15.03.2006, 16:10
Hallo ihr SüÃen :knuddel:
Ich hab leider nur kurz Zeit, daher kann ich diesmal kein richtiges Re-FB geben. Das gibts dann aber wieder nach dem nächsten Teil.
Vielen Dank für eure FBs :freu: Hab mich total darüber gefreut!
4. Teil
Liebe Sweetie,
Oh meine liebe Sweetie. Ich hoffe, es geht Dir gut.
Morgen endet meine erste Woche in der Verbannung. Kannst du Dir das vorstellen?
Noch drei Monate und zwei Wochen. 107 Tage. 2568 Stunden.
Wenn ich zurückkomme, wirst Du mich wohl oder übel zu einem Arzt begleiten müssen.
Denn Mary Sue macht mich noch wahnsinnig. Sie redet ohne Luft zu holen. Ein Wunder der Natur⦠Sweetie, ich kenne ihre ganze Lebensgeschichte. Und diese ist alles andere als interessant. Ihr derzeitiges Lieblingsthema ist mein Philosophiekurs. Wie eine Frau nur so etwas besuchen kann, das sind ihre Worte.
Liebe Freundin, was soll ich dir noch erzählen, was ich dir nicht schon in meinen letzten beiden Briefen erzählt hätte? Das Essen ist nach wie vor ein Grauen. Meine Kolleginnen strotzen nur so von Naivität und der GroÃteil des Lehrkörpers scheint in den 30er Jahren hängen geblieben zu sein. Einzig Miss Stones scheint mich zu verstehen. Sie ist nett und aufgeschlossen, unterwirft sich nicht allen alten Idealen bedingungslos. Obwohl lediglich vier Mädchen, mir eingeschlossen, ihren Philosophiekurs besuchen, lässt sie sich nicht entmutigen.
Heute ist Samstag. Der erste Samstag in der Verbannung. Die ganze Woche habe ich mich schon auf den heutigen Tag gefreut. Denn es ist der einzige Tag, an dem mir ein wenig Freiheit gegönnt wird. Sweetie, ich habe allmählich das Gefühl sie könnten sogar meine Gedanken kontrollieren.
Ich sitze in der Bibliothek. In diesem Viertel gibt es eine riesige Bibliothek. Mary Sue hat mich gebeten zu warten, damit wir neben einander sitzen können. Hier wird sie mich nicht findenâ¦
Du hast gefragt, wie die Stadt ist. Nun, das weià ich nicht. Wir sind wie Gefangene im Internat. Auch samstags wird geraten das Viertel nicht zu verlassen. Sollten sie uns erwischen, dürfen wir mit einer schweren Strafe rechnen. Mrs. Criffin hat hinzugefügt, dass diese Strafe nichts mit einem Flugticket in die Staaten zu tun hätte. Sonst wäre ich wohl schon längst nicht mehr hierâ¦
Ach Sweetie, entschuldige meine Ausdrucksweise.
Du bist die Einzige die mich versteht. Ich fühle mich so alleine.
In Liebe,
Emily
Eine einzelne Träne tropfte auf das hellblaue Briefpapier. Emily strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Sie wurde das Gefühl nicht los beobachtet zu werden. Plötzlich entdeckte sie eine junge Frau, etwa in ihrem Alter, die sie tatsächlich musterte. Emily schlug eines ihrer Philosophie Bücher auf und gab vor darin zu lesen. Das Mädchen machte es ihr gleich.
Emily blickte Stirn runzelnd auf den Titel des Buches. Sie lasen tatsächlich dasselbe Werk. Ob die Fremde deshalb neugierig geworden war? SchlieÃlich beschäftigten sich nicht viele junge Mädchen mit Philosophie. Emily blickte sich in dem Studierzimmer um. Sie waren beinahe alleine, lediglich am anderen Ende des Raumes saÃen zwei junge Männer.
Sie musterte das Mädchen, welches nun im Buch vertieft war, oder zumindest so tat als ob. Emily runzelte die Stirn und biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte sich geschworen, keinerlei Freundschaften zu schlieÃen. Trotzdem konnte eine nette Unterhaltung nicht schaden. Vielleicht war der jungen Frau ohnehin nicht nach einem Gespräch zu Mute.
âEin gutes Buch, nicht?â
Die Frau sah verwundert hoch und musterte Emily. âAllerdings. Liest du es für eine Prüfung?â Der abfällige Ton war nicht zu überhören.
Emily schluckte den Ãrger hinunter. âNein, aus Interesse. Und du?â
Sie ging nicht auf die Frage ein. âVerstehst du den Inhalt überhaupt?â Ihre Blicke waren abfällig auf Emilys schwarze Weste gerichtet, auf welcher fein säuberlich Mrs. Criffinâs Sommerschule und âInternat für junge Amerikanerinnen mit gelbem Garn aufgestickt worden war.
Emily wusste, dass es keine Anspielung auf ihren Akzent war. Sie beherrschte die spanische Sprache ziemlich gut und das wusste ihr gegenüber. Nein, es ging der Fremden um etwas ganz anderes. Gewiss gehörte sie zur argentinischen Oberschicht und fühlte sich dem âeinfältigen Mädchen aus den Staatenâ überlegen. Emily verzog wütend den Mund. âSehr wohl. Du etwa nicht?â
Die junge Frau rümpfte die Nase und widmete sich wieder ihrer Lektüre. Emily war mehr als verwundert, als sie wenige Minuten später begann. âUnd wie ist diese Mrs. Criffin so?â
âEin Vorbild für jede junge Frauâ¦â Emily hielt inne. Was sprach sie da eigentlich? âEin Drachen.â
Ihr Gegenüber lachte auf. âWie heiÃt du?â
âEmily Sheridan.â
âIch bin Ricarda Sanchez.â
Emily reichte ihr die Hand, worauf Ricarda erneut zum Lachen begann. âHier brauchst du doch nicht so förmlich zu sein. Oder spioniert euch diese Mrs. Criffin nach?â
Emily sah sich gespielt vorsichtig um. âEs wäre ihr zuzutrauen.â
Hartford, 2002
âWas haltest du von der Rede, Emily?â Susan sah ihre Freundin erwartungsvoll an.
âWirklich sehr beeindruckend.â
âNicht wahr?â Susan reichte ihr einen Wodka Martini und zog sie Stirn runzelnd in eine Ecke des Raumes. âAlles in Ordnung?â Sie musterte Emily misstrauisch. âDu bist schon den ganzen Abend so abwesend. Es hat doch nichts damit zu tun, dass ich dir beim letzten Treffen erst als zweites Tee eingeschenkt habe, oder? Megan Miller ging es nicht so gutâ¦â Ihre Stimme senkte sich deutlich. ââ¦ihr Mann betrügt sie mit seiner Sekretärin. Ich wollte lediglich freundlich sein.â
Emily runzelte die Stirn. Es war einer dieser Momente, der ihr auf erschreckende Weise offenbarte, wie sehr sie sich verändert hatte.
Buenos Aires, Juni 1957
Sie hatten sich zum dritten Mal mehr oder weniger zufällig in der Bibliothek getroffen und waren erneut in ein Gespräch über Philosophie vertieft. So unsympathisch sie sich anfangs gewesen waren, um so schneller schienen sie nun eine innige Freundschaft zu schlieÃen.
Emily sah nach einer Weile auf ihre Armbanduhr. Sie war bereits dreimal wegen Unpünktlichkeit bestraft geworden. âIch muss jetzt gehen. Sie zwingen uns stets zu heiÃer Schokolade und einem moralischen Vortrag bevor wir unseren so genannten âfreienâ Abend beginnen dürfen.â Ricarda biss sich auf die Unterlippe und runzelte die Stirn. Zögernd begann sie. âWas machst du denn heute Abend?â
âMary Sue möchte mit mir im Gesellschaftsraum Tee trinken.â
âDas klingt ja aufregend. Mary Sueâ¦â Ricarda schüttelte den Kopf. âWo bleiben denn Mary Beth und Mary Joe?â
âDu wirst es nicht glauben, aber die werden auch dabei seinâ¦â
Ricardas Augen weiteten sich ungläubig. SchlieÃlich fing sie sich wieder. âIch habe eine bessere Idee.â Sie zwinkerte vergnügt.
Emily runzelte misstrauisch die Stirn.
âDu kommst mit mir.â
Emily glaubte nicht richtig gehört zu haben. âWir haben nur bis halb elf Ausgangâ¦â
âPerfekt. Ich habe nicht vor länger zu bleibenâ¦â Ricarda lächelte.
âIch weià nichtâ¦â
âKomm schon. Das schlimmste was passieren kann, ist, dass du dich nie wieder mit mir treffen möchtestâ¦â
Emily konnte sich nicht entsinnen, dass ihr jemals jemand einen verrückteren Vorschlag gemacht hatte. Auch wenn die neue Freundin sehr sympathisch schien, kannten sie sich kaum. Es gehörte sich nicht für ein Mädchen aus reichem Hause mit einer beinah Wildfremden in einer Gegend, die es nicht einmal kannte, herumzulaufen. Zudem war dies viel zu gefährlich.
âIch bin keine Mörderin, Emily. Ich erschlage nicht einmal Fliegen.â Ricarda blickte sie flehend an.
âDas habe ich auch nicht behauptet. Trotzdem scheint mir dein Vorschlag unklug. Ich kann groÃen Ãrger bekommen.â
âUnd wenn nicht, hast du den gröÃten Spaà deines Lebens versäumtâ¦â
âZwei junge Frauen laufen abends oder nachts nicht alleine herum. Das gehört sich nicht.â
Ricarda fuhr sich durch die dunklen Locken. âHast du es nicht satt stets Dinge zu tun, die sich gehören? Mein allererster Eindruck war wohl richtigâ¦â Sie schlug das Buch wieder auf.
Emily runzelte die Stirn. Sie hatte die Wahl. Mary Sue oder Ricarda. Seufzend fragte sie. âWo treffen wir uns?â
Ein Lächeln umspielte Ricardas Lippen. âIn zwei Stunden beim Bibliothekseingang?â
âSchön.â Emily erhob sich seufzend und verlieà den Raum.
âDu bist aber sehr fleiÃigâ¦â Mary Sue musterte Emily beleidigt. âDu wirst kaum bessere Noten bekommen, nur weil du unsere kostbaren Abende in der Bibliothek verbringstâ¦auÃerdem schadet das viele Lesen deinen Augen. Du willst doch nicht etwa eine Brille tragen?â
Emily rollte mit den Augen. Sie unterdrückte die patzige Antwort, welche ihr auf der Zunge lag. Mit sanfter Stimme erwiderte sie: âDer nächste Samstag Abend gehört uns beiden.â
Mary Sues Miene erhellte sich. âEhrenwort?â
Emily seufzte. âNatürlich.â Sie ergriff ihre kleine Tasche und verlieà das Zimmer.
Ricarda ging unruhig den kleinen Weg vor der Bibliothek auf und ab. Als sie Emily endlich erblickte, lächelte sie. âIch dachte schon, du würdest nicht kommenâ¦â
âUnd wohin gehen wir?â Fragte Emily gleichgültig.
âWirâ¦wir müssen noch auf jemanden wartenâ¦â
âWie bitte?â Emilys Stimme hob sich. Was sollte das?
âNunâ¦â Ricarda zögerte. âFrancescoâ¦â
âDu nimmst mich zu einer Verabredung mit?â Diese Frau musste noch verrückter sein, als Emily gedacht hatte.
âJa, aberâ¦â
âEs gibt kein âaberâ. Ich gehe.â Sie wandte sich bereits ab, als Ricarda sanft ihre Schulter berührte.
âEmilyâ¦bitte.â Ihre Stimme klang heiser.
Stirn runzelnd drehte sich die Aufgeforderte um. âWas?â
âIchâ¦ich kann da nicht alleine hinâ¦meine Eltern lieben ihnâ¦wahrscheinlich haben sie sogar schon ein Abkommen mit seinen Eltern getroffenâ¦aber ich hasse ihnâ¦erâ¦er istâ¦seine Absichtenâ¦â Ricarda fand nicht die richtigen Worte. âBitte. Ich halte es mit ihm alleine nicht aus. Du bist aus den Staaten. Du kannst treffen wen auch immer du möchtestâ¦â Sie blickte Emily flehend an. âBitte. Ich werde dir auch ewig dankbar sein!â
Die Freundin seufzte. Emily verstand Ricardas Problem. Ihre Mutter war schlieÃlich ganz vernarrt in James, aber zog sie deshalb eine Freundin mit hinein? âAber wir bleiben in Bibliotheksnähe, versprochen?â Sagte sie schlieÃlich.
Ricarda lächelte. âDanke.â
âRicarda?â
Die jungen Frauen drehten sich um. âFrancesco. Da bist du ja endlichâ¦â Die junge Argentinierin mühte sich um ein Lächeln.
âDu siehst sehr hübsch aus.â Meinte er, musterte aber dabei Emily. Diese fühlte sich zunehmend unwohler. âRicarda, du solltest nicht so viel lesen. Eine Brille würde dein schönes Gesicht nur entstellen.â
Emily biss sich auf die Unterlippe. Vielleicht sollte man Francesco und Mary Sue verkuppeln. Nur was würde dann aus dem armen John und den fünf ungeborenen Kindern werden?
âDas wäre zu tragischâ¦Francesco, das ist meine Freundin Emily.â
Er nickte der jungen Frau nur kurz zu. âGehen wir?â Fragte er, wieder an Ricarda gewandt.
Diese deutete auf ihre Freundin. âEmily wird uns begleiten. Sie kommt kaum aus dem Internat. Ich konnte ihre Bitte, sie mitzunehmen, nicht abschlagen.â
Emily runzelte die Stirn, versuchte schlieÃlich zu lächeln. âDanke nochmals.â
Francesco seufzte. âHatte dein Bruder heute keine Zeit? Musstest du deshalb eine neue Beschützerin organisieren? Ricarda, das ist lächerlich. Wovor hast du Angst?â
âPedro war stets von sich aus dabei.â
âHat er nichts Besseres zu tun als Zeit mit seiner kleinen Schwester zu verbringen? Das sollte dir mehr Sorgen bereiten als meine Anwesenheit.â
Ricarda rollte mit den Augen. âZwei StraÃen weiter gibt es ein kleines Restaurant. Lasst uns dorthin gehen.â
âWir wollten heute in das neue Strandrestaurant.â
âNein, du wolltest das.â
âHör mal. Du bringst einfach deine Freundin mit, dann entscheide ich wohin wir gehen.â
âIch muss innerhalb dieses Viertels bleibenâ¦â Emily biss sich auf die Unterlippe.
Francesco musterte sie belustigt. âDann solltest du wohl hier bleiben.â
Emily sah von ihm zu ihrer Freundin, welche sie flehend anblickte. âWisst ihr, eigentlich wollte ich schon länger dieses Restaurant besuchen.â Erwiderte sie schlieÃlich seufzend.
Ihre Freundin schenkte ihr ein dankbares Lächeln, bevor sie zu seinem Auto gingen.
Ich hab leider nur kurz Zeit, daher kann ich diesmal kein richtiges Re-FB geben. Das gibts dann aber wieder nach dem nächsten Teil.
Vielen Dank für eure FBs :freu: Hab mich total darüber gefreut!
4. Teil
Buenos Aires, 15. Juni 1957
Liebe Sweetie,
Oh meine liebe Sweetie. Ich hoffe, es geht Dir gut.
Morgen endet meine erste Woche in der Verbannung. Kannst du Dir das vorstellen?
Noch drei Monate und zwei Wochen. 107 Tage. 2568 Stunden.
Wenn ich zurückkomme, wirst Du mich wohl oder übel zu einem Arzt begleiten müssen.
Denn Mary Sue macht mich noch wahnsinnig. Sie redet ohne Luft zu holen. Ein Wunder der Natur⦠Sweetie, ich kenne ihre ganze Lebensgeschichte. Und diese ist alles andere als interessant. Ihr derzeitiges Lieblingsthema ist mein Philosophiekurs. Wie eine Frau nur so etwas besuchen kann, das sind ihre Worte.
Liebe Freundin, was soll ich dir noch erzählen, was ich dir nicht schon in meinen letzten beiden Briefen erzählt hätte? Das Essen ist nach wie vor ein Grauen. Meine Kolleginnen strotzen nur so von Naivität und der GroÃteil des Lehrkörpers scheint in den 30er Jahren hängen geblieben zu sein. Einzig Miss Stones scheint mich zu verstehen. Sie ist nett und aufgeschlossen, unterwirft sich nicht allen alten Idealen bedingungslos. Obwohl lediglich vier Mädchen, mir eingeschlossen, ihren Philosophiekurs besuchen, lässt sie sich nicht entmutigen.
Heute ist Samstag. Der erste Samstag in der Verbannung. Die ganze Woche habe ich mich schon auf den heutigen Tag gefreut. Denn es ist der einzige Tag, an dem mir ein wenig Freiheit gegönnt wird. Sweetie, ich habe allmählich das Gefühl sie könnten sogar meine Gedanken kontrollieren.
Ich sitze in der Bibliothek. In diesem Viertel gibt es eine riesige Bibliothek. Mary Sue hat mich gebeten zu warten, damit wir neben einander sitzen können. Hier wird sie mich nicht findenâ¦
Du hast gefragt, wie die Stadt ist. Nun, das weià ich nicht. Wir sind wie Gefangene im Internat. Auch samstags wird geraten das Viertel nicht zu verlassen. Sollten sie uns erwischen, dürfen wir mit einer schweren Strafe rechnen. Mrs. Criffin hat hinzugefügt, dass diese Strafe nichts mit einem Flugticket in die Staaten zu tun hätte. Sonst wäre ich wohl schon längst nicht mehr hierâ¦
Ach Sweetie, entschuldige meine Ausdrucksweise.
Du bist die Einzige die mich versteht. Ich fühle mich so alleine.
In Liebe,
Emily
Eine einzelne Träne tropfte auf das hellblaue Briefpapier. Emily strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Sie wurde das Gefühl nicht los beobachtet zu werden. Plötzlich entdeckte sie eine junge Frau, etwa in ihrem Alter, die sie tatsächlich musterte. Emily schlug eines ihrer Philosophie Bücher auf und gab vor darin zu lesen. Das Mädchen machte es ihr gleich.
Emily blickte Stirn runzelnd auf den Titel des Buches. Sie lasen tatsächlich dasselbe Werk. Ob die Fremde deshalb neugierig geworden war? SchlieÃlich beschäftigten sich nicht viele junge Mädchen mit Philosophie. Emily blickte sich in dem Studierzimmer um. Sie waren beinahe alleine, lediglich am anderen Ende des Raumes saÃen zwei junge Männer.
Sie musterte das Mädchen, welches nun im Buch vertieft war, oder zumindest so tat als ob. Emily runzelte die Stirn und biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte sich geschworen, keinerlei Freundschaften zu schlieÃen. Trotzdem konnte eine nette Unterhaltung nicht schaden. Vielleicht war der jungen Frau ohnehin nicht nach einem Gespräch zu Mute.
âEin gutes Buch, nicht?â
Die Frau sah verwundert hoch und musterte Emily. âAllerdings. Liest du es für eine Prüfung?â Der abfällige Ton war nicht zu überhören.
Emily schluckte den Ãrger hinunter. âNein, aus Interesse. Und du?â
Sie ging nicht auf die Frage ein. âVerstehst du den Inhalt überhaupt?â Ihre Blicke waren abfällig auf Emilys schwarze Weste gerichtet, auf welcher fein säuberlich Mrs. Criffinâs Sommerschule und âInternat für junge Amerikanerinnen mit gelbem Garn aufgestickt worden war.
Emily wusste, dass es keine Anspielung auf ihren Akzent war. Sie beherrschte die spanische Sprache ziemlich gut und das wusste ihr gegenüber. Nein, es ging der Fremden um etwas ganz anderes. Gewiss gehörte sie zur argentinischen Oberschicht und fühlte sich dem âeinfältigen Mädchen aus den Staatenâ überlegen. Emily verzog wütend den Mund. âSehr wohl. Du etwa nicht?â
Die junge Frau rümpfte die Nase und widmete sich wieder ihrer Lektüre. Emily war mehr als verwundert, als sie wenige Minuten später begann. âUnd wie ist diese Mrs. Criffin so?â
âEin Vorbild für jede junge Frauâ¦â Emily hielt inne. Was sprach sie da eigentlich? âEin Drachen.â
Ihr Gegenüber lachte auf. âWie heiÃt du?â
âEmily Sheridan.â
âIch bin Ricarda Sanchez.â
Emily reichte ihr die Hand, worauf Ricarda erneut zum Lachen begann. âHier brauchst du doch nicht so förmlich zu sein. Oder spioniert euch diese Mrs. Criffin nach?â
Emily sah sich gespielt vorsichtig um. âEs wäre ihr zuzutrauen.â
Hartford, 2002
âWas haltest du von der Rede, Emily?â Susan sah ihre Freundin erwartungsvoll an.
âWirklich sehr beeindruckend.â
âNicht wahr?â Susan reichte ihr einen Wodka Martini und zog sie Stirn runzelnd in eine Ecke des Raumes. âAlles in Ordnung?â Sie musterte Emily misstrauisch. âDu bist schon den ganzen Abend so abwesend. Es hat doch nichts damit zu tun, dass ich dir beim letzten Treffen erst als zweites Tee eingeschenkt habe, oder? Megan Miller ging es nicht so gutâ¦â Ihre Stimme senkte sich deutlich. ââ¦ihr Mann betrügt sie mit seiner Sekretärin. Ich wollte lediglich freundlich sein.â
Emily runzelte die Stirn. Es war einer dieser Momente, der ihr auf erschreckende Weise offenbarte, wie sehr sie sich verändert hatte.
Buenos Aires, Juni 1957
Sie hatten sich zum dritten Mal mehr oder weniger zufällig in der Bibliothek getroffen und waren erneut in ein Gespräch über Philosophie vertieft. So unsympathisch sie sich anfangs gewesen waren, um so schneller schienen sie nun eine innige Freundschaft zu schlieÃen.
Emily sah nach einer Weile auf ihre Armbanduhr. Sie war bereits dreimal wegen Unpünktlichkeit bestraft geworden. âIch muss jetzt gehen. Sie zwingen uns stets zu heiÃer Schokolade und einem moralischen Vortrag bevor wir unseren so genannten âfreienâ Abend beginnen dürfen.â Ricarda biss sich auf die Unterlippe und runzelte die Stirn. Zögernd begann sie. âWas machst du denn heute Abend?â
âMary Sue möchte mit mir im Gesellschaftsraum Tee trinken.â
âDas klingt ja aufregend. Mary Sueâ¦â Ricarda schüttelte den Kopf. âWo bleiben denn Mary Beth und Mary Joe?â
âDu wirst es nicht glauben, aber die werden auch dabei seinâ¦â
Ricardas Augen weiteten sich ungläubig. SchlieÃlich fing sie sich wieder. âIch habe eine bessere Idee.â Sie zwinkerte vergnügt.
Emily runzelte misstrauisch die Stirn.
âDu kommst mit mir.â
Emily glaubte nicht richtig gehört zu haben. âWir haben nur bis halb elf Ausgangâ¦â
âPerfekt. Ich habe nicht vor länger zu bleibenâ¦â Ricarda lächelte.
âIch weià nichtâ¦â
âKomm schon. Das schlimmste was passieren kann, ist, dass du dich nie wieder mit mir treffen möchtestâ¦â
Emily konnte sich nicht entsinnen, dass ihr jemals jemand einen verrückteren Vorschlag gemacht hatte. Auch wenn die neue Freundin sehr sympathisch schien, kannten sie sich kaum. Es gehörte sich nicht für ein Mädchen aus reichem Hause mit einer beinah Wildfremden in einer Gegend, die es nicht einmal kannte, herumzulaufen. Zudem war dies viel zu gefährlich.
âIch bin keine Mörderin, Emily. Ich erschlage nicht einmal Fliegen.â Ricarda blickte sie flehend an.
âDas habe ich auch nicht behauptet. Trotzdem scheint mir dein Vorschlag unklug. Ich kann groÃen Ãrger bekommen.â
âUnd wenn nicht, hast du den gröÃten Spaà deines Lebens versäumtâ¦â
âZwei junge Frauen laufen abends oder nachts nicht alleine herum. Das gehört sich nicht.â
Ricarda fuhr sich durch die dunklen Locken. âHast du es nicht satt stets Dinge zu tun, die sich gehören? Mein allererster Eindruck war wohl richtigâ¦â Sie schlug das Buch wieder auf.
Emily runzelte die Stirn. Sie hatte die Wahl. Mary Sue oder Ricarda. Seufzend fragte sie. âWo treffen wir uns?â
Ein Lächeln umspielte Ricardas Lippen. âIn zwei Stunden beim Bibliothekseingang?â
âSchön.â Emily erhob sich seufzend und verlieà den Raum.
âDu bist aber sehr fleiÃigâ¦â Mary Sue musterte Emily beleidigt. âDu wirst kaum bessere Noten bekommen, nur weil du unsere kostbaren Abende in der Bibliothek verbringstâ¦auÃerdem schadet das viele Lesen deinen Augen. Du willst doch nicht etwa eine Brille tragen?â
Emily rollte mit den Augen. Sie unterdrückte die patzige Antwort, welche ihr auf der Zunge lag. Mit sanfter Stimme erwiderte sie: âDer nächste Samstag Abend gehört uns beiden.â
Mary Sues Miene erhellte sich. âEhrenwort?â
Emily seufzte. âNatürlich.â Sie ergriff ihre kleine Tasche und verlieà das Zimmer.
Ricarda ging unruhig den kleinen Weg vor der Bibliothek auf und ab. Als sie Emily endlich erblickte, lächelte sie. âIch dachte schon, du würdest nicht kommenâ¦â
âUnd wohin gehen wir?â Fragte Emily gleichgültig.
âWirâ¦wir müssen noch auf jemanden wartenâ¦â
âWie bitte?â Emilys Stimme hob sich. Was sollte das?
âNunâ¦â Ricarda zögerte. âFrancescoâ¦â
âDu nimmst mich zu einer Verabredung mit?â Diese Frau musste noch verrückter sein, als Emily gedacht hatte.
âJa, aberâ¦â
âEs gibt kein âaberâ. Ich gehe.â Sie wandte sich bereits ab, als Ricarda sanft ihre Schulter berührte.
âEmilyâ¦bitte.â Ihre Stimme klang heiser.
Stirn runzelnd drehte sich die Aufgeforderte um. âWas?â
âIchâ¦ich kann da nicht alleine hinâ¦meine Eltern lieben ihnâ¦wahrscheinlich haben sie sogar schon ein Abkommen mit seinen Eltern getroffenâ¦aber ich hasse ihnâ¦erâ¦er istâ¦seine Absichtenâ¦â Ricarda fand nicht die richtigen Worte. âBitte. Ich halte es mit ihm alleine nicht aus. Du bist aus den Staaten. Du kannst treffen wen auch immer du möchtestâ¦â Sie blickte Emily flehend an. âBitte. Ich werde dir auch ewig dankbar sein!â
Die Freundin seufzte. Emily verstand Ricardas Problem. Ihre Mutter war schlieÃlich ganz vernarrt in James, aber zog sie deshalb eine Freundin mit hinein? âAber wir bleiben in Bibliotheksnähe, versprochen?â Sagte sie schlieÃlich.
Ricarda lächelte. âDanke.â
âRicarda?â
Die jungen Frauen drehten sich um. âFrancesco. Da bist du ja endlichâ¦â Die junge Argentinierin mühte sich um ein Lächeln.
âDu siehst sehr hübsch aus.â Meinte er, musterte aber dabei Emily. Diese fühlte sich zunehmend unwohler. âRicarda, du solltest nicht so viel lesen. Eine Brille würde dein schönes Gesicht nur entstellen.â
Emily biss sich auf die Unterlippe. Vielleicht sollte man Francesco und Mary Sue verkuppeln. Nur was würde dann aus dem armen John und den fünf ungeborenen Kindern werden?
âDas wäre zu tragischâ¦Francesco, das ist meine Freundin Emily.â
Er nickte der jungen Frau nur kurz zu. âGehen wir?â Fragte er, wieder an Ricarda gewandt.
Diese deutete auf ihre Freundin. âEmily wird uns begleiten. Sie kommt kaum aus dem Internat. Ich konnte ihre Bitte, sie mitzunehmen, nicht abschlagen.â
Emily runzelte die Stirn, versuchte schlieÃlich zu lächeln. âDanke nochmals.â
Francesco seufzte. âHatte dein Bruder heute keine Zeit? Musstest du deshalb eine neue Beschützerin organisieren? Ricarda, das ist lächerlich. Wovor hast du Angst?â
âPedro war stets von sich aus dabei.â
âHat er nichts Besseres zu tun als Zeit mit seiner kleinen Schwester zu verbringen? Das sollte dir mehr Sorgen bereiten als meine Anwesenheit.â
Ricarda rollte mit den Augen. âZwei StraÃen weiter gibt es ein kleines Restaurant. Lasst uns dorthin gehen.â
âWir wollten heute in das neue Strandrestaurant.â
âNein, du wolltest das.â
âHör mal. Du bringst einfach deine Freundin mit, dann entscheide ich wohin wir gehen.â
âIch muss innerhalb dieses Viertels bleibenâ¦â Emily biss sich auf die Unterlippe.
Francesco musterte sie belustigt. âDann solltest du wohl hier bleiben.â
Emily sah von ihm zu ihrer Freundin, welche sie flehend anblickte. âWisst ihr, eigentlich wollte ich schon länger dieses Restaurant besuchen.â Erwiderte sie schlieÃlich seufzend.
Ihre Freundin schenkte ihr ein dankbares Lächeln, bevor sie zu seinem Auto gingen.