25.05.2006, 22:00
Die folgende Woche verging wie im Flug und Encarna verbrachte sie damit über ihren Job zu grübeln, mit Sahra und Athina aus zu gehen oder zu arbeiten.
Athinas Anfall wiederholte sich aber Encarna traute sich nicht zu fragen, da die beiden jungen Frauen dieses Thema sorgsam umgingen.
Der angekündigte Besuch rückte immer näher und so schaffte es Encarna zum Ende der Woche nicht mit den beiden weiterhin weg zu gehen. Sie war ohnehin völlig übermüdet und hatte starke Kopfschmerzen. Irgendwie wurde ihr das alles zu viel. Und wenn sie daran dachte was dieser Besuch für Konsequenzen haben konnte, wurde ihr erneut übel.
Als sie wieder einmal mitten in der Nacht in ihrem Büro saÃ, stand sie auf und ging zu dem Spiegel der in einer Ecke ihres Büros hing.
Als sie hinein sah erschrak sie vor sich selbst. Sie hatte riesige Augenringe, ihre blonden Haare fielen in einzelnen Strähnen aus der Haarspange und ihre blauen Augen waren glanzlos und müde.
Auch um ihre Kleider war es nicht zum Besten bestellt. Ihre blau-weià gestreifte Bluse war zerknittert, genau wie ihre dunkelblaue Hose.
Aber als sie auf die Uhr sah wunderte sie nichts mehr, es war halb drei Uhr morgens. Seit gestern früh um fünf saà sie jetzt also hier und erstellte Bilanzen, machte Menüvorschläge und bearbeitete liegen gebliebene Akten, nur unterbrochen durch die kurzen Kontrollgänge zu den Essenszeiten.
Sie beschloss nachhause zu fahren und sich umzuziehen, denn so konnte sie morgens niemanden unter die Augen treten.
Als sie im Auto saà kam ihr der Gedanke was wohl Athinas Kommentar zu ihrem Aufzug gewesen wäre wenn sie sie so gesehen hätte, und dabei musste sie unwillkürlich schmunzeln. Dieser Gedanke lieà sie den ganzen Weg nachhause nicht mehr los und so schloss sie mit einem Lächeln auf den Lippen ihre Wohnungstür auf.
Sie schaltete das Licht an, ging den Gang durch bis zu ihrem Schlafzimmer und lieà sich im Dunkeln aufs Bett fallen.
Sie begann mit offenen Augen zu Träumen, doch es dauerte nicht lange und sie war eingeschlafen. Immer noch mit Athinas frechen Kommentaren im Ohr und einem Lächeln auf dem Gesicht.
Obwohl es so spät geworden war kam sie sehr pünktlich im Büro an, dafür hatte sie ja einen Telefonweckdienst.
Im Hotel angekommen wollte sie sich eigentlich gleich in ihr Büro zurückziehen, als ihr zwei junge Frauen auffielen die auf ihren Koffern saÃen: Sahra und Athina.
Sofort ging sie zu den beiden, denn eigentlich sollten sie doch erst in einer Woche abreisen.
„ Was habt ihr denn vor?“ fragte sie die beiden deshalb lächelnd, vielleicht würden sie ja nur einen Ausflug machen.
„Wir…wir reisen ab“ gestand Athina etwas zögerlich und schaute dabei auf den Boden.
„Aber ihr wolltet doch erst nächste Woche abfahren!“ bemerkte Encarna und ihre Stimme zitterte dabei leicht.
„Ja, eigentlich schon. Aber uns ist etwas Wichtiges dazwischen gekommen, deshalb können wir nicht bleiben.“ Antwortete nun Sahra und sah ihr dabei direkt in die Augen, mit einem seltsam warnenden Blick, von dem Encarna nicht wusste was sie davon halten sollte.
„Na ja, dann gute Reise. Vielleicht besucht ihr uns mal wieder“ erwiderte sie und fügte noch ein „irgendwann“ hinzu.
Jetzt blickte Athina auf. Sie sah erst zu ihrer Schwester und dann zu Encarna bevor sie antwortete: „Wir werden uns bald wieder sehen, bestimmt!“ und lächelte dabei zaghaft.
Einen kurzen Moment blieb Encarna noch bei den beiden stehen, dann drehte sie sich um und ging in ihr Büro. Im Hintergrund hörte sie wie Athina erneut zu husten begann. Sie überlegte für einen Moment umzudrehen und Athina einen Arztbesuch nahe zu legen, doch dann entschied sie, dass es sie eigentlich nichts anging.
Dort lieà sie sich, wie so oft in der letzten Woche, seufzend in ihren Sessel fallen. Sie schlug den ersten Ordner auf, hielt dann aber inne. Sie hatte nie darüber nachgedacht, dass die beiden wieder abreisen würden. Es war klar gewesen, irgendwie, aber nicht wirklich greifbar. Und jetzt waren sie weg, so plötzlich, dass sie es kaum glauben konnte. Sie fragte sich was die seltsamen wissenden Blicke der beiden Schwestern zu bedeuten hatten und fand keine Antwort. Athina war sich sicher gewesen dass sie wiederkommen würden, vielleicht würden sie ja gleich buchen wenn sie zuhause wären. Sie wusste es nicht, aber als sie zum tausendsten Mal zu dieser Erkenntnis kam, stellte sie fest, dass sie eine gute Stunde in ihre Gedanken versunken verbracht hatte.
Nun hatte sie keine Zeit mehr für die Ordner die sich immer noch auf ihrem Tisch stapelten, sondern musste runter in den Speisesaal. Als sie dieses Mal an der Rezeption vorbei kam waren die beiden nicht mehr da. Es war seltsam, dass die beiden nicht mehr da saÃen und es störte Encarna.
Unten herrschte das Chaos, nichts war an diesem Morgen so wie es gehörte, die Kellner schlampten und die Gäste waren unfreundlich. Ihr fehlte das morgendliche Gelächter der beiden Schwestern und ihr fiel ein, dass die beiden ohne Frühstück abgereist waren.
Auch in der Küche sah es nicht besser aus, Chaos wohin sie blickte.
Sie war froh als sie wieder in ihrem Büro war und schloss aufatmend die Tür hinter sich. Fast zwei Stunden hatte sie heute für den Frühstücksrundgang benötigt. Das war fast neuer Rekord.
Schon zum zweiten Mal an diesem Morgen lies sie sich jetzt also in ihren Sessel fallen. Dann stütze sie sich auf dem Schreibtisch auf und fuhr sich mit beiden Händen in die Haare. In ihrem Büro war es still und sie wünschte sich, dass die Tür aufgehen würde und Athina in ihren Badesachen erschien um sie mal wieder zu fragen ob sie mit schwimmen gehen würde. Sie würde ihr wie immer absagen, aber sich über die Geste freuen, der Morgen wäre gerettet. Doch es tat sich nichts und plötzlich schossen ihr die Tränen in die Augen. Sie kam sich so einsam vor, ein Gefühl, das sie so nicht kannte.
Mit dem Handrücken wischte sie sich die erste Träne weg, als sich plötzlich jemand räusperte.