28.10.2006, 18:58
Hey Shery, ich finds zwar traurig, dass so viele lesen und nur so wenige FB geben. Dafür freue ich mich um so mehr, dass du eine Nachricht hinterlassen hast. *knuddel*
Der Teil ist heute für dich. Viel Spaà beim lesen.
LG Emerson Rose
Teil 34
August 1997
âHi, komm doch rein.â Kaum hat Sarah geklingelt, steht Julie schon vor ihr. Klein Connor auf dem Arm, der bereits fürs Bett umgezogen ist und Sarah augenreibend anlächelt. Tasah, Tante Sarah soll das heiÃen, kräht er kurz und streckt die Ãrmchen nach ihr aus.
âHey kleiner Mann.â
Nur zu gern nimmt Sarah ihren Neffen auf den Arm, wo sich dieser sofort an seine Lieblingstante kuschelt. Auch wenn es schmerzt, Connor zu sehen und sich dabei vor Augen zu halten, was man verloren hat, passt Sarah gern auf den Zweijährigen auf. Besonders jetzt in den Semesterferien, während Julie in der Uni Sommerkurse besucht, um den Rückstand des letzten halben Jahres aufzuholen.
âGibt es irgendwas Besonderes? Du klangst am Telefon so aufgeregtâ, fragt Sarah ihre Schwägerin in Spe, während sie ihr, mit Connor auf dem Arm, in die Küche folgt.
âFrag David. Ich habe mir die letzten Stunden buchstäblich den Mund fusselig geredet und Wesley hat es davor auch schon probiert. Ohne Erfolg. Er will das wirklich durchziehen.â
âEr will was wirklich durchziehen?â Julie spricht immer mehr in Rätseln. Am Telefon vorhin bat sie sie nur, so schnell wie möglich vorbei zu kommen.
âDavid hat dir also noch nichts gesagt?â
âWas auch immer. Zurzeit bin ich froh, wenn er überhaupt mit mir spricht. Erst dachte ich, es würde sich mit der Zeit wieder einrenken, aber er resigniert und verweigert sich total.
âDann wird dir das, was er vorhat, bestimmt nicht gefallen. Aber frag ihn, vielleicht erreichst du etwas.
âDas werde ich, darauf kannst du dich verlassen. Komm Connor es geht zur Mummy.â Sarah gibt die süÃe Last an Julie zurück und steigt dann die Treppe in den ersten Stock hoch.
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Dort ist geschäftiges Kramen zu hören und zu sehen. In Davids Zimmer stehen etliche Kisten, Koffer und Taschen offen herum, teilweise bereits bis zum Rand gefüllt, teilweise noch fast leer. Es sieht nach Packen, nach Aufbruch aus und Sarah dämmert es langsam, was ihr Freund vorhat. Auch wenn sie dieses ungute Gefühl erst mal ignoriert und verdrängt. Zumindest bis sie ein hoffentlich klärendes Gespräch geführt hat.
âDavid?â Sarah geht weiter ins Zimmer hinein, zum Schreibtisch, an dem David mit dem Rücken zur Tür sitzt und offensichtlich etwas schreibt. Dabei dringt ein fast ohrenbetäubender Lärm einer bekannten Punkband, sonst gar nicht sein Musikgeschmack, aus dem CD-Player.
âDavid!!!
Sarah muss erst den scheuÃlichen Krach abstellen, um sich Gehör zu verschaffen. In die plötzlich eingetretene Stille, dreht David sich überrascht um, steht dann auf und geht langsam auf Sarah zu.
âHi, mein Sonnenscheinâ, begrüÃt er sie und drückt ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Keine Umarmung, kein leidenschaftlicher Kuss, der immer von der Stirn über die Nase verlief und bei ihrem Mund schon mal etwas länger dauern konnte. Ihr ganz eigenes Ritual.
Denn alles ist anders, seit dem Tod von Joyce, Davids Mutter, im März. Dabei war es eine Routineuntersuchung im Herbst vergangenen Jahres, die so viel Schreckliches zu Tage brachte. Ein äuÃerst schnell wachsender und seltener Hirntumor mit minimalen Ãberlebenschancen, da er nicht operabel war. Dazu erste Metastasen in der Lunge. Ein Todesurteil. Die Zeit bis Mitte Februar konnte Joyce noch zu Hause bleiben, dann lieÃen es die sich häufenden Krampfanfälle und die Erblindung nicht mehr zu. Ihre letzten Tage und Stunden verbrachte sie in einem Hospizâ¦
All das spukt Sarah durch den Kopf, wenn sie David nun vor sich sieht.
Er ist kaum wieder zuerkennen, hat wenig mit dem jungen Mann gemein, in den sie sich vor rund vier Jahren verliebt hat. Seine Augen liegen in dunklen Höhlen, ihnen fehlt jeglicher Glanz. Das Lächeln, wenn überhaupt, wirkt erzwungen und unecht. AuÃerdem hat David in den letzten Monaten gut zwanzig Pfund an Gewicht verloren. Er ist nicht mehr der groÃe, mysteriöse Typ, an dessen Schulter man sich anlehnen konnte und geborgen fühlte. Sondern ein gebrochener Mann, der trotz seiner guten 1,90 m KörpergröÃe so verletzlich wirkt, dass man ihn einfach nur in die Arme schlieÃen möchteâ¦
âHi.â Sarah schaut sich immer noch entgeistert um.
âSag mal, was wird das, wenn es fertig ist?â
âMan hat mir einen Job angeboten. Also packe ich.â
âWow, das ist toll. Herzlichen Glückwunsch.â Sarah ist ehrlich froh. Immerhin hatten David und sie nach der endlosen Suche schon bald nicht mehr damit gerechnet, eine Anstellung zu finden.
âAber scheinbar nicht in direkter Nähe, wenn ich das hier sehe.â
âNein, ich gehe nach Washington. Eine private High-School sucht kurzfristig einen Lehrer für Englisch und Geschichte. AuÃerdem werde ich beim Sommerferienkurs mitarbeiten. Sozusagen meine Probezeit. Das heiÃt, der Umzug muss bis spätestens Ende nächster Woche über die Bühne sein.â David spricht die Worte ohne jegliche Emotionen aus. Als wäre es das Natürlichste der Welt.
âDas ist ja alles ganz toll. Und wann gedachtest du es mir zu erzählen? Wenn du in Washington angekommen bist?â
âIch sags dir doch gerade.â
âJa, aber nur, weil deine Schwester mich herbestellt hat.â
Langsam wird Sarah wütend und zerrt David von der Tasche weg, dessen ReiÃverschluss er gerade schlieÃen will.
âVerdammt David, sieh mich an. Was soll das. Was erhoffst du dir von Washington und vor allem, warum sagst du mir nicht Bescheid, sondern stellst mich vor vollendete Tatsachen. Bedeute ich dir so wenig, dass du mich bei einer wichtigen Entscheidung wie dieser übergehst.â
âEs war eine einmalige Chance. Warum sollte ich sie ungenutzt verstreichen lassenâ, fragt David trotzig und wendet sich wieder seinen Sachen zu.
âUnd was wird aus mirâ¦aus uns. Ich liebe dich dochâ, versucht Sarah einen letzten Versuch, ihren Freund aus der Reserve zu locken. Doch David schweigt sich aus und Sarah muss sich sehr zusammenreiÃen, um nicht anfangen zu weinen. Es sind einfach zu viele Tränen in den vergangenen zwölf Monaten vergossen worden. Besonders an einem Tag, wo sie und David glaubten, das schlimmste bereits überstanden zu haben.
Flashback Sommer 96
Der Unfall, Liams Geburt und seine Beerdigung liegen inzwischen einige Wochen zurück. Heute muss Sarah zur Nachuntersuchung, schauen ob alles gut verheilt ist. David begleitet sie zu dem Termin ins Krankenhaus und sitzt jetzt nervös und angespannt vor dem Untersuchungsraum, bis er von Lucy Arketh hereingebeten wird.
âHey.â David nimmt neben Sarah Platz und umschlieÃt mit seinen Händen die ihren. Eiskalt sind sie und zittern leicht, was nicht an den fast schon tropischen Temperaturen drauÃen liegen dürfte.
âDie Befunde sind gröÃtenteils in Ordnungâ, beginnt Lucy und blättert noch einmal durch die Krankenakte, bevor sie weiter spricht. Es fällt ihr selbst nicht besonders leicht, da sie das junge Paar seit gut einem halben Jahr begleitet und sich ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut hat. Aber die Wahrheit müssen sie erfahren. Da führt kein Weg dran vorbei.
âJohn ist mit den Lungenfunktionswerten und den letzten Röntgenaufnahmen sehr zufrieden. Es ist alles in Ordnung. Die Operationsnarben sind ebenfalls gut verheilt. Was mir jedoch aufgefallen ist und Sorgen bereitet, im Unterbauch befindet sich Narbengewebe, besonders an den Eileitern. Es ist eine gewisse Durchlässigkeit vorhanden, ich kann allerdings nicht sagen, ob das ausreicht. Damit will ich euch nicht jegliche Hoffnung neben, doch die Wahrscheinlichkeit weitere Kinder zu bekommen, ist sehr gering.â
Flashback Ende
Diese Prognose hat sie fast schwerer getroffen, als der Verlust ihres Sohnes. Schlimmer war es für Sarah allemal, denn sie gab sich damals und auch jetzt noch, die Schuld an dem Unfall. Selbst wenn ihr alle, einschlieÃlich David, versuchen diese Gefühle auszureden und vom Gegenteil zu überzeugen. Denn der Schmerz über den Verlust sitzt tief. Zu tief, um ihn einfach zu übergehen.
âIch halte das einfach nicht mehr ausâ, hört Sarah plötzlich Davids leise Worte aus dem Hintergrund und wischt sich rasch ein paar verirrte Tränen aus den Augen.
âDu kannst dich aber nicht versteckenâ, antwortet Sarah automatisch und weià in diesem Augenblick genau, was in ihrem Freund vorgeht. SchlieÃlich gab und gibt es Momente, wo sie sich gegenseitig öffnen und reden können. Auch wenn diese meist durchwachten Nächte rar sind.
âEs ist besser, wenn du jetzt gehst!â
âUnd dann? Soll hier an dieser Stelle alles vorbei sein, was wir uns in den letzten Jahren aufgebaut haben.â
Sarah versteht die Welt nicht mehr, ist wie vor den Kopf gestoÃen, doch als David wortlos nickt, hält sie es nicht länger in seiner Gegenwart aus und verlässt fluchtartig das Zimmer.
Auf der Treppe läuft sie Julie in die Arme, die Sarahs tränennasses Gesicht sieht und sich ihren Teil denken kann. Aufhalten kann sie sie nicht, da diese in Richtung Haustür weiter stürmt und erst anhält, als mehrere hundert Meter zwischen ihr und David sind. Langsam geht sie zur nächsten Bushaltestelle, während die letzten Worte der Unterhaltung immer lauter und drängender in ihrem Gedächtnis widerhallen.
âEs ist besser du gehst. Es ist vorbei.â Gut das hat David nicht gesagt, aber sein Gesichtsausdruck hat mehr als tausend Worte gesprochenâ¦
°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Als Sarah schlieÃlich zu Hause ankommt, ist der erste Tränenstrom versiegt. Doch Tony erkennt trotzdem, dass etwas passiert ist, als er seine Tochter sieht, sie sich kurz anmeldet und sofort in ihrem Zimmer verschwindet.
Dort kann sie ihren Tränen freien Lauf lassen, die sie während der Heimfahrt mühsam unterdrückt hat. Lang allein bleibt sie trotzdem nicht, denn nach einer Weile wird zaghaft an die Tür geklopft.
âIch will niemanden sehenâ, ruft Sarah zwischen zwei Schluchzern und vergräbt ihr Gesicht noch etwas tiefer im Kissen.
âIch bin es, Jenny.â Langsam drückt sie die Klinke hinunter und späht in den Raum. Die Vorhänge sind geschlossen, kein Tageslicht erhellt das Zimmer. Die Luft ist abgestanden und stickig, was auch mit dem Wetter zusammen hängt. Seit mittlerweile vier Wochen klettert das Thermometer tagtäglich auf 35 °C und darüber.
âIch habe doch gesagt, ich will niemanden sehenâ, verleiht Sarah ihren letzten Worten Nachdruck.
âSich einigeln bringt aber auch nichts. Egal was vorgefallen istâ, wagt Jenny einen weiteren Vorstoà und tritt einen Schritt näher.
âVielleicht habe ich ja das Bedürfnis, mich einzuigeln.â
âTrotzdem lass ich etwas frische Luft rein. Was hältst du davon.â
Keine Antwort, nur weiteres schluchzen und schniefen. Also schiebt Jenny die Vorhänge ein Stück zur Seite und öffnet die Terrassentür. Sofort wölben sich die Gardinen durch den Wind, der in den letzten Minuten aufgekommen ist und eine frische Brise zieht durch den Raum.
Erst jetzt erkennt Jenny nähere Einzelheiten. Sämtliche Fotos auf denen David abgebildet ist, hat Sarah von den Wänden genommen und verkehrt herum auf den kleinen Tisch am Fenster gelegt. Ebenso das gerahmte Portrait, welches sie fürs Weihnachtsfest 94 fotografiert. Ein ähnliches Bild dieser Serie hängt in Tonys Arbeitszimmer. Sarah selbst hat sich auf ihrem Bett wie ein Embryo zusammen gerollt und fängt jetzt an zu zittern, als der kühle Wind ihre feucht verschwitzten Kleider und das tränenüberströmte Gesicht treffen und einhüllen
âHey.â Zaghaft berührt Jenny ihre Schulter, so dass sie sich umdreht.
âWillst du mir nicht sagen, was passiert ist?â fragt sie und stellt eine Kleenexbox in Reichweite. Scheinbar hat Sarah bisher ihr Kopfkissen benutzt.
âDa gibt es nicht viel zu erzählen. Es ist ausâ, flüstert sie und ein weiterer Strom des salzigen Nass bahnt sich seinen Weg.
âOh SüÃe, es tut mir so leid. Meinst du, es ist endgültig?â
Sarah nickt und erzählt dann stockend und unter vielen Tränen von der Unterhaltung mit David.
âWeiÃt du, er hat es nicht direkt gesagt, aber sein Gesichtsausdruck hat gereicht. Dabei hätte ich es verstanden, wenn er mir von seinen beruflichen Plänen erzählt hätte. Aber mich einfach vor vollendete Tatsachen stellen und still und heimlich verschwinden wollen, das begreife ich einfach nicht. Dabei dachte ich, unsere Liebe würde ewig halten, was auch geschieht. Das war wohl ein Irrtum.â
Sarah zieht ein weiteres Taschentuch aus der inzwischen fast leeren Box und wischt sich über die rot geschwollenen Augen.
âDas ist furchtbarâ, tröstet Jenny das Häufchen Elend vor sich. Oder versucht es zumindest.
âFurchtbar ist das falsche Wort. Es tut so weh, ich würde am liebsten sterben. Ich krieg kaum Luft und kann nicht richtig atmen. Erst recht, wenn ich daran denke, dass ich morgen Früh aufwachen werde und es genauso ist, wie jetzt. Die Tatsache ist und bleibt, David will mich nicht mehr bei sich haben. Damit muss ich mich abfinden. AuÃerdem wäre es wesentlich schlimmer, wenn auch noch ein Kind im Spiel wäre.â
âVielleicht wäre Davids Entscheidung dann anders ausgefallen.â
âMeinst du?â
âJa. Ich will sein Verhalten nicht gut heiÃen oder gar befürworten, aber ich schätze David als einen Menschen ein, der die Verantwortung nicht scheut, wenn sie da ist. Er fühlt sich mit der derzeitigen Situation wahrscheinlich nur völlig überfordert.â
âDenkst du ich bin schuld, weil ich den Unfall hatte und Liam gestorben ist.â Sarahs Augen füllen sich schon wieder mit Tränen. Normalerweise kommt sie mit dem Gedanken an ihren Sohn ganz gut klar und besucht auch regelmäÃig sein Grab, aber heute stürzt alles auf sie ein.
âNein SüÃe, du bist an gar nichts schuld. Ihr habt ein schweres Jahr hinter euch und du hast dein Möglichstes getan, David zu helfen, für ihn da zu sein. Auch wenn es weh tut, alles andere liegt nicht in deiner Macht.â
âHm, ok.â Ein zartes Lächeln umspielt Sarahs Lippen, auch wenn sie noch weit davon entfernt ist, wieder unbeschwert fröhlich zu sein.
âGut, magst du noch etwas mit runter kommen? Dein Vater und ich sitzen auf der Terrasse. Leiste uns Gesellschaft.â
âLieber nicht. Ich bleibe hier oben. Aber danke fürs zuhören.â
âKein Problem.â Jenny umarmt Sarah noch einmal ganz fest und steht dann auf.
âSoll ich mal schauen, ob noch Salat vom Abendessen übrig istâ, fragt sie, schon fast an der Tür.
âDu hast dich bestimmt nichts mehr gegessen seit dem Mittag.â Es ist mehr eine Feststellung, denn Jenny erwartet gar keine Antwort, sondern redet gleich weiter.
âIch bringe dir einfach was hoch. Tony hat deinen Lieblingssalat zubereitet mit Huhn und Ananas. So wie du ihn magst.â
âIst vielleicht keine schlechte Idee.â Sarah weià zwar schon jetzt, dass sie nicht mehr als ein paar Bissen runter bringen wird, aber das hat nicht allein mit dem heutigen Tag zu tun. Die Appetitlosigkeit dauert bereits mehrere Wochen und an den schlackernden Hosen ist erkennbar, dass sie wieder Pfunde verloren hat. Dazu ist keine Waage nötigâ¦
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Als David drei Tage später noch einmal bei den Hemmingwells auftaucht, um sich endgültig zu verabschieden, ist Sarah mehr als kurz angebunden. Dabei will sich David für sein Verhalten entschuldigen, auch wenn es für ihn kein Zurück gibt, was seinen Arbeitsvertrag betrifft. Er hat sich für zunächst ein Jahr verpflichtet. Doch die Worte bleiben ihm buchstäblich im Halse stecken, als Sarah ihm kühl eine gute Fahrt wünscht und dann freundlich aber bestimmt bittet zu gehen. So weh es tut, sie hält es einfach nicht länger in Davids Gegenwart aus, ohne in Tränen auszubrechen. Und die BlöÃe will sie sich nicht geben. Nicht nach dem, was alles geschehen ist.
Das soll es also gewesen sein??
Der Teil ist heute für dich. Viel Spaà beim lesen.
LG Emerson Rose
Teil 34
August 1997
âHi, komm doch rein.â Kaum hat Sarah geklingelt, steht Julie schon vor ihr. Klein Connor auf dem Arm, der bereits fürs Bett umgezogen ist und Sarah augenreibend anlächelt. Tasah, Tante Sarah soll das heiÃen, kräht er kurz und streckt die Ãrmchen nach ihr aus.
âHey kleiner Mann.â
Nur zu gern nimmt Sarah ihren Neffen auf den Arm, wo sich dieser sofort an seine Lieblingstante kuschelt. Auch wenn es schmerzt, Connor zu sehen und sich dabei vor Augen zu halten, was man verloren hat, passt Sarah gern auf den Zweijährigen auf. Besonders jetzt in den Semesterferien, während Julie in der Uni Sommerkurse besucht, um den Rückstand des letzten halben Jahres aufzuholen.
âGibt es irgendwas Besonderes? Du klangst am Telefon so aufgeregtâ, fragt Sarah ihre Schwägerin in Spe, während sie ihr, mit Connor auf dem Arm, in die Küche folgt.
âFrag David. Ich habe mir die letzten Stunden buchstäblich den Mund fusselig geredet und Wesley hat es davor auch schon probiert. Ohne Erfolg. Er will das wirklich durchziehen.â
âEr will was wirklich durchziehen?â Julie spricht immer mehr in Rätseln. Am Telefon vorhin bat sie sie nur, so schnell wie möglich vorbei zu kommen.
âDavid hat dir also noch nichts gesagt?â
âWas auch immer. Zurzeit bin ich froh, wenn er überhaupt mit mir spricht. Erst dachte ich, es würde sich mit der Zeit wieder einrenken, aber er resigniert und verweigert sich total.
âDann wird dir das, was er vorhat, bestimmt nicht gefallen. Aber frag ihn, vielleicht erreichst du etwas.
âDas werde ich, darauf kannst du dich verlassen. Komm Connor es geht zur Mummy.â Sarah gibt die süÃe Last an Julie zurück und steigt dann die Treppe in den ersten Stock hoch.
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Dort ist geschäftiges Kramen zu hören und zu sehen. In Davids Zimmer stehen etliche Kisten, Koffer und Taschen offen herum, teilweise bereits bis zum Rand gefüllt, teilweise noch fast leer. Es sieht nach Packen, nach Aufbruch aus und Sarah dämmert es langsam, was ihr Freund vorhat. Auch wenn sie dieses ungute Gefühl erst mal ignoriert und verdrängt. Zumindest bis sie ein hoffentlich klärendes Gespräch geführt hat.
âDavid?â Sarah geht weiter ins Zimmer hinein, zum Schreibtisch, an dem David mit dem Rücken zur Tür sitzt und offensichtlich etwas schreibt. Dabei dringt ein fast ohrenbetäubender Lärm einer bekannten Punkband, sonst gar nicht sein Musikgeschmack, aus dem CD-Player.
âDavid!!!
Sarah muss erst den scheuÃlichen Krach abstellen, um sich Gehör zu verschaffen. In die plötzlich eingetretene Stille, dreht David sich überrascht um, steht dann auf und geht langsam auf Sarah zu.
âHi, mein Sonnenscheinâ, begrüÃt er sie und drückt ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Keine Umarmung, kein leidenschaftlicher Kuss, der immer von der Stirn über die Nase verlief und bei ihrem Mund schon mal etwas länger dauern konnte. Ihr ganz eigenes Ritual.
Denn alles ist anders, seit dem Tod von Joyce, Davids Mutter, im März. Dabei war es eine Routineuntersuchung im Herbst vergangenen Jahres, die so viel Schreckliches zu Tage brachte. Ein äuÃerst schnell wachsender und seltener Hirntumor mit minimalen Ãberlebenschancen, da er nicht operabel war. Dazu erste Metastasen in der Lunge. Ein Todesurteil. Die Zeit bis Mitte Februar konnte Joyce noch zu Hause bleiben, dann lieÃen es die sich häufenden Krampfanfälle und die Erblindung nicht mehr zu. Ihre letzten Tage und Stunden verbrachte sie in einem Hospizâ¦
All das spukt Sarah durch den Kopf, wenn sie David nun vor sich sieht.
Er ist kaum wieder zuerkennen, hat wenig mit dem jungen Mann gemein, in den sie sich vor rund vier Jahren verliebt hat. Seine Augen liegen in dunklen Höhlen, ihnen fehlt jeglicher Glanz. Das Lächeln, wenn überhaupt, wirkt erzwungen und unecht. AuÃerdem hat David in den letzten Monaten gut zwanzig Pfund an Gewicht verloren. Er ist nicht mehr der groÃe, mysteriöse Typ, an dessen Schulter man sich anlehnen konnte und geborgen fühlte. Sondern ein gebrochener Mann, der trotz seiner guten 1,90 m KörpergröÃe so verletzlich wirkt, dass man ihn einfach nur in die Arme schlieÃen möchteâ¦
âHi.â Sarah schaut sich immer noch entgeistert um.
âSag mal, was wird das, wenn es fertig ist?â
âMan hat mir einen Job angeboten. Also packe ich.â
âWow, das ist toll. Herzlichen Glückwunsch.â Sarah ist ehrlich froh. Immerhin hatten David und sie nach der endlosen Suche schon bald nicht mehr damit gerechnet, eine Anstellung zu finden.
âAber scheinbar nicht in direkter Nähe, wenn ich das hier sehe.â
âNein, ich gehe nach Washington. Eine private High-School sucht kurzfristig einen Lehrer für Englisch und Geschichte. AuÃerdem werde ich beim Sommerferienkurs mitarbeiten. Sozusagen meine Probezeit. Das heiÃt, der Umzug muss bis spätestens Ende nächster Woche über die Bühne sein.â David spricht die Worte ohne jegliche Emotionen aus. Als wäre es das Natürlichste der Welt.
âDas ist ja alles ganz toll. Und wann gedachtest du es mir zu erzählen? Wenn du in Washington angekommen bist?â
âIch sags dir doch gerade.â
âJa, aber nur, weil deine Schwester mich herbestellt hat.â
Langsam wird Sarah wütend und zerrt David von der Tasche weg, dessen ReiÃverschluss er gerade schlieÃen will.
âVerdammt David, sieh mich an. Was soll das. Was erhoffst du dir von Washington und vor allem, warum sagst du mir nicht Bescheid, sondern stellst mich vor vollendete Tatsachen. Bedeute ich dir so wenig, dass du mich bei einer wichtigen Entscheidung wie dieser übergehst.â
âEs war eine einmalige Chance. Warum sollte ich sie ungenutzt verstreichen lassenâ, fragt David trotzig und wendet sich wieder seinen Sachen zu.
âUnd was wird aus mirâ¦aus uns. Ich liebe dich dochâ, versucht Sarah einen letzten Versuch, ihren Freund aus der Reserve zu locken. Doch David schweigt sich aus und Sarah muss sich sehr zusammenreiÃen, um nicht anfangen zu weinen. Es sind einfach zu viele Tränen in den vergangenen zwölf Monaten vergossen worden. Besonders an einem Tag, wo sie und David glaubten, das schlimmste bereits überstanden zu haben.
Flashback Sommer 96
Der Unfall, Liams Geburt und seine Beerdigung liegen inzwischen einige Wochen zurück. Heute muss Sarah zur Nachuntersuchung, schauen ob alles gut verheilt ist. David begleitet sie zu dem Termin ins Krankenhaus und sitzt jetzt nervös und angespannt vor dem Untersuchungsraum, bis er von Lucy Arketh hereingebeten wird.
âHey.â David nimmt neben Sarah Platz und umschlieÃt mit seinen Händen die ihren. Eiskalt sind sie und zittern leicht, was nicht an den fast schon tropischen Temperaturen drauÃen liegen dürfte.
âDie Befunde sind gröÃtenteils in Ordnungâ, beginnt Lucy und blättert noch einmal durch die Krankenakte, bevor sie weiter spricht. Es fällt ihr selbst nicht besonders leicht, da sie das junge Paar seit gut einem halben Jahr begleitet und sich ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut hat. Aber die Wahrheit müssen sie erfahren. Da führt kein Weg dran vorbei.
âJohn ist mit den Lungenfunktionswerten und den letzten Röntgenaufnahmen sehr zufrieden. Es ist alles in Ordnung. Die Operationsnarben sind ebenfalls gut verheilt. Was mir jedoch aufgefallen ist und Sorgen bereitet, im Unterbauch befindet sich Narbengewebe, besonders an den Eileitern. Es ist eine gewisse Durchlässigkeit vorhanden, ich kann allerdings nicht sagen, ob das ausreicht. Damit will ich euch nicht jegliche Hoffnung neben, doch die Wahrscheinlichkeit weitere Kinder zu bekommen, ist sehr gering.â
Flashback Ende
Diese Prognose hat sie fast schwerer getroffen, als der Verlust ihres Sohnes. Schlimmer war es für Sarah allemal, denn sie gab sich damals und auch jetzt noch, die Schuld an dem Unfall. Selbst wenn ihr alle, einschlieÃlich David, versuchen diese Gefühle auszureden und vom Gegenteil zu überzeugen. Denn der Schmerz über den Verlust sitzt tief. Zu tief, um ihn einfach zu übergehen.
âIch halte das einfach nicht mehr ausâ, hört Sarah plötzlich Davids leise Worte aus dem Hintergrund und wischt sich rasch ein paar verirrte Tränen aus den Augen.
âDu kannst dich aber nicht versteckenâ, antwortet Sarah automatisch und weià in diesem Augenblick genau, was in ihrem Freund vorgeht. SchlieÃlich gab und gibt es Momente, wo sie sich gegenseitig öffnen und reden können. Auch wenn diese meist durchwachten Nächte rar sind.
âEs ist besser, wenn du jetzt gehst!â
âUnd dann? Soll hier an dieser Stelle alles vorbei sein, was wir uns in den letzten Jahren aufgebaut haben.â
Sarah versteht die Welt nicht mehr, ist wie vor den Kopf gestoÃen, doch als David wortlos nickt, hält sie es nicht länger in seiner Gegenwart aus und verlässt fluchtartig das Zimmer.
Auf der Treppe läuft sie Julie in die Arme, die Sarahs tränennasses Gesicht sieht und sich ihren Teil denken kann. Aufhalten kann sie sie nicht, da diese in Richtung Haustür weiter stürmt und erst anhält, als mehrere hundert Meter zwischen ihr und David sind. Langsam geht sie zur nächsten Bushaltestelle, während die letzten Worte der Unterhaltung immer lauter und drängender in ihrem Gedächtnis widerhallen.
âEs ist besser du gehst. Es ist vorbei.â Gut das hat David nicht gesagt, aber sein Gesichtsausdruck hat mehr als tausend Worte gesprochenâ¦
°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Als Sarah schlieÃlich zu Hause ankommt, ist der erste Tränenstrom versiegt. Doch Tony erkennt trotzdem, dass etwas passiert ist, als er seine Tochter sieht, sie sich kurz anmeldet und sofort in ihrem Zimmer verschwindet.
Dort kann sie ihren Tränen freien Lauf lassen, die sie während der Heimfahrt mühsam unterdrückt hat. Lang allein bleibt sie trotzdem nicht, denn nach einer Weile wird zaghaft an die Tür geklopft.
âIch will niemanden sehenâ, ruft Sarah zwischen zwei Schluchzern und vergräbt ihr Gesicht noch etwas tiefer im Kissen.
âIch bin es, Jenny.â Langsam drückt sie die Klinke hinunter und späht in den Raum. Die Vorhänge sind geschlossen, kein Tageslicht erhellt das Zimmer. Die Luft ist abgestanden und stickig, was auch mit dem Wetter zusammen hängt. Seit mittlerweile vier Wochen klettert das Thermometer tagtäglich auf 35 °C und darüber.
âIch habe doch gesagt, ich will niemanden sehenâ, verleiht Sarah ihren letzten Worten Nachdruck.
âSich einigeln bringt aber auch nichts. Egal was vorgefallen istâ, wagt Jenny einen weiteren Vorstoà und tritt einen Schritt näher.
âVielleicht habe ich ja das Bedürfnis, mich einzuigeln.â
âTrotzdem lass ich etwas frische Luft rein. Was hältst du davon.â
Keine Antwort, nur weiteres schluchzen und schniefen. Also schiebt Jenny die Vorhänge ein Stück zur Seite und öffnet die Terrassentür. Sofort wölben sich die Gardinen durch den Wind, der in den letzten Minuten aufgekommen ist und eine frische Brise zieht durch den Raum.
Erst jetzt erkennt Jenny nähere Einzelheiten. Sämtliche Fotos auf denen David abgebildet ist, hat Sarah von den Wänden genommen und verkehrt herum auf den kleinen Tisch am Fenster gelegt. Ebenso das gerahmte Portrait, welches sie fürs Weihnachtsfest 94 fotografiert. Ein ähnliches Bild dieser Serie hängt in Tonys Arbeitszimmer. Sarah selbst hat sich auf ihrem Bett wie ein Embryo zusammen gerollt und fängt jetzt an zu zittern, als der kühle Wind ihre feucht verschwitzten Kleider und das tränenüberströmte Gesicht treffen und einhüllen
âHey.â Zaghaft berührt Jenny ihre Schulter, so dass sie sich umdreht.
âWillst du mir nicht sagen, was passiert ist?â fragt sie und stellt eine Kleenexbox in Reichweite. Scheinbar hat Sarah bisher ihr Kopfkissen benutzt.
âDa gibt es nicht viel zu erzählen. Es ist ausâ, flüstert sie und ein weiterer Strom des salzigen Nass bahnt sich seinen Weg.
âOh SüÃe, es tut mir so leid. Meinst du, es ist endgültig?â
Sarah nickt und erzählt dann stockend und unter vielen Tränen von der Unterhaltung mit David.
âWeiÃt du, er hat es nicht direkt gesagt, aber sein Gesichtsausdruck hat gereicht. Dabei hätte ich es verstanden, wenn er mir von seinen beruflichen Plänen erzählt hätte. Aber mich einfach vor vollendete Tatsachen stellen und still und heimlich verschwinden wollen, das begreife ich einfach nicht. Dabei dachte ich, unsere Liebe würde ewig halten, was auch geschieht. Das war wohl ein Irrtum.â
Sarah zieht ein weiteres Taschentuch aus der inzwischen fast leeren Box und wischt sich über die rot geschwollenen Augen.
âDas ist furchtbarâ, tröstet Jenny das Häufchen Elend vor sich. Oder versucht es zumindest.
âFurchtbar ist das falsche Wort. Es tut so weh, ich würde am liebsten sterben. Ich krieg kaum Luft und kann nicht richtig atmen. Erst recht, wenn ich daran denke, dass ich morgen Früh aufwachen werde und es genauso ist, wie jetzt. Die Tatsache ist und bleibt, David will mich nicht mehr bei sich haben. Damit muss ich mich abfinden. AuÃerdem wäre es wesentlich schlimmer, wenn auch noch ein Kind im Spiel wäre.â
âVielleicht wäre Davids Entscheidung dann anders ausgefallen.â
âMeinst du?â
âJa. Ich will sein Verhalten nicht gut heiÃen oder gar befürworten, aber ich schätze David als einen Menschen ein, der die Verantwortung nicht scheut, wenn sie da ist. Er fühlt sich mit der derzeitigen Situation wahrscheinlich nur völlig überfordert.â
âDenkst du ich bin schuld, weil ich den Unfall hatte und Liam gestorben ist.â Sarahs Augen füllen sich schon wieder mit Tränen. Normalerweise kommt sie mit dem Gedanken an ihren Sohn ganz gut klar und besucht auch regelmäÃig sein Grab, aber heute stürzt alles auf sie ein.
âNein SüÃe, du bist an gar nichts schuld. Ihr habt ein schweres Jahr hinter euch und du hast dein Möglichstes getan, David zu helfen, für ihn da zu sein. Auch wenn es weh tut, alles andere liegt nicht in deiner Macht.â
âHm, ok.â Ein zartes Lächeln umspielt Sarahs Lippen, auch wenn sie noch weit davon entfernt ist, wieder unbeschwert fröhlich zu sein.
âGut, magst du noch etwas mit runter kommen? Dein Vater und ich sitzen auf der Terrasse. Leiste uns Gesellschaft.â
âLieber nicht. Ich bleibe hier oben. Aber danke fürs zuhören.â
âKein Problem.â Jenny umarmt Sarah noch einmal ganz fest und steht dann auf.
âSoll ich mal schauen, ob noch Salat vom Abendessen übrig istâ, fragt sie, schon fast an der Tür.
âDu hast dich bestimmt nichts mehr gegessen seit dem Mittag.â Es ist mehr eine Feststellung, denn Jenny erwartet gar keine Antwort, sondern redet gleich weiter.
âIch bringe dir einfach was hoch. Tony hat deinen Lieblingssalat zubereitet mit Huhn und Ananas. So wie du ihn magst.â
âIst vielleicht keine schlechte Idee.â Sarah weià zwar schon jetzt, dass sie nicht mehr als ein paar Bissen runter bringen wird, aber das hat nicht allein mit dem heutigen Tag zu tun. Die Appetitlosigkeit dauert bereits mehrere Wochen und an den schlackernden Hosen ist erkennbar, dass sie wieder Pfunde verloren hat. Dazu ist keine Waage nötigâ¦
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Als David drei Tage später noch einmal bei den Hemmingwells auftaucht, um sich endgültig zu verabschieden, ist Sarah mehr als kurz angebunden. Dabei will sich David für sein Verhalten entschuldigen, auch wenn es für ihn kein Zurück gibt, was seinen Arbeitsvertrag betrifft. Er hat sich für zunächst ein Jahr verpflichtet. Doch die Worte bleiben ihm buchstäblich im Halse stecken, als Sarah ihm kühl eine gute Fahrt wünscht und dann freundlich aber bestimmt bittet zu gehen. So weh es tut, sie hält es einfach nicht länger in Davids Gegenwart aus, ohne in Tränen auszubrechen. Und die BlöÃe will sie sich nicht geben. Nicht nach dem, was alles geschehen ist.
Das soll es also gewesen sein??