The Time of My Life
#34

Hallo ihr Süßen :knuddel:

Ich hab leider nur kurz Zeit, daher kann ich diesmal kein richtiges Re-FB geben. Das gibts dann aber wieder nach dem nächsten Teil.

Vielen Dank für eure FBs :freu: Hab mich total darüber gefreut!



4. Teil

Buenos Aires, 15. Juni 1957


Liebe Sweetie,

Oh meine liebe Sweetie. Ich hoffe, es geht Dir gut.
Morgen endet meine erste Woche in der Verbannung. Kannst du Dir das vorstellen?
Noch drei Monate und zwei Wochen. 107 Tage. 2568 Stunden.
Wenn ich zurückkomme, wirst Du mich wohl oder übel zu einem Arzt begleiten müssen.
Denn Mary Sue macht mich noch wahnsinnig. Sie redet ohne Luft zu holen. Ein Wunder der Natur… Sweetie, ich kenne ihre ganze Lebensgeschichte. Und diese ist alles andere als interessant. Ihr derzeitiges Lieblingsthema ist mein Philosophiekurs. Wie eine Frau nur so etwas besuchen kann, das sind ihre Worte.
Liebe Freundin, was soll ich dir noch erzählen, was ich dir nicht schon in meinen letzten beiden Briefen erzählt hätte? Das Essen ist nach wie vor ein Grauen. Meine Kolleginnen strotzen nur so von Naivität und der Großteil des Lehrkörpers scheint in den 30er Jahren hängen geblieben zu sein. Einzig Miss Stones scheint mich zu verstehen. Sie ist nett und aufgeschlossen, unterwirft sich nicht allen alten Idealen bedingungslos. Obwohl lediglich vier Mädchen, mir eingeschlossen, ihren Philosophiekurs besuchen, lässt sie sich nicht entmutigen.
Heute ist Samstag. Der erste Samstag in der Verbannung. Die ganze Woche habe ich mich schon auf den heutigen Tag gefreut. Denn es ist der einzige Tag, an dem mir ein wenig Freiheit gegönnt wird. Sweetie, ich habe allmählich das Gefühl sie könnten sogar meine Gedanken kontrollieren.
Ich sitze in der Bibliothek. In diesem Viertel gibt es eine riesige Bibliothek. Mary Sue hat mich gebeten zu warten, damit wir neben einander sitzen können. Hier wird sie mich nicht finden…
Du hast gefragt, wie die Stadt ist. Nun, das weiß ich nicht. Wir sind wie Gefangene im Internat. Auch samstags wird geraten das Viertel nicht zu verlassen. Sollten sie uns erwischen, dürfen wir mit einer schweren Strafe rechnen. Mrs. Criffin hat hinzugefügt, dass diese Strafe nichts mit einem Flugticket in die Staaten zu tun hätte. Sonst wäre ich wohl schon längst nicht mehr hier…
Ach Sweetie, entschuldige meine Ausdrucksweise.
Du bist die Einzige die mich versteht. Ich fühle mich so alleine.

In Liebe,
Emily

Eine einzelne Träne tropfte auf das hellblaue Briefpapier. Emily strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Sie wurde das Gefühl nicht los beobachtet zu werden. Plötzlich entdeckte sie eine junge Frau, etwa in ihrem Alter, die sie tatsächlich musterte. Emily schlug eines ihrer Philosophie Bücher auf und gab vor darin zu lesen. Das Mädchen machte es ihr gleich.
Emily blickte Stirn runzelnd auf den Titel des Buches. Sie lasen tatsächlich dasselbe Werk. Ob die Fremde deshalb neugierig geworden war? Schließlich beschäftigten sich nicht viele junge Mädchen mit Philosophie. Emily blickte sich in dem Studierzimmer um. Sie waren beinahe alleine, lediglich am anderen Ende des Raumes saßen zwei junge Männer.
Sie musterte das Mädchen, welches nun im Buch vertieft war, oder zumindest so tat als ob. Emily runzelte die Stirn und biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte sich geschworen, keinerlei Freundschaften zu schließen. Trotzdem konnte eine nette Unterhaltung nicht schaden. Vielleicht war der jungen Frau ohnehin nicht nach einem Gespräch zu Mute.
„Ein gutes Buch, nicht?“
Die Frau sah verwundert hoch und musterte Emily. „Allerdings. Liest du es für eine Prüfung?“ Der abfällige Ton war nicht zu überhören.
Emily schluckte den Ärger hinunter. „Nein, aus Interesse. Und du?“
Sie ging nicht auf die Frage ein. „Verstehst du den Inhalt überhaupt?“ Ihre Blicke waren abfällig auf Emilys schwarze Weste gerichtet, auf welcher fein säuberlich Mrs. Criffin’s Sommerschule und –Internat für junge Amerikanerinnen mit gelbem Garn aufgestickt worden war.
Emily wusste, dass es keine Anspielung auf ihren Akzent war. Sie beherrschte die spanische Sprache ziemlich gut und das wusste ihr gegenüber. Nein, es ging der Fremden um etwas ganz anderes. Gewiss gehörte sie zur argentinischen Oberschicht und fühlte sich dem ‚einfältigen Mädchen aus den Staaten’ überlegen. Emily verzog wütend den Mund. „Sehr wohl. Du etwa nicht?“
Die junge Frau rümpfte die Nase und widmete sich wieder ihrer Lektüre. Emily war mehr als verwundert, als sie wenige Minuten später begann. „Und wie ist diese Mrs. Criffin so?“
„Ein Vorbild für jede junge Frau…“ Emily hielt inne. Was sprach sie da eigentlich? „Ein Drachen.“
Ihr Gegenüber lachte auf. „Wie heißt du?“
„Emily Sheridan.“
„Ich bin Ricarda Sanchez.“
Emily reichte ihr die Hand, worauf Ricarda erneut zum Lachen begann. „Hier brauchst du doch nicht so förmlich zu sein. Oder spioniert euch diese Mrs. Criffin nach?“
Emily sah sich gespielt vorsichtig um. „Es wäre ihr zuzutrauen.“


Hartford, 2002

„Was haltest du von der Rede, Emily?“ Susan sah ihre Freundin erwartungsvoll an.
„Wirklich sehr beeindruckend.“
„Nicht wahr?“ Susan reichte ihr einen Wodka Martini und zog sie Stirn runzelnd in eine Ecke des Raumes. „Alles in Ordnung?“ Sie musterte Emily misstrauisch. „Du bist schon den ganzen Abend so abwesend. Es hat doch nichts damit zu tun, dass ich dir beim letzten Treffen erst als zweites Tee eingeschenkt habe, oder? Megan Miller ging es nicht so gut…“ Ihre Stimme senkte sich deutlich. „…ihr Mann betrügt sie mit seiner Sekretärin. Ich wollte lediglich freundlich sein.“
Emily runzelte die Stirn. Es war einer dieser Momente, der ihr auf erschreckende Weise offenbarte, wie sehr sie sich verändert hatte.


Buenos Aires, Juni 1957

Sie hatten sich zum dritten Mal mehr oder weniger zufällig in der Bibliothek getroffen und waren erneut in ein Gespräch über Philosophie vertieft. So unsympathisch sie sich anfangs gewesen waren, um so schneller schienen sie nun eine innige Freundschaft zu schließen.
Emily sah nach einer Weile auf ihre Armbanduhr. Sie war bereits dreimal wegen Unpünktlichkeit bestraft geworden. „Ich muss jetzt gehen. Sie zwingen uns stets zu heißer Schokolade und einem moralischen Vortrag bevor wir unseren so genannten ‚freien’ Abend beginnen dürfen.“ Ricarda biss sich auf die Unterlippe und runzelte die Stirn. Zögernd begann sie. „Was machst du denn heute Abend?“
„Mary Sue möchte mit mir im Gesellschaftsraum Tee trinken.“
„Das klingt ja aufregend. Mary Sue…“ Ricarda schüttelte den Kopf. „Wo bleiben denn Mary Beth und Mary Joe?“
„Du wirst es nicht glauben, aber die werden auch dabei sein…“
Ricardas Augen weiteten sich ungläubig. Schließlich fing sie sich wieder. „Ich habe eine bessere Idee.“ Sie zwinkerte vergnügt.
Emily runzelte misstrauisch die Stirn.
„Du kommst mit mir.“
Emily glaubte nicht richtig gehört zu haben. „Wir haben nur bis halb elf Ausgang…“
„Perfekt. Ich habe nicht vor länger zu bleiben…“ Ricarda lächelte.
„Ich weiß nicht…“
„Komm schon. Das schlimmste was passieren kann, ist, dass du dich nie wieder mit mir treffen möchtest…“
Emily konnte sich nicht entsinnen, dass ihr jemals jemand einen verrückteren Vorschlag gemacht hatte. Auch wenn die neue Freundin sehr sympathisch schien, kannten sie sich kaum. Es gehörte sich nicht für ein Mädchen aus reichem Hause mit einer beinah Wildfremden in einer Gegend, die es nicht einmal kannte, herumzulaufen. Zudem war dies viel zu gefährlich.
„Ich bin keine Mörderin, Emily. Ich erschlage nicht einmal Fliegen.“ Ricarda blickte sie flehend an.
„Das habe ich auch nicht behauptet. Trotzdem scheint mir dein Vorschlag unklug. Ich kann großen Ärger bekommen.“
„Und wenn nicht, hast du den größten Spaß deines Lebens versäumt…“
„Zwei junge Frauen laufen abends oder nachts nicht alleine herum. Das gehört sich nicht.“
Ricarda fuhr sich durch die dunklen Locken. „Hast du es nicht satt stets Dinge zu tun, die sich gehören? Mein allererster Eindruck war wohl richtig…“ Sie schlug das Buch wieder auf.
Emily runzelte die Stirn. Sie hatte die Wahl. Mary Sue oder Ricarda. Seufzend fragte sie. „Wo treffen wir uns?“
Ein Lächeln umspielte Ricardas Lippen. „In zwei Stunden beim Bibliothekseingang?“
„Schön.“ Emily erhob sich seufzend und verließ den Raum.

„Du bist aber sehr fleißig…“ Mary Sue musterte Emily beleidigt. „Du wirst kaum bessere Noten bekommen, nur weil du unsere kostbaren Abende in der Bibliothek verbringst…außerdem schadet das viele Lesen deinen Augen. Du willst doch nicht etwa eine Brille tragen?“
Emily rollte mit den Augen. Sie unterdrückte die patzige Antwort, welche ihr auf der Zunge lag. Mit sanfter Stimme erwiderte sie: „Der nächste Samstag Abend gehört uns beiden.“
Mary Sues Miene erhellte sich. „Ehrenwort?“
Emily seufzte. „Natürlich.“ Sie ergriff ihre kleine Tasche und verließ das Zimmer.

Ricarda ging unruhig den kleinen Weg vor der Bibliothek auf und ab. Als sie Emily endlich erblickte, lächelte sie. „Ich dachte schon, du würdest nicht kommen…“
„Und wohin gehen wir?“ Fragte Emily gleichgültig.
„Wir…wir müssen noch auf jemanden warten…“
„Wie bitte?“ Emilys Stimme hob sich. Was sollte das?
„Nun…“ Ricarda zögerte. „Francesco…“
„Du nimmst mich zu einer Verabredung mit?“ Diese Frau musste noch verrückter sein, als Emily gedacht hatte.
„Ja, aber…“
„Es gibt kein ‚aber’. Ich gehe.“ Sie wandte sich bereits ab, als Ricarda sanft ihre Schulter berührte.
„Emily…bitte.“ Ihre Stimme klang heiser.
Stirn runzelnd drehte sich die Aufgeforderte um. „Was?“
„Ich…ich kann da nicht alleine hin…meine Eltern lieben ihn…wahrscheinlich haben sie sogar schon ein Abkommen mit seinen Eltern getroffen…aber ich hasse ihn…er…er ist…seine Absichten…“ Ricarda fand nicht die richtigen Worte. „Bitte. Ich halte es mit ihm alleine nicht aus. Du bist aus den Staaten. Du kannst treffen wen auch immer du möchtest…“ Sie blickte Emily flehend an. „Bitte. Ich werde dir auch ewig dankbar sein!“
Die Freundin seufzte. Emily verstand Ricardas Problem. Ihre Mutter war schließlich ganz vernarrt in James, aber zog sie deshalb eine Freundin mit hinein? „Aber wir bleiben in Bibliotheksnähe, versprochen?“ Sagte sie schließlich.
Ricarda lächelte. „Danke.“
„Ricarda?“
Die jungen Frauen drehten sich um. „Francesco. Da bist du ja endlich…“ Die junge Argentinierin mühte sich um ein Lächeln.
„Du siehst sehr hübsch aus.“ Meinte er, musterte aber dabei Emily. Diese fühlte sich zunehmend unwohler. „Ricarda, du solltest nicht so viel lesen. Eine Brille würde dein schönes Gesicht nur entstellen.“
Emily biss sich auf die Unterlippe. Vielleicht sollte man Francesco und Mary Sue verkuppeln. Nur was würde dann aus dem armen John und den fünf ungeborenen Kindern werden?
„Das wäre zu tragisch…Francesco, das ist meine Freundin Emily.“
Er nickte der jungen Frau nur kurz zu. „Gehen wir?“ Fragte er, wieder an Ricarda gewandt.
Diese deutete auf ihre Freundin. „Emily wird uns begleiten. Sie kommt kaum aus dem Internat. Ich konnte ihre Bitte, sie mitzunehmen, nicht abschlagen.“
Emily runzelte die Stirn, versuchte schließlich zu lächeln. „Danke nochmals.“
Francesco seufzte. „Hatte dein Bruder heute keine Zeit? Musstest du deshalb eine neue Beschützerin organisieren? Ricarda, das ist lächerlich. Wovor hast du Angst?“
„Pedro war stets von sich aus dabei.“
„Hat er nichts Besseres zu tun als Zeit mit seiner kleinen Schwester zu verbringen? Das sollte dir mehr Sorgen bereiten als meine Anwesenheit.“
Ricarda rollte mit den Augen. „Zwei Straßen weiter gibt es ein kleines Restaurant. Lasst uns dorthin gehen.“
„Wir wollten heute in das neue Strandrestaurant.“
„Nein, du wolltest das.“
„Hör mal. Du bringst einfach deine Freundin mit, dann entscheide ich wohin wir gehen.“
„Ich muss innerhalb dieses Viertels bleiben…“ Emily biss sich auf die Unterlippe.
Francesco musterte sie belustigt. „Dann solltest du wohl hier bleiben.“
Emily sah von ihm zu ihrer Freundin, welche sie flehend anblickte. „Wisst ihr, eigentlich wollte ich schon länger dieses Restaurant besuchen.“ Erwiderte sie schließlich seufzend.
Ihre Freundin schenkte ihr ein dankbares Lächeln, bevor sie zu seinem Auto gingen.


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