Im Schattenzimmer (Geschichten von der Rose)
#9

4.


Der Schritt zurück

Zögernd stand sie vor dem Spiegel und betrachtete sich noch einmal von oben bis unten. Das kurze, dunkelrote Kleid lag eng an ihrem Körper und betonte so ihre Hüften und ihren Busen. Sie hatte Parfum aufgelegt und sogar noch eine kleine Kette um den Hals. Ihre dunklen, frisch gewaschenen Haare umrahmten ihr ebenes Gesicht und ihre Augen schienen im spärlichen Licht des Flures zu glitzern.
Fast wie das sich brechende Licht an einem lauen Frühlingsmorgen unten am kleinen Fluss.

Neben ihren Spiegel war die Tischlampe an, die den Gang vom Wohnzimmer zur Wohnungstür in ein gedämpftes Licht erscheinen ließ. Sonst war es dunkel.
Unten von der Straße klangen die Laute der Straße zu ihr herauf, obwohl kein Fenster geöffnet war. Doch das Licht vom gegenüberliegenden Laden hörte nicht auf zu blinken.
Sie wartete. Hörte nur ihren eigenen Atem.

Langsam breitete sich wieder Spannung in ihr aus. Wie jedes Mal, wenn es wieder so weit war. Doch sie konnte nicht anders. Ein Zurück gab es nicht mehr. Sie holte tief Luft, doch auch dieses Ritual, wenn sie aufgeregt war, unterdrückte nicht die Gänsehaut, die sich nun über ihren schmalen Körper legte. Plötzlich fror sie.

Sie hatte sich geschworen, dass es das letzte Mal sein würde. Doch sie wusste, dass dieses Vorhaben schneller gebrochen worden war, als sie denken konnte.
Die Anderen hatten Recht gehabt. Du kommst nie mehr davon los. Doch sie wollte es nicht glauben. Wieso? Es ist doch ganz einfach! Daraufhin lachten sie nur. Jetzt wusste sie es auch besser.
Sie war schon mitten drin.

Noch immer stand sie vor dem Spiegel. Betrachtete ihr Gesicht, das einer Maske glich. Augen stark betont, die Wangen hervorgehoben. Wie hatte sie sich verändert in dieser kurzen Zeit. Anders sah sie aus. Leicht verzog sie die Mundwinkel zu einem Lächeln, doch es war kein echtes.
Es war eine Fremde, die ihr nun mit leeren Augen entgegenblickte.

Wie spät ist es? Schnell sah sie auf die Uhr an ihrem Handgelenk. Gut, sie hatte noch ein wenig Zeit bevor er kam. Das Frösteln wurde stärker, und doch konnte sie sich nicht von der Stelle bewegen. Sie konnte nur warten, bis das Spiel begann.

Auf einmal hörte sie weiter unten im Haus einen Knall, der ihr ungewöhnlich laut vorkam und sie schrak zusammen. Es war eine Tür, die scheppernd ins Schloss fiel. Dann hörte sie Schritte die Treppe hinaufkommen. Kam er schon früher? Vor Anspannung vergaß sie fast das Atmen. Mit der zitternden Hand strich sie ihr Kleid glatt und richtete erneut ihr dunkles Haar. Löschte das Licht der kleinen Tischlampe. Die Nervosität, die sie vergangen glaubte, war wieder da.

Als sie hörte, wie die Schritte draußen verebbten, atmete sie erleichtert auf.
Du wirst in einen Strudel gezogen, aus dem du nie mehr wieder herauskommst, sagten sie. Du fängst an und glaubst, es wird leicht, doch stattdessen wird es schwerer. Mit jedem neuen Tag willst du Aufhören, hältst dich daran fest, bis auch dieser Tag vorüber ist und du feststellst, dass du es wieder nicht geschafft hast.
Das Aufhören ist zu einer Phrase geworden, die ständig an Bedeutung verliert.

Doch heute Abend ist Schluss. Noch einmal dachte sie nach, ob sie auch nichts vergessen hatte. Die Wohnung abgedunkelt, außer dem ständig blinkenden Licht drang kein Licht in ihr Zuhause.
Die Stille der eigenen Wohnung jagte ihr plötzlich Angst ein. Wie schon so oft fühlte sie sich auf einmal alleine. Nur die Gedanken und die Erinnerungen waren ihre Freunde, die sie aus der Einsamkeit retteten und sie in eine andere Welt entführten und so die Stunden überbrückten. Manchmal ging sie auch zum kleinen Fluss, der sie an ihre Kindheit erinnerte und saß dort stundenlang. Es war ihre persönliche Zufluchtsstätte, dort fühlte sie sich wohl.
Ja, es war alles vorbereitet, dachte sie dann. Heute würde sie entkommen.

Dann unterbrach ein Klingeln die Stille.
Nun war er da.
Fast bereute sie den Schritt, den Weg, den sie als Nächstes gehen würde, doch dieser Schritt war ihr letzter Ausweg. Ins Leben zurück. Egal mit welchen Konsequenzen. Kurz kam ihr die Mutter in den Sinn, die ihr immer riet, auch noch weiter zu gehen, gleich wo sie sich befand.

Ein letztes Mal schaute sie in den Spiegel. Das Frösteln und die Angst waren vorüber. Mit eine ruhigen Hand legte sie den Lippenstift auf.
Dann öffnete sie entschlossen die Tür. Das Spiel begann, und sie hoffte nur, dass er mitspielte. Sie begrüßte ihn mit einer Umarmung und zog ihn gleichzeitig in ihre Wohnung. Irgendwie schien er es eilig zu haben und drückte sie an die Wand, bereit, jetzt schon aufs Ganze zu gehen. Er spielte mit, doch dies hier war ihr Spiel und es waren ihre Regeln. Und die besagten, hab Geduld, er hat sowieso seine letzte Chance verspielt.

Den gierigen Händen und fordernder werdenden Küssen ausweichend, kam sie an ihm vorbei und ging ihm voraus ins Wohnzimmer, wo schon zwei Gläser und eine Flasche mit Wein auf sie warteten. Auch sie waren Teil des Spiels, doch das wusste nur sie alleine.
Er würde es jedoch nie erfahren.

Schnell hatte er ausgetrunken und war wieder bei ihr. Sie erneut heftig küssend, gab er diesmal nicht auf und fuhr fort, mit seinen Händen eine Gänsehaut auf ihrem Rücken zu hinterlassen. Als er mit ihnen unter dem Rock verschwand, glaubte sie beinahe, die Kontrolle zu verlieren. Er schaffte es immer wieder, sie in ihren Bann zu ziehen, und sie am Ende doch nur zu benutzen.

Sie ist nicht entkommen, sie hatten Recht gehabt, das wusste sie ganz genau. Aus Leichtsinn hat sie angefangen und weitergemacht. Weil sie dachte, es wird besser.
So lange, bis sie feststellte, dass es eine Lüge war. Die größte Lüge in ihrem Leben.

Doch dann fiel ihr wieder das Weinglas ein und ein Lächeln bildete sich auf ihren roten Lippen. Nur noch einmal wollte sie ihn gewähren lassen. Das geben, was er wollte. Dann ließ sie sich in ihrer aufkommenden Erregung fallen, vergaß alles und küsste ihn ebenso heftig zurück.

Und dann nahm sie ihm alles.

Das immer blinkende Licht weckte sie. Müde stand sie auf. Ein Blick zu ihrem Bett genügte und sie hatte die vergangene Nacht vor Augen. Als sie sich anzog, betrachtete sie ihn fast wehmütig. Sie hatte ihr Spiel durchgezogen, sich nicht davon abbringen lassen. Die Konsequenzen würde sie tragen müssen, das war ihr klar. Im Moment wollte sie jedoch nichts davon wissen.

Als sie aus dem Fenster schaute, bekam sie Lust, zum kleinen Fluss hinunter zu gehen und das Glitzern der ersten Sonnenstrahlen auf dem Wasser zu beobachten.

Unveränderten Blickes sah sie zu ihm zurück. Er lag regungslos unter der dünnen Decke. Es würde ein schöner Morgen werden, dachte sie. Irgendwie schade, dass er ihn nie erleben dürfte.
Dann fiel die Tür ins Schloss.

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