Bittersweet Symphony
#4

Hallo meine Süßen :knuddel:

Freut mich, dass ihr meine neue FF entdeckt habt und sie euch bis jetzt so gut gefällt.

Ich poste schon mal das nächste Kapitel, hoffe es gefällt.

Freu mich über Feedbacks!

Bussi Selene



1. Kapitel

Rory beobachtete die vorbeiziehende Landschaft. Die weiten Wiesen schienen bis ins Unendliche zu reichen. Der Weg führte durch eine Allee großer Bäume, deren Blätter sich bereits zu verfärben begonnen hatten. Der Herbst war angebrochen und Südirland schien seinem Reiz vollkommen erlegen.
Der Taxifahrer, Gregory Walters, hatte mehrmals versucht ein Gespräch mit Rory zu beginnen. Die schöne junge Frau hatte jedoch nur sehr höflich und kurz geantwortet, weshalb er es schließlich aufgegeben hatte. Immer wieder betrachtete er sie aus dem Augenwinkel und fragte sich, ob diese tiefblauen Augen schon immer so glanzlos gewesen waren. Erneut erinnerte er sich an den Hinweis seiner Frau nicht über anderen Leuten Angelegenheiten nachzudenken. Gregory betätigte das Gaspedal stärker. Sie fuhren über einen kleinen Hügel, welcher schließlich zu einem Waldweg führte. Rory staunte erneut über die Farbenpracht. Als sie der Lichtung näher kamen erblickte sie bereits das Hinweisschild. Und tatsächlich erreichten sie zehn Minuten später das große Gebäude, welches Rory lediglich von Bildern kannte.
„Wir sind hier.“ Meinte Gregory freundlich lächelnd und hielt auf dem kleinen Parkplatz.
„Danke.“ Rory reichte ihm das Geld für die Fahrt und nickte ihm nochmals kurz zu, bevor sie ausstieg. Sie zog die Jacke enger an sich. Der Wind war kühl und kräftig, aber sie schaffte es nicht sich zu bewegen. Das ehrfürchtige Gebäude schien sie in einen merkwürdigen Bann zu ziehen. Wie alt es wohl sein mochte? Es schien wie ein edles Herrenschloss aus dem Meer von bunten Wiesen und Wäldern zu ragen. Garden Manor. Wie passend schien dieser Name doch. Rorys Blick wanderte über die Verziehrungen der zwei Dachtürme. Alt und ehrwürdig. Die hellen Fenstervorhänge der unteren Geschoße, welche mit bunten Blumen bedruckt waren, schienen ein merkwürdiger Kontrast. Dennoch gefiel es Rory. Sie zog ihre digitale Kamera aus der schwarzen Umhängetasche und machte ein paar Bilder. Vielleicht würde sie diese ihrer Mutter in einer E-Mail senden. Vielleicht aber auch nicht. Schreib mir jeden Tag. Sie hatte es versprochen. Mit dem Wissen es nicht zu tun.
Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie die Treppen zu dem großen Tor hinauf schritt. Neben diesen gab es auch eine Rampe. Zuerst irritierte es sie. Dann erinnerte sie sich an den gegenwärtigen Nutzen dieses Gebäudes. Garden Manor fungierte seit zwanzig Jahren als Altenheim. Das war der letzte Wille des Besitzers gewesen. Die geheimnisvolle Elizabeth O’ Reilly musste aus freien Stücken gewählt haben hier zu leben. Denn, so hieß es zumindest, erfreute sie sich bester Gesundheit und hatte einen großen Verwandtschaftskreis. Rory würde in den folgenden Monaten verstehen, dass vieles im Leben anders war, und auch anders sein musste, als es schien. Als sie den langen Gang zum Sekretariat schritt, ahnte sie noch nicht, dass sich ihr Leben grundlegend verändern sollte und dass ihre Zeit in Irland sie stärker mit ihrer Vergangenheit konfrontieren sollte wie alles zuvor.
„Zimmer 217. Am besten Sie benützen den Lift am Ende des Ganges.“
Die Einrichtung hatte nichts mehr mit der alten, ehrwürdigen Fassade des Gebäudes gemein. Sie schien hochmodern und zweckmäßig. Jedoch nicht so luxuriös wie der Name der Institution versprochen hatte. Auf dem Weg zu dem Raum begegneten ihr einige ältere Menschen, welche sie meist misstrauisch musterten. Nur wenige schenkten ihr ein kurzes Lächeln. Rory atmete tief durch und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn, bevor sie zögernd an die Tür klopfte. Sie vernahm eine leise Melodie. Strangers in the Night von Frank Sinatra.
„Rosemary, ich sagte Ihnen doch, dass ich die Tabletten heute schon genommen habe.“
Rory seufzte leise und öffnete die Tür. Sie knarrte ein wenig. Das Zimmer war sehr hell und freundlich eingerichtet. Die morgendliche Herbstsonne warf einen Strahl auf die Blumenvase auf dem kleinen Tisch. Gelbe Rosen. Über dem Bett hing ein großes Bild, welches eine venezianische Gondel zeigte. Sie war leer und schien über das Wasser zu schweben. Ein kleines Bücherregal stand neben dem Bett. Rory lächelte der Frau, welche auf dem Stuhl neben dem Tisch saß, freundlich zu. „Guten Tag.“ Sie schloss die Tür und näherte sich zögernd. „Mein Name ist Lorelai Gilmore. Ich komme vom Hartford Reader. Es ist mir eine Ehre Sie kennen zu lernen, Mrs. O’ Reilly…“ Sie reichte der Dame die Hand.
Elizabeth O’ Reilly ergriff diese nicht. „Sie sind doch nicht Britin?“
Rory runzelte die Stirn. „Nein, ich bin Amerikanerin…“
„Amerikanerin…“ Elizabeth lehnte sich seufzend zurück. „So, so. Nun, Sinatra war auch Amerikaner. Ein großartiger Mann.“ Sie putzte ihre Brille. Erst jetzt bemerkte Rory ihre funkelnden grünen Augen, welche das gealterte Gesicht um Jahre jünger wirken ließen. Sie erinnerte sich gelesen zu haben, dass Elizabeth O’ Reilly bereits achtundsiebzig Jahre alt war.
„Ja, das war er. Darf ich mich setzen?“ Sie deutete auf den Stuhl gegenüber der älteren Dame. Diese nickte. „Was möchten Sie von mir? Sollten wir uns kennen?“
„Meine Chefin, Megan Rossman, telefonierte letztes Monat mit Ihnen. Sie gaben Ihre Zustimmung für eine Großreportage über ihr bewundernswertes Leben. Ich komme in ihrem Auftrag…“ Rory war nicht so konzentriert, wie sie es hätte sein sollen, das wusste sie. Sie klang unprofessionell und unsicher. Rory war nicht mehr die Frau, die sie einst gewesen war. Irgendwann hatte diese aufgehört zu existieren und das musste sich früher oder später auch auf ihre Arbeit auswirken. Es würde sie nicht wundern, würde Mrs. O’ Reilly es ablehnen von ihr interviewt zu werden.
„Bewundernswert?“ Elizabeths Lachen hatte einen merkwürdigen Unterton, welchen Rory erst viel später deuten würde können. „Was, Miss Gilmore, ist denn so bewundernswert an meinem Leben? Dass ich es schaffe, nicht bis Mittag zu schlafen? Dass ich die Dosis meiner Tabletten zumindest meistens einhalte? Dass ich angesichts dieser Umgebung noch nicht eingegangen bin wie die vertrocknete Pflanze am Fensterbrett? Was wissen Sie denn schon über mein Leben?“
„Mrs. O’ Reilly, Sie haben wundervolle Gedichte und Bücher geschrieben. Sogar Musikstücke. Sie ahnen offenbar gar nicht, was sie vielen Menschen gegeben haben…“ Rory musterte ihr Gegenüber Stirn runzelnd. Was verbarg sich im Inneren dieser Frau?
Elizabeth zupfte ihren weinroten Rollkragenpullover zu Recht und legte die Hände auf ihren Schoß. „Und was hat die Welt mir gegeben? Ein Zimmer im Garden Manor, so wie hunderten anderen ebenso. Ich bin nicht anders als meine Nachbarin, welche stets zu laut fernseht. Ich bin nicht anders als der Gärtner, welcher die Pflanzen der Anlage pflegt. Ich bin auch nicht anders als Sie, Miss Gilmore. Sie müssten über jeden Menschen dieser Welt eine Reportage verfassen.“
Rory biss sich unsicher auf die Unterlippe. „Vielleicht…“ Antwortete sie schließlich zögernd. Die Rory von einst hätte gewusst, wie sie antworten musste. „Wären Sie dennoch bereit mir etwas über Ihr Leben zu erzählen?“
Elizabeth nippte an ihrem Kaffee. „Ich wurde am 27. Juni 1935 geboren. In einem Vorort von Dublin. Mein Mädchenname lautet Smith. In meiner Kindheit und Jugendzeit widmete ich mich, soweit es in diesen schweren Jahrzehnten möglich war, der Malerei, Musik und der Poesie. Im Alter von fünfundzwanzig Jahren, 1960, heiratete ich William O’ Reilly. Ich schenkte ihm drei Kinder. Anna, 1961. Stephanie, 1963, und Alexander, 1966. Während ich meine Kinder erzog, gab ich meine Leidenschaften auf, bevor ich 1985 wieder begann zu schreiben. Der Tod meines Mannes 1990 veranlasste mich dazu aufs Land zu ziehen. Seit zehn Jahren wohne ich schließlich hier. Meine Kinder besuchen mich dreimal im Jahr. Sie wohnen mit ihren eigenen Familien auf der ganzen Welt verstreut. Mittlerweile habe ich vier Enkelkinder.“ Es klang wie auswendig gelernt.
Rory runzelte die Stirn. „Mrs. O’ Reilly, unsere Leser interessieren sich für mehr als diese reinen Fakten. Sie haben Unglaubliches geschaffen. Es interessiert uns, was sie zu diesen Werken inspiriert hat. Wir würden gerne mehr über diese Frau erfahren, welche mit ihren Worten so viele Menschen bewegt hat.“
„Habe ich denn auch Sie mit meinen Worten bewegt?“
„Ja, das haben Sie.“ Rory lächelte.
„Dann haben Sie wohl nicht richtig gelesen.“
Rory runzelte die Stirn. Sie wurde aus der älteren Dame einfach nicht schlau.
„Sie wollen also wissen, wer sich hinter meiner aus Worten kreierten Fassade verbirgt?“
„Ja, das würde ich gerne.“
„Dann frage ich Sie nun etwas, Miss Gilmore. Können wir jemals wissen, was für Menschen sich tatsächlich hinter ihren schillernden Masken verbergen? Ist es möglich andere zu kennen bevor wir uns selbst kennen?“
Rory versuchte den Druck, welcher langsam ihr Herz zu erfassen begann, zu ignorieren. „Nein.“ Ihre Stimme war heiser. Sie räusperte sich.
„Wollen Sie wissen, was mich dazu bewegt hat, diese Dinge zu schreiben? Oder wollen Sie wissen, warum Sie selbst sich von diesen so berührt fühlen?“
Rory biss sich auf die Unterlippe. Ihre Lippen schienen wie ausgetrocknet, konnten keine Worte formen.
Elizabeth nickte, als würde sie verstehen. Und vielleicht tat sie es auch. „Mein Kopf macht mir heute zu schaffen. Es wäre besser, morgen weiter zu sprechen.“

Rory sank demotiviert auf das weiche Bett ihres Hotelzimmers, welches ihr sechs Monate ein zuhause sein sollte. Sie griff seufzend nach dem Telefon und wählte eine Nummer.
Nach wenigen Augenblicken ertönte ein Freizeichen. „Hartford Reader. Rossman am Apparat. Mit wem spreche ich?“
„Hallo Megan…“ Rory atmete tief durch.
„Rory!“ Die zuvor gestresste Stimme ihrer Chefin erhellte sich augenblicklich. „Wie geht es dir? Wie ist es heute mit Mrs. O’ Reilly gelaufen?“
Ein Seufzen entwich ihr. „Sie zeigt nicht sehr viel Interesse an Interviews. Vielleicht wäre es besser, eine allgemeine Reportage zu bringen…“ Sie vernahm ein leises Rascheln. Megan notierte offensichtlich neben bei etwas.
„Versuche es weiter. Es war der erste Tag. Mrs. O’ Reilly gab mir die Erlaubnis zu der Reportage. Es ist nicht so, als hätten wir sie damit überfallen. Vielleicht solltest du anders vorgehen. Du wirst gewiss einen Zugang zu ihr finden.“
Rory seufzte. „Ich weiß nicht…“
„Hör mal, Rory. Du bist Journalistin in einem der berühmtesten Magazine Connecticuts. Du kannst dich nicht so einfach entmutigen lassen. Bei CNN warten sie nicht auf unsichere Mädchen…“ Megan hielt inne. „Oh Rory…“ Ihre Stimme war sanfter geworden. „Es tut mir leid. Mein Mund war schneller als mein Verstand. Ich weiß, wie schwer du es hast. Ich dachte, ich würde dir helfen dich abzulenken. Es wäre besser gewesen, Kevin zu schicken…“
„Nein.“ Rory gelang es das Zittern ihrer Stimme zu verbergen. „Es ist mein Auftrag. Ich werde meinen Job gut machen.“
Als sie sich kurz darauf wieder verabschiedeten wählte Rory die Nummer ihrer Mutter. Lorelai meldete sich nach wenigen Sekunden. „Gilmore Danes.“
„Mum?“
„Rory!“ Die Stimme ihrer Mutter bekam einen zärtlichen Unterton. „Wie geht es dir, Schatz? Wie gefällt es dir in Irland? Sind dort tatsächlich alle Menschen rothaarig?“
„Ich hab noch keine gesehen. Irland ist wunderschön. Es würde dir gefallen. Ich sende dir später ein paar Fotos.“
„Das ist schön. Ich freue mich darauf…“ Lorelai klang befangen.
„Wie geht es Luke?“ Fragte Rory schließlich nach einer Schweigepause.
„Sehr gut. Er ist gerade mit Jamie einkaufen.“
Ein kurzes Lächeln umspielte ihre Lippen. „Wie geht es meinem kleinen Bruder?“
„Sehr gut. Besonders seitdem er herausgefunden hat, wie man das Telefon benützt. Von wem er das wohl hat?“
„Lass die beiden grüßen, okay?“
„Natürlich, mein Schatz…“ Lorelai seufzte leise. „Rory?“
„Ja?“
„Logan rief wieder an…er klang sehr besorgt um dich.“
Die schweren Seile umschlossen Roys Herz erneut. Sie antwortete nicht. Es gab nichts, was sie hätte erwidern können.
„Du solltest ihn anrufen, Rory…“
„Mum, ich muss nun aufhören, es wird teuer.“
„Schatz…“
„Ich hab dich lieb, Mum. Machs gut. Ich melde mich bald wieder.“ Rory legte auf ohne eine Antwort abzuwarten. Sie sank zurück aufs Bett und presste das Gesicht auf das Kopfkissen. Die heißen Tränen begannen den dünnen Stoff zu durchnässen.
Sie dachte an jenen Abend. Konnte nicht mehr aufhören daran zu denken.

Sie schwebten über das Parkett, als gehöre es nur ihnen. Als wären sie alleine. Als würde die Welt allein ihnen gehören.
Sie lachte laut. „Ich wusste gar nicht, dass du so ein großartiger Tänzer bist!“
„Ich habe noch viel mehr Talente.“
Sie lachte wieder.
„Lass dich darauf ein.“ Sagte er, als ein neues Lied begann. Und sie wusste, dass er nicht nur einen neuen Tanz meinte. „Ich werde dich nicht enttäuschen. Niemals.“

Das hatte er auch nicht. Zumindest nicht absichtlich. Er war lediglich Opfer gewesen. Opfer ihres Egoismus, der ihr Leben zerstört hatte. Ihres und seines.

Sie hatte erkennen müssen, dass es für nichts im Leben eine Garantie gab. Schon gar nicht für das Leben selbst.


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