können sie ihm nicht ins Gesicht sehen, es ist zu dunkel.

Er hat den Schlüssel gefunden und will ihn gerade ins Schlüsselloch stecken, als auf einmal die Hölle los ist.

Sie springen auf, lachen, werfen Ballons und Konfetti auf ihn. Zwei von ihnen tragen ein Transparent.

Er ist sich ganz sicher, dass er einen Alptraum hat. Aber so sehr er sich bemüht aufzuwachen, es gelingt ihm jetzt genausowenig wie in den Stunden zuvor. Halb Stars Hollow scheint auf den Beinen zu sein und gratuliert ihm überschwänglich. Ein Schnuller trifft ihn am Kopf. Das Verandalicht ist immer noch kaputt und so kann er über die Farbe nur Vermutungen anstellen. Wahrscheinlich blau.

Hilflosigkeit ergreift Besitz von ihm und er tut das, was er immer tut, wenn er vor Angst nicht mehr weiter weiß. Er brüllt.

„Macht dass ihr hier weg kommt! Ich mein's ernst, ihr gottverdammten Idioten!“

Jetzt sind sie still. Und weil sie inzwischen nahe genug dran sind, können sie ihm in die Augen sehen. Sein Blick spricht Bände.

„Luke...“ traut sich nach einer Weile jemand.

Aber er reagiert nicht, steht vor der Tür, beschäftigt mit dem verzweifelten Versuch, sie aufzuschließen, damit er endlich vor ihnen sicher ist. Das Zittern seiner Hände macht es ihm unmöglich, den Schlüssel an seinen Bestimmungsort zu bugsieren.

Schließlich nimmt man ihm den Schlüssel ab und öffnet die Tür. Miss Patty braucht nur ein paar Sekunden dazu.

„Was ist passiert? Ist was mit Lorelai?“ fragt sie mit unverholener Angst in der Stimme und sieht ihn groß an.

„Nichts ist mit Lorelai. Ich... ich kann jetzt nicht sprechen, ihr müsst das verstehen. Lasst mich einfach in Ruhe! Und nehmt all das Baby -“ er senkt kurz den Kopf, nur um sie danach mit dunklen Augen anzufunklen, „nehmt all das Zeug wieder mit. Ich will nichts mehr davon sehen!“ Dann schlägt er die Tür hinter sich zu und lässt sie stehen.

Draußen hören sie wie etwas schweres mit einem dumpfen Schlag das Holz der Tür trifft.

Drinnen lässt er sich gegen die geschlossene Tür fallen und sinkt zu Boden. Sie markiert die Trennlinie zwischen ihm und ihren fragenden Augen und mitleidigen Gesichtsausdrücken. Er vergräbt den Kopf in seinen überkreuzten Unterarmen und kann es endlich zulassen. Dieser heisere Schrei, der in seinem Hals steckt, seit er sie als einen Schatten ihrer selbst im Krankenhais zurücklassen musste, bringt ihn sonst um.

Sie unterbrechen kurz die Aufräumarbeiten auf der Veranda und heben die Köpfe als sie ihn hören. Dann fahren sie fort in ihren Bemühungen, die Spuren der Feier zu beseitigen, von der sie nicht glauben können, dass sie sie heute Nacht nicht erleben.

Neben ihm auf dem Boden liegt die grüne Sporttasche mit der Babykleidung und obwohl er weiß, dass sie es nur gut gemeint haben, wünscht er sich insgeheim, dass sie sich schuldig fühlen.

Könnte er die Bürger von Stars Hollow in dieser Nacht nach Hause gehen sehen, wüsste er seinen Wunsch erfüllt.

-~*~-

Bald ist Neumond, aber heute Nacht sieht man noch eine schmale Mondsichel am Himmel stehen. Ein leichter Sommerwind treibt ein paar Wolken über den Himmel und die Bewegungen am Himmel schlagen sich auf ihrer Bettdecke als graue, sekündliche ihre Form ändernde Muster nieder.

Sie öffnet die Augen und weiß erst nicht, wo sie ist. Als sie dann versucht, sich auf die Seite zu drehen – sie hat noch nie gern auf dem Rücken geschlafen – weckt sie der dumpfe Schmerz in ihrem Unterleib weiter auf. Sie versteht.

Instinktiv beginnt ihr Blick das Zimmer nach dem fahrbaren Kinderbett abzusuchen. Da ist kein Bett. Kein Bett. Und in wenigen Zehntelsekunden holt die Erinnerung sie ein.

Es gibt nicht nur kein Bett, sondern auch kein Kind. Wenigstens kein lebendes Kind.

Kein Kind.

Diese zwei Worte lassen ihre Wangen brennen, sie verdoppeln ihre Schmerzen und sie möchte sich ihre langen dunklen Haare am liebstens fäusteweise ausreißen.

Sie lässt ihre Kopf zurück in die Kissen sinken. Wie sie da so auf dem Rücken liegt, die Augen weit geöffnet und ihr Verstand plötzlich so wach, dass es weh tut, sieht sie langsam an sich herunter.

In den letzten Wochen der Schwangerschaft hat sie den dicken Bauch verflucht. Jetzt ist er weg, aber sie fühlt sich überhaupt nicht erleichtert. Sie denkt an Chers „If I Could Turn Back Time“ und findet diese obendrein noch schlechte Referenz fürchterlich.

Ihr Blick erreicht die Knöpfe an der Voderseite des Nachthemdes. Behutsam tastet sie die Wölbung ihrer Brüste unter dem dünnen Stoff ab, sich sehr wohl bewusst, was ihr bevorsteht. In ein paar Tagen, vielleicht auch nur Stunden, werden sie sich heiß und geschwollen anfühlen. Geschwollen vor Milch, die niemand gebrauchen kann. Milch, die sich einzig zu dem Zweck bildet, es ihr wieder und wieder schmerzlich bewusst zu machen.

Mein Kind ist tot, denkt sie. Unser Kind.

Sie sieht sein Gesicht vor ihrem inneren Auge.

Das Gesicht, das sie zwischen den letzten Presswehen angestarrt hat wie eine Ertrinkende das Land am Horizont. Das Pressen während dieser letzten Wehen sollte ihrem Baby das Leben retten. Nur war sie da schon viel zu weit weg um davon noch irgend etwas mitzubekommen.

Das Gesicht, in dem sie erst so viel Vorfreude und Mitleid sehen konnte.

Das Gesicht, in dem sich Minuten später nur noch Entsetzen gespiegelt hat, als sie die vergeblichen Bemühungen der Ärzte um die Rettung ihres Gückes mit ansehen mussten.

Das Gesicht, das er gegen Abend in ihren Haaren vergraben hat, als er dachte sie würde schlafen.

Das Gesicht, das sie in den Zügen ihres kleinen Sohnes wiedererkannt haben, als sie ihn vor Stunden erst kennen lernen durften und ihn dann auch schon wieder gehen lassen mussten.

Auf dem Nachttisch steht ein kleiner Pappbecher, den eine wohlmeinende Schwester am Abend dort abgestellt hat. „Falls Sie nicht schlafen können.“

Auf einmal wieder ziemlich müde, greift sie nach dem Becher, kippt seinen Inhalt in ihre Handfläche, führt sie zum Mund und schluckt die Tabletten schließlich hinunter.

Lorelai bezweifelt, dass sie ohne die Tabletten Einschlafschwierigkeiten haben würde, aber sie hofft, dass die Medikamente ihr einen Schlaf bescheren, der so tief ist, dass sie sich am nächsten Morgen nicht an das erinnert, was sie gleich träumen wird.

--~*~--

~ Ut desint vires tamen est laudanda voluntas. ~


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