04.09.2005, 13:37
Die Tür des Hotelzimmers öffnet sich sofort, ein kurzes Klopfen hat genügt, obwohl es noch früh am Morgen ist, die Sonne noch dabei ist, sich aus den dicken, grauen Nebelschwaden zu schälen.
âGuten Morgenâ, begrüÃt sie ihren Vater und er tritt einen Schritt zur Seite, eine stumme Aufforderung, das Zimmer zu betreten, der sie nachkommt.
Er schlieÃt die Tür hinter sich, fährt sich über das unrasierte Gesicht, dunkle Schatten unter seinen Augen, die schwarze Fliege hängt vergessen im Kragen seines zerknitterten Hemdes. âWie geht es ihr?â, erkundigt er sich besorgt. Es ist nur eine einfache Grippe, mahnt er sich dabei selbst, kein Grund sich übermäÃig zu sorgen. Es ist nicht die Grippe weswegen du dir Sorgen machst, denkt er im selben Augenblick.
âSie schläftâ, antwortet Lorelai. âAber ich denke, das Fieber hat nachgelassenâ, fügt sie eilig hinzu, als ihre Worte ihn nicht zu beruhigen scheinen, erzielt damit mehr Erfolg, ein erleichtertes Seufzen seinerseits.
âDas ist gutâ, er setzt sich auf den Rand des unberührten Hotelbettes, schüttelt den Kopf. âIch hätte ihr diese Schnapsidee ausreden sollen.â
âDas hättest selbst du nicht geschafftâ, sie sieht ihn an, beide können nicht umhin zu Lächeln und sie setzt sich neben ihn, starrt auf ihre Schuhspitzen.
âMan soll nichts schlechtes über die Verwandtschaft sagenâ, setzt er an. âAber Louise Johnson ist, sie ist ââ, er bricht ab.
âSieh es von der positiven Seite, Dadâ, versucht sie ihn zu ermuntern. âDu hast die schwiegermütterliche Missgunst nur einen Tag lang ertragen müssen und das in vierzig Jahren Ehe. Das ist doch ein gerechter Deal, findest du nicht?â
âVermutlichâ, wieder schüttelt er den Kopf, schnalzt leise mit der Zunge. âIch kann einfach nicht glauben, dass diese Frau, dass diese Familie, dass Emily tatsächlich dort groà geworden ist. Wie sie dort zu dem Mensch werden konnte, der sie ist.â
âOh, ich kann mir das sehr gut vorstellen, Dad, glaub mir.â
âDu hättest sie sehen sollen, als sie in Rorys Alter warâ, sagt er, klingt beinahe glücklich dabei. âSie war einfach unglaublich, so schön und klug, die Art und Weise wie sie sich bewegt hat, wie sie gelächelt hat, einfach alles an ihr war â es war perfekt. Ich war so unglaublich verliebt in sie, ich konnte an nichts anderes als sie denken, es war verrückt. Ich war verrückt nach ihr. Und ohne prahlen zu wollen, sie war verrückt nach mir.â
âIch schätze der Chevy kann das bezeugenâ, entgegnet Lorelai trocken und er sieht sie überrascht an.
âIch kann nicht glauben, dass sie dir davon erzählt hatâ, ein Lächeln.
âKeine Angst, sie hat die Details ausgelassen. Zum Glück hat sie sie ausgelassenâ, sie macht eine kleine Pause, die leichte Beschwingtheit weicht etwas anderem, Unverständnis, gepaart mit Wut, Angst und einer bleischweren Müdigkeit. Und plötzlich, so plötzlich, wie es damals verschwunden war, ist es wieder da. WeiÃe, feuchte Seide auf ihrer Wange, Feuchtigkeit, die in dem engen Raum verdampfte, während sie ihren Kopf an die Schulter ihrer Mutter presste. Leise in den weiÃen Stoff weinte, ihre Tränen und der Regen sich vermengten. Leise weinte, weil sie ihre Mutter nicht noch trauriger machen wollte. Weil sie überhaupt nicht verstand, weswegen sie traurig war, überhaupt nicht verstand, was vor sich ging. Nicht einmal gewusst hatte, dass Erwachsene weinen können. Das ihre Mutter es konnte. Und sie wollte nicht, dass sie es tat, sie wollte nicht, dass ihre Mutter weinte, dass sie traurig war.
âWo warst du?â, fragt sie, eine Flut der Erinnerungen, Fäuste und Tränen. Sie hat vergessen, vergessen, was war. Vergessen, wie ihre Mutter auf den fremden Mann einschlug, der eigentlich kein Fremder, sondern ihr Vater war. Auf ihren alten Vater einschlug, während sie auf dem Arm ihres neuen Vaters saÃ, irgendwann die Augen fest zusammenpresste, um nicht zu sehen, hoffte das es aufhören würde, wenn sie es sich nur fest genug wünschte. Sie hatte es nicht verstanden. Tut es jetzt nicht. âWo warst du, Daddy?â, wiederholt sie ihre Frage und Richard schüttelt sanft den Kopf. âSie hat geweintâ, fügt sie leise hinzu, spürt im selben Moment einen einzelnen Tropfen Wassers, der sich seinen Weg ihre Wange hinabbahnt. âUnd danach hat sie nie wieder damit aufgehört.â Es sind die Worte eines Kindes, sie weià es selbst. Versteht und versteht nicht. Denn obwohl jetzt alles ein klares Bild ergibt, so versteht sie dennoch nicht, kann es nicht verstehen, weswegen danach alles anders war. Weswegen sich die Versprechungen ihrer Mutter nicht erfüllt haben. Weswegen es da nie die Familie gab, die Emily ihr versprochen hatte. Vielleicht waren sie verwandt, aber eine Familie, nein. Jede einzelne Bindung entstand, bestand, aber eine Familie, niemals. Man hat sie einfach vergessen. Man hat das Versprechen vergessen, dass man ihr gegeben hat. Ihre Mutter hatte es vergessen. Hatte sie das?
Wir werden eine Familie sein, Engelchen, eine richtige Familie. Das hatte Emily ihr gesagt, hatte ihr es gesagt, nachdem sie Onkel William geküsst hatte. (Onkel William? Lorelai erschrickt über dies familiäre Anrede, denn als Familie kann man den Geliebten der Mutter wohl kaum bezeichnen. Den Geliebten. Den beinahe Ehemann. Ein weiÃes Kleid und Regen, Fäuste und Tränen. Was ist wahr, was Einbildung?) Sie starrt auf den FuÃboden, weià nicht, wie lange sie es schon tut, jede einzelne Faser darauf erscheint ihr mittlerweile vertraut. Wartet noch immer auf eine Antwort ihres Vaters. Doch dieser schweigt, starrt ebenfalls an irgendeinen Punkt des Raumes ohne zu wissen, was er sagen soll. âDad!?â, ruft sie mit plötzlicher Heftigkeit laut aus und er zuckt zusammen.âWie konntest du sie alleine lassen? Wie konntest du sie alleine lassen, wo du doch verliebt ins sie warst?â
âIch musste es tunâ, erwidert er und sie schnaubt. âMein Vater war in der Armeeâ, sucht er so gelassen wie möglich zu erklären. âMein GroÃvater war es, mein UrgroÃvater. Jeder männliche Gilmore hat gedient, Lorelai. Hätte ich diese Tradition brechen sollen, weil ich lieber mit einem Mädchen zusammen sein wollte?â
âDas Mädchen war schwanger, Dad. Es war schwanger und allein.â Für einen Augenblick stockt ihr der Atem, sie fragt sich von wem sie da eigentlich spricht, von sich, von ihrer Mutter. Ist es nicht egal? Das ist es nicht. Denn sie hatte niemanden, weil da niemand war. Du, du hattest niemanden, weil du da niemanden haben wolltest.
âMeine Mutter hat sich um sie gekümmert, Trix hat gut für sie, für euch gesorgtâ, sagt er knapp.
âSie war eine Fremde für sie.â
âAnfangs vielleicht, aber sie haben sich aneinander gewöhntâ, verteidigt er seine Mutter aus alter Manier, doch dieses Mal reagiert Lorelai nicht nur mit einem belustigten Augenverdrehen und Seufzen, wie sie es unter normalen Umständen getan hätte.
âSie haben sich nie aneinander gewöhnt, Dad. Gran war furchtbar zu Mom. Und das solange sie gelebt hatâ, plötzlich taucht doch etwas Belustigung in ihren Augen, ihrem Ton auf. âKein Wunder, ich meine Mom, sie war vermutlich nicht gerade das, was man sich unter der idealen Schwiegertochter vorstellt. Unehelich schwanger von ihrem einzigen Sohn â ein Sohn dessen erste Verlobung sie hat platzen lassen. Ein Wunder dass kein S auf ihrer Stirn prangt. Meine Mutter, Hester Prynne in der modernen Fassung. Halleluja, auf den Scheiterhaufen mit ihr.â
âDu übertreibst maÃlos.â
âTue ich das?â, ein kurzer Blickkontakt, gerunzelte Stirnen. âWeiÃt du Dad, ich begreife einfach nicht wie ich das alles vergessen konnteâ, wispert sie.
âWeil wir dich nicht daran erinnert haben. Wir waren froh, dass du es vergessen hast, weil wir uns nicht daran erinnern wollten. Emily und ich, wir haben dieses Kapitel unseres Lebens abgeschlossen, es war vorbei, wir haben nicht mehr darüber gesprochen, sondern stattdessen versucht neu anzufangen. Und du, du bist in diesem Neuanfang untergegangen, wir waren zu sehr mit anderen Dingen beschäftigtâ, er räuspert sich. âDeine Mutter war zu sehr damit beschäftigt mir zu helfen, Lorelai. Ich habe ihr von Dingen erzählt, furchtbaren Dingen, die kein Mensch jemals sehen oder erleben sollte. Und wenn er es dennoch tut, dann sollte er mit niemandem darüber sprechen. Schon gar nicht mit seiner Frau. Ich hätte ihr das niemals antun dürfen. Niemals hätte ich ihre Geduld so ausnutzen dürfen. Es hat ihr mehr geschadet, als mir geholfen. Ich glaube damals hat sie endgültig mit dem Träumen aufgehört. Sie hat es einfach abgestellt und wurde zu dieser furchtbar erwachsenen Frau, so unglaublich ernst. So ist sie eigentlich nicht, so war sie nicht als ich sie kennen lernte, auch wenn sie schon immer diese Distanz ausgestrahlt hatâ, er schluckt, lächelt leise in sich hinein. âWeiÃt du, als ich sie das erste Mal sah, da fand ich deine Mutter anziehend, sehr anziehend sogar. Aber ich hielt sie auch für furchtbar arrogant und kühl. Bis ich sie irgendwann richtig angesehen habe und da war etwas, da war jemand, den ich kennen lernen wollte. Und das habe ich auch geschafft, als sie mir erst vertraut hat, da habe ich eine Frau kennen gelernt, in die mich heillos verliebt habe, verlieben musste. Und ich hatte das Glück, dass sie sich in mich verliebt hat.â¦â, er kommt ein wenig ins Stocken, fasst sich schnell wieder, will es hinter sich bringen, falls das überhaupt geht. âIch wünschte ich könnte etwas anderes von mir sagen, aber ich habe Emily Stück für Stück umgebracht. Ich habe ihr all das wieder weggenommen was ich ihr gegeben hatte, alles Schöne, ich habe es kaputt gemacht. Alles was ich hoffe, was ich jetzt noch will, ist es wieder gut zu machen. Wir haben eine neue Chance bekommen, Lorelai. Wir haben es geschafft uns wieder ineinander zu verlieben. Ich will nicht, dass es wieder schief geht. Ich will einfach nur glücklich sein. Ich will, dass sie es ist.â
Lorelai sieht ihn an, hat es die ganze Zeit über getan, nimmt seine Hand und drückt sie, ein warmes Lächeln. Sie weià nicht was sie sagen sollte oder könnte, ist froh darüber, dass sein Blick keine Antwort, keine Erwiderung einfordert. Gleichzeitig ist da noch so vieles, was sie fragen will. Doch sie tut es nicht, ahnt, dass jede weitere Frage zuviel wäre, für ihn, für sie. Sie weiÃ, was sie wissen muss. Hat es von ihrem Vater gehört, ebenso wie von ihrer Mutter. Aber das Wichtigste ist wohl, dass sie jetzt daran glaubt, sie glaubt, dass Emily tatsächlich ihr Bestes gegeben hat, tatsächlich versucht hat, ihr Versprechen zu erfüllen. Es versucht hat und daran gescheitert ist.
To be continued.
âGuten Morgenâ, begrüÃt sie ihren Vater und er tritt einen Schritt zur Seite, eine stumme Aufforderung, das Zimmer zu betreten, der sie nachkommt.
Er schlieÃt die Tür hinter sich, fährt sich über das unrasierte Gesicht, dunkle Schatten unter seinen Augen, die schwarze Fliege hängt vergessen im Kragen seines zerknitterten Hemdes. âWie geht es ihr?â, erkundigt er sich besorgt. Es ist nur eine einfache Grippe, mahnt er sich dabei selbst, kein Grund sich übermäÃig zu sorgen. Es ist nicht die Grippe weswegen du dir Sorgen machst, denkt er im selben Augenblick.
âSie schläftâ, antwortet Lorelai. âAber ich denke, das Fieber hat nachgelassenâ, fügt sie eilig hinzu, als ihre Worte ihn nicht zu beruhigen scheinen, erzielt damit mehr Erfolg, ein erleichtertes Seufzen seinerseits.
âDas ist gutâ, er setzt sich auf den Rand des unberührten Hotelbettes, schüttelt den Kopf. âIch hätte ihr diese Schnapsidee ausreden sollen.â
âDas hättest selbst du nicht geschafftâ, sie sieht ihn an, beide können nicht umhin zu Lächeln und sie setzt sich neben ihn, starrt auf ihre Schuhspitzen.
âMan soll nichts schlechtes über die Verwandtschaft sagenâ, setzt er an. âAber Louise Johnson ist, sie ist ââ, er bricht ab.
âSieh es von der positiven Seite, Dadâ, versucht sie ihn zu ermuntern. âDu hast die schwiegermütterliche Missgunst nur einen Tag lang ertragen müssen und das in vierzig Jahren Ehe. Das ist doch ein gerechter Deal, findest du nicht?â
âVermutlichâ, wieder schüttelt er den Kopf, schnalzt leise mit der Zunge. âIch kann einfach nicht glauben, dass diese Frau, dass diese Familie, dass Emily tatsächlich dort groà geworden ist. Wie sie dort zu dem Mensch werden konnte, der sie ist.â
âOh, ich kann mir das sehr gut vorstellen, Dad, glaub mir.â
âDu hättest sie sehen sollen, als sie in Rorys Alter warâ, sagt er, klingt beinahe glücklich dabei. âSie war einfach unglaublich, so schön und klug, die Art und Weise wie sie sich bewegt hat, wie sie gelächelt hat, einfach alles an ihr war â es war perfekt. Ich war so unglaublich verliebt in sie, ich konnte an nichts anderes als sie denken, es war verrückt. Ich war verrückt nach ihr. Und ohne prahlen zu wollen, sie war verrückt nach mir.â
âIch schätze der Chevy kann das bezeugenâ, entgegnet Lorelai trocken und er sieht sie überrascht an.
âIch kann nicht glauben, dass sie dir davon erzählt hatâ, ein Lächeln.
âKeine Angst, sie hat die Details ausgelassen. Zum Glück hat sie sie ausgelassenâ, sie macht eine kleine Pause, die leichte Beschwingtheit weicht etwas anderem, Unverständnis, gepaart mit Wut, Angst und einer bleischweren Müdigkeit. Und plötzlich, so plötzlich, wie es damals verschwunden war, ist es wieder da. WeiÃe, feuchte Seide auf ihrer Wange, Feuchtigkeit, die in dem engen Raum verdampfte, während sie ihren Kopf an die Schulter ihrer Mutter presste. Leise in den weiÃen Stoff weinte, ihre Tränen und der Regen sich vermengten. Leise weinte, weil sie ihre Mutter nicht noch trauriger machen wollte. Weil sie überhaupt nicht verstand, weswegen sie traurig war, überhaupt nicht verstand, was vor sich ging. Nicht einmal gewusst hatte, dass Erwachsene weinen können. Das ihre Mutter es konnte. Und sie wollte nicht, dass sie es tat, sie wollte nicht, dass ihre Mutter weinte, dass sie traurig war.
âWo warst du?â, fragt sie, eine Flut der Erinnerungen, Fäuste und Tränen. Sie hat vergessen, vergessen, was war. Vergessen, wie ihre Mutter auf den fremden Mann einschlug, der eigentlich kein Fremder, sondern ihr Vater war. Auf ihren alten Vater einschlug, während sie auf dem Arm ihres neuen Vaters saÃ, irgendwann die Augen fest zusammenpresste, um nicht zu sehen, hoffte das es aufhören würde, wenn sie es sich nur fest genug wünschte. Sie hatte es nicht verstanden. Tut es jetzt nicht. âWo warst du, Daddy?â, wiederholt sie ihre Frage und Richard schüttelt sanft den Kopf. âSie hat geweintâ, fügt sie leise hinzu, spürt im selben Moment einen einzelnen Tropfen Wassers, der sich seinen Weg ihre Wange hinabbahnt. âUnd danach hat sie nie wieder damit aufgehört.â Es sind die Worte eines Kindes, sie weià es selbst. Versteht und versteht nicht. Denn obwohl jetzt alles ein klares Bild ergibt, so versteht sie dennoch nicht, kann es nicht verstehen, weswegen danach alles anders war. Weswegen sich die Versprechungen ihrer Mutter nicht erfüllt haben. Weswegen es da nie die Familie gab, die Emily ihr versprochen hatte. Vielleicht waren sie verwandt, aber eine Familie, nein. Jede einzelne Bindung entstand, bestand, aber eine Familie, niemals. Man hat sie einfach vergessen. Man hat das Versprechen vergessen, dass man ihr gegeben hat. Ihre Mutter hatte es vergessen. Hatte sie das?
Wir werden eine Familie sein, Engelchen, eine richtige Familie. Das hatte Emily ihr gesagt, hatte ihr es gesagt, nachdem sie Onkel William geküsst hatte. (Onkel William? Lorelai erschrickt über dies familiäre Anrede, denn als Familie kann man den Geliebten der Mutter wohl kaum bezeichnen. Den Geliebten. Den beinahe Ehemann. Ein weiÃes Kleid und Regen, Fäuste und Tränen. Was ist wahr, was Einbildung?) Sie starrt auf den FuÃboden, weià nicht, wie lange sie es schon tut, jede einzelne Faser darauf erscheint ihr mittlerweile vertraut. Wartet noch immer auf eine Antwort ihres Vaters. Doch dieser schweigt, starrt ebenfalls an irgendeinen Punkt des Raumes ohne zu wissen, was er sagen soll. âDad!?â, ruft sie mit plötzlicher Heftigkeit laut aus und er zuckt zusammen.âWie konntest du sie alleine lassen? Wie konntest du sie alleine lassen, wo du doch verliebt ins sie warst?â
âIch musste es tunâ, erwidert er und sie schnaubt. âMein Vater war in der Armeeâ, sucht er so gelassen wie möglich zu erklären. âMein GroÃvater war es, mein UrgroÃvater. Jeder männliche Gilmore hat gedient, Lorelai. Hätte ich diese Tradition brechen sollen, weil ich lieber mit einem Mädchen zusammen sein wollte?â
âDas Mädchen war schwanger, Dad. Es war schwanger und allein.â Für einen Augenblick stockt ihr der Atem, sie fragt sich von wem sie da eigentlich spricht, von sich, von ihrer Mutter. Ist es nicht egal? Das ist es nicht. Denn sie hatte niemanden, weil da niemand war. Du, du hattest niemanden, weil du da niemanden haben wolltest.
âMeine Mutter hat sich um sie gekümmert, Trix hat gut für sie, für euch gesorgtâ, sagt er knapp.
âSie war eine Fremde für sie.â
âAnfangs vielleicht, aber sie haben sich aneinander gewöhntâ, verteidigt er seine Mutter aus alter Manier, doch dieses Mal reagiert Lorelai nicht nur mit einem belustigten Augenverdrehen und Seufzen, wie sie es unter normalen Umständen getan hätte.
âSie haben sich nie aneinander gewöhnt, Dad. Gran war furchtbar zu Mom. Und das solange sie gelebt hatâ, plötzlich taucht doch etwas Belustigung in ihren Augen, ihrem Ton auf. âKein Wunder, ich meine Mom, sie war vermutlich nicht gerade das, was man sich unter der idealen Schwiegertochter vorstellt. Unehelich schwanger von ihrem einzigen Sohn â ein Sohn dessen erste Verlobung sie hat platzen lassen. Ein Wunder dass kein S auf ihrer Stirn prangt. Meine Mutter, Hester Prynne in der modernen Fassung. Halleluja, auf den Scheiterhaufen mit ihr.â
âDu übertreibst maÃlos.â
âTue ich das?â, ein kurzer Blickkontakt, gerunzelte Stirnen. âWeiÃt du Dad, ich begreife einfach nicht wie ich das alles vergessen konnteâ, wispert sie.
âWeil wir dich nicht daran erinnert haben. Wir waren froh, dass du es vergessen hast, weil wir uns nicht daran erinnern wollten. Emily und ich, wir haben dieses Kapitel unseres Lebens abgeschlossen, es war vorbei, wir haben nicht mehr darüber gesprochen, sondern stattdessen versucht neu anzufangen. Und du, du bist in diesem Neuanfang untergegangen, wir waren zu sehr mit anderen Dingen beschäftigtâ, er räuspert sich. âDeine Mutter war zu sehr damit beschäftigt mir zu helfen, Lorelai. Ich habe ihr von Dingen erzählt, furchtbaren Dingen, die kein Mensch jemals sehen oder erleben sollte. Und wenn er es dennoch tut, dann sollte er mit niemandem darüber sprechen. Schon gar nicht mit seiner Frau. Ich hätte ihr das niemals antun dürfen. Niemals hätte ich ihre Geduld so ausnutzen dürfen. Es hat ihr mehr geschadet, als mir geholfen. Ich glaube damals hat sie endgültig mit dem Träumen aufgehört. Sie hat es einfach abgestellt und wurde zu dieser furchtbar erwachsenen Frau, so unglaublich ernst. So ist sie eigentlich nicht, so war sie nicht als ich sie kennen lernte, auch wenn sie schon immer diese Distanz ausgestrahlt hatâ, er schluckt, lächelt leise in sich hinein. âWeiÃt du, als ich sie das erste Mal sah, da fand ich deine Mutter anziehend, sehr anziehend sogar. Aber ich hielt sie auch für furchtbar arrogant und kühl. Bis ich sie irgendwann richtig angesehen habe und da war etwas, da war jemand, den ich kennen lernen wollte. Und das habe ich auch geschafft, als sie mir erst vertraut hat, da habe ich eine Frau kennen gelernt, in die mich heillos verliebt habe, verlieben musste. Und ich hatte das Glück, dass sie sich in mich verliebt hat.â¦â, er kommt ein wenig ins Stocken, fasst sich schnell wieder, will es hinter sich bringen, falls das überhaupt geht. âIch wünschte ich könnte etwas anderes von mir sagen, aber ich habe Emily Stück für Stück umgebracht. Ich habe ihr all das wieder weggenommen was ich ihr gegeben hatte, alles Schöne, ich habe es kaputt gemacht. Alles was ich hoffe, was ich jetzt noch will, ist es wieder gut zu machen. Wir haben eine neue Chance bekommen, Lorelai. Wir haben es geschafft uns wieder ineinander zu verlieben. Ich will nicht, dass es wieder schief geht. Ich will einfach nur glücklich sein. Ich will, dass sie es ist.â
Lorelai sieht ihn an, hat es die ganze Zeit über getan, nimmt seine Hand und drückt sie, ein warmes Lächeln. Sie weià nicht was sie sagen sollte oder könnte, ist froh darüber, dass sein Blick keine Antwort, keine Erwiderung einfordert. Gleichzeitig ist da noch so vieles, was sie fragen will. Doch sie tut es nicht, ahnt, dass jede weitere Frage zuviel wäre, für ihn, für sie. Sie weiÃ, was sie wissen muss. Hat es von ihrem Vater gehört, ebenso wie von ihrer Mutter. Aber das Wichtigste ist wohl, dass sie jetzt daran glaubt, sie glaubt, dass Emily tatsächlich ihr Bestes gegeben hat, tatsächlich versucht hat, ihr Versprechen zu erfüllen. Es versucht hat und daran gescheitert ist.
To be continued.