27.12.2005, 02:02
Flashback (Rory kommt endlich nach Hause):
Jean saà fast zitternd am Küchentisch. Ihre Hände umgriffen verängstigt eine Tasse mit Tee. Das die Tasse heià war schien sie nicht wahr zu nehmen. Ihre Gedanken kreisten um Rory. Es war fast Mitternacht und Rory war nicht nach Hause gekommen. War ihr vielleicht irgendetwas passiert? Aus Sorge hatte sie bereits Lane, Rorys beste Freundin, angerufen, doch auch sie hatte keinen Schimmer wo Rory sich aufhielt. Jean schreckte auf, als sie die Haustür ins Schloss fallen hörte.
âRory?", stieà sie besorgt aus und lief zu Tür.
âHey! " Rory stand im Flur. Ihre Klamotten waren vom Regen durchweicht. Ihre Haare tropften.
âWo warst du Rory?"
âIch war im Krankenhaus", kommentierte die angesprochene nur kurz und wollte in ihr Zimmer gehen, als Jean sie am Arm festhielt.
âIm Krankenhaus? Ist dir etwas passiert? Ist alles okay bei dir? Bist du gesund?"
âNein mir ist nichts passiert. Alles in Ordnung."
Wieder wollte Rory in ihr Zimmer gehen, doch Jean lieà sie einfach nicht los.
âHalt! Du sagst mir jetzt was passiert ist. Ich habe mir Sorgen gemacht, Rory. Du hättest anrufen müssen, " sagte Jean bestimmend. Sie wurde sauer, als sie Rorys Gleichgültigkeit wahrnahm.
âTut mir leid. Meine Mu-, äh ich meine Lorelai hatte einen Autounfall und ich bin zu ihr ins Krankenhaus, um zu sehen ob alles in Ordnung ist."
Rory konnte den Schmerz in Jeans Augen erkennen. Jetzt hatte sie sie endgültig verletzt und ihr zu verstehen gegeben, dass nicht sie es war, die sie auf die Welt gebracht hatte. Verdammt, dass wollte sie doch gar nicht. Sie wollte niemanden verletzten und schon gar nicht Jean. Sie war immer für sie da gewesen. Sie war ihre Mutter.
Rory spürte wie ihre Gedanken darum kreisten wer nun ihre Mutter war. Hatte eine mehr Recht darauf? Es war alles so kompliziert und verfahren geworden in der letzten Zeit. Es gab nur noch Schwarz oder WeiÃ. Lorelai oder Jean und ihre Familie. Fakt war, dass Rory sich in Lorelais Gegenwart sehr wohl fühlte und jede Minute genoss. Hier in ihrer Pflegefamilie war alles so kompliziert geworden. Alle waren sauer auf sie, fühlten sich als wären sie auÃenvorstehend, doch so sollte es nicht sein. Warum freuten sie sich denn nicht einfach für sie? Warum unterstützte sie nur niemand?!
âDu hast für die nächsten zwei Wochen Hausarrest! Du bist erst sechzehn und du wirst nicht noch mal so spät wieder kommen, ohne uns vorher bescheid zu sagen." Jeans Trauer hatte sich in Wut gewandelt.
âDas ist jawohl nicht dein ernst?! Ich habe nichts Schlimmes getan! Ich war nur bei meiner Mutter, die verletzt im Krankenhaus liegt und fast ihr Baby verloren hätte! Lorelai würde mir nie Hausarrest geben! Ich hasse dich! Du bist nicht meine Mutter!", schrie Rory und löste sich aus Jeans Griff, um in ihr Zimmer laufen zu können. Während Rory nicht mal versuchte ihre Tränen zu verbergen, als die Treppe hoch rannte, stand Jean da und war wie erstarrt. Sie war nicht mal dazu in der Lage Tränen zu vergieÃen. Sie hatte ihre Tochter soeben verloren.
Rory knallte ihre Tür so zu, dass es im ganzen Haus ein Echo zu geben schien. Weinend warf sie sich auf ihr Bett und konnte nur daran denken wie grausam alles war. Natürlich hasste sie Jean nicht, das war ihr so raus gerutscht, aber warum verstand sie denn nicht?
Flashback Ende
Als Rory begann sich anzukleiden spürte sie, wie sich dieses dumpfe Hämmern weiter in ihrem Kopf ausbreitete. Ihr war fast ein wenig schwindelig. Zwar versuchte sie den Schmerz zu ignorieren, denn sicherlich waren dies die Folgen einer Nacht voller Tränen, doch es gelang ihr nicht. Ihre Gedanken hingen an Lorelai, an dem Baby und daran, dass sie es hier nicht mehr aushielt. In dieser Familie wurde sie aufgrund ihres Wunsches sich selbst zu suchen, sich zu erkennen, verurteilt. Was sollte sie tun? Wie konnte sie dieser misslichen Lage entkommen, diesem merkwürdigem Gefühl im Magen, wenn sie Dean ,oder auch Jean gegenübertrat. Vor allem aber fraÃen sie die Schuldgefühle auf, wenn sie in Claras traurigen Augen las. Sie fühlte sich schuldig, aber niemand, wirklich niemand, hatte das Recht sie zu für etwas büÃen zu lassen, woran sie keine Schuld trug und das war nun einmal diese Adoption. So sehr sie auch in den vergangenen Jahren versucht hatte diese Tatsache auszublenden, um vor allem ihrer Pflegefamilie den Schmerz zu ersparen, es fühlte sich einfach so unglaublich gut an, zu wissen wer man war und wo man her kam.
Rory sah in den Spiegel. Ihre Augen waren noch ein wenig angeschwollen und rot und doch erkannte sie sich selbst. Nur sie allein konnte an dieser Misere etwas ändern und allen Beteiligten noch mehr Kummer ersparen. Sie musste vor allem erst mal für sich selbst etwas finden, das ihr Stabilität bat. Hier konnte sie diese Stabilität nicht mehr finden. Dazu hatte sie ihrer Familie einmal zu oft vor den Kopf gestoÃen. Sie konnten sie nicht mehr lieben. Nicht mehr.
Leise betrat Rory Lorelais Krankenzimmer, denn sie glaubte, dass Lorelai noch schlief. Stattdessen blendeten sie jedoch die Sonnenstrahlen, die durch das groÃe Fenster fielen und eine noch müde aussehende Lorelai umhüllten.
âMorgen", begrüÃte Rory sie fast schüchtern und setzte sich auf den Stuhl am Bett.
âHey.." Lorelai bewegte sich mit Schmerzen, um Rory besser sehen zu können.
âWie gehtâs dir heute Morgen?"
âSagen wir mal, dass ich noch nicht bereit wäre auf groÃe Shopping-Tour zu gehen, aber sonst⦠nein im ernst. Mir gehtâs schon besser. Ich kann morgen sogar nach Hause."
âDas freut mich für dich."
âWas ist mit dir? So früh am Morgen hier⦠musst du nicht zur Schule?", fragte Lorelai.
Sie sah Rory an und erkannte sich, zum wiederholten Male, selbst wieder in ihrem Alter. Natürlich hatte sie zur Schule gemusst. Es schmeichelte ihr fast, dass sie nicht ging, obwohl sie so etwas nicht unterstützen sollte.
âNa ja, ich- es ist so, dass wir heute Sporttag in der Schule haben und ich mir dachte, dass ich meine Zeit besser nutzen könnte, " log Rory und erwähnte auch gar nicht erst, dass sie Hausarrest und sich mit Jean gestritten hatte. Das kein Sporttag war, war irrelevant.
Lorelai lächelte nur förmlich.
âDu bist gestern meiner Mutter begegnetâ¦"
âJa, ich habâ mich ein wenig mit ihr unterhalten. Sie ist sehr nett."
âJaâ¦"
Rory sah ein wenig ungeduldig auf die weiÃe Bettdecke. Ihre Gedanken kreisten immer noch darum, wie sie ihrer häuslichen Situation am besten entfliehen konnte.
Lorelai konnte Rorys verheulten Augen und ihrem starren Gesichtsausdruck ablesen, dass etwas nicht stimmte. Es besorgte sie, aber sie wollte sie nicht dazu drängen etwas zu sagen.
âRory, du weiÃt, dass wenn du reden willst oder keine Ahnung was⦠meine Tür steht immer offen."
Rory blickte zu ihr auf.
âDanke⦠Bist du nicht auf Hilfe angewiesen, wenn du morgen entlassen wirst? Ich meine, du bist Schwanger und dein Bein ist gebrochenâ¦"
âJa. Ich weià auch noch nicht wie ich das machen soll, aber mir wird schon noch was einfallen."
âWie- äh- wäre es denn, wenn ichâ¦ich könnte doch bei dir wohnenâ¦", stotterte Rory fast.
âDu mir hilfst? Ich glaube, dass das nicht möglich ist, " erklärte sie, doch als sie Rory enttäuschten Blick sah, bereute sie ihre unbedacht schnelle Antwort sofort.
âVersteh mich nicht falsch, Rory. Ich würde sehr gerne mehr Zeit mir dir verbringen, doch du musst zur Schule und ich bin mir nicht sicher, ob deine Pflegeeltern das erlauben würden.
In Rory keimte wieder ein Lichtstrahl an Hoffnungen auf.
âIch habe nur noch diese Woche Schule und dann sind erst mal drei Monate Ferien und Jean, sie erlaubt das bestimmt", erklärte Rory, während sie sich in Gedanken bereits beim Packen befand.
Lorelai überlegte einen Moment. Es wäre gut, für sie und Rory, sich besser kennen zu lernen, sich einander anzunähren und wenn sonst nichts dagegen sprach.
âAlso gut, aber ich möchte, dass du das vorher gut mit deiner Familie besprichst und ich würde gerne mit deiner Pflegemutter sprechen."
Rory schluckte. Musste sie tatsächlich mit Jean reden? Dass konnte doch nicht gut gehen. Sie würde sich was überlegen müssen.
âOkay?", fragte Lorelai noch mal nach.
âJa⦠Danke Lorelai."
Rory lächelte zum ersten Mal an diesem Morgen. Alles würde so werden, wie in ihren Träumen. Sie hatte nun ihre eigene Familie.
Als Rory von der âSchule" nach Hause kam, wollte sie nur in ihr Zimmer, ihre Sachen packen und dieses Haus verlassen. Allerdings musste sie noch mit Jean reden und im Grunde genommen war sie nicht sicher, wie diese darauf reagieren würde. Sie musste sie vor vollendete Tatsachen stellen. So würde sie nicht mehr groà diskutieren wollen und vor allem keine Fragen stellen. Rory war sich bewusst, dass diese Aktion alle Mitglieder dieser Familie sehr verletzen würde, aber sie wollte ihnen nur weiteren Ãrger mit ihr ersparen. Sie war eine Last für diese Familie geworden und bei allem, was sie für sie getan hatten, schuldete sie ihnen Respekt und Dank. Bevor Rory die erste Treppenstufe erreichen konnte hörte sie Jean ihren Namen rufen.
âKommst du mal bitte in die Küche?!"
Rory zuckte erst zusammen. Wusste Jean etwa schon bescheid, dass sie nicht in der Schule gewesen war? Dean war in der Schule. Er musste es ihr verraten haben. Es machte Rory wütend, wenn sie drüber nachdachte wie oft sie sein Schwänzen für sich behalten hatte. Gut, sie hatten oft gemeinsam geschwänzt, aber es ging einfach um das Prinzip. Seufzend legte Rory ihre Schultasche ab und schlurfte in die Küche, wo Jean sie bereits erwartete.
âSetz dich", meinte sie knapp.
Rory setzte sich ihr gegenüber auf den Stuhl, nahe der Tür. Das war am sichersten. So konnte sie schnell dem Gespräch entfliehen, wenn es ihr zu bunt wurde. In all den Jahren hatte sie gelernt, dass es besser war einer wütenden Jean aus dem Weg zu gehen. Wenn man nicht rechtzeitig die Flucht ergriff, klingelten einem noch Tage später die Ohren von ihrer Schreierei. Rory erinnerte sich an den Moment, als Jean sie und Dean im Keller beim Knutschen erwischt hatte. Sie waren nicht schnell genug gewesen, um den Worten, die folgten zu entfliehen. Tage lang sind die Fetzen geflogen, denn sowohl sie, als auch Dean hatten Jeans Argumentation, dass sie Geschwister waren nicht eingesehen und dementsprechend zurück gebrüllt. Im nachhinein musste Rory fast darüber grinsen, verkniff es sich aber angesichts der momentanen Gefühlslage aller.
âDa du nicht in der Schule warst, würde mich interessieren, wo du deine Zeit verbracht hast?", fragte Jean erstaunlicherweise sehr ruhig.
Natürlich konnte Rory nicht sehen, wie es um Jeans inneren Gemütszustand bestellt war, doch im Moment wirkte sie sehr ausgeglichen auf sie.
âIch- äh- war bei Lorelai. Ich wollte sehen wie es ihr geht undâ¦", erläuterte Rory, ihren Blick auf den Boden gerichtet.
âUnd?", hakte Jean nach.
âSie wird in nächster Zeit auf viel Hilfe angewiesen sein. Sie hat sich ja ihr Bein gebrochen und- und durch die Schwangerschaft⦠ich habe ihr meine Hilfe angeboten," erklärte Rory ein wenig unsicher und atmete erst ein mal tief durch.
âIn den Ferien?"
Rory nickte nur.
âSie möchte noch mit dir darüber sprechen, dass heiÃt wenn du nicht einverstanden bist, würde sie es nicht erlauben."
Jean sah sie an und versuchte ihre Emotionen unter Kontrolle zu halten.
Sie hatte ihre Tochter nun endgültig verloren. Was würde es jetzt bringen sich ihr in den Weg zu stellen und es so für alle Beteiligten noch schwerer zu machen. Sie liebte Rory viel zu sehr, um sie nicht ihren eigenen Weg gehen zu lassen. Immerhin war sie alt genug, um zu entscheiden was sie wollte und wenn sie mehr Kontakt zu ihrer leiblichen Mutter haben wollte, so musste sie sie gehen lassen und hoffte gleichzeitig, dass sie sie durch ihre Nachgiebigkeit nicht ganz verlieren würde. Ihre Hoffnung war, dass Rory von alleine wieder zu ihr nach Hause kam. Auch wusste Jean, dass nicht alles was sich Rory wohl ausgemalt hatte, in Erfüllung gehen würde. Nicht alles würde so sein wie sie es sich ein ganzes Leben lang vorgestellt hatte, sich ihre Familie vorgestellt hatte.
âWenn du das gerne möchtest, dann kann ich nichts dagegen sagen Rory, " erklärte Jean ruhig.
Hätte Rory in dem Moment in Jeans Augen gesehen, so hätte sie Tränen entdecken können. Stattdessen schluckte sie nur. Trauer überkam sie. Warum versuchte ihre Mutter nicht mal es ihr zu verbieten, oder sie zu halten? Warum stimmte sie einfach zu, dass Rory über die Ferien zu Lorelai zog? Wollte sie sich nicht mehr in ihrer Familie haben. Liebte sie sie nicht mehr? Hatte sie sie überhaupt jemals geliebt? Jetzt saà sie hier und hatte das erreicht, was sie gewollt hatte und doch musste Rory sich schwer zusammen reiÃen, um nicht auf der Stelle in Tränen auszubrechen. Warum fühlte sie sich auf einmal so schlecht? Sie würde jetzt endlich das Leben führen können, dass sie sich schon immer gewünscht hatte, so wie sie es sich vorgestellt hatteâ¦
âIch werde dann jetzt meine Sachen packen gehenâ¦"
Jean nickte nur.
Rory stand auf und verlieà tief bestürzt die Küche und lieà sich später weinend auf ihr Bett fallen.
Noch immer saà Jean in der Küche. Ihren Tränen lieà sie nun freien Lauf und hoffte in ihrem tiefsten Inneren, dass Rory das fand wonach sie suchte, damit sie glücklich sein konnte. Was Rory nicht wusste war, dass sie, Jean, am allerbesten nachvollziehen konnte, wie es war auf der Suche zum eigenen Ich zu sein. Auf einer Suche nach der Ganzheit, die sie sich einst von einem Menschen erwartet hatte. Eine Suche, die so viel Kraft erforderte, Tränen und Mut. Erst viel später hatte sie begriffen, auch wenn es ihr nie so erschienen war, dass der Mensch auch nur Mensch war und nicht Vollkommen. Auch wenn man sich das sehnlichst wünschte. Rory würde auch eines Tages zu dieser Erkenntnis kommen und dann war sie für sie da, um diese Erkenntnis mit ihr zu teilen.
Lorelai saà Gedankenverloren auf ihrem Sofa. Ihr gebrochenes Bein, welches ihr groÃe Schmerzen bereitete, stützte sie durch ihren kleinen Couchtisch. In weniger als einer Stunde würde Rory hier eintreffen und hier zunächst einmal für die Ferien einziehen. Obwohl sie es nicht zugeben würde, war Lorelai nervös und das fast mehr, als sie es ertragen konnte.
Vor ein paar Tagen hatte sie mit Jean über Rorys Auszug von Zuhause gesprochen und feststellen müssen, dass es sowohl Jean, als auch die Familie schwer getroffen haben musste, dass Rory sie âverlieÃ". Lorelai versuchte Jean zu überzeugen, dass sie nicht versuchte ihnen ihre Tochter wegzunehmen und sie würde sich nie zwischen Rory und ihre Familie zu stellen wollen, doch Jean schien ihr kaum zuzuhören. Sie wirkte abwesend und sprach nicht viel, so dass Lorelai ihre Mühe hatte nicht allzu erregt darüber zu berichten, wie gut sie und Rory sich verstanden. Auch wenn sie sich sehr darüber freute, dass sie nun wieder mit ihrer Tochter vereint wurde, so konnte sie nicht vergessen, dass zur selben Zeit eine Familie um ihre verlorene Tochter trauerte. Dieses Wissen trübte ihr sonst so sonniges Gemüt.
Was, wenn sie etwas falsch machte und Rory es zutiefst bereuen würde, je zu ihr gezogen zu sein?! Was, wenn sie sich nicht verstanden? Was, wenn Rory sich einfach nicht wohl fühlen würde?
Lorelai spürte wie ihr Kopf begann zu brummen. Sie musste aufhören so negativ zu denken und versuchen positiv an die Sache ran zu gehen. Es handelte sich hier nicht nur um sie, sondern auch um Rory und ihre Gefühle.
Es klopfte an der Tür.
Das musste sie sein. Vorsichtig erhob Lorelai sich von der Couch und griff nach ihren Krücken, die in diesen Tagen eine groÃe Stütze für sie bedeuteten. Langsam bewegte sie sich zur Tür, bedacht darauf ihr Gewicht irgendwie gleichmäÃig zu verlagern, so dass sie nicht fiel.
Es klopfte ein weiteres Mal.
âIch komme!"
Als sie die Tür öffnete stachen ihr zunächst die zwei groÃen Koffer ins Auge, die Rory fast zu verstecken schienen.
âHey Rory."
âHi."
âKomm rein. Ich kann dir leider nicht mit den Koffern helfen, aberâ¦" Lorelai gestikulierte soweit es ihr möglich war, dass Rory ins Wohnzimmer kommen sollte.
âIst schon okay. Grade weil du mir nicht helfen kannst, bin ich ja hier. Richtig?"
Lorelai nickte, während Rory die schweren Koffer in die Wohnung zog und die Tür hinter sich schloss.
âWie gehtâs dir?", fragte Rory, als sie sich auf die Couch fallen lieÃ.
âNaja⦠gut soweit. Ich kann zwar im Moment keinen Kopfstand machen, denn der Gips ist so schwer, dass ich mich manchmal frage, ob die Ãrzte vielleicht irgendwelche wertvollen, schweren Münzen darin versteckt haben, aber sonstâ¦"
Rory musste grinsen. Wenigsten hatte Lorelai ihren Humor nicht verloren.
âIch meine, aufgrund der Schwangerschaft, wäre ich wohl eh kaum in der Lage groÃe Turnübungen zu machen⦠ach was sollâsâ¦"
Lorelai bugsierte sich auf ihre andere Couch und atmete erst einmal tief durch. In den letzten Tagen hatte sie sich so wenig bewegt, dass jede kleinste Regung groÃe Anstrengung von ihr forderte.
âWie geht es dir?", fragte Lorelai, als sie Rory genauer betrachtete. Sie wirkte unglaublich müde auf sie und erschöpft. Schon im Krankhaus war es ihr aufgefallen, hatte je doch nichts gesagt, in der Hoffnung, dass Rory zu ihr kam, wenn sie Hilfe benötigte, oder einfach nur jemanden, der ihr zuhörte.
âMir gehtâs gut, schlieÃlich sind jetzt Ferienâ¦", log Rory. Sie ahnte, dass Lorelai ihr keinen Glauben schenkte und starrte auf den Boden.
âWarum kann ich dir das nicht so glauben, wie ich es gerne möchte", hakte sie nach.
âWeil es wahrscheinlich nicht der Wahrheit entsprichtâ¦"
âMöchtest du mir sagen, was dich schon seit Tagen bedrückt?"
Rory sah sie an. Sie spürte wie ihr wieder die Tränen, die sie krampfhaft versucht hatte zu unterdrücken, in die Augen stiegen.
âHey Rory⦠du kannst mit mir über alles sprechen. Du kannst mir vertrauen, auch wenn wir uns noch nicht so lange kennen. Ich sehe, dass es dir schlecht geht und mir bricht es fast das Herz. Wenn ich dir helfen kann, lass es mich wissen. Ich bin immer für dich da, " versicherte Lorelai.
âIch- ich weià nicht obâ¦", Rory brach ab. Ihre Tränen überwältigten sie.
Lorelai erhob sich, so schnell es ihr möglich war und setzte sich neben Rory. Sie reichte ihr die Taschentuchbox, die auf ihrem kleinen Tischchen stand und legte beschützend einen Arm um ihre Tochter.
âEs wird alles gut, mein Schatz. Du bist nicht allein. Ich bin für dich da."
Lorelai wischte Rory ein paar Tränen aus dem Gesicht. Rory schluchzte umso mehr.
âMeine Mum, Jean, sie- sie hat es nicht mal interessiert, ob ich auszieheâ¦", schluchzte Rory und sah zu Lorelai auf, die zu trösten versuchte.
âDas glaube ich nicht Rory. Sie liebt dich. Sie ist sicherlich nur traurig, dass du ausgezogen bist. Vielleicht wusste sie nicht, wie sie ihre Gefühle zeigen sollte, oder wollte dich einfach nur deinen Weg gehen lassen, " versuchte Lorelai sie zu ermutigen.
âIch weià es nicht⦠Sie ist böse auf michâ¦"
âRede doch noch mal mit ihr darüber. Vielleicht ist das ja auch nur ein Missverständnis."
Lorelai strich Rory, die ihren Kopf in Lorelais Schoà gelegt hatte, ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht.
Rorys Tränen verstummten nach einer Weile und ihre Müdigkeit hatte sie überwältigt.
Lorelai saà einfach nur da, strich über die Haare ihrer Tochter und war glücklich darüber, dass sie ihre Tochter endlich in den Armen halten konnte, für sie da sein konnte, so wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Sie würde jedoch darauf bedacht sein, dass Rory die Beziehung mit ihrer Pflegemutter klären würde. Das war ihre Pflicht und das war sie Jean und ihrer Familie schuldig.
Am frühen Abend lag Rory bereits in dem für sie noch unbekannten Bett des Gästezimmers, das Lorelai für sie bereit gestellt und sogar etwas gestaltet hatte, soweit wie es ihr, in ihrem Zustand natürlich, möglich war. Ein Mal hatte Rory bereits die Nacht, oder was von dem übrig geblieben war, in diesem Zimmer, diesem Bett und in dieser Umgebung verbracht. Sie musste daran denken, wie Lorelai ihr klar zu machen versuchte, dass sie die Schwierigkeiten die sie mit ihrer Familie hatte, bereinigen musste. Durch ihren Auszug hatte sie gehofft, so einige Fehler wieder gut gemacht zu haben, vielleicht sogar behoben zu haben.
Irrte sie sich, was dies anbelangte?
Wie würde Jean reagieren, wenn sie auf einmal wieder, um Verzeihung bittend, vor der Tür stehen würde? Es fühlte sich nicht richtig an. Als Jean sie vor Stunden hier abgesetzt hatte, hatte sie sie kaum eines Blickes gewürdigt, schenkte ihr kein Lächeln, wie sie es sonst immer getan hatte, wenn eine besondere Situation bevorstand. Für Rory gab es nur eine Erklärung, die sie zwar sehr schmerzte, aber sie konnte es ganz deutlich spüren und zwar, dass Jean aufgehört hatte sie zu lieben. Bereits Clara und Dean hatten ihre Abneigung ihr gegenüber ganz offen gezeigt. Ganz offensichtlich hatte Jean bis zur Verabschiedung damit gewartet. Rory spürte wie ihre Tränen sich erneut den Weg über ihre Wange erkämpften.
Was war nur geschehen? Warum hatte ihr Leben auf einmal eine so heftige Wende eingeschlagen? Je mehr sie darüber nachdachte, wurde ihr bewusste, dass sie allein dafür verantwortlich war. Sie allein hatte sich dazu entschieden auf eine Suche nach Antworten und ihrer Vergangenheit zu gehen. Am Anfang hatte sie geglaubt, dass ihre Familie verstehen würde, warum sie einfach nach ihrer leiblichen Mutter suchen musste. Es war schwierig gewesen ihnen zu erklären, dass ihr in ihrem Leben etwas Wesentliches fehlte und sie vergeblich versuchte hatte diese Lücke zu stopfen. Ob es die Verdrängung der Tatsache, dass sie nicht das leibliche Kind ihrer Eltern war, oder die Tatsache, dass sie sich verzweifelt daran geklammert hatte auf eine besondere Art und Weise geliebt zu werden war, die die mit Fleià genähten Fäden jedes Mal zerrissen, wenn sie ein Familiefoto sah, oder nur in den Spiegel blickte.
Jean saà fast zitternd am Küchentisch. Ihre Hände umgriffen verängstigt eine Tasse mit Tee. Das die Tasse heià war schien sie nicht wahr zu nehmen. Ihre Gedanken kreisten um Rory. Es war fast Mitternacht und Rory war nicht nach Hause gekommen. War ihr vielleicht irgendetwas passiert? Aus Sorge hatte sie bereits Lane, Rorys beste Freundin, angerufen, doch auch sie hatte keinen Schimmer wo Rory sich aufhielt. Jean schreckte auf, als sie die Haustür ins Schloss fallen hörte.
âRory?", stieà sie besorgt aus und lief zu Tür.
âHey! " Rory stand im Flur. Ihre Klamotten waren vom Regen durchweicht. Ihre Haare tropften.
âWo warst du Rory?"
âIch war im Krankenhaus", kommentierte die angesprochene nur kurz und wollte in ihr Zimmer gehen, als Jean sie am Arm festhielt.
âIm Krankenhaus? Ist dir etwas passiert? Ist alles okay bei dir? Bist du gesund?"
âNein mir ist nichts passiert. Alles in Ordnung."
Wieder wollte Rory in ihr Zimmer gehen, doch Jean lieà sie einfach nicht los.
âHalt! Du sagst mir jetzt was passiert ist. Ich habe mir Sorgen gemacht, Rory. Du hättest anrufen müssen, " sagte Jean bestimmend. Sie wurde sauer, als sie Rorys Gleichgültigkeit wahrnahm.
âTut mir leid. Meine Mu-, äh ich meine Lorelai hatte einen Autounfall und ich bin zu ihr ins Krankenhaus, um zu sehen ob alles in Ordnung ist."
Rory konnte den Schmerz in Jeans Augen erkennen. Jetzt hatte sie sie endgültig verletzt und ihr zu verstehen gegeben, dass nicht sie es war, die sie auf die Welt gebracht hatte. Verdammt, dass wollte sie doch gar nicht. Sie wollte niemanden verletzten und schon gar nicht Jean. Sie war immer für sie da gewesen. Sie war ihre Mutter.
Rory spürte wie ihre Gedanken darum kreisten wer nun ihre Mutter war. Hatte eine mehr Recht darauf? Es war alles so kompliziert und verfahren geworden in der letzten Zeit. Es gab nur noch Schwarz oder WeiÃ. Lorelai oder Jean und ihre Familie. Fakt war, dass Rory sich in Lorelais Gegenwart sehr wohl fühlte und jede Minute genoss. Hier in ihrer Pflegefamilie war alles so kompliziert geworden. Alle waren sauer auf sie, fühlten sich als wären sie auÃenvorstehend, doch so sollte es nicht sein. Warum freuten sie sich denn nicht einfach für sie? Warum unterstützte sie nur niemand?!
âDu hast für die nächsten zwei Wochen Hausarrest! Du bist erst sechzehn und du wirst nicht noch mal so spät wieder kommen, ohne uns vorher bescheid zu sagen." Jeans Trauer hatte sich in Wut gewandelt.
âDas ist jawohl nicht dein ernst?! Ich habe nichts Schlimmes getan! Ich war nur bei meiner Mutter, die verletzt im Krankenhaus liegt und fast ihr Baby verloren hätte! Lorelai würde mir nie Hausarrest geben! Ich hasse dich! Du bist nicht meine Mutter!", schrie Rory und löste sich aus Jeans Griff, um in ihr Zimmer laufen zu können. Während Rory nicht mal versuchte ihre Tränen zu verbergen, als die Treppe hoch rannte, stand Jean da und war wie erstarrt. Sie war nicht mal dazu in der Lage Tränen zu vergieÃen. Sie hatte ihre Tochter soeben verloren.
Rory knallte ihre Tür so zu, dass es im ganzen Haus ein Echo zu geben schien. Weinend warf sie sich auf ihr Bett und konnte nur daran denken wie grausam alles war. Natürlich hasste sie Jean nicht, das war ihr so raus gerutscht, aber warum verstand sie denn nicht?
Flashback Ende
Als Rory begann sich anzukleiden spürte sie, wie sich dieses dumpfe Hämmern weiter in ihrem Kopf ausbreitete. Ihr war fast ein wenig schwindelig. Zwar versuchte sie den Schmerz zu ignorieren, denn sicherlich waren dies die Folgen einer Nacht voller Tränen, doch es gelang ihr nicht. Ihre Gedanken hingen an Lorelai, an dem Baby und daran, dass sie es hier nicht mehr aushielt. In dieser Familie wurde sie aufgrund ihres Wunsches sich selbst zu suchen, sich zu erkennen, verurteilt. Was sollte sie tun? Wie konnte sie dieser misslichen Lage entkommen, diesem merkwürdigem Gefühl im Magen, wenn sie Dean ,oder auch Jean gegenübertrat. Vor allem aber fraÃen sie die Schuldgefühle auf, wenn sie in Claras traurigen Augen las. Sie fühlte sich schuldig, aber niemand, wirklich niemand, hatte das Recht sie zu für etwas büÃen zu lassen, woran sie keine Schuld trug und das war nun einmal diese Adoption. So sehr sie auch in den vergangenen Jahren versucht hatte diese Tatsache auszublenden, um vor allem ihrer Pflegefamilie den Schmerz zu ersparen, es fühlte sich einfach so unglaublich gut an, zu wissen wer man war und wo man her kam.
Rory sah in den Spiegel. Ihre Augen waren noch ein wenig angeschwollen und rot und doch erkannte sie sich selbst. Nur sie allein konnte an dieser Misere etwas ändern und allen Beteiligten noch mehr Kummer ersparen. Sie musste vor allem erst mal für sich selbst etwas finden, das ihr Stabilität bat. Hier konnte sie diese Stabilität nicht mehr finden. Dazu hatte sie ihrer Familie einmal zu oft vor den Kopf gestoÃen. Sie konnten sie nicht mehr lieben. Nicht mehr.
Leise betrat Rory Lorelais Krankenzimmer, denn sie glaubte, dass Lorelai noch schlief. Stattdessen blendeten sie jedoch die Sonnenstrahlen, die durch das groÃe Fenster fielen und eine noch müde aussehende Lorelai umhüllten.
âMorgen", begrüÃte Rory sie fast schüchtern und setzte sich auf den Stuhl am Bett.
âHey.." Lorelai bewegte sich mit Schmerzen, um Rory besser sehen zu können.
âWie gehtâs dir heute Morgen?"
âSagen wir mal, dass ich noch nicht bereit wäre auf groÃe Shopping-Tour zu gehen, aber sonst⦠nein im ernst. Mir gehtâs schon besser. Ich kann morgen sogar nach Hause."
âDas freut mich für dich."
âWas ist mit dir? So früh am Morgen hier⦠musst du nicht zur Schule?", fragte Lorelai.
Sie sah Rory an und erkannte sich, zum wiederholten Male, selbst wieder in ihrem Alter. Natürlich hatte sie zur Schule gemusst. Es schmeichelte ihr fast, dass sie nicht ging, obwohl sie so etwas nicht unterstützen sollte.
âNa ja, ich- es ist so, dass wir heute Sporttag in der Schule haben und ich mir dachte, dass ich meine Zeit besser nutzen könnte, " log Rory und erwähnte auch gar nicht erst, dass sie Hausarrest und sich mit Jean gestritten hatte. Das kein Sporttag war, war irrelevant.
Lorelai lächelte nur förmlich.
âDu bist gestern meiner Mutter begegnetâ¦"
âJa, ich habâ mich ein wenig mit ihr unterhalten. Sie ist sehr nett."
âJaâ¦"
Rory sah ein wenig ungeduldig auf die weiÃe Bettdecke. Ihre Gedanken kreisten immer noch darum, wie sie ihrer häuslichen Situation am besten entfliehen konnte.
Lorelai konnte Rorys verheulten Augen und ihrem starren Gesichtsausdruck ablesen, dass etwas nicht stimmte. Es besorgte sie, aber sie wollte sie nicht dazu drängen etwas zu sagen.
âRory, du weiÃt, dass wenn du reden willst oder keine Ahnung was⦠meine Tür steht immer offen."
Rory blickte zu ihr auf.
âDanke⦠Bist du nicht auf Hilfe angewiesen, wenn du morgen entlassen wirst? Ich meine, du bist Schwanger und dein Bein ist gebrochenâ¦"
âJa. Ich weià auch noch nicht wie ich das machen soll, aber mir wird schon noch was einfallen."
âWie- äh- wäre es denn, wenn ichâ¦ich könnte doch bei dir wohnenâ¦", stotterte Rory fast.
âDu mir hilfst? Ich glaube, dass das nicht möglich ist, " erklärte sie, doch als sie Rory enttäuschten Blick sah, bereute sie ihre unbedacht schnelle Antwort sofort.
âVersteh mich nicht falsch, Rory. Ich würde sehr gerne mehr Zeit mir dir verbringen, doch du musst zur Schule und ich bin mir nicht sicher, ob deine Pflegeeltern das erlauben würden.
In Rory keimte wieder ein Lichtstrahl an Hoffnungen auf.
âIch habe nur noch diese Woche Schule und dann sind erst mal drei Monate Ferien und Jean, sie erlaubt das bestimmt", erklärte Rory, während sie sich in Gedanken bereits beim Packen befand.
Lorelai überlegte einen Moment. Es wäre gut, für sie und Rory, sich besser kennen zu lernen, sich einander anzunähren und wenn sonst nichts dagegen sprach.
âAlso gut, aber ich möchte, dass du das vorher gut mit deiner Familie besprichst und ich würde gerne mit deiner Pflegemutter sprechen."
Rory schluckte. Musste sie tatsächlich mit Jean reden? Dass konnte doch nicht gut gehen. Sie würde sich was überlegen müssen.
âOkay?", fragte Lorelai noch mal nach.
âJa⦠Danke Lorelai."
Rory lächelte zum ersten Mal an diesem Morgen. Alles würde so werden, wie in ihren Träumen. Sie hatte nun ihre eigene Familie.
Als Rory von der âSchule" nach Hause kam, wollte sie nur in ihr Zimmer, ihre Sachen packen und dieses Haus verlassen. Allerdings musste sie noch mit Jean reden und im Grunde genommen war sie nicht sicher, wie diese darauf reagieren würde. Sie musste sie vor vollendete Tatsachen stellen. So würde sie nicht mehr groà diskutieren wollen und vor allem keine Fragen stellen. Rory war sich bewusst, dass diese Aktion alle Mitglieder dieser Familie sehr verletzen würde, aber sie wollte ihnen nur weiteren Ãrger mit ihr ersparen. Sie war eine Last für diese Familie geworden und bei allem, was sie für sie getan hatten, schuldete sie ihnen Respekt und Dank. Bevor Rory die erste Treppenstufe erreichen konnte hörte sie Jean ihren Namen rufen.
âKommst du mal bitte in die Küche?!"
Rory zuckte erst zusammen. Wusste Jean etwa schon bescheid, dass sie nicht in der Schule gewesen war? Dean war in der Schule. Er musste es ihr verraten haben. Es machte Rory wütend, wenn sie drüber nachdachte wie oft sie sein Schwänzen für sich behalten hatte. Gut, sie hatten oft gemeinsam geschwänzt, aber es ging einfach um das Prinzip. Seufzend legte Rory ihre Schultasche ab und schlurfte in die Küche, wo Jean sie bereits erwartete.
âSetz dich", meinte sie knapp.
Rory setzte sich ihr gegenüber auf den Stuhl, nahe der Tür. Das war am sichersten. So konnte sie schnell dem Gespräch entfliehen, wenn es ihr zu bunt wurde. In all den Jahren hatte sie gelernt, dass es besser war einer wütenden Jean aus dem Weg zu gehen. Wenn man nicht rechtzeitig die Flucht ergriff, klingelten einem noch Tage später die Ohren von ihrer Schreierei. Rory erinnerte sich an den Moment, als Jean sie und Dean im Keller beim Knutschen erwischt hatte. Sie waren nicht schnell genug gewesen, um den Worten, die folgten zu entfliehen. Tage lang sind die Fetzen geflogen, denn sowohl sie, als auch Dean hatten Jeans Argumentation, dass sie Geschwister waren nicht eingesehen und dementsprechend zurück gebrüllt. Im nachhinein musste Rory fast darüber grinsen, verkniff es sich aber angesichts der momentanen Gefühlslage aller.
âDa du nicht in der Schule warst, würde mich interessieren, wo du deine Zeit verbracht hast?", fragte Jean erstaunlicherweise sehr ruhig.
Natürlich konnte Rory nicht sehen, wie es um Jeans inneren Gemütszustand bestellt war, doch im Moment wirkte sie sehr ausgeglichen auf sie.
âIch- äh- war bei Lorelai. Ich wollte sehen wie es ihr geht undâ¦", erläuterte Rory, ihren Blick auf den Boden gerichtet.
âUnd?", hakte Jean nach.
âSie wird in nächster Zeit auf viel Hilfe angewiesen sein. Sie hat sich ja ihr Bein gebrochen und- und durch die Schwangerschaft⦠ich habe ihr meine Hilfe angeboten," erklärte Rory ein wenig unsicher und atmete erst ein mal tief durch.
âIn den Ferien?"
Rory nickte nur.
âSie möchte noch mit dir darüber sprechen, dass heiÃt wenn du nicht einverstanden bist, würde sie es nicht erlauben."
Jean sah sie an und versuchte ihre Emotionen unter Kontrolle zu halten.
Sie hatte ihre Tochter nun endgültig verloren. Was würde es jetzt bringen sich ihr in den Weg zu stellen und es so für alle Beteiligten noch schwerer zu machen. Sie liebte Rory viel zu sehr, um sie nicht ihren eigenen Weg gehen zu lassen. Immerhin war sie alt genug, um zu entscheiden was sie wollte und wenn sie mehr Kontakt zu ihrer leiblichen Mutter haben wollte, so musste sie sie gehen lassen und hoffte gleichzeitig, dass sie sie durch ihre Nachgiebigkeit nicht ganz verlieren würde. Ihre Hoffnung war, dass Rory von alleine wieder zu ihr nach Hause kam. Auch wusste Jean, dass nicht alles was sich Rory wohl ausgemalt hatte, in Erfüllung gehen würde. Nicht alles würde so sein wie sie es sich ein ganzes Leben lang vorgestellt hatte, sich ihre Familie vorgestellt hatte.
âWenn du das gerne möchtest, dann kann ich nichts dagegen sagen Rory, " erklärte Jean ruhig.
Hätte Rory in dem Moment in Jeans Augen gesehen, so hätte sie Tränen entdecken können. Stattdessen schluckte sie nur. Trauer überkam sie. Warum versuchte ihre Mutter nicht mal es ihr zu verbieten, oder sie zu halten? Warum stimmte sie einfach zu, dass Rory über die Ferien zu Lorelai zog? Wollte sie sich nicht mehr in ihrer Familie haben. Liebte sie sie nicht mehr? Hatte sie sie überhaupt jemals geliebt? Jetzt saà sie hier und hatte das erreicht, was sie gewollt hatte und doch musste Rory sich schwer zusammen reiÃen, um nicht auf der Stelle in Tränen auszubrechen. Warum fühlte sie sich auf einmal so schlecht? Sie würde jetzt endlich das Leben führen können, dass sie sich schon immer gewünscht hatte, so wie sie es sich vorgestellt hatteâ¦
âIch werde dann jetzt meine Sachen packen gehenâ¦"
Jean nickte nur.
Rory stand auf und verlieà tief bestürzt die Küche und lieà sich später weinend auf ihr Bett fallen.
Noch immer saà Jean in der Küche. Ihren Tränen lieà sie nun freien Lauf und hoffte in ihrem tiefsten Inneren, dass Rory das fand wonach sie suchte, damit sie glücklich sein konnte. Was Rory nicht wusste war, dass sie, Jean, am allerbesten nachvollziehen konnte, wie es war auf der Suche zum eigenen Ich zu sein. Auf einer Suche nach der Ganzheit, die sie sich einst von einem Menschen erwartet hatte. Eine Suche, die so viel Kraft erforderte, Tränen und Mut. Erst viel später hatte sie begriffen, auch wenn es ihr nie so erschienen war, dass der Mensch auch nur Mensch war und nicht Vollkommen. Auch wenn man sich das sehnlichst wünschte. Rory würde auch eines Tages zu dieser Erkenntnis kommen und dann war sie für sie da, um diese Erkenntnis mit ihr zu teilen.
Lorelai saà Gedankenverloren auf ihrem Sofa. Ihr gebrochenes Bein, welches ihr groÃe Schmerzen bereitete, stützte sie durch ihren kleinen Couchtisch. In weniger als einer Stunde würde Rory hier eintreffen und hier zunächst einmal für die Ferien einziehen. Obwohl sie es nicht zugeben würde, war Lorelai nervös und das fast mehr, als sie es ertragen konnte.
Vor ein paar Tagen hatte sie mit Jean über Rorys Auszug von Zuhause gesprochen und feststellen müssen, dass es sowohl Jean, als auch die Familie schwer getroffen haben musste, dass Rory sie âverlieÃ". Lorelai versuchte Jean zu überzeugen, dass sie nicht versuchte ihnen ihre Tochter wegzunehmen und sie würde sich nie zwischen Rory und ihre Familie zu stellen wollen, doch Jean schien ihr kaum zuzuhören. Sie wirkte abwesend und sprach nicht viel, so dass Lorelai ihre Mühe hatte nicht allzu erregt darüber zu berichten, wie gut sie und Rory sich verstanden. Auch wenn sie sich sehr darüber freute, dass sie nun wieder mit ihrer Tochter vereint wurde, so konnte sie nicht vergessen, dass zur selben Zeit eine Familie um ihre verlorene Tochter trauerte. Dieses Wissen trübte ihr sonst so sonniges Gemüt.
Was, wenn sie etwas falsch machte und Rory es zutiefst bereuen würde, je zu ihr gezogen zu sein?! Was, wenn sie sich nicht verstanden? Was, wenn Rory sich einfach nicht wohl fühlen würde?
Lorelai spürte wie ihr Kopf begann zu brummen. Sie musste aufhören so negativ zu denken und versuchen positiv an die Sache ran zu gehen. Es handelte sich hier nicht nur um sie, sondern auch um Rory und ihre Gefühle.
Es klopfte an der Tür.
Das musste sie sein. Vorsichtig erhob Lorelai sich von der Couch und griff nach ihren Krücken, die in diesen Tagen eine groÃe Stütze für sie bedeuteten. Langsam bewegte sie sich zur Tür, bedacht darauf ihr Gewicht irgendwie gleichmäÃig zu verlagern, so dass sie nicht fiel.
Es klopfte ein weiteres Mal.
âIch komme!"
Als sie die Tür öffnete stachen ihr zunächst die zwei groÃen Koffer ins Auge, die Rory fast zu verstecken schienen.
âHey Rory."
âHi."
âKomm rein. Ich kann dir leider nicht mit den Koffern helfen, aberâ¦" Lorelai gestikulierte soweit es ihr möglich war, dass Rory ins Wohnzimmer kommen sollte.
âIst schon okay. Grade weil du mir nicht helfen kannst, bin ich ja hier. Richtig?"
Lorelai nickte, während Rory die schweren Koffer in die Wohnung zog und die Tür hinter sich schloss.
âWie gehtâs dir?", fragte Rory, als sie sich auf die Couch fallen lieÃ.
âNaja⦠gut soweit. Ich kann zwar im Moment keinen Kopfstand machen, denn der Gips ist so schwer, dass ich mich manchmal frage, ob die Ãrzte vielleicht irgendwelche wertvollen, schweren Münzen darin versteckt haben, aber sonstâ¦"
Rory musste grinsen. Wenigsten hatte Lorelai ihren Humor nicht verloren.
âIch meine, aufgrund der Schwangerschaft, wäre ich wohl eh kaum in der Lage groÃe Turnübungen zu machen⦠ach was sollâsâ¦"
Lorelai bugsierte sich auf ihre andere Couch und atmete erst einmal tief durch. In den letzten Tagen hatte sie sich so wenig bewegt, dass jede kleinste Regung groÃe Anstrengung von ihr forderte.
âWie geht es dir?", fragte Lorelai, als sie Rory genauer betrachtete. Sie wirkte unglaublich müde auf sie und erschöpft. Schon im Krankhaus war es ihr aufgefallen, hatte je doch nichts gesagt, in der Hoffnung, dass Rory zu ihr kam, wenn sie Hilfe benötigte, oder einfach nur jemanden, der ihr zuhörte.
âMir gehtâs gut, schlieÃlich sind jetzt Ferienâ¦", log Rory. Sie ahnte, dass Lorelai ihr keinen Glauben schenkte und starrte auf den Boden.
âWarum kann ich dir das nicht so glauben, wie ich es gerne möchte", hakte sie nach.
âWeil es wahrscheinlich nicht der Wahrheit entsprichtâ¦"
âMöchtest du mir sagen, was dich schon seit Tagen bedrückt?"
Rory sah sie an. Sie spürte wie ihr wieder die Tränen, die sie krampfhaft versucht hatte zu unterdrücken, in die Augen stiegen.
âHey Rory⦠du kannst mit mir über alles sprechen. Du kannst mir vertrauen, auch wenn wir uns noch nicht so lange kennen. Ich sehe, dass es dir schlecht geht und mir bricht es fast das Herz. Wenn ich dir helfen kann, lass es mich wissen. Ich bin immer für dich da, " versicherte Lorelai.
âIch- ich weià nicht obâ¦", Rory brach ab. Ihre Tränen überwältigten sie.
Lorelai erhob sich, so schnell es ihr möglich war und setzte sich neben Rory. Sie reichte ihr die Taschentuchbox, die auf ihrem kleinen Tischchen stand und legte beschützend einen Arm um ihre Tochter.
âEs wird alles gut, mein Schatz. Du bist nicht allein. Ich bin für dich da."
Lorelai wischte Rory ein paar Tränen aus dem Gesicht. Rory schluchzte umso mehr.
âMeine Mum, Jean, sie- sie hat es nicht mal interessiert, ob ich auszieheâ¦", schluchzte Rory und sah zu Lorelai auf, die zu trösten versuchte.
âDas glaube ich nicht Rory. Sie liebt dich. Sie ist sicherlich nur traurig, dass du ausgezogen bist. Vielleicht wusste sie nicht, wie sie ihre Gefühle zeigen sollte, oder wollte dich einfach nur deinen Weg gehen lassen, " versuchte Lorelai sie zu ermutigen.
âIch weià es nicht⦠Sie ist böse auf michâ¦"
âRede doch noch mal mit ihr darüber. Vielleicht ist das ja auch nur ein Missverständnis."
Lorelai strich Rory, die ihren Kopf in Lorelais Schoà gelegt hatte, ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht.
Rorys Tränen verstummten nach einer Weile und ihre Müdigkeit hatte sie überwältigt.
Lorelai saà einfach nur da, strich über die Haare ihrer Tochter und war glücklich darüber, dass sie ihre Tochter endlich in den Armen halten konnte, für sie da sein konnte, so wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Sie würde jedoch darauf bedacht sein, dass Rory die Beziehung mit ihrer Pflegemutter klären würde. Das war ihre Pflicht und das war sie Jean und ihrer Familie schuldig.
Am frühen Abend lag Rory bereits in dem für sie noch unbekannten Bett des Gästezimmers, das Lorelai für sie bereit gestellt und sogar etwas gestaltet hatte, soweit wie es ihr, in ihrem Zustand natürlich, möglich war. Ein Mal hatte Rory bereits die Nacht, oder was von dem übrig geblieben war, in diesem Zimmer, diesem Bett und in dieser Umgebung verbracht. Sie musste daran denken, wie Lorelai ihr klar zu machen versuchte, dass sie die Schwierigkeiten die sie mit ihrer Familie hatte, bereinigen musste. Durch ihren Auszug hatte sie gehofft, so einige Fehler wieder gut gemacht zu haben, vielleicht sogar behoben zu haben.
Irrte sie sich, was dies anbelangte?
Wie würde Jean reagieren, wenn sie auf einmal wieder, um Verzeihung bittend, vor der Tür stehen würde? Es fühlte sich nicht richtig an. Als Jean sie vor Stunden hier abgesetzt hatte, hatte sie sie kaum eines Blickes gewürdigt, schenkte ihr kein Lächeln, wie sie es sonst immer getan hatte, wenn eine besondere Situation bevorstand. Für Rory gab es nur eine Erklärung, die sie zwar sehr schmerzte, aber sie konnte es ganz deutlich spüren und zwar, dass Jean aufgehört hatte sie zu lieben. Bereits Clara und Dean hatten ihre Abneigung ihr gegenüber ganz offen gezeigt. Ganz offensichtlich hatte Jean bis zur Verabschiedung damit gewartet. Rory spürte wie ihre Tränen sich erneut den Weg über ihre Wange erkämpften.
Was war nur geschehen? Warum hatte ihr Leben auf einmal eine so heftige Wende eingeschlagen? Je mehr sie darüber nachdachte, wurde ihr bewusste, dass sie allein dafür verantwortlich war. Sie allein hatte sich dazu entschieden auf eine Suche nach Antworten und ihrer Vergangenheit zu gehen. Am Anfang hatte sie geglaubt, dass ihre Familie verstehen würde, warum sie einfach nach ihrer leiblichen Mutter suchen musste. Es war schwierig gewesen ihnen zu erklären, dass ihr in ihrem Leben etwas Wesentliches fehlte und sie vergeblich versuchte hatte diese Lücke zu stopfen. Ob es die Verdrängung der Tatsache, dass sie nicht das leibliche Kind ihrer Eltern war, oder die Tatsache, dass sie sich verzweifelt daran geklammert hatte auf eine besondere Art und Weise geliebt zu werden war, die die mit Fleià genähten Fäden jedes Mal zerrissen, wenn sie ein Familiefoto sah, oder nur in den Spiegel blickte.
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Harm:"Mac, we have 12 hours!" Mac:"We've had 9 years!"
Harm:"I guess,maybe I just needed a deadline..."Mac:"Well, you got one, sailor!"