07.06.2006, 19:44
âIch bin wirklich froh dass du wieder da bist! Du hast mir furchtbar gefehlt! Es tut mir so Leid, dass ich dir gesagt habe du sollst gehen. Bitte sei nicht mehr böse auf mich!â Athinas Blick war nicht der einer Erwachsenen, sondern der einer Fünfjährigen, die jeden Moment zu weinen anfängt.
âIch war nie böse auf dich, Engelchen!â beruhigte Encarna sie, strich ihr über die Haare und nahm sie dann in die Arme. In diesem Moment war Athina für sie ein Kind, ihr Kind. âIch hab dich auch vermisst!â Es war plötzlich ganz einfach das auszusprechen. Athina machte sich los und schaute sie an, ihr blauen Augen waren ganz dunkel.â Baba hat wieder so getan als wäre nichts gewesen, oder? Macht dich das so wütend?â
â Ja, aber nicht nur. Es ist die Selbstverständlichkeit mit der er über mich bestimmt. Ich hab kein Hotel hier, logisch dass ich bei ihm wohne. Ich will nachhause, ich soll ihn anrufen. Ich sitze in Tunesien rum und kenne niemanden, selbstverständlich warte ich auf ihn bis er irgendwann heimkommt und passe nebenbei noch auf seine Enkel auf! Das ist es was mich wütend macht. Er beschlieÃt einfach.â
âEr meint es doch nur gut!â Athina klang erschrocken.
âIch weiÃ, das spreche ich ihm ja auch nicht ab. Aber er fragt mich nicht. Er fragt nicht was ich will. Und ich will nicht ins Haus deiner Tante ziehen, weil ich sie nicht kenne. Ich will auch nicht dass er mich hier abholt weil ich nicht will dass wir einfach da weiter machen wo wir aufgehört haben.â Encarna stand vom Bett auf und nahm sich einen Stuhl auf den sie sich setzte, neben das Bett.
âWar es denn in Spanien anders?â fragte Athina. Encarna überlegte kurz, darüber hatte sie noch nicht nachgedacht.
âNein, eigentlich nicht. Aber ich hatte die Möglichkeit mich zu wehren, nein zu sagen indem ich einfach meine Wohnungstür hinter mir zugemacht habe. In Tunesien kam ich mir vor wie ausgeliefert und hier im Moment auch.â
âAber das warst du nicht und bist du nicht. Du hättest nur den Mund aufmachen müssen!â âAch komm, Athina! Dein Vater nimmt mich doch überhaupt nicht ernst! Er bestimmt und was ich dazu sage ist ihm egal. Er fragt ja nicht einmal nach meiner Meinung.â
âDas stimmt so nicht. Er hält sehr viel von dir und von dem was du denkst und sagst. Er trifft aber oft auch Entscheidungen von denen er denkt dass sie so schon in Ordnung gehen und er manchmal Probleme nicht sieht. Aber das ist doch kein böser Wille! Encarna er liebt dich!â Athina nahm wieder ihre Hände. Ihre waren ganz kalt.
âIch weiÃ, aber manchmal reicht das nicht.â Encarna sprach leise, denn sie hatte fast Angst das auszusprechen was sie dachte. Es reichte nicht aus, das war ihr eben klar geworden.
âSo ein Quatsch! Das ist das Blödeste was ich seit langem gehört habe. Wenn du nur deinen Mund aufmachen würdest und ihm das sagst was du mir jetzt gesagt hast würde es ausreiche. Encarna, Baba würde alles für dich tun, alles, ausnahmslos. Als ich ihm gesagt habe dass du weg bist, weiÃt du was passiert ist? Er ist kreidebleich geworden hat, nein, gestammelt und fing an zu weinen. Ich habe meinen Vater noch nie weinen sehen. Noch nie. Ich wusste nicht was ich tun soll. Da hab ich nach Saskia gerufen, sie ist schlieÃlich die Ãlteste. Sie hat sich um ihn gekümmert und als sie wieder aus dem Zimmer kam weiÃt du was sie gesagt hat?â Athina war jetzt ganz aufgelöst. Sie schrie schon fast und man merkte deutlich dass ihr die Situation immer noch nachging. â Sie hat gesagt: Hol sie zurück! Saskia war nie dafür dass Baba eine neue Freundin hat, aber da hat selbst sie gesagt ich soll dich zurück holen. Und jetzt bist du da, obwohl ich es nicht geschafft habe dich zu holen, weil ich noch in der gleichen Nacht diesen verdammten Anfall bekommen habe.â Jetzt fing sie an zu weinen und Encarna starrte sie ungläubig an.
â Diese Krankheit hat mich daran gehindert dir nachzureisen, hat baba daran gehindert weil er mich nicht alleine lassen wollte. Und jetzt bist du hier und mir geht es besser. Ich war so froh dass du da bist. Ich hab gedacht jetzt kommt alles in Ordnung. Und jetzt sagst du mir dass es nicht reicht! Nur weil du zu feige bist den Mund aufzumachen, machst du alles kaputt? Sag mir dass das nicht wahr ist!â Athina war auÃer sich. Sie schrie und weinte gleichzeitig. Encarnas Wut war verflogen aber sie wusste nicht was sie jetzt tun sollte. Wie konnte sie Athina beruhigen. Indem sie sie anlog und ihr sagte dass alles wieder in Ordnung sei?
âWas willst du jetzt von mir hören?â fragte sie sie.
âDas du mir sagst, dass du mit baba redest und das du mir sagst, dass du mich nicht auch noch hängen lässt!â Encarna verstand worauf es Athina ankam.
âIch werde mit Said reden. Aber egal wie das ausgeht, ich werde dich nie hängen lassen. Ich bin immer für dich da. Egal ob Tag oder Nacht, du kannst immer zu mir kommen. Ich bin nicht Sophie, Engelchen.â Athina lehnte sich in ihrem Bett zurück, ihre Augen wurden riesig, Encarna war der erste Mensch, auÃer Sara, der sie durchschaute.
âVersprochen?â ihre Augen wurden noch dunkler.
âVersprochen!â Encarna stand auf und umarmte sie. Und jetzt ruf ich deinen Vater an, dass er mich abholt. Ob ich bei deiner Tante übernachte entscheide ich dann.â Encarna lächelte und Athina begann zu strahlen. Auch ihre Augen strahlten wieder in hellblau.
Said lehnte lässig an seinem Auto als sie aus dem Krankenhaus trat. Sie musste an ihre erste Verabredung denken, da war er so ähnlich dagestanden. Er sah einfach umwerfend aus. Doch sofort riss sie sich wieder zusammen und ignorierte sein Gehabe einfach. Sie lief an ihm vorbei und machte die Tür zur Beifahrerseite auf. Er schaute sie verblüfft an, doch sie sagte nur
âKönnen wir?!â
Als er einstieg guckte er immer noch überrascht, fast schon wieder herausfordernd. Er wusste dass noch etwas kam, die ganze Sache hatte einen Haken und er wollte wissen welchen. Encarna lieà ihn nicht lange im Unklaren.
âIch will dass wir reden. Und zwar nicht bei deiner Familie umgeben von deinen Kindern und Verwandten, sondern alleine und in Ruhe. Und ich will dass du mir zuhörst!â Das war also der Haken, Said grinste.
âWohin Madame?â fragte er und hoffte dass sie sein Lächeln erwiderte. Sie tat es nicht. âAthina hat mir ein Hotelzimmer bestellt. Wir könnten an die Bar gehen?!â Und da es eigentlich keine Frage sondern ein Befehl war fuhr er los und Encarna genoss das Gefühl, dass er nun tat was sie wollte.