20.08.2005, 22:58
***
Noch ist nur die kleine Tafel gedeckt, natürlich, das groÃe Fest wird erst in zwei Tagen sein. Jetzt nimmt man das Essen noch im geschmackvoll eingerichteten Wintersalon ein, angeregtes Tischgeplauder erfüllt den Raum, keine Silbe über den unsäglichen Vorfall, Unverfänglichkeit, wo Emily mehr ahnt, wie eine Katze auf der Lauer liegt, bereit zum Sprung, bereit für alles. Appetitlos schiebt sie ihren Fasan auf dem Teller hin und her, nippt lediglich hin und wieder am Wasser, während sie den teuren französischen Wein ignoriert, sich wünscht eine fünfte Aspirin eingenommen zu haben. Manchmal schielt sie zu Lorelai, doch diese weicht ihrem Blick aus, wenn sie sich doch treffen, ihre Augenpaare, sieht sie nur Kälte darin, beinahe Hass ist es, erschreckend und verletzend zugleich. Sie wünscht sich endgültig Richard hätte sich nicht zu dieser dummen Alberei hinreiÃen lassen, zu hoch ist der Preis für einen einzelnen Kuss â und sie haben erst angefangen die Raten dafür zu zahlen, der groÃe Brocken, er wird noch kommen, sie weià es genau.
âEine Schande, dass wir deinen Ehemann nicht kennen lernen können, Lorelaiâ, wendet sich Louise Johnson plötzlich an ihre Enkelin und Emily richtet sich alarmiert auf. Du wärst begeistert gewesen, Mutter, denkt sie sich, ein Traumschwiegersohn aus bestem Hause, ein regelrechter Prinz Charming. Aussprechen, aussprechen tut sie es nicht, lauscht stattdessen den entschuldigenden Ausführungen Lorelais. Das Gespräch wird auf Ruth gelenkt, auf das Hotel, sie weià selbst nicht weswegen, aber sie hat Mühe ihm zu folgen, es kommt ihr seltsam fern vor. Auch die Dinge die sie selbst sagt, sie hört sie nur aus weiter Ferne, wie durch ein dickes Federkissen.
âWirklich seltsam, dass du trotz allem so glücklich zu sein scheinstâ, richtet Louise ihre Worte schlieÃlich direkt an sie, Augenpaare die zu ihr wandern, neugierig und wissend.
âWas willst du damit sagen, Mutter?â, erkundigt sie sich nur widerstrebend, versucht höflich und freundlich zu sein.
âNun ja, all dasâ, sie mustert die Familie ihrer Tochter, blickt missbilligend von einem zum anderen. âEine Tochter, zwei scheinbar liebreizende Enkeltöchter. Wenn ich mich rechte erinnere, gehörte das nicht unbedingt zu deinem Lebensplan.â
âPläne können sich ändernâ, stöÃt sie zwischen zusammengepressten Lippen hervor, nicht dieses Thema, nicht in der Gegenwart von Rory, nicht in der Gegenwart von Lorelai, nicht gerade jetzt, überhaupt nicht. âWürdest du mir bitte die Brötchen reichen, Rory?â, weicht sie ab, ahnt, dass es keinerlei Erfolg haben wird.
âNatürlich, Grandmaâ, kommt sie der Aufforderung nach, hofft das Thema ist noch nicht vom Tisch, ist neugierig, kann an den Augen ihrer Mutter sehen, dass sie es ebenfalls ist.
âDanke.â
âAber weshalb, Emily? Woher kam dieser plötzliche Sinneswandel? Dieser fragwürdige und äuÃerst dumme Beschluss, deine â mit Verlaub âhochgestochenen Pläne zugunsten dieses Lebens aufzugeben?â, für einige Sekunden entsteht ein unangenehmes Schweigen, Besteck klappert leise auf dem feinen Porzellan, das einzig wahrnehmbare Geräusch, keiner scheint es zu wagen zu atmen.
âEs war kein plötzlicher Sinneswandelâ, obwohl sie versucht ruhig zu wirken, will es ihr nur schlecht gelingen, während ihr Unbehagen wächst. âEs war eine wohl überlegte Entscheidung.â
âGenauso wohl überlegt, wie James den Laufpass zu geben?â, entgegnet Louise spitz und ihre Worte durchschneiden die Luft, so wie ihr Messer den Fasan. Ein gezielter Schnitt, der Versuch die inneren Schichten offen zu legen, die Torheit ihrer Tochter zu begreifen, sie ihr vor Augen zu halten.
âJames war ein Vollidiotâ, sie ärgert sich über ihre unüberlegte ÃuÃerung, greift mit zitternden Händen nach ihrem Wasserglas und trinkt hastig ein paar Schlucke der kühlen Flüssigkeit. Lorelai und Rory werfen sich währenddessen einen bedeutungsvollen Blick zu, Richard wirkt amüsiert über alle MaÃen, ein Amüsement, das schnell wieder verschwindet, als er die Blässe im Gesicht Emilys bemerkt.
âIch dachte immer James sei nicht der Grund gewesen, sondern deine verstiegene Absicht zu studieren. Aber wie du siehst, Rupert, haben wir doch Recht behalten. Frauen sind nun Mal nicht für das Studium gemachtâ, ihre Stimme wird lauter, ihr Tonfall gleicht gefährlich dem eines aufgebrachten Kojoten. âSchon gar nicht du, Emily, flatterhaft und einfältig wie du immer warst. Man muss seine geistigen Grenzen eben kennen.â
âMutter, bitte!â, ist alles was sie zu entgegnen weiÃ, ein gefrorenes Lächeln auf den Lippen, ein gefährliches Pochen in ihren Schläfen.
âWas denn Emily?â, entgegnet Louise nach wie vor ungehalten. âDu hättest James heiraten können, dann hättest du dein Leben nicht mit einem Mann verbringen müssen, der es in all den Jahren nicht einmal auf eine eigene Firma gebracht hat. Ein Mann von dem du getrennt lebst, soweit ich weià - auch wenn er das noch nicht so ganz zu begriffen haben scheint, denn sonst wäre während des Cocktails wohl niemals zu diesem Eklat gekommen. Sieh dir deine Schwestern an, sie haben es zu etwas gebracht, angesehene Frauen mit exzellenten Ehemännern, Jacques ist Dekan an der Sorbonne, Lionel wird für den Senat kandidieren. James, der dein Ehemann sein könnte, hat bereits einen Sitz im Senat, seine Firma macht rekordverdächtige Umsätze, seine Gattin geht im WeiÃen Haus ein und aus. Du hast eine glänzende Zukunft an seiner Seite für ein nie abgeschlossenes Studium, ein uneheliches Kind und einen Versicherungsagenten weggeworfen. Ein Gilmore!â, sie spricht den Namen aus, als handle es sich um ein schmutziges Wort, anrüchig und verfemt.
âDie Gilmores sind eine sehr angesehene Familieâ, sie fährt sich über die Stirn, wirft Richard einen flehenden Blick zu, doch dieser bedenkt sie lediglich mit einem Stirnrunzeln, mustert sie eindringlich.
âAngesehen?â, wendet ihr Vater mit verächtlicher Stimme ein, unterstreicht seine folgenden Worte mit energischen Handbewegungen. âUnsere Familie gehört zu den angesehensten des Landes, wir haben mehr als einen bedeutenden Präsidenten hervorgebracht und du heiratest einen Gilmore, neureiche Emporkömmlinge mit zweifelhaften Prinzipien. Thomas Jefferson war bereits Präsident dieses Landes, als die Gilmores noch Kartoffeln in Europa geerntet haben. Dreimal Emily, dreimal ist dein indolenter Ehemann haarscharf der Insolvenz entronnen. 1971, 1975 und vor zwei Jahren erst wieder. Als dein Vater hätte ich mir wirklich Besseres für dich gewünscht, als das hier. Aber etwas anderes habe ich offen gestanden nie von dir erwartet, eine Schande ist es.â
Eine Welle des Entsetzens und der Ãbelkeit steigt in ihr empor, sie springt auf, ihre Serviette fällt lautlos zu Boden. âEntschuldigt mich bitteâ, ohne dabei jemandem in die Augen zu sehen, geht sie schnellen Schrittes aus dem Raum.
Lorelai hingegen sieht mit offenem Mund von ihrem GroÃvater zu Rory, die sichtlich verwirrt ist, die Augenbrauen zusammengezogen, ein leises âWowhâ mit den Lippen formt.
âAllerdingsâ, entgegnet Lorelai ebenso leise, versucht den Gesichtsausdruck ihres Vaters zu deuten. Doch anstelle des Ãrgers den sie darin vermutet hätte, kann sie lediglich eine gewisse Verblüffung und Besorgnis ausmachen. Zudem beginnen die Worte Louise Johnsons langsam durchzusickern, ergeben ein unklares Bild, das sie beim besten Willen nicht verstehen kann. Ein uneheliches Kind, welches uneheliche Kind? Rory war gewiss nicht damit gemeint, wer dann? Sie ist das einzigeâ¦.. âScheiÃeâ, entschlüpft es ihr in unangemessener Lautstärke. Sie lächelt umgehend, entschuldigt sich, wirft ihre Serviette auf den Tisch. âIch denke, ich werde nach Mom sehen.â
âDas wird nicht nötig seinâ, wirft ihr Vater ein, erhebt sich eilig.
âAber â â, versucht sie zu protestieren, sie muss mit ihrer Mutter sprechen und zwar sofort.
âNein, Lorelai. Ich erledige dasâ, weist er sie schon im Gehen zu Recht, lässt eine reduzierte, teils perplexe, teils pikierte Tischgesellschaft zurück.
Er findet sie im Badezimmer ihres Zimmer vor, über das Waschbecken gelehnt, sie stützt sich mit beiden Händen darauf ab, den Kopf tief gesenkt.
âEmilyâ, fragt er, Besorgnis schwingt in seiner Stimme mit, sie fährt wie elektrisiert herum, lächelt, es ist kein echtes Lächeln, das erkennt er sofort. âIst alles in Ordnung?â
âNatürlichâ, noch immer dieses gezwungene Lächeln, ihre Wangen sind rot, glühen beinahe, jetzt tun sie es wirklich, er hat sich vorhin nicht getäuscht, geht ein paar Schritte auf sie zu.
âSicher?â, hakt er nach, er kennt diesen Blick, weiÃ, dass etwas nicht stimmt, es nicht nur die Worte ihrer Mutter, ihres Vaters waren, die sie in die hierher haben flüchten lassen.
âWenn ich es dir doch sageâ, sie versucht ihrer Stimme einen festen Tonfall zu verleihen, es gelingt ihr jedoch nicht wirklich, ihre Antwort gleicht mehr einem heisere Krächzen.
âDu hast Fieberâ, wendet er ein und sie schüttelt energisch den Kopf.
âMach dich nicht lächerlich, Richard.â
âDasselbe könnte ich dir sagenâ, er legt eine Hand auf ihre Stirn, sie fühlt sich heià an, glüht tatsächlich. âWusste ich es doch, du hast Fieber. Das sind mindestens 40 Grad!â
âEs geht mir gutâ, sie bemerkt seinen skeptischen Blick. âWirklichâ, um ihre Worte tatkräftig zu unterlegen geht sie ein paar Schritte in Richtung Schlafzimmer, stützt sich schlieÃlich an der Wand ab, reibt sich die Schläfe, bohrende Schläge gegen die Schädeldecke, sie hat Mühe nicht wie ein kleines Kind vor Schmerz aufzuheulen.
âDu gehörst ins Bett, Emily.â
âDas tue ich nichtâ, zischt sie, richtet sich wieder auf, lächelt wieder. âSiehst du? Es geht mir hervorragend.â
âWir kennen uns seit vierzig Jahren, Emily. Wenn ich etwas daraus gelernt habe, dann zu sehen, wann es dir gut geht und wann nicht.â
âDas sagst ausgerechnet duâ, sie beginnt leise zu lachen, eine hysterische Kompensation. âAls du unbedingt nach Vietnam wolltest, da ging es mir nicht gut. Als du nach vier verdammten Jahren zurückgekommen bist und mich wie eine Aussätzige behandelt hast, da ging es mir nicht gut. Als du in den letzten Jahren unserer Ehe nichts anderes mehr getan hast, als zu arbeiten, da ging es mir nicht gut. Aber das alles hat dich überhaupt nicht interessiert. Weshalb, Richard, weshalb sollte es dir etwas ausmachen, dass es mir jetzt vielleicht nicht ganz so gut geht!?! Und glaub mir, im Vergleich zu all dem geht es mir im Moment wirklich ausgezeichnet!â, sie hält inne, sieht ihn mit einer Mischung aus Zorn und Verzweiflung an. âEs tut mir leid Richardâ, stöÃt sie hervor. âIch wollte nicht, ich ââ, eine kurze Pause.â Bitte lass uns wieder nach unten gehen, sie warten sicherlich schon.â
Er fühlt sich wie vor den Kopf geschlagen, begreift nicht, woher dieser plötzliche Angriff kommt, weswegen sie sich plötzlich gegen ihn wendet. Er zögert einen Augenblick, würde zu gerne etwas auf ihre Anschuldigungen erwidern, doch der Zeitpunkt erscheint ihm mehr als unangebracht. Er hält sie dennoch am Ellenbogen fest, hält sie zurück. âEmily, du musst das nicht tun. Wir können jederzeit abreisen.â
âEs sind meine Eltern, sie haben uns eingeladen. Es wäre unhöflich einfach so zu gehenâ, erwidert sie mit fester Stimme, obwohl sie am Ende ist, ganz erschlagen, nur noch weg will, weg von hier, der ganzen Situation, von allem, ohne Wiederkehr.
âEltern hin oder her, ich gestatte es nicht, dass jemand so mit dir redet!â
âDu meinst über dichâ, sie schwankt ein wenig, bemerkt dankbar, dass er sie stützt, wünschte doch, er würde es nicht tun, er würde sie allein lassen, sie will nicht, dass er sie so sieht. Sie kann nicht mehr klar denken. Dachte sie schon den ganzen Tag es sei zuviel, sie würde zerbrechen, so tut sie es jetzt, keinen klaren Gedanken kann sie mehr fassen, sie gleiten ihr durch die Finger wie flüssiges Wachs.
âMich haben sie nicht persönlich angegriffen.â
âDie Angriffe deiner Mutter auf mich, haben dich nie gestört.â
âHör auf, Emilyâ, erwidert er laut und sie zuckt zusammen. âHier geht es nicht um meine Mutter oder unsere Ehe.â
âWorum geht es deiner Meinung nach dann?â
âDarum, dass du momentan ganz bestimmt nicht in der Lage bist, dieses Essen durchzustehen.â
âDas bin ich sehr wohl!â, lügt sie, weià selbst nicht mehr warum. Alles was sie weiÃ, ist das sie dieses Dröhnen keine Sekunde länger erträgt.
âAch ja? Wenn es dir wirklich gut gehen würde, dann hättest du dir ihr Verhalten nicht gefallen lassen, weshalb sollte überhaupt irgendjemand ein derartiges Verhalten tolerieren?â
âWeil sie Recht habenâ, entgegnet sie leise. âZumindest was mich betrifftâ, sie blinzelt, versucht so die bunten Karos, die immer schneller, immer unkoordinierter vor ihren Augen tanzen, los zu werden. Wartet einen Augenblick, ehe sie sich wieder einigermaÃen unter Kontrolle zu haben scheint. âBitte, lass uns jetzt endlich dieses verdammte Essen hinter uns bringenâ, ihre Knie geben nach, sie spürt noch, wie Richard sie umfängt, ehe alles um sie herum endgültig schwarz und lautlos wird.
To be continued
ATN: Ich weiÃ, ich weiÃ, ich wollte erst wieder posten, wenn Püs es tut â aber ob dessen, was bald auf Küs zukommt, wollte ich sie einfach schon Mal⦠beschwichtigen..??? *räusper*
Noch ist nur die kleine Tafel gedeckt, natürlich, das groÃe Fest wird erst in zwei Tagen sein. Jetzt nimmt man das Essen noch im geschmackvoll eingerichteten Wintersalon ein, angeregtes Tischgeplauder erfüllt den Raum, keine Silbe über den unsäglichen Vorfall, Unverfänglichkeit, wo Emily mehr ahnt, wie eine Katze auf der Lauer liegt, bereit zum Sprung, bereit für alles. Appetitlos schiebt sie ihren Fasan auf dem Teller hin und her, nippt lediglich hin und wieder am Wasser, während sie den teuren französischen Wein ignoriert, sich wünscht eine fünfte Aspirin eingenommen zu haben. Manchmal schielt sie zu Lorelai, doch diese weicht ihrem Blick aus, wenn sie sich doch treffen, ihre Augenpaare, sieht sie nur Kälte darin, beinahe Hass ist es, erschreckend und verletzend zugleich. Sie wünscht sich endgültig Richard hätte sich nicht zu dieser dummen Alberei hinreiÃen lassen, zu hoch ist der Preis für einen einzelnen Kuss â und sie haben erst angefangen die Raten dafür zu zahlen, der groÃe Brocken, er wird noch kommen, sie weià es genau.
âEine Schande, dass wir deinen Ehemann nicht kennen lernen können, Lorelaiâ, wendet sich Louise Johnson plötzlich an ihre Enkelin und Emily richtet sich alarmiert auf. Du wärst begeistert gewesen, Mutter, denkt sie sich, ein Traumschwiegersohn aus bestem Hause, ein regelrechter Prinz Charming. Aussprechen, aussprechen tut sie es nicht, lauscht stattdessen den entschuldigenden Ausführungen Lorelais. Das Gespräch wird auf Ruth gelenkt, auf das Hotel, sie weià selbst nicht weswegen, aber sie hat Mühe ihm zu folgen, es kommt ihr seltsam fern vor. Auch die Dinge die sie selbst sagt, sie hört sie nur aus weiter Ferne, wie durch ein dickes Federkissen.
âWirklich seltsam, dass du trotz allem so glücklich zu sein scheinstâ, richtet Louise ihre Worte schlieÃlich direkt an sie, Augenpaare die zu ihr wandern, neugierig und wissend.
âWas willst du damit sagen, Mutter?â, erkundigt sie sich nur widerstrebend, versucht höflich und freundlich zu sein.
âNun ja, all dasâ, sie mustert die Familie ihrer Tochter, blickt missbilligend von einem zum anderen. âEine Tochter, zwei scheinbar liebreizende Enkeltöchter. Wenn ich mich rechte erinnere, gehörte das nicht unbedingt zu deinem Lebensplan.â
âPläne können sich ändernâ, stöÃt sie zwischen zusammengepressten Lippen hervor, nicht dieses Thema, nicht in der Gegenwart von Rory, nicht in der Gegenwart von Lorelai, nicht gerade jetzt, überhaupt nicht. âWürdest du mir bitte die Brötchen reichen, Rory?â, weicht sie ab, ahnt, dass es keinerlei Erfolg haben wird.
âNatürlich, Grandmaâ, kommt sie der Aufforderung nach, hofft das Thema ist noch nicht vom Tisch, ist neugierig, kann an den Augen ihrer Mutter sehen, dass sie es ebenfalls ist.
âDanke.â
âAber weshalb, Emily? Woher kam dieser plötzliche Sinneswandel? Dieser fragwürdige und äuÃerst dumme Beschluss, deine â mit Verlaub âhochgestochenen Pläne zugunsten dieses Lebens aufzugeben?â, für einige Sekunden entsteht ein unangenehmes Schweigen, Besteck klappert leise auf dem feinen Porzellan, das einzig wahrnehmbare Geräusch, keiner scheint es zu wagen zu atmen.
âEs war kein plötzlicher Sinneswandelâ, obwohl sie versucht ruhig zu wirken, will es ihr nur schlecht gelingen, während ihr Unbehagen wächst. âEs war eine wohl überlegte Entscheidung.â
âGenauso wohl überlegt, wie James den Laufpass zu geben?â, entgegnet Louise spitz und ihre Worte durchschneiden die Luft, so wie ihr Messer den Fasan. Ein gezielter Schnitt, der Versuch die inneren Schichten offen zu legen, die Torheit ihrer Tochter zu begreifen, sie ihr vor Augen zu halten.
âJames war ein Vollidiotâ, sie ärgert sich über ihre unüberlegte ÃuÃerung, greift mit zitternden Händen nach ihrem Wasserglas und trinkt hastig ein paar Schlucke der kühlen Flüssigkeit. Lorelai und Rory werfen sich währenddessen einen bedeutungsvollen Blick zu, Richard wirkt amüsiert über alle MaÃen, ein Amüsement, das schnell wieder verschwindet, als er die Blässe im Gesicht Emilys bemerkt.
âIch dachte immer James sei nicht der Grund gewesen, sondern deine verstiegene Absicht zu studieren. Aber wie du siehst, Rupert, haben wir doch Recht behalten. Frauen sind nun Mal nicht für das Studium gemachtâ, ihre Stimme wird lauter, ihr Tonfall gleicht gefährlich dem eines aufgebrachten Kojoten. âSchon gar nicht du, Emily, flatterhaft und einfältig wie du immer warst. Man muss seine geistigen Grenzen eben kennen.â
âMutter, bitte!â, ist alles was sie zu entgegnen weiÃ, ein gefrorenes Lächeln auf den Lippen, ein gefährliches Pochen in ihren Schläfen.
âWas denn Emily?â, entgegnet Louise nach wie vor ungehalten. âDu hättest James heiraten können, dann hättest du dein Leben nicht mit einem Mann verbringen müssen, der es in all den Jahren nicht einmal auf eine eigene Firma gebracht hat. Ein Mann von dem du getrennt lebst, soweit ich weià - auch wenn er das noch nicht so ganz zu begriffen haben scheint, denn sonst wäre während des Cocktails wohl niemals zu diesem Eklat gekommen. Sieh dir deine Schwestern an, sie haben es zu etwas gebracht, angesehene Frauen mit exzellenten Ehemännern, Jacques ist Dekan an der Sorbonne, Lionel wird für den Senat kandidieren. James, der dein Ehemann sein könnte, hat bereits einen Sitz im Senat, seine Firma macht rekordverdächtige Umsätze, seine Gattin geht im WeiÃen Haus ein und aus. Du hast eine glänzende Zukunft an seiner Seite für ein nie abgeschlossenes Studium, ein uneheliches Kind und einen Versicherungsagenten weggeworfen. Ein Gilmore!â, sie spricht den Namen aus, als handle es sich um ein schmutziges Wort, anrüchig und verfemt.
âDie Gilmores sind eine sehr angesehene Familieâ, sie fährt sich über die Stirn, wirft Richard einen flehenden Blick zu, doch dieser bedenkt sie lediglich mit einem Stirnrunzeln, mustert sie eindringlich.
âAngesehen?â, wendet ihr Vater mit verächtlicher Stimme ein, unterstreicht seine folgenden Worte mit energischen Handbewegungen. âUnsere Familie gehört zu den angesehensten des Landes, wir haben mehr als einen bedeutenden Präsidenten hervorgebracht und du heiratest einen Gilmore, neureiche Emporkömmlinge mit zweifelhaften Prinzipien. Thomas Jefferson war bereits Präsident dieses Landes, als die Gilmores noch Kartoffeln in Europa geerntet haben. Dreimal Emily, dreimal ist dein indolenter Ehemann haarscharf der Insolvenz entronnen. 1971, 1975 und vor zwei Jahren erst wieder. Als dein Vater hätte ich mir wirklich Besseres für dich gewünscht, als das hier. Aber etwas anderes habe ich offen gestanden nie von dir erwartet, eine Schande ist es.â
Eine Welle des Entsetzens und der Ãbelkeit steigt in ihr empor, sie springt auf, ihre Serviette fällt lautlos zu Boden. âEntschuldigt mich bitteâ, ohne dabei jemandem in die Augen zu sehen, geht sie schnellen Schrittes aus dem Raum.
Lorelai hingegen sieht mit offenem Mund von ihrem GroÃvater zu Rory, die sichtlich verwirrt ist, die Augenbrauen zusammengezogen, ein leises âWowhâ mit den Lippen formt.
âAllerdingsâ, entgegnet Lorelai ebenso leise, versucht den Gesichtsausdruck ihres Vaters zu deuten. Doch anstelle des Ãrgers den sie darin vermutet hätte, kann sie lediglich eine gewisse Verblüffung und Besorgnis ausmachen. Zudem beginnen die Worte Louise Johnsons langsam durchzusickern, ergeben ein unklares Bild, das sie beim besten Willen nicht verstehen kann. Ein uneheliches Kind, welches uneheliche Kind? Rory war gewiss nicht damit gemeint, wer dann? Sie ist das einzigeâ¦.. âScheiÃeâ, entschlüpft es ihr in unangemessener Lautstärke. Sie lächelt umgehend, entschuldigt sich, wirft ihre Serviette auf den Tisch. âIch denke, ich werde nach Mom sehen.â
âDas wird nicht nötig seinâ, wirft ihr Vater ein, erhebt sich eilig.
âAber â â, versucht sie zu protestieren, sie muss mit ihrer Mutter sprechen und zwar sofort.
âNein, Lorelai. Ich erledige dasâ, weist er sie schon im Gehen zu Recht, lässt eine reduzierte, teils perplexe, teils pikierte Tischgesellschaft zurück.
Er findet sie im Badezimmer ihres Zimmer vor, über das Waschbecken gelehnt, sie stützt sich mit beiden Händen darauf ab, den Kopf tief gesenkt.
âEmilyâ, fragt er, Besorgnis schwingt in seiner Stimme mit, sie fährt wie elektrisiert herum, lächelt, es ist kein echtes Lächeln, das erkennt er sofort. âIst alles in Ordnung?â
âNatürlichâ, noch immer dieses gezwungene Lächeln, ihre Wangen sind rot, glühen beinahe, jetzt tun sie es wirklich, er hat sich vorhin nicht getäuscht, geht ein paar Schritte auf sie zu.
âSicher?â, hakt er nach, er kennt diesen Blick, weiÃ, dass etwas nicht stimmt, es nicht nur die Worte ihrer Mutter, ihres Vaters waren, die sie in die hierher haben flüchten lassen.
âWenn ich es dir doch sageâ, sie versucht ihrer Stimme einen festen Tonfall zu verleihen, es gelingt ihr jedoch nicht wirklich, ihre Antwort gleicht mehr einem heisere Krächzen.
âDu hast Fieberâ, wendet er ein und sie schüttelt energisch den Kopf.
âMach dich nicht lächerlich, Richard.â
âDasselbe könnte ich dir sagenâ, er legt eine Hand auf ihre Stirn, sie fühlt sich heià an, glüht tatsächlich. âWusste ich es doch, du hast Fieber. Das sind mindestens 40 Grad!â
âEs geht mir gutâ, sie bemerkt seinen skeptischen Blick. âWirklichâ, um ihre Worte tatkräftig zu unterlegen geht sie ein paar Schritte in Richtung Schlafzimmer, stützt sich schlieÃlich an der Wand ab, reibt sich die Schläfe, bohrende Schläge gegen die Schädeldecke, sie hat Mühe nicht wie ein kleines Kind vor Schmerz aufzuheulen.
âDu gehörst ins Bett, Emily.â
âDas tue ich nichtâ, zischt sie, richtet sich wieder auf, lächelt wieder. âSiehst du? Es geht mir hervorragend.â
âWir kennen uns seit vierzig Jahren, Emily. Wenn ich etwas daraus gelernt habe, dann zu sehen, wann es dir gut geht und wann nicht.â
âDas sagst ausgerechnet duâ, sie beginnt leise zu lachen, eine hysterische Kompensation. âAls du unbedingt nach Vietnam wolltest, da ging es mir nicht gut. Als du nach vier verdammten Jahren zurückgekommen bist und mich wie eine Aussätzige behandelt hast, da ging es mir nicht gut. Als du in den letzten Jahren unserer Ehe nichts anderes mehr getan hast, als zu arbeiten, da ging es mir nicht gut. Aber das alles hat dich überhaupt nicht interessiert. Weshalb, Richard, weshalb sollte es dir etwas ausmachen, dass es mir jetzt vielleicht nicht ganz so gut geht!?! Und glaub mir, im Vergleich zu all dem geht es mir im Moment wirklich ausgezeichnet!â, sie hält inne, sieht ihn mit einer Mischung aus Zorn und Verzweiflung an. âEs tut mir leid Richardâ, stöÃt sie hervor. âIch wollte nicht, ich ââ, eine kurze Pause.â Bitte lass uns wieder nach unten gehen, sie warten sicherlich schon.â
Er fühlt sich wie vor den Kopf geschlagen, begreift nicht, woher dieser plötzliche Angriff kommt, weswegen sie sich plötzlich gegen ihn wendet. Er zögert einen Augenblick, würde zu gerne etwas auf ihre Anschuldigungen erwidern, doch der Zeitpunkt erscheint ihm mehr als unangebracht. Er hält sie dennoch am Ellenbogen fest, hält sie zurück. âEmily, du musst das nicht tun. Wir können jederzeit abreisen.â
âEs sind meine Eltern, sie haben uns eingeladen. Es wäre unhöflich einfach so zu gehenâ, erwidert sie mit fester Stimme, obwohl sie am Ende ist, ganz erschlagen, nur noch weg will, weg von hier, der ganzen Situation, von allem, ohne Wiederkehr.
âEltern hin oder her, ich gestatte es nicht, dass jemand so mit dir redet!â
âDu meinst über dichâ, sie schwankt ein wenig, bemerkt dankbar, dass er sie stützt, wünschte doch, er würde es nicht tun, er würde sie allein lassen, sie will nicht, dass er sie so sieht. Sie kann nicht mehr klar denken. Dachte sie schon den ganzen Tag es sei zuviel, sie würde zerbrechen, so tut sie es jetzt, keinen klaren Gedanken kann sie mehr fassen, sie gleiten ihr durch die Finger wie flüssiges Wachs.
âMich haben sie nicht persönlich angegriffen.â
âDie Angriffe deiner Mutter auf mich, haben dich nie gestört.â
âHör auf, Emilyâ, erwidert er laut und sie zuckt zusammen. âHier geht es nicht um meine Mutter oder unsere Ehe.â
âWorum geht es deiner Meinung nach dann?â
âDarum, dass du momentan ganz bestimmt nicht in der Lage bist, dieses Essen durchzustehen.â
âDas bin ich sehr wohl!â, lügt sie, weià selbst nicht mehr warum. Alles was sie weiÃ, ist das sie dieses Dröhnen keine Sekunde länger erträgt.
âAch ja? Wenn es dir wirklich gut gehen würde, dann hättest du dir ihr Verhalten nicht gefallen lassen, weshalb sollte überhaupt irgendjemand ein derartiges Verhalten tolerieren?â
âWeil sie Recht habenâ, entgegnet sie leise. âZumindest was mich betrifftâ, sie blinzelt, versucht so die bunten Karos, die immer schneller, immer unkoordinierter vor ihren Augen tanzen, los zu werden. Wartet einen Augenblick, ehe sie sich wieder einigermaÃen unter Kontrolle zu haben scheint. âBitte, lass uns jetzt endlich dieses verdammte Essen hinter uns bringenâ, ihre Knie geben nach, sie spürt noch, wie Richard sie umfängt, ehe alles um sie herum endgültig schwarz und lautlos wird.
To be continued
ATN: Ich weiÃ, ich weiÃ, ich wollte erst wieder posten, wenn Püs es tut â aber ob dessen, was bald auf Küs zukommt, wollte ich sie einfach schon Mal⦠beschwichtigen..??? *räusper*