23.12.2004, 22:14
Hier, in Riskas Auftrag:
~*Kapitel 23*~
Hartford, Spätsommer 2005
Die Hände voller Einkaufstüten, öffnete Emily die Tür zu ihrer Wohnung und
lieà ihre neuen Errungenschaften seufzend auf den Boden fallen. Mit einer
Hand schloss sie die Tür, während sie mit der anderen aus ihren hochhackigen
Schuhen schlüpfte und, am Wohnzimmer vorbei, in ihr Schlafzimmer ging. Sie
wollte gerade aus ihrem Jackett schlüpfen, als sie stirnrunzelnd innehielt
und zurück in den Flur marschierte, wo sie am Durchgang zum Wohnzimmer
stehen blieb.
"Richard?", fragte sie fassungslos und dieser erhob sich aus einem der
teuren Sessel.
"Emily", erwiderte er freundlich lächelnd. "Schön hast du es hier. Sehr
geschmackvoll eingerichtet."
Halt suchend griff sie nach dem Türrahmen. "Was..?", fassungslos starrte sie
ihn an und spürte wie ein Schauer ihren Rücken herab lief.
"Ich wollte mit dir sprechen", antwortete er, zuckte entschuldigend mit den
Schultern und trat ein paar Schritte auf sie zu.
"Sprechen?", die Farbe wich aus ihrem Gesicht. "Hast du denn -"
"Deinen Brief nicht bekommen?", vollendete er den Satz. "Doch, das habe
ich."
Sie schluckte "Was willst du dann hier?"
"Was ich hier will? Ich will dich zurück. Verdammt, Emily, egal wie viele
Körbe du mir noch geben wirst, ich werde nicht aufgeben."
"Richard, bitte...."
"Nein. Diesmal nicht, ich werde nicht gehen. Im Gegenteil, ich werde solange
nicht mehr von deiner Seite weichen, bis du endlich zu mir zurückkommst."
"Das ist doch absurd", schnaubte sie.
"Ist es das? Dann möchte ich einen besseren Plan von dir hören. Na los, sag
schon", seine Stimme wurde lauter. "Oder noch besser, sag mir warum! Was ist
so schwer daran, mir zu sagen, dass du mich liebst? Ich kann es doch auch,
ich kann es dir doch auch sagen, denn so ist es, ich liebe dich, verdammt!"
"Hör auf", schrie sie ihn an. "Verflucht noch mal, kannst du mich nicht
einfach in Ruhe lassen?"
"Das werde ich ganz bestimmt nicht tun", er seufzte. "Emily, bitte", fuhr er
in gemäÃigterem Ton fort. "Du hast es doch eigentlich schon mit deinem Brief
getan."
"Das habe ich nicht. Ich wollte dir lediglich begreiflich machen, dass das
mit uns keinen Sinn mehr hat. Kannst du das denn nicht verstehen?"
"Kannst du denn nicht verstehen, dass wir zusammengehören?"
Sie ging nicht darauf ein, sondern deutete stur mit dem Kopf in Richtung
Flur. "Verlass bitte sofort meine Wohnung", forderte sie.
"Niemals!"
"Und ob du gehen wirst!"
"Nein, Emily. Ich werde bleiben und zwar solange, bis du endlich deinen
verdammten Stolz vergisst, über deinen Schatten springst und zu mir
zurückkommst", er wurde wieder mit jedem Wort lauter.
"Stolz? Es geht hier nicht um Stolz, Richard!"
"Worum dann?"
"Worum? Richard, ich -", sie fuhr sich über die Stirn. "Ich kann nicht, es
geht einfach nicht."
"Das ist doch Blödsinn!", donnerte er.
"Ist es nicht!"
"Dann nenn mir einen vernünftigen Grund!"
"Das weiÃt du doch ganz genau."
"Tue ich das? Weià ich es?", Richard suchte ihren Blick, doch sie wich ihm
aus. "Denkst du etwa ich will dich noch einmal verlieren? Denkst du etwa,
der Gedanke daran wäre für mich nicht genauso schmerzhaft wie für dich? Als
diese Polizisten auf Loreleis Hochzeit aufgetaucht sind und sagten, dass du
- ich dachte ich würde verrückt werden, ich hatte so schreckliche Angst um
dich. Ich habe auf dem Weg ins Krankenhaus gegen die Gesetze von drei
Bundesstaaten verstoÃen, da ich befürchtete zu spät zu kommen. Und als wir
dann endlich in Scranton waren, da - da durfte ich nicht zu dir, weil es
dein Mann schon war. Ich hätte bei dir sein sollen. Nicht er. Ich bin dein
Mann, nicht er. Ich will das nicht noch einmal erleben. Weder das ein
Anderer von sich behaupten kann, er sei dein Ehemann, noch das dir etwas
passiert. Aber das wird es vermutlich eines Tages. Oder mir. Genauso wie
einem von uns beiden schon vor dreiÃig Jahren etwas hätte passieren können.
Hat es uns damals daran gehindert, zu heiraten? Warum sollte es uns heute
daran hindern? Es wird nicht weniger wehtun, wenn wir die Zeit bis dahin
getrennt verbracht haben. Aber wenn wir die Zeit bis dahin miteinander
verbringen, dann wären wir in dieser Zeit wenigstens glücklich. Oder kannst
du etwa behaupten, dass du es bist? Bist du glücklich? Ich bin es nämlich
nicht. Ich kann es ohne dich nicht sein."
Emily drehte sich um und wollte aus dem Wohnzimmer stürzen, doch Richard
packte sie von hinten am Arm und hielt sie fest. "Sag es Emily, sag mir dass
du mich liebst. Und wenn du das nicht kannst, dann sag mir dass du mich
nicht liebst. Sag es so, das ich dir glaube. Eines von beidem, es ist mir
egal was, aber sag irgendetwas."
Emily schlug sich die Hand vor den Mund und versuchte ihre Tränen
zurückzuhalten. "Ich kann nicht", schrie sie und spürte wie Richard sie
herum drehte und sich sein Griff um ihre Handgelenke festigte.
"Sag es", verlangte er erneut von ihr.
"Verflucht, Richard, lass mich los", sie versuchte sich seinem Griff zu
entwinden, doch er hielt sie nur noch fester.
"Sag es, Emily!"
"Niemals!"
"Emily!"
"Nein!", sie machte erneut Anstalten sich von ihm zu lösen, gab jedoch
schlieÃlich auf und schüttelte kraftlos den Kopf. "Lass mich los, du tust
mir weh", bat sie ihn leise und dieses Mal kam er der Aufforderung nach.
Wortlos wand sie sich von ihm ab, setzte sich auf die Couch und versuchte
ihre zitternden Knie wieder unter Kontrolle zu bringen.
Richard setzte sich neben sie und legte sachte eine Hand auf Emilys, die
sich unwillkürlich versteifte, obwohl es in ihrem Inneren brodelte. Sie
wusste, dass Richard Recht hatte, dennoch fiel es ihr schwer die Zweifel und
die Angst beiseite zu schieben. Aber hier zu sitzen, so nah bei ihm. Sie
fühlte, wie eine einzelne Träne ihre Wange herunter rollte, ebenso wie sie
fühlte, dass Richard sie mit einer sanften Handbewegung zur Seite strich.
Emily schloss die Augen und versuchte wieder die Fassung zu finden, doch es
wollte ihr nicht gelingen. Seine Nähe, die Wärme die von ihm ausging,
machten es ihr unmöglich. Doch anstelle aufzustehen und so eventuell wieder
die Kontrolle über sich zu erlangen, blieb sie sitzen. Wut und Verzweiflung
machten sich in ihr breit. Wut über ihn, weil er sie in diese Situation
gebracht hatte. Wut über sich selbst, weil sie es hatte geschehen lassen.
Verzweiflung, weil sie es nicht fertig brachte das Richtige zu tun.
"Komm zurück zu mir, Emily", sagte er kaum hörbar. "Ich brauche dich doch."
Emily schluchzte laut auf und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.
Vorsichtig legte Richard seine Arme um sie, zog sie eng an sich und strich
ihr sanft übers Haar, während sie weinend ihren Kopf an seiner Schulter
verbarg.
Stars Hollow, Spätsommer 2005
Nach einem Mittagessen im Diner, das relativ gut verlaufen war, saÃen
Lorelei, Luke, Rory und Dean nun im Wohnzimmer und versuchten - jeder für
sich - mit der neuen Situation klarzukommen. Zunächst hatten sich die
Gespräche noch um den mittlerweile erfolgreich abgeschlossenen Umbau
gedreht, aber in den letzten Minuten hatte sich eine unangenehme Stille
ausgebreitet und Rory warf ihrer Mutter einen hilfesuchenden Blick zu. Diese
nahm sie jedoch gar nicht wahr, da sie völlig fasziniert ihren Mann
musterte, der scheinbar versuchte Dean mittels Kraft der Gedanken zu töten.
"Mom", zischte Rory.
"Mmhhh?"
"Ãhm. irgendwie ist das hier..gruselig."
"Ich weiÃ. Ist dir die Furche auf Lukes Stirn aufgefallen? Sie wird von
Sekunde zu Sekunde tiefer. Wenn wir Glück haben, können wir in ein paar
Minuten durch seinen Kopf sehen und ihn in Zukunft als Türspion verwenden."
"Oder als Ziel beim TorwandschieÃen."
"Vielleicht baut auch eine Vogelfamilie ihr Nest darin. Der Ausdruck "Du
hast einen Vogel" würde damit ganz neue Dimensionen annehmen", flüsterte
Lorelei grinsend.
"So ungern ich der Vogelfamilie auch ihr neues Eigenheim abspenstig machen
will - tu was. Bitte!", flehte Rory sie an und Lorelei tätschelte ihre Hand.
"Aber nur weil du es bist", sie hob ihre Stimme zu Zimmerlautstärke an.
"Luke, Schätzchen. Warum hilfst du mir nicht etwas Kaffee zu machen?"
"Sicher doch", entgegnete er, machte allerdings keinerlei Anstalten sich zu
rühren.
"In der Küche, Liebling", mühsam stand sie auf, da ihr Bauch in den letzten
Wochen gewaltig an Umfang zugenommen hatte - Anlass für zahlreiche Klagen
von Lorelei und den Spott Lukes, weil ihr der Babybauch ständig im Weg war
und sie so schon beim Aufstehen einige Tische umgeworfen hatte oder - wie
erst gestern - nicht mehr aus ihrem Kleid gekommen war. "Luke?", erinnerte
ihn sanft und er erhob sich widerspenstig.
Den Blick nicht von Dean lassend, folgte er seiner Frau in die Küche.
"Meinst du, wir können die beiden alleine lassen?", fragt er sie leise.
"Sie werden schon nicht übereinander herfallen."
"Man kann nie wissen."
Lorelei begann die Kaffeekanne mit Wasser zu füllen. "Würdest du mir einen
Gefallen tun?"
"Kommt ganz darauf an", erwiderte er, während er um die Küchenecke ins
Wohnzimmer schielte.
"Hör auf zu starren. Und nicht nur hier, sondern auch da drin."
"Aber -", versuchte er zu protestieren, doch Lorelei lies ihn nicht zu Wort
kommen.
"Kein aber. Sei nett. Sonst jagst du unserem zukünftigen Schwiegersohn noch
Angst ein."
Er fuhr herum. "Zukünftiger Schwiegersohn?"
"Nur eine Redewendung, Schatz", sie setzte die Kaffeemaschine in Gang und
die schwarze Flüssigkeit begann mit einem Gluckern in die Kanne zu laufen.
"Also, versprich mir brav zu sein. Und lächle, um Gottes Willen, lächle,
sonst stürmt noch das SEK unser Wohnzimmer und verhaftet dich wegen
versuchten Mordes durch Blickkontakt."
Luke seufzte. "Ich werde es versuchen."
"Luke."
"Ehrlich, ich werde mein Bestes geben."
"Luke!", warnte sie ihn erneut.
"Ja, doch, ich werde lächeln. Recht so?", er setzte ein gezwungenes Grinsen
auf und Lorelei stöhnte.
"Wenn das alles ist, was du zustande bringst, dann ist mir deine
Schlechte-Laune-Miene wesentlich lieber."
"Hey, besser kann ich es nicht."
"Dann denk an was Schönes. Denk an raindrops on Roses and whiskers on
kittens, bright copper kettles and warm woollen mittens, brown paper
packages tied up with strings ..", begann sie zu singen und Luke stöhnte
laut auf.
".. these are few of my favourite things. Cream coloured ponies and crisp
apple strudels, door bells and sleigh bells and schnitzel with noodles, wild
geese that fly with the moon on their wings, these are a few of my favourite
things.."
"Hör sofort auf zu singen, Lorelei!"
Sie nahm den Kaffe und tänzelte rückwärts zurück ins Wohnzimmer, während sie
ungerührt weiter sang. ".girls in white dresses with blue satin sashes,
snow flakes that stay on my nose and eye lashes, silver white winters that
melt into springs, these are a few of my favourite things. When the dog
bites, when the bee stings, when I'm feeling sad - I simply remember my
favourite things and then I don't feeeeeeeel so baaaaaaaaaaad.."
"Wowh. Von der Rocky Horror Picture Show zu einem Sound of Music-Sing-Along.
Ich bin schwer beeindruckt", sagte Rory grinsend, als Lorelei sich wieder
neben sie gesetzt hatte.
"Warte erst mal das Finale ab, wenn wir über die Schweizer Berge klettern
und dazu The hills are alive singen. Das wird ein SpaÃ", entgegnete
ihre Mutter und warf Luke gleichzeitig einen aufmunternden Blick zu.
"Allerdings müssen wir Captain von Trapp erst davon überzeugen, das Rolfe
der Richtige für dich ist, Liesl."
"So wie es aussieht, kannst du eher zurück ins Kloster gehen, als Luke zu
einer besseren Stimmung zu verhelfen." Rory schenkte sich Kaffee nach. "Was
hat er bloÃ?"
"Keine Ahnung, aber es liegt vermutlich an den Hormonen. Du weiÃt ja,
Schwangere und die Hormone", als Rory einen Schluck Kaffee trank, schob sie
schmollend die Unterlippe vor und sah missmutig ihren Tee an. "Bäh...",
Lorelei streckte die Zunge heraus und schob ihn von sich. "Also ihr Zwei,
was habt ihr in den Semesterferien noch so vor? Ein Kurztrip zur
Wedding-Chapel in Las Vegas? Euer gesamtes Geld verspielen? Die Nachfolge
von Siegfried und Roy antreten?"
Dean, der bislang hauptsächlich geschwiegen hatte, räusperte sich verlegen.
"Ãhm, Rory und ich, wir haben uns überlegt für ein paar Wochen nach Chicago
zu fahren."
"Chicago?", fragte Luke argwöhnisch.
"Ja, zu ein paar alten Freunden von mir."
"Freunden oder Freundinnen?", hakte Luke nach und erntete dafür einen
bösen Blick von Lorelei.
"Das klingt doch nett. Und Rory war auch noch nie in Chicago. Das heiÃt in
dem Musical waren wir schon, aber in der Stadt - soll ja hoch
hergehen da. Hunderte von Schlachthöfen, gut gebaute Stahlarbeiter in engen,
dreckverschmierten Unterhemden, jede Menge Bahngleise, um sich in
selbstmörderischer Absicht darauf zu werfen."
"Den ganzen Jazz nicht zu vergessen", warf Rory ein und Lorelei nickte.
"Razzle Dazzle, Baby."
"So in etwa", bestätigte Dean und zog unbehaglich an seinem Hemdkragen. "Es
gibt aber auch den Sears Tower und den Michigansee und Parks und Kinos und
-"
"- und deine Freunde. Die bestimmt wahnsinnig nette Freunde sind und
wahnsinnig viel Verantwortungsbewusstsein haben und total vernünftig sind.
Ebenso wie du und ich und Rory und mein Mann. Wir sind schlieÃlich
alle erwachsen und verhalten uns dementsprechend."
Luke runzelte die Stirn. "Sicherlich", erwiderte er zähneknirschend und rang
sich endlich ein Lächeln ab. "Also, werdet ihr über Nacht in Stars Hollow
bleiben oder zurück nach New Haven fahren?", erkundigte er sich.
"Wir werden schätzungsweise hier bleiben. Oder, Dean?", sie wand sich an
ihren Freund.
"Ja. Ich habe meinen Eltern versprochen ihnen auch noch einen Besuch
abzustatten."
"Sehr schön. Dann könnten wir heute Abend ja ins Kino gehen. Also alle
zusammen, alle viereinhalb. Zusammen. Wie eine groÃe, glückliche Familie",
Lorelei sah strahlend in die Runde nahezu schmerzhaft verzogener Gesichter.
"Glücklich ist die Parole. Wie bei den Waltons. G L Ã C K L I C H",
buchstabierte sie und trank einen Schluck Tee, den sie jedoch sofort
angewidert zurück in die Tasse spuckte.
Hartford, Spätsommer 2005
Emily konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann sie gestern zu Bett
gegangen war oder wann Richard - sie schluckte und schlug langsam die Augen
auf. Erschrocken hielt sie die Luft an, als sie feststellte, dass sie nach
wie vor im Wohnzimmer war. Das Richard nach wie vor hier war und ihr Kopf
auf seiner Brust lag. "Oh mein Gott", wisperte sie ungläubig. Sie mussten
eingeschlafen sein. Nein, nicht mussten, sie waren es, korrigierte sie sich.
Vorsichtig schob sie seinen Arm zur Seite und schlüpfte von der Couch. Eine
Weile stand sie verloren und bewegungslos da und beobachtete wie sich sein
Körper mit jedem Atemzug langsam auf und ab bewegte. Eine Welle der
Vertrautheit durchfloss ihren Körper und ein Lächeln huschte über ihr
Gesicht. So leise wie möglich griff sie nach einer Decke und machte sich
daran sie behutsam über ihm auszubreiten. Emily hielt einen Moment inne, als
sie sie an seinen Schultern ablegte. "Ich dich auch", flüsterte sie und fuhr
ihm sanft die Wange entlang. Leise verlieà sie das Wohnzimmer und ging ins
Bad. Reizend, fuhr es ihr durch den Kopf als sie ihr Spiegelbild erblickte.
Nicht nur, das ihre Wimperntusche verlaufen war, nein, man sah ihr auch
deutlich an, das sie die Nacht auf einer Biedermeiercouch verbracht hatte,
die nicht mal zum Sitzen besonders geeignet war. Emily griff nach einer
Haarklammer und steckte sich ihr Haar behelfsmäÃig hoch. AnschlieÃend drehte
den Wasserhahn auf und lies einen Schwall des eisig kalten Wassers in ihr
Gesicht schwappen. Die Kälte vertrieb auch die letzten Reste der Müdigkeit
und ihr Verstand begann sich wie eine riesige Maschinerie langsam in Gang zu
setzen. Nachdem sie ihr Gesicht abgetrocknet hatte, warf sie erneut einen
Blick in den Spiegel und fragte sich wer die Person war, die sie daraus
anschaute. Sie erinnerte sich an Richards Worte. Kannst du etwa
behaupten, dass du es bist? Bist du glücklich? Auf seltsame Art und
Weise war sie es in diesem Moment. Obwohl nichts so war, wie es sein sollte,
war sie es. Ihre Gedanken schweiften vierzig Jahre zurück. War sie damals
nicht ein viel höheres Risiko eingegangen als sie es jetzt tat? Nein, wieder
musste sie sich korrigieren. Sie war bislang kein Risiko eingegangen. Sie
hatte Risiken immer gehasst und waren ihnen strikt aus dem Weg gegangen.
Risiken bedeuteten eine Gefahr für die Ordnung, je ordentlicher die Dinge
waren, desto sicherer hatte sie sich immer gefühlt. Je ordentlicher die
Dinge waren, desto weniger Gründe gab es sich zu fürchten. Sie schüttelte
den Kopf. Ordnung und Sicherheit hatte es in ihrem Leben nur gegeben,
solange sie mit Richard zusammen gewesen war. Weder davor noch danach hatte
sie sich jemals so geborgen und beschützt gefühlt. Weder davor noch danach
war sie glücklich gewesen. Aber jetzt war sie es. Weshalb konnte sie also
nicht einfach zurück ins Wohnzimmer gehen und ihm sagen, dass sie ihn
liebte? Welches Risiko ging sie dabei schon ein? Es wird nicht weniger
wehtun, wenn wir die Zeit bis dahin getrennt verbracht haben. Aber wenn wir
die Zeit bis dahin miteinander verbringen, dann waren wir in dieser Zeit
wenigstens glücklich. Gott, wie recht er hatte. Sie wollte nicht allein
sein. Sie wollte mit ihm zusammen sein. Aber selbst die besten Vorsätze
führten zur Katastrophe. Anstatt sich am Riemen zu reiÃen und es einfach
geschehen zu lassen, hörte sie immer wieder auf das warnende Summen in ihrem
Hinterkopf und verhielt sich genauso wie sie es eigentlich nie vorgehabt
hatte. Sie brach einen völlig irrsinnigen Streit vom Zaun und hoffte so dem
eigentlichen Problem aus dem Weg gehen zu können. Immer und immer wieder
dasselbe Spiel, immer wieder dieselben Gedanken, dieselben abstrusen
Kalkulationen und Listen, die sie seit Wochen, seit Monaten in ihrem Kopf
abspulte. Immer und immer wieder dasselbe Ergebnis. Die Angst ihn zu
verlieren gewann stets die Ãberhand. Sie hasste sich dafür, dieser Angst
wieder nachzugeben. Plötzlich erinnerte sie sich an den Tag ihrer Hochzeit.
Sie erinnerte sich daran, wie sie sich selbst geschworen hatte, nie wieder
etwas zu tun wofür sie sich selbst hassen würde.
Stars Hollow, Spätsommer 2005
Luke und Lorelei standen auf der Veranda und sahen dem Wagen von Rory
hinterher, der langsam am Ende der StraÃe verschwand.
"Wenn ich etwas zu sagen hätte, dann hätte ich etwas gesagt", brummte Luke
und leichte Verärgerung schwang in seiner Stimme mit.
"Wenn", Lorelei drückte ihm einen Kuss auf die Wange und ging zurück ins
Haus.
"Der Kerl ist mir nicht ganz geheuer."
"Der Kerl ist Dean. Der schlaksige Junge der jahrelang die Tüten in Taylors
Supermarkt gepackt hat. Er ist harmlos."
"Harmlos? Er hat Rory schon Mal sitzen gelassen."
"Rory hat ihn sitzen lassen. Und das ganze Zweimal. Das weiÃt du genau."
Lorelei lies sich seufzend auf einen der Küchenstühle fallen. Nach dem
gestrigen Theater hatte sie eigentlich gehofft, Luke hätte sich mittlerweile
wieder beruhigt. Zumindest hatte es am Abend so ausgesehen. Andererseits
hatte er im Kino auch nicht gerade viele Möglichkeiten dazu gehabt, sich
Dean gegenüber wie ein völlig paranoider Irrer zu verhalten. Sie konnte
einfach nicht verstehen, weshalb ihr Mann eine so groÃe Sache daraus machte.
Natürlich hätte sie sich auch gewünscht, dass sie früher von der Sache
erfahren hätte. Und das ihre Tochter nicht einer anderen Frau den Mann
wegnehmen würde. Andererseits wirkte Rory wirklich glücklich und wie sie
mittlerweile wusste, schien es ganz groÃe Tradition in ihrer Familie zu sein
sich in Verheiratete zu verlieben. Sodom und Gomorra im Hause Gilmore, wer
hätte das gedacht..
"Er war schon mal verheiratet", sagte Luke, dem scheinbar derselbe Gedanke
gekommen war.
"Das warst du auch schon. Nicole", zwitscherte sie mit einem zuckersüÃen
Lächeln.
"Und ich weià deshalb wie es ist, betrogen zu werden. Wer sagt uns, das er
mit Rory nicht dasselbe macht?", entgegnete er.
"Es ist Dean."
"Der Dean, der Lindsay hat sitzen lassen."
"Für Rory."
"Du kannst sie unmöglich mit ihm nach Chicago fahren lassen. Wer weià was
für eine alte Flamme da auf ihn wartet. Und schwups hat er ihr das Herz
gebrochen."
"Es wird nichts dergleichen passieren. Hast du nicht bemerkt, wie er sie
angesehen hat? Total verliebt", sie griff nach einem Pizzastück und begann
bedächtig darauf herumzukauen.
"Er hat sie mit den Augen ausgezogen, so hat er sie angesehen."
Lorelei verdrehte die Augen. "Hat er nicht."
"Und ob er das hat. Glaub mir, ich kenne diesen Blick."
"Es reicht, Luke. Selbst wenn - das gehört nun mal dazu, wenn man verliebt
ist. Das müsstest selbst du wissen."
"Und weshalb hat sie so lange verheimlicht, dass sie wieder mit ihm zusammen
ist? Da ist doch was im Busch!"
Obwohl Lorelei einerseits über Lukes Besorgnis gerührt war, begann sie
langsam die Geduld zu verlieren. "Das ist doch blödsinnig, Luke."
"Ach ja? Findest du? Ich finde es blödsinnig von dir, sie mit ihm ausgehen
zu lassen."
Lorelei lachte. "Gott, Luke. Sie wird bald zwanzig. Soll ich ihr zwei Monate
Fernsehverbot erteilen und sie in ihr Zimmer sperren?"
"Zum Beispiel. Jede vernünftige Mutter würde das tun!"
"Okay, Schatz. Wie du bereits erwähnt hast - du kannst gerne deine Meinung
äuÃern, wenn du etwas zu sagen hast. Aber das hast du nicht. Rory ist meine
Tochter. Und wenn ich der Meinung bin, das es okay ist, dann hast du das zu
akzeptieren."
"Na klasse", schnaubte er. "Wieder Mal gibst du mir einen Maulkorb. Ich
frage mich wie das wird, wenn das Baby erst da ist. Habe ich da etwas zu
sagen?"
"Du bist sein Vater, natürlich -", er unterbrach sie.
"Ach komm schon, Lorelei. Du hast dir bei Rorys Erziehung nie von jemandem
reinreden lassen, glaubst du das lässt sich jetzt auf einmal so schnell
abstellen?"
"Was soll das Luke? Wieso hackst du jetzt auf mir rum?"
"Ich hacke nicht auf dir rum. Ich will lediglich wissen, was für eine Rolle
ich bei der Erziehung unseres gemeinsamen Kindes spielen werde."
"Die des Vaters", keifte sie zurück.
"Und wie wird die aussehen? So wie Christophers bei der Erziehung von Rory?"
"Das ist nicht fair! Christopher hat es sich selbst so ausgesucht. Er war
nicht da, also musste ich mich alleine um Rory kümmern."
"Wie wird meine Rolle bei der Erziehung des Babys aussehen?", wiederholte er
mit Nachdruck.
"Na, du baust ihm eine Schaukel, wechselst ihm die Windeln, backst ihm
Kuchen zum Geburtstag und all das."
"Siehst du!"
"Sehe ich was?"
"Kuchen backen, Schaukeln bauen, Windeln wechseln. Wirklich tolle Aufgaben."
"So was tun Väter nun Mal."
"Du verstehst wirklich nicht, was ich meine, oder?"
"Nein, denn es ist nicht gerade einfach, die Gedankengänge eines Verrückten
zu verstehen."
"Dann erkläre ich es dir. Nehmen wir an Baby ist Siebzehn. Sie lernt diesen
Kerl kennen, der zwar unglaublich gut aussieht, aber es faustdick hinter den
Ohren hat, ein Vorstrafenregister von hier bis nach Ohio. Was würden wir
tun?"
"Nichts."
"Nichts?"
"Nichts!"
"Falsch! Wir würden ihr natürlich den Umgang mit ihm verbieten."
"Einer Siebzehnjährigen? Aber sicher doch, Luke. Scheinbar hast du
vergessen, was in dem Kopf von verknallten Siebzehnjährigen so vorgeht. Du
würdest es ihr verbieten? Bitte. WeiÃt du, was sie dann tun würde? Sie würde
nachts heimlich aus dem Fenster steigen und neun Monate später bist du
GroÃvater. Herzlichen Glückwunsch, Superdaddy!"
"Dann erlaubst du ihr also den Umgang mit diesem Nichtsnutz, obwohl ich
strikt dagegen bin?"
"Ja, da du scheinbar keinerlei Ahnung davon hast."
"Ich wusste es!", donnerte er und schlug mit der Faust auf den Tisch.
"Hör auf rumzubrüllen!", erwiderte sie in mindestens derselben Lautstärke.
"In meinem Haus brülle ich solange ich will!"
"Dein Haus, Herzchen? Das ist mein Haus!"
"Dein Haus, dein Kind - warum hast du mich überhaupt geheiratet? Ein
einfacher Besuch bei der Samenbank hätte es doch auch getan!", er schnappte
sich seine Jacke.
"Das ist ja wohl das Letzte!", schrie sie Luke hinterher, der mit knallender
Tür das Haus verlies. "Das ist wirklich das Allerletzte!", wütend warf sie
ihm ein Glas hinterher, das mit lautem Klirren in tausend Stücke zersprang.
Hartford, Spätsommer 2005
Als Richard aufwachte fragte er sich für einen Moment wo er war. Ein
unangenehmes Ziehen im Rücken, erinnerte ihn jedoch schnell daran. Emily,
fuhr es ihm durch den Kopf und er lächelte. Der Duft ihres Haares als er sie
ihm Arm gehalten hatte. Die Wärme die von ihrem Körper ausgegangen war. Die
gemischten Gefühle die er gehabt hatte. Einerseits war er so unendlich froh
gewesen, sie so nah bei sich zu spüren. Andererseits hatte es ihn
geschmerzt, sie so verletzlich zu sehen. Sie so zu sehen und zu wissen, das
er Schuld daran war. Erneut fragte er sich, wie sie es soweit hatten kommen
lassen können. Wie er es soweit hatte kommen lassen. Er war schlieÃlich
lange genug mit ihr verheiratet gewesen, um zu wissen wie stur sie sein
konnte. Und er war ebenso stur gewesen, sonst hätte er sie nicht gewähren
lassen. Er hätte schon vor zwei Jahren - ja, was eigentlich? Hatte nicht
auch ihm der Mut gefehlt dieser Posse ein Ende zu bereiten? Und jetzt war es
zu spät. Sie hatten zwei Jahre ihres Lebens verschenkt. Zwei Jahren ihres
gemeinsamen Lebens. Es war zu spät und trotzdem war es ein Anfang. Sie
hatten einen Anfang gemacht. Endlich. Richard schob die Decke zur Seite und
stand auf. Sie hatte ihn zugedeckt, wie man es mit kleinen Kindern tat. Sie
hatte ihn zugedeckt, wie sie es so oft getan hatte, wenn er wieder mal in
seinem Arbeitszimmer eingeschlafen war und sie ihn nicht hatte wecken
wollen. Richard ging den Flur entlang und betrat die Küche, aus der er ein
leises Geräusch vernommen hatte.
Emily lehnte an der Arbeitsplatte und beobachtete wie der Kaffee langsam in
die Tasse floss.
"Guten Morgen", sagte er und sie blickte ihn mit einem leichten Lächeln an.
"Guten Morgen", erwiderte sie mit einer gewissen Verunsicherung, da sie
nicht genau wusste wie es weitergehen würde. Sie wusste nur, dass sie
wollte, dass es weiterging. "Hast du gut geschlafen?", fragte sie ihn daher
so unverbindlich wie möglich.
"So gut es auf diesem Möbelstück ging."
"Oh, natürlich. Die Couch ist vermutlich nicht gerade dafür geeignet."
"Andererseits schläft es sich nie so gut, wie mit einer schönen Frau im
Arm."
Ihr Lächeln wurde zu einem Schmunzeln. "Zufälligerweise habe ich heute schon
in den Spiegel gesehen, Richard", entgegnete sie trocken.
"Vielleicht hast du da noch nicht so bezaubernd gelächelt wie jetzt", er
beeilte sich schnell Weiterzusprechen, da er Emily zuvorkommen wollte, die
gerade zu einer Antwort ansetzte. "Was hältst du davon, wenn wir das
wiederholen? Natürlich ohne uns gegenseitig anzuschreien und ohne diese
unbequeme Couch. Aber der Rest war doch ganz passabel."
"Einverstanden", sie nickte mit einer gewissen Scheu.
"Hervorragend. Wie wäre es mit einem Abendessen?"
"Einverstanden", wiederholte sie sich und Richard grinste.
"Hervorragend", sagte auch er zum zweiten Mal. "Ich...", bei dem Gedanken an
das, was er jetzt würde sagen müssen, war ihm nicht ganz wohl. SchlieÃlich
wollte er sie und ihre Beziehung nicht gleich wieder von Anfang an in die
alte Situation bringen - aber am frühen Abend würde seine Maschine nach
Moskau gehen. Nachdem er bereits den gestrigen Termin mit Superbe Tec hatte
ausfallen lassen, würde er sich das kein zweites Mal leisten können. "Ich werde allerdings für ein paar, ähm, Tage in Moskau sein. "
"Oh", für einen Augenblick schien ihr Gesicht zu einer starren Maske zu
werden, doch sie hatte sich schnell wieder gefangen. "Das ist in Ordnung."
"Glaub mir, wenn es sich irgendwie anders arrangieren lieÃe.."
"Nein, Richard, es ist wirklich vollkommen in Ordnung. SchlieÃlich wollen
auch die Russen gut versichert ein."
"Richtig", einen Moment sahen sich die beiden schweigend an, ehe er fort
fuhr. "Ich werde am 15. wieder da sein."
"Am 15.", Emily rechnete nach, ein paar Tage - siebzehn lange Tage. Aber was
machten siebzehn Tage jetzt noch für einen Unterschied? "Sehr schön, da
hatte ich noch nichts vor", sagte sie schlieÃlich und Richard atmete
erleichtert auf.
"Neunzehn Uhr im Makabo?"
"Neunzehn Uhr im Makabo. Ich werde da sein."
"Gut, denn ich werde auf dich warten", Richard trat ein paar Schritte auf
sie zu, nahm ihre Hand und küsste sie galant. "Wir sehen uns."
"Ja", sie sah ihm hinterher und griff schlieÃlich zufrieden nach ihrem
Kaffee. 15. September, 19 Uhr. Die Tasse fest umschlungen blickte sie auf
ihre Handfläche, die er eben noch geküsst hatte. Ein warmes Prickeln hatte
ihren Körper bei dieser Berührung durchflossen und hielt auch jetzt noch
vor. Ebenso wie ein Kribbeln in ihrer Magengegend, das sie leise daran
erinnerte, das sie allen Zweifeln zum Trotz das Richtige tat.
Stars Hollow, Spätsommer 2005
Lorelei saà zusammengekauert auf der Wohnzimmercouch und starrte das Telefon
an. Luke war jetzt seit sieben Stunden weg und sie wusste nicht, ob sie ihn
anrufen sollte oder nicht. Der Streit tat ihr furchtbar leid, aber sie
verstand einfach nicht, weshalb er plötzlich so ausgetickt war. Oder weshalb
sie darauf eingegangen war. Geknickt nahm sie das Telefon in die Hand und
wählte die Nummer von Lukes Diner.
"Hallo?"
"Luke, ich bin's. Lorelei."
"Hier ist jede Menge los, wenn es also nicht allzu wichtig ist, können
wir das auch später besprechen."
"Nicht allzu wichtig? Hör mal, wir hatten einen Streit. Einen bösen Streit.
Das ist schon irgendwie wichtig", entgegnete sie sichtlich verletzt.
"Dann willst du dich also entschuldigen?"
"Ich? Mich? Du dich! Du hast doch schlieÃlich angefangen!", erwiderter sie
und ihr Puls schoss wieder in die Höhe.
"Du willst also weiter streiten?"
"Nein, will ich nicht."
"Was dann?"
"Ich will nicht streiten."
"Schön."
"Unglaublich schön", sie presste die Lippen aufeinander. "Ich begreife
ehrlich nicht, was das soll, Luke. Es lief doch wirklich fantastisch
zwischen uns und plötzlich - das. Dieser sinnlose Streit über ein noch
sinnloseres Thema."
"Das war kein sinnloses Thema, zumindest halte ich es nicht für
sinnlos.
"Okay, ich kann ja irgendwie verstehen, dass du sauer bist. Aber Rory ist
nun mal meine Tochter. Ich hab das zwanzig Jahre alleine hingekriegt und
werde die restlichen Hürden auch noch alleine schaffen."
"Siehst du?"
"Sag nicht immer siehst du. Was soll ich denn sehen? Wie du ein Kaninchen
aus deinem Hut zauberst?"
"Gott, Lorelei, kannst du nicht einmal ernsthaft sein? Musst du ständig
über alles deine Witze reiÃen?"
"Okay, keine Witze mehr." Schweigen am anderen Ende der Leitung. "Luke? Komm
schon, hilf mir auf die Sprünge. Was soll ich sehen?"
"Das Wort, Lorelei."
"Das Wort?", fragte sie verblüfft.
"Ja, das Wort. Das Wort "alleine". Wir sind verheiratet. Da gibt es kein
alleine mehr. Zumindest sollte es das nicht."
Hartford, Herbst 2005
Er war viel zu früh da gewesen. Viel zu früh. Aber jetzt.. Richard warf
einen Blick auf seine Uhr und stellte fest, dass sie ihn bereits seit einer
halben Stunde warten lies. Emily lies ihn warten. Sie kam zu spät. Sie kam
nie zu spät. Sie war die Pünktlichkeit in Person. Sie war es immer gewesen.
Er wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Sie hatte ihn sitzen
lassen. Wieder. Aber weshalb? Richtig, es gab keinen Grund dafür. Vermutlich
war sie aufgehalten worden. Richard orderte einen zweiten Drink und sah dem
Zeiger seiner Armbanduhr dabei zu, wie er in Zeitlupe über das Ziffernblatt
kroch. Als er nach einer halben Ewigkeit und drei Drinks später auf halb
neun vorgerückt war, bestellte Richard sich einen letzten Whiskey und die
Rechnung. Dabei war er sich dieses Mal so sicher gewesen, es endlich
geschafft zu haben, endlich zu ihr durchgedrungen zu sein und ihr
begreiflich gemacht zu haben, das sie zusammengehörten. Aber sie war nicht
da. Sie war einfach nicht gekommen. Verdammt, weshalb hatte sie überhaupt
zugesagt, wenn sie ihn jetzt sitzen lieÃ? Weshalb hatte sie ihm diesen Brief
geschrieben? Der Brief. Richard zog die mitgenommenen Blätter aus seiner
Jackettasche. Obwohl er mittlerweile jede Zeile auswendig kannte, las er ihn
erneut. Ebenso wie er ihr Zusammentreffen vor siebzehn Tagen Revue passieren
lies. Nichts. Da war nichts, was darauf hindeutete, das sie vorgehabt hatte
nicht zu erscheinen. Wobei - er versuchte sich an ihren Blick zu erinnern,
als sie in der Küche standen. Ihr Lächeln. War es tatsächlich ehrlich
gewesen oder hatte sie es nur vorgetäuscht? Vielleicht hatte sie nur
zugestimmt, weil sie ihn hatte loswerden wollen.
Richard verlieà das Restaurant und machte sich auf den Weg zu Emilys
Wohnung. Die Bewegung in der kühlen Herbstluft tat ihm gut, es gelang ihm
sogar für einige Sekunden nicht mehr über sie nachzudenken. Aber als er vor
dem eleganten Wohnhaus angekommen war, brauchte er eine Weile, bis er sich
soweit gefasst hatte es zu betreten. Der Pförtner sah ihn freundlich an und
Richard trat auf ihn zu.
"Mr. Gilmore. Wie schön sie wieder zu sehen!", begrüÃte er ihn
überschwänglich, da er das groÃzügige Trinkgeld von ein paar Wochen noch
nicht vergessen hatte. Fünfhundert Dollar für das AufschlieÃen einer Tür.
Unter normalen Umständen hätte er natürlich niemals jemand Fremden ins Haus
gelassen, aber Mr. Gilmore hatte ihn schnell davon überzeugt, dass er aus
ehrbaren Gründen gekommen war. Das und fünfhundert Dollar - wer könnte da
nein sagen? Und es war ja auch nichts passiert. "Was kann ich für sie tun?",
erkundigte er sich eifrig.
"Ich würde gerne zu Mrs. Heywood", erklärte Richard.
Der Pförtner versuchte eine bedauerliche Miene aufzusetzen, während er sich
im Inneren schon als Besitzer weiterer fünfhundert Dollar wähnte. "Es tut
mir leid, Mr. Gilmore, aber die Dame ist nicht zu Hause, wenn sie allerdings
möchten, dann -"
"Sie wissen nicht zufällig wo sie ist?"
"Nun, ich bin mir nicht ganz sicher.", Richard schob ihm wortlos eine
fünfzig Dollarnote zu und er steckte das Geld grinsend ein. "Mrs. Heywood
hat das Haus bereits am frühen Abend verlassen", erwartungsvoll hob er die
Augenbrauen und steckte auch den zweiten Dollarschein ein. "Sie hat sich ein
Taxi kommen lassen, das war um dreizehn Minuten nach Sechs. Sie hatte es
ziemlich eilig, deshalb hat sie hier unten auf den Fahrer gewartet."
"Sie hat nicht zufällig gesagt, weshalb sie es so eilig hatte?" Ein weiterer
Geldschein wechselte seinen Besitzer.
"Leider nein. Sie hat lediglich gesagt, dass ich gleich noch einen
Leichenwagen für sie bestellen könnte, da der Taxifahrer scheinbar vorhabe,
sie bis ans Ende ihrer Tage warten zu lassen."
"Mehr nicht?", hakte Richard nach.
"Mehr nicht. Aber wenn sie möchten, bringe ich gerne das Fahrtziel für sie
in Erfahrung", bot er an, doch sein Gegenüber schüttelte dankend den Kopf.
"Nein. Ich weiÃ, was ich wissen muss. Trotzdem vielen Dank für ihre
Bemühungen." Ein Taxi um dreizehn nach Sechs. Sie hatte nie vorgehabt im
Restaurant zu erscheinen. Sie hatte es wieder einmal vorgezogen die Flucht
zu ergreifen. Bitte, sollte sie doch tun was sie wollte. Er würde sie
jedenfalls nicht mehr daran hindern. Sie waren schlieÃlich nicht mehr
verheiratet, sie war ihm keinerlei Rechenschaft schuldig.
To be continued.
~*Kapitel 23*~
Hartford, Spätsommer 2005
Die Hände voller Einkaufstüten, öffnete Emily die Tür zu ihrer Wohnung und
lieà ihre neuen Errungenschaften seufzend auf den Boden fallen. Mit einer
Hand schloss sie die Tür, während sie mit der anderen aus ihren hochhackigen
Schuhen schlüpfte und, am Wohnzimmer vorbei, in ihr Schlafzimmer ging. Sie
wollte gerade aus ihrem Jackett schlüpfen, als sie stirnrunzelnd innehielt
und zurück in den Flur marschierte, wo sie am Durchgang zum Wohnzimmer
stehen blieb.
"Richard?", fragte sie fassungslos und dieser erhob sich aus einem der
teuren Sessel.
"Emily", erwiderte er freundlich lächelnd. "Schön hast du es hier. Sehr
geschmackvoll eingerichtet."
Halt suchend griff sie nach dem Türrahmen. "Was..?", fassungslos starrte sie
ihn an und spürte wie ein Schauer ihren Rücken herab lief.
"Ich wollte mit dir sprechen", antwortete er, zuckte entschuldigend mit den
Schultern und trat ein paar Schritte auf sie zu.
"Sprechen?", die Farbe wich aus ihrem Gesicht. "Hast du denn -"
"Deinen Brief nicht bekommen?", vollendete er den Satz. "Doch, das habe
ich."
Sie schluckte "Was willst du dann hier?"
"Was ich hier will? Ich will dich zurück. Verdammt, Emily, egal wie viele
Körbe du mir noch geben wirst, ich werde nicht aufgeben."
"Richard, bitte...."
"Nein. Diesmal nicht, ich werde nicht gehen. Im Gegenteil, ich werde solange
nicht mehr von deiner Seite weichen, bis du endlich zu mir zurückkommst."
"Das ist doch absurd", schnaubte sie.
"Ist es das? Dann möchte ich einen besseren Plan von dir hören. Na los, sag
schon", seine Stimme wurde lauter. "Oder noch besser, sag mir warum! Was ist
so schwer daran, mir zu sagen, dass du mich liebst? Ich kann es doch auch,
ich kann es dir doch auch sagen, denn so ist es, ich liebe dich, verdammt!"
"Hör auf", schrie sie ihn an. "Verflucht noch mal, kannst du mich nicht
einfach in Ruhe lassen?"
"Das werde ich ganz bestimmt nicht tun", er seufzte. "Emily, bitte", fuhr er
in gemäÃigterem Ton fort. "Du hast es doch eigentlich schon mit deinem Brief
getan."
"Das habe ich nicht. Ich wollte dir lediglich begreiflich machen, dass das
mit uns keinen Sinn mehr hat. Kannst du das denn nicht verstehen?"
"Kannst du denn nicht verstehen, dass wir zusammengehören?"
Sie ging nicht darauf ein, sondern deutete stur mit dem Kopf in Richtung
Flur. "Verlass bitte sofort meine Wohnung", forderte sie.
"Niemals!"
"Und ob du gehen wirst!"
"Nein, Emily. Ich werde bleiben und zwar solange, bis du endlich deinen
verdammten Stolz vergisst, über deinen Schatten springst und zu mir
zurückkommst", er wurde wieder mit jedem Wort lauter.
"Stolz? Es geht hier nicht um Stolz, Richard!"
"Worum dann?"
"Worum? Richard, ich -", sie fuhr sich über die Stirn. "Ich kann nicht, es
geht einfach nicht."
"Das ist doch Blödsinn!", donnerte er.
"Ist es nicht!"
"Dann nenn mir einen vernünftigen Grund!"
"Das weiÃt du doch ganz genau."
"Tue ich das? Weià ich es?", Richard suchte ihren Blick, doch sie wich ihm
aus. "Denkst du etwa ich will dich noch einmal verlieren? Denkst du etwa,
der Gedanke daran wäre für mich nicht genauso schmerzhaft wie für dich? Als
diese Polizisten auf Loreleis Hochzeit aufgetaucht sind und sagten, dass du
- ich dachte ich würde verrückt werden, ich hatte so schreckliche Angst um
dich. Ich habe auf dem Weg ins Krankenhaus gegen die Gesetze von drei
Bundesstaaten verstoÃen, da ich befürchtete zu spät zu kommen. Und als wir
dann endlich in Scranton waren, da - da durfte ich nicht zu dir, weil es
dein Mann schon war. Ich hätte bei dir sein sollen. Nicht er. Ich bin dein
Mann, nicht er. Ich will das nicht noch einmal erleben. Weder das ein
Anderer von sich behaupten kann, er sei dein Ehemann, noch das dir etwas
passiert. Aber das wird es vermutlich eines Tages. Oder mir. Genauso wie
einem von uns beiden schon vor dreiÃig Jahren etwas hätte passieren können.
Hat es uns damals daran gehindert, zu heiraten? Warum sollte es uns heute
daran hindern? Es wird nicht weniger wehtun, wenn wir die Zeit bis dahin
getrennt verbracht haben. Aber wenn wir die Zeit bis dahin miteinander
verbringen, dann wären wir in dieser Zeit wenigstens glücklich. Oder kannst
du etwa behaupten, dass du es bist? Bist du glücklich? Ich bin es nämlich
nicht. Ich kann es ohne dich nicht sein."
Emily drehte sich um und wollte aus dem Wohnzimmer stürzen, doch Richard
packte sie von hinten am Arm und hielt sie fest. "Sag es Emily, sag mir dass
du mich liebst. Und wenn du das nicht kannst, dann sag mir dass du mich
nicht liebst. Sag es so, das ich dir glaube. Eines von beidem, es ist mir
egal was, aber sag irgendetwas."
Emily schlug sich die Hand vor den Mund und versuchte ihre Tränen
zurückzuhalten. "Ich kann nicht", schrie sie und spürte wie Richard sie
herum drehte und sich sein Griff um ihre Handgelenke festigte.
"Sag es", verlangte er erneut von ihr.
"Verflucht, Richard, lass mich los", sie versuchte sich seinem Griff zu
entwinden, doch er hielt sie nur noch fester.
"Sag es, Emily!"
"Niemals!"
"Emily!"
"Nein!", sie machte erneut Anstalten sich von ihm zu lösen, gab jedoch
schlieÃlich auf und schüttelte kraftlos den Kopf. "Lass mich los, du tust
mir weh", bat sie ihn leise und dieses Mal kam er der Aufforderung nach.
Wortlos wand sie sich von ihm ab, setzte sich auf die Couch und versuchte
ihre zitternden Knie wieder unter Kontrolle zu bringen.
Richard setzte sich neben sie und legte sachte eine Hand auf Emilys, die
sich unwillkürlich versteifte, obwohl es in ihrem Inneren brodelte. Sie
wusste, dass Richard Recht hatte, dennoch fiel es ihr schwer die Zweifel und
die Angst beiseite zu schieben. Aber hier zu sitzen, so nah bei ihm. Sie
fühlte, wie eine einzelne Träne ihre Wange herunter rollte, ebenso wie sie
fühlte, dass Richard sie mit einer sanften Handbewegung zur Seite strich.
Emily schloss die Augen und versuchte wieder die Fassung zu finden, doch es
wollte ihr nicht gelingen. Seine Nähe, die Wärme die von ihm ausging,
machten es ihr unmöglich. Doch anstelle aufzustehen und so eventuell wieder
die Kontrolle über sich zu erlangen, blieb sie sitzen. Wut und Verzweiflung
machten sich in ihr breit. Wut über ihn, weil er sie in diese Situation
gebracht hatte. Wut über sich selbst, weil sie es hatte geschehen lassen.
Verzweiflung, weil sie es nicht fertig brachte das Richtige zu tun.
"Komm zurück zu mir, Emily", sagte er kaum hörbar. "Ich brauche dich doch."
Emily schluchzte laut auf und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.
Vorsichtig legte Richard seine Arme um sie, zog sie eng an sich und strich
ihr sanft übers Haar, während sie weinend ihren Kopf an seiner Schulter
verbarg.
Stars Hollow, Spätsommer 2005
Nach einem Mittagessen im Diner, das relativ gut verlaufen war, saÃen
Lorelei, Luke, Rory und Dean nun im Wohnzimmer und versuchten - jeder für
sich - mit der neuen Situation klarzukommen. Zunächst hatten sich die
Gespräche noch um den mittlerweile erfolgreich abgeschlossenen Umbau
gedreht, aber in den letzten Minuten hatte sich eine unangenehme Stille
ausgebreitet und Rory warf ihrer Mutter einen hilfesuchenden Blick zu. Diese
nahm sie jedoch gar nicht wahr, da sie völlig fasziniert ihren Mann
musterte, der scheinbar versuchte Dean mittels Kraft der Gedanken zu töten.
"Mom", zischte Rory.
"Mmhhh?"
"Ãhm. irgendwie ist das hier..gruselig."
"Ich weiÃ. Ist dir die Furche auf Lukes Stirn aufgefallen? Sie wird von
Sekunde zu Sekunde tiefer. Wenn wir Glück haben, können wir in ein paar
Minuten durch seinen Kopf sehen und ihn in Zukunft als Türspion verwenden."
"Oder als Ziel beim TorwandschieÃen."
"Vielleicht baut auch eine Vogelfamilie ihr Nest darin. Der Ausdruck "Du
hast einen Vogel" würde damit ganz neue Dimensionen annehmen", flüsterte
Lorelei grinsend.
"So ungern ich der Vogelfamilie auch ihr neues Eigenheim abspenstig machen
will - tu was. Bitte!", flehte Rory sie an und Lorelei tätschelte ihre Hand.
"Aber nur weil du es bist", sie hob ihre Stimme zu Zimmerlautstärke an.
"Luke, Schätzchen. Warum hilfst du mir nicht etwas Kaffee zu machen?"
"Sicher doch", entgegnete er, machte allerdings keinerlei Anstalten sich zu
rühren.
"In der Küche, Liebling", mühsam stand sie auf, da ihr Bauch in den letzten
Wochen gewaltig an Umfang zugenommen hatte - Anlass für zahlreiche Klagen
von Lorelei und den Spott Lukes, weil ihr der Babybauch ständig im Weg war
und sie so schon beim Aufstehen einige Tische umgeworfen hatte oder - wie
erst gestern - nicht mehr aus ihrem Kleid gekommen war. "Luke?", erinnerte
ihn sanft und er erhob sich widerspenstig.
Den Blick nicht von Dean lassend, folgte er seiner Frau in die Küche.
"Meinst du, wir können die beiden alleine lassen?", fragt er sie leise.
"Sie werden schon nicht übereinander herfallen."
"Man kann nie wissen."
Lorelei begann die Kaffeekanne mit Wasser zu füllen. "Würdest du mir einen
Gefallen tun?"
"Kommt ganz darauf an", erwiderte er, während er um die Küchenecke ins
Wohnzimmer schielte.
"Hör auf zu starren. Und nicht nur hier, sondern auch da drin."
"Aber -", versuchte er zu protestieren, doch Lorelei lies ihn nicht zu Wort
kommen.
"Kein aber. Sei nett. Sonst jagst du unserem zukünftigen Schwiegersohn noch
Angst ein."
Er fuhr herum. "Zukünftiger Schwiegersohn?"
"Nur eine Redewendung, Schatz", sie setzte die Kaffeemaschine in Gang und
die schwarze Flüssigkeit begann mit einem Gluckern in die Kanne zu laufen.
"Also, versprich mir brav zu sein. Und lächle, um Gottes Willen, lächle,
sonst stürmt noch das SEK unser Wohnzimmer und verhaftet dich wegen
versuchten Mordes durch Blickkontakt."
Luke seufzte. "Ich werde es versuchen."
"Luke."
"Ehrlich, ich werde mein Bestes geben."
"Luke!", warnte sie ihn erneut.
"Ja, doch, ich werde lächeln. Recht so?", er setzte ein gezwungenes Grinsen
auf und Lorelei stöhnte.
"Wenn das alles ist, was du zustande bringst, dann ist mir deine
Schlechte-Laune-Miene wesentlich lieber."
"Hey, besser kann ich es nicht."
"Dann denk an was Schönes. Denk an raindrops on Roses and whiskers on
kittens, bright copper kettles and warm woollen mittens, brown paper
packages tied up with strings ..", begann sie zu singen und Luke stöhnte
laut auf.
".. these are few of my favourite things. Cream coloured ponies and crisp
apple strudels, door bells and sleigh bells and schnitzel with noodles, wild
geese that fly with the moon on their wings, these are a few of my favourite
things.."
"Hör sofort auf zu singen, Lorelei!"
Sie nahm den Kaffe und tänzelte rückwärts zurück ins Wohnzimmer, während sie
ungerührt weiter sang. ".girls in white dresses with blue satin sashes,
snow flakes that stay on my nose and eye lashes, silver white winters that
melt into springs, these are a few of my favourite things. When the dog
bites, when the bee stings, when I'm feeling sad - I simply remember my
favourite things and then I don't feeeeeeeel so baaaaaaaaaaad.."
"Wowh. Von der Rocky Horror Picture Show zu einem Sound of Music-Sing-Along.
Ich bin schwer beeindruckt", sagte Rory grinsend, als Lorelei sich wieder
neben sie gesetzt hatte.
"Warte erst mal das Finale ab, wenn wir über die Schweizer Berge klettern
und dazu The hills are alive singen. Das wird ein SpaÃ", entgegnete
ihre Mutter und warf Luke gleichzeitig einen aufmunternden Blick zu.
"Allerdings müssen wir Captain von Trapp erst davon überzeugen, das Rolfe
der Richtige für dich ist, Liesl."
"So wie es aussieht, kannst du eher zurück ins Kloster gehen, als Luke zu
einer besseren Stimmung zu verhelfen." Rory schenkte sich Kaffee nach. "Was
hat er bloÃ?"
"Keine Ahnung, aber es liegt vermutlich an den Hormonen. Du weiÃt ja,
Schwangere und die Hormone", als Rory einen Schluck Kaffee trank, schob sie
schmollend die Unterlippe vor und sah missmutig ihren Tee an. "Bäh...",
Lorelei streckte die Zunge heraus und schob ihn von sich. "Also ihr Zwei,
was habt ihr in den Semesterferien noch so vor? Ein Kurztrip zur
Wedding-Chapel in Las Vegas? Euer gesamtes Geld verspielen? Die Nachfolge
von Siegfried und Roy antreten?"
Dean, der bislang hauptsächlich geschwiegen hatte, räusperte sich verlegen.
"Ãhm, Rory und ich, wir haben uns überlegt für ein paar Wochen nach Chicago
zu fahren."
"Chicago?", fragte Luke argwöhnisch.
"Ja, zu ein paar alten Freunden von mir."
"Freunden oder Freundinnen?", hakte Luke nach und erntete dafür einen
bösen Blick von Lorelei.
"Das klingt doch nett. Und Rory war auch noch nie in Chicago. Das heiÃt in
dem Musical waren wir schon, aber in der Stadt - soll ja hoch
hergehen da. Hunderte von Schlachthöfen, gut gebaute Stahlarbeiter in engen,
dreckverschmierten Unterhemden, jede Menge Bahngleise, um sich in
selbstmörderischer Absicht darauf zu werfen."
"Den ganzen Jazz nicht zu vergessen", warf Rory ein und Lorelei nickte.
"Razzle Dazzle, Baby."
"So in etwa", bestätigte Dean und zog unbehaglich an seinem Hemdkragen. "Es
gibt aber auch den Sears Tower und den Michigansee und Parks und Kinos und
-"
"- und deine Freunde. Die bestimmt wahnsinnig nette Freunde sind und
wahnsinnig viel Verantwortungsbewusstsein haben und total vernünftig sind.
Ebenso wie du und ich und Rory und mein Mann. Wir sind schlieÃlich
alle erwachsen und verhalten uns dementsprechend."
Luke runzelte die Stirn. "Sicherlich", erwiderte er zähneknirschend und rang
sich endlich ein Lächeln ab. "Also, werdet ihr über Nacht in Stars Hollow
bleiben oder zurück nach New Haven fahren?", erkundigte er sich.
"Wir werden schätzungsweise hier bleiben. Oder, Dean?", sie wand sich an
ihren Freund.
"Ja. Ich habe meinen Eltern versprochen ihnen auch noch einen Besuch
abzustatten."
"Sehr schön. Dann könnten wir heute Abend ja ins Kino gehen. Also alle
zusammen, alle viereinhalb. Zusammen. Wie eine groÃe, glückliche Familie",
Lorelei sah strahlend in die Runde nahezu schmerzhaft verzogener Gesichter.
"Glücklich ist die Parole. Wie bei den Waltons. G L Ã C K L I C H",
buchstabierte sie und trank einen Schluck Tee, den sie jedoch sofort
angewidert zurück in die Tasse spuckte.
Hartford, Spätsommer 2005
Emily konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann sie gestern zu Bett
gegangen war oder wann Richard - sie schluckte und schlug langsam die Augen
auf. Erschrocken hielt sie die Luft an, als sie feststellte, dass sie nach
wie vor im Wohnzimmer war. Das Richard nach wie vor hier war und ihr Kopf
auf seiner Brust lag. "Oh mein Gott", wisperte sie ungläubig. Sie mussten
eingeschlafen sein. Nein, nicht mussten, sie waren es, korrigierte sie sich.
Vorsichtig schob sie seinen Arm zur Seite und schlüpfte von der Couch. Eine
Weile stand sie verloren und bewegungslos da und beobachtete wie sich sein
Körper mit jedem Atemzug langsam auf und ab bewegte. Eine Welle der
Vertrautheit durchfloss ihren Körper und ein Lächeln huschte über ihr
Gesicht. So leise wie möglich griff sie nach einer Decke und machte sich
daran sie behutsam über ihm auszubreiten. Emily hielt einen Moment inne, als
sie sie an seinen Schultern ablegte. "Ich dich auch", flüsterte sie und fuhr
ihm sanft die Wange entlang. Leise verlieà sie das Wohnzimmer und ging ins
Bad. Reizend, fuhr es ihr durch den Kopf als sie ihr Spiegelbild erblickte.
Nicht nur, das ihre Wimperntusche verlaufen war, nein, man sah ihr auch
deutlich an, das sie die Nacht auf einer Biedermeiercouch verbracht hatte,
die nicht mal zum Sitzen besonders geeignet war. Emily griff nach einer
Haarklammer und steckte sich ihr Haar behelfsmäÃig hoch. AnschlieÃend drehte
den Wasserhahn auf und lies einen Schwall des eisig kalten Wassers in ihr
Gesicht schwappen. Die Kälte vertrieb auch die letzten Reste der Müdigkeit
und ihr Verstand begann sich wie eine riesige Maschinerie langsam in Gang zu
setzen. Nachdem sie ihr Gesicht abgetrocknet hatte, warf sie erneut einen
Blick in den Spiegel und fragte sich wer die Person war, die sie daraus
anschaute. Sie erinnerte sich an Richards Worte. Kannst du etwa
behaupten, dass du es bist? Bist du glücklich? Auf seltsame Art und
Weise war sie es in diesem Moment. Obwohl nichts so war, wie es sein sollte,
war sie es. Ihre Gedanken schweiften vierzig Jahre zurück. War sie damals
nicht ein viel höheres Risiko eingegangen als sie es jetzt tat? Nein, wieder
musste sie sich korrigieren. Sie war bislang kein Risiko eingegangen. Sie
hatte Risiken immer gehasst und waren ihnen strikt aus dem Weg gegangen.
Risiken bedeuteten eine Gefahr für die Ordnung, je ordentlicher die Dinge
waren, desto sicherer hatte sie sich immer gefühlt. Je ordentlicher die
Dinge waren, desto weniger Gründe gab es sich zu fürchten. Sie schüttelte
den Kopf. Ordnung und Sicherheit hatte es in ihrem Leben nur gegeben,
solange sie mit Richard zusammen gewesen war. Weder davor noch danach hatte
sie sich jemals so geborgen und beschützt gefühlt. Weder davor noch danach
war sie glücklich gewesen. Aber jetzt war sie es. Weshalb konnte sie also
nicht einfach zurück ins Wohnzimmer gehen und ihm sagen, dass sie ihn
liebte? Welches Risiko ging sie dabei schon ein? Es wird nicht weniger
wehtun, wenn wir die Zeit bis dahin getrennt verbracht haben. Aber wenn wir
die Zeit bis dahin miteinander verbringen, dann waren wir in dieser Zeit
wenigstens glücklich. Gott, wie recht er hatte. Sie wollte nicht allein
sein. Sie wollte mit ihm zusammen sein. Aber selbst die besten Vorsätze
führten zur Katastrophe. Anstatt sich am Riemen zu reiÃen und es einfach
geschehen zu lassen, hörte sie immer wieder auf das warnende Summen in ihrem
Hinterkopf und verhielt sich genauso wie sie es eigentlich nie vorgehabt
hatte. Sie brach einen völlig irrsinnigen Streit vom Zaun und hoffte so dem
eigentlichen Problem aus dem Weg gehen zu können. Immer und immer wieder
dasselbe Spiel, immer wieder dieselben Gedanken, dieselben abstrusen
Kalkulationen und Listen, die sie seit Wochen, seit Monaten in ihrem Kopf
abspulte. Immer und immer wieder dasselbe Ergebnis. Die Angst ihn zu
verlieren gewann stets die Ãberhand. Sie hasste sich dafür, dieser Angst
wieder nachzugeben. Plötzlich erinnerte sie sich an den Tag ihrer Hochzeit.
Sie erinnerte sich daran, wie sie sich selbst geschworen hatte, nie wieder
etwas zu tun wofür sie sich selbst hassen würde.
Stars Hollow, Spätsommer 2005
Luke und Lorelei standen auf der Veranda und sahen dem Wagen von Rory
hinterher, der langsam am Ende der StraÃe verschwand.
"Wenn ich etwas zu sagen hätte, dann hätte ich etwas gesagt", brummte Luke
und leichte Verärgerung schwang in seiner Stimme mit.
"Wenn", Lorelei drückte ihm einen Kuss auf die Wange und ging zurück ins
Haus.
"Der Kerl ist mir nicht ganz geheuer."
"Der Kerl ist Dean. Der schlaksige Junge der jahrelang die Tüten in Taylors
Supermarkt gepackt hat. Er ist harmlos."
"Harmlos? Er hat Rory schon Mal sitzen gelassen."
"Rory hat ihn sitzen lassen. Und das ganze Zweimal. Das weiÃt du genau."
Lorelei lies sich seufzend auf einen der Küchenstühle fallen. Nach dem
gestrigen Theater hatte sie eigentlich gehofft, Luke hätte sich mittlerweile
wieder beruhigt. Zumindest hatte es am Abend so ausgesehen. Andererseits
hatte er im Kino auch nicht gerade viele Möglichkeiten dazu gehabt, sich
Dean gegenüber wie ein völlig paranoider Irrer zu verhalten. Sie konnte
einfach nicht verstehen, weshalb ihr Mann eine so groÃe Sache daraus machte.
Natürlich hätte sie sich auch gewünscht, dass sie früher von der Sache
erfahren hätte. Und das ihre Tochter nicht einer anderen Frau den Mann
wegnehmen würde. Andererseits wirkte Rory wirklich glücklich und wie sie
mittlerweile wusste, schien es ganz groÃe Tradition in ihrer Familie zu sein
sich in Verheiratete zu verlieben. Sodom und Gomorra im Hause Gilmore, wer
hätte das gedacht..
"Er war schon mal verheiratet", sagte Luke, dem scheinbar derselbe Gedanke
gekommen war.
"Das warst du auch schon. Nicole", zwitscherte sie mit einem zuckersüÃen
Lächeln.
"Und ich weià deshalb wie es ist, betrogen zu werden. Wer sagt uns, das er
mit Rory nicht dasselbe macht?", entgegnete er.
"Es ist Dean."
"Der Dean, der Lindsay hat sitzen lassen."
"Für Rory."
"Du kannst sie unmöglich mit ihm nach Chicago fahren lassen. Wer weià was
für eine alte Flamme da auf ihn wartet. Und schwups hat er ihr das Herz
gebrochen."
"Es wird nichts dergleichen passieren. Hast du nicht bemerkt, wie er sie
angesehen hat? Total verliebt", sie griff nach einem Pizzastück und begann
bedächtig darauf herumzukauen.
"Er hat sie mit den Augen ausgezogen, so hat er sie angesehen."
Lorelei verdrehte die Augen. "Hat er nicht."
"Und ob er das hat. Glaub mir, ich kenne diesen Blick."
"Es reicht, Luke. Selbst wenn - das gehört nun mal dazu, wenn man verliebt
ist. Das müsstest selbst du wissen."
"Und weshalb hat sie so lange verheimlicht, dass sie wieder mit ihm zusammen
ist? Da ist doch was im Busch!"
Obwohl Lorelei einerseits über Lukes Besorgnis gerührt war, begann sie
langsam die Geduld zu verlieren. "Das ist doch blödsinnig, Luke."
"Ach ja? Findest du? Ich finde es blödsinnig von dir, sie mit ihm ausgehen
zu lassen."
Lorelei lachte. "Gott, Luke. Sie wird bald zwanzig. Soll ich ihr zwei Monate
Fernsehverbot erteilen und sie in ihr Zimmer sperren?"
"Zum Beispiel. Jede vernünftige Mutter würde das tun!"
"Okay, Schatz. Wie du bereits erwähnt hast - du kannst gerne deine Meinung
äuÃern, wenn du etwas zu sagen hast. Aber das hast du nicht. Rory ist meine
Tochter. Und wenn ich der Meinung bin, das es okay ist, dann hast du das zu
akzeptieren."
"Na klasse", schnaubte er. "Wieder Mal gibst du mir einen Maulkorb. Ich
frage mich wie das wird, wenn das Baby erst da ist. Habe ich da etwas zu
sagen?"
"Du bist sein Vater, natürlich -", er unterbrach sie.
"Ach komm schon, Lorelei. Du hast dir bei Rorys Erziehung nie von jemandem
reinreden lassen, glaubst du das lässt sich jetzt auf einmal so schnell
abstellen?"
"Was soll das Luke? Wieso hackst du jetzt auf mir rum?"
"Ich hacke nicht auf dir rum. Ich will lediglich wissen, was für eine Rolle
ich bei der Erziehung unseres gemeinsamen Kindes spielen werde."
"Die des Vaters", keifte sie zurück.
"Und wie wird die aussehen? So wie Christophers bei der Erziehung von Rory?"
"Das ist nicht fair! Christopher hat es sich selbst so ausgesucht. Er war
nicht da, also musste ich mich alleine um Rory kümmern."
"Wie wird meine Rolle bei der Erziehung des Babys aussehen?", wiederholte er
mit Nachdruck.
"Na, du baust ihm eine Schaukel, wechselst ihm die Windeln, backst ihm
Kuchen zum Geburtstag und all das."
"Siehst du!"
"Sehe ich was?"
"Kuchen backen, Schaukeln bauen, Windeln wechseln. Wirklich tolle Aufgaben."
"So was tun Väter nun Mal."
"Du verstehst wirklich nicht, was ich meine, oder?"
"Nein, denn es ist nicht gerade einfach, die Gedankengänge eines Verrückten
zu verstehen."
"Dann erkläre ich es dir. Nehmen wir an Baby ist Siebzehn. Sie lernt diesen
Kerl kennen, der zwar unglaublich gut aussieht, aber es faustdick hinter den
Ohren hat, ein Vorstrafenregister von hier bis nach Ohio. Was würden wir
tun?"
"Nichts."
"Nichts?"
"Nichts!"
"Falsch! Wir würden ihr natürlich den Umgang mit ihm verbieten."
"Einer Siebzehnjährigen? Aber sicher doch, Luke. Scheinbar hast du
vergessen, was in dem Kopf von verknallten Siebzehnjährigen so vorgeht. Du
würdest es ihr verbieten? Bitte. WeiÃt du, was sie dann tun würde? Sie würde
nachts heimlich aus dem Fenster steigen und neun Monate später bist du
GroÃvater. Herzlichen Glückwunsch, Superdaddy!"
"Dann erlaubst du ihr also den Umgang mit diesem Nichtsnutz, obwohl ich
strikt dagegen bin?"
"Ja, da du scheinbar keinerlei Ahnung davon hast."
"Ich wusste es!", donnerte er und schlug mit der Faust auf den Tisch.
"Hör auf rumzubrüllen!", erwiderte sie in mindestens derselben Lautstärke.
"In meinem Haus brülle ich solange ich will!"
"Dein Haus, Herzchen? Das ist mein Haus!"
"Dein Haus, dein Kind - warum hast du mich überhaupt geheiratet? Ein
einfacher Besuch bei der Samenbank hätte es doch auch getan!", er schnappte
sich seine Jacke.
"Das ist ja wohl das Letzte!", schrie sie Luke hinterher, der mit knallender
Tür das Haus verlies. "Das ist wirklich das Allerletzte!", wütend warf sie
ihm ein Glas hinterher, das mit lautem Klirren in tausend Stücke zersprang.
Hartford, Spätsommer 2005
Als Richard aufwachte fragte er sich für einen Moment wo er war. Ein
unangenehmes Ziehen im Rücken, erinnerte ihn jedoch schnell daran. Emily,
fuhr es ihm durch den Kopf und er lächelte. Der Duft ihres Haares als er sie
ihm Arm gehalten hatte. Die Wärme die von ihrem Körper ausgegangen war. Die
gemischten Gefühle die er gehabt hatte. Einerseits war er so unendlich froh
gewesen, sie so nah bei sich zu spüren. Andererseits hatte es ihn
geschmerzt, sie so verletzlich zu sehen. Sie so zu sehen und zu wissen, das
er Schuld daran war. Erneut fragte er sich, wie sie es soweit hatten kommen
lassen können. Wie er es soweit hatte kommen lassen. Er war schlieÃlich
lange genug mit ihr verheiratet gewesen, um zu wissen wie stur sie sein
konnte. Und er war ebenso stur gewesen, sonst hätte er sie nicht gewähren
lassen. Er hätte schon vor zwei Jahren - ja, was eigentlich? Hatte nicht
auch ihm der Mut gefehlt dieser Posse ein Ende zu bereiten? Und jetzt war es
zu spät. Sie hatten zwei Jahre ihres Lebens verschenkt. Zwei Jahren ihres
gemeinsamen Lebens. Es war zu spät und trotzdem war es ein Anfang. Sie
hatten einen Anfang gemacht. Endlich. Richard schob die Decke zur Seite und
stand auf. Sie hatte ihn zugedeckt, wie man es mit kleinen Kindern tat. Sie
hatte ihn zugedeckt, wie sie es so oft getan hatte, wenn er wieder mal in
seinem Arbeitszimmer eingeschlafen war und sie ihn nicht hatte wecken
wollen. Richard ging den Flur entlang und betrat die Küche, aus der er ein
leises Geräusch vernommen hatte.
Emily lehnte an der Arbeitsplatte und beobachtete wie der Kaffee langsam in
die Tasse floss.
"Guten Morgen", sagte er und sie blickte ihn mit einem leichten Lächeln an.
"Guten Morgen", erwiderte sie mit einer gewissen Verunsicherung, da sie
nicht genau wusste wie es weitergehen würde. Sie wusste nur, dass sie
wollte, dass es weiterging. "Hast du gut geschlafen?", fragte sie ihn daher
so unverbindlich wie möglich.
"So gut es auf diesem Möbelstück ging."
"Oh, natürlich. Die Couch ist vermutlich nicht gerade dafür geeignet."
"Andererseits schläft es sich nie so gut, wie mit einer schönen Frau im
Arm."
Ihr Lächeln wurde zu einem Schmunzeln. "Zufälligerweise habe ich heute schon
in den Spiegel gesehen, Richard", entgegnete sie trocken.
"Vielleicht hast du da noch nicht so bezaubernd gelächelt wie jetzt", er
beeilte sich schnell Weiterzusprechen, da er Emily zuvorkommen wollte, die
gerade zu einer Antwort ansetzte. "Was hältst du davon, wenn wir das
wiederholen? Natürlich ohne uns gegenseitig anzuschreien und ohne diese
unbequeme Couch. Aber der Rest war doch ganz passabel."
"Einverstanden", sie nickte mit einer gewissen Scheu.
"Hervorragend. Wie wäre es mit einem Abendessen?"
"Einverstanden", wiederholte sie sich und Richard grinste.
"Hervorragend", sagte auch er zum zweiten Mal. "Ich...", bei dem Gedanken an
das, was er jetzt würde sagen müssen, war ihm nicht ganz wohl. SchlieÃlich
wollte er sie und ihre Beziehung nicht gleich wieder von Anfang an in die
alte Situation bringen - aber am frühen Abend würde seine Maschine nach
Moskau gehen. Nachdem er bereits den gestrigen Termin mit Superbe Tec hatte
ausfallen lassen, würde er sich das kein zweites Mal leisten können. "Ich werde allerdings für ein paar, ähm, Tage in Moskau sein. "
"Oh", für einen Augenblick schien ihr Gesicht zu einer starren Maske zu
werden, doch sie hatte sich schnell wieder gefangen. "Das ist in Ordnung."
"Glaub mir, wenn es sich irgendwie anders arrangieren lieÃe.."
"Nein, Richard, es ist wirklich vollkommen in Ordnung. SchlieÃlich wollen
auch die Russen gut versichert ein."
"Richtig", einen Moment sahen sich die beiden schweigend an, ehe er fort
fuhr. "Ich werde am 15. wieder da sein."
"Am 15.", Emily rechnete nach, ein paar Tage - siebzehn lange Tage. Aber was
machten siebzehn Tage jetzt noch für einen Unterschied? "Sehr schön, da
hatte ich noch nichts vor", sagte sie schlieÃlich und Richard atmete
erleichtert auf.
"Neunzehn Uhr im Makabo?"
"Neunzehn Uhr im Makabo. Ich werde da sein."
"Gut, denn ich werde auf dich warten", Richard trat ein paar Schritte auf
sie zu, nahm ihre Hand und küsste sie galant. "Wir sehen uns."
"Ja", sie sah ihm hinterher und griff schlieÃlich zufrieden nach ihrem
Kaffee. 15. September, 19 Uhr. Die Tasse fest umschlungen blickte sie auf
ihre Handfläche, die er eben noch geküsst hatte. Ein warmes Prickeln hatte
ihren Körper bei dieser Berührung durchflossen und hielt auch jetzt noch
vor. Ebenso wie ein Kribbeln in ihrer Magengegend, das sie leise daran
erinnerte, das sie allen Zweifeln zum Trotz das Richtige tat.
Stars Hollow, Spätsommer 2005
Lorelei saà zusammengekauert auf der Wohnzimmercouch und starrte das Telefon
an. Luke war jetzt seit sieben Stunden weg und sie wusste nicht, ob sie ihn
anrufen sollte oder nicht. Der Streit tat ihr furchtbar leid, aber sie
verstand einfach nicht, weshalb er plötzlich so ausgetickt war. Oder weshalb
sie darauf eingegangen war. Geknickt nahm sie das Telefon in die Hand und
wählte die Nummer von Lukes Diner.
"Hallo?"
"Luke, ich bin's. Lorelei."
"Hier ist jede Menge los, wenn es also nicht allzu wichtig ist, können
wir das auch später besprechen."
"Nicht allzu wichtig? Hör mal, wir hatten einen Streit. Einen bösen Streit.
Das ist schon irgendwie wichtig", entgegnete sie sichtlich verletzt.
"Dann willst du dich also entschuldigen?"
"Ich? Mich? Du dich! Du hast doch schlieÃlich angefangen!", erwiderter sie
und ihr Puls schoss wieder in die Höhe.
"Du willst also weiter streiten?"
"Nein, will ich nicht."
"Was dann?"
"Ich will nicht streiten."
"Schön."
"Unglaublich schön", sie presste die Lippen aufeinander. "Ich begreife
ehrlich nicht, was das soll, Luke. Es lief doch wirklich fantastisch
zwischen uns und plötzlich - das. Dieser sinnlose Streit über ein noch
sinnloseres Thema."
"Das war kein sinnloses Thema, zumindest halte ich es nicht für
sinnlos.
"Okay, ich kann ja irgendwie verstehen, dass du sauer bist. Aber Rory ist
nun mal meine Tochter. Ich hab das zwanzig Jahre alleine hingekriegt und
werde die restlichen Hürden auch noch alleine schaffen."
"Siehst du?"
"Sag nicht immer siehst du. Was soll ich denn sehen? Wie du ein Kaninchen
aus deinem Hut zauberst?"
"Gott, Lorelei, kannst du nicht einmal ernsthaft sein? Musst du ständig
über alles deine Witze reiÃen?"
"Okay, keine Witze mehr." Schweigen am anderen Ende der Leitung. "Luke? Komm
schon, hilf mir auf die Sprünge. Was soll ich sehen?"
"Das Wort, Lorelei."
"Das Wort?", fragte sie verblüfft.
"Ja, das Wort. Das Wort "alleine". Wir sind verheiratet. Da gibt es kein
alleine mehr. Zumindest sollte es das nicht."
Hartford, Herbst 2005
Er war viel zu früh da gewesen. Viel zu früh. Aber jetzt.. Richard warf
einen Blick auf seine Uhr und stellte fest, dass sie ihn bereits seit einer
halben Stunde warten lies. Emily lies ihn warten. Sie kam zu spät. Sie kam
nie zu spät. Sie war die Pünktlichkeit in Person. Sie war es immer gewesen.
Er wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Sie hatte ihn sitzen
lassen. Wieder. Aber weshalb? Richtig, es gab keinen Grund dafür. Vermutlich
war sie aufgehalten worden. Richard orderte einen zweiten Drink und sah dem
Zeiger seiner Armbanduhr dabei zu, wie er in Zeitlupe über das Ziffernblatt
kroch. Als er nach einer halben Ewigkeit und drei Drinks später auf halb
neun vorgerückt war, bestellte Richard sich einen letzten Whiskey und die
Rechnung. Dabei war er sich dieses Mal so sicher gewesen, es endlich
geschafft zu haben, endlich zu ihr durchgedrungen zu sein und ihr
begreiflich gemacht zu haben, das sie zusammengehörten. Aber sie war nicht
da. Sie war einfach nicht gekommen. Verdammt, weshalb hatte sie überhaupt
zugesagt, wenn sie ihn jetzt sitzen lieÃ? Weshalb hatte sie ihm diesen Brief
geschrieben? Der Brief. Richard zog die mitgenommenen Blätter aus seiner
Jackettasche. Obwohl er mittlerweile jede Zeile auswendig kannte, las er ihn
erneut. Ebenso wie er ihr Zusammentreffen vor siebzehn Tagen Revue passieren
lies. Nichts. Da war nichts, was darauf hindeutete, das sie vorgehabt hatte
nicht zu erscheinen. Wobei - er versuchte sich an ihren Blick zu erinnern,
als sie in der Küche standen. Ihr Lächeln. War es tatsächlich ehrlich
gewesen oder hatte sie es nur vorgetäuscht? Vielleicht hatte sie nur
zugestimmt, weil sie ihn hatte loswerden wollen.
Richard verlieà das Restaurant und machte sich auf den Weg zu Emilys
Wohnung. Die Bewegung in der kühlen Herbstluft tat ihm gut, es gelang ihm
sogar für einige Sekunden nicht mehr über sie nachzudenken. Aber als er vor
dem eleganten Wohnhaus angekommen war, brauchte er eine Weile, bis er sich
soweit gefasst hatte es zu betreten. Der Pförtner sah ihn freundlich an und
Richard trat auf ihn zu.
"Mr. Gilmore. Wie schön sie wieder zu sehen!", begrüÃte er ihn
überschwänglich, da er das groÃzügige Trinkgeld von ein paar Wochen noch
nicht vergessen hatte. Fünfhundert Dollar für das AufschlieÃen einer Tür.
Unter normalen Umständen hätte er natürlich niemals jemand Fremden ins Haus
gelassen, aber Mr. Gilmore hatte ihn schnell davon überzeugt, dass er aus
ehrbaren Gründen gekommen war. Das und fünfhundert Dollar - wer könnte da
nein sagen? Und es war ja auch nichts passiert. "Was kann ich für sie tun?",
erkundigte er sich eifrig.
"Ich würde gerne zu Mrs. Heywood", erklärte Richard.
Der Pförtner versuchte eine bedauerliche Miene aufzusetzen, während er sich
im Inneren schon als Besitzer weiterer fünfhundert Dollar wähnte. "Es tut
mir leid, Mr. Gilmore, aber die Dame ist nicht zu Hause, wenn sie allerdings
möchten, dann -"
"Sie wissen nicht zufällig wo sie ist?"
"Nun, ich bin mir nicht ganz sicher.", Richard schob ihm wortlos eine
fünfzig Dollarnote zu und er steckte das Geld grinsend ein. "Mrs. Heywood
hat das Haus bereits am frühen Abend verlassen", erwartungsvoll hob er die
Augenbrauen und steckte auch den zweiten Dollarschein ein. "Sie hat sich ein
Taxi kommen lassen, das war um dreizehn Minuten nach Sechs. Sie hatte es
ziemlich eilig, deshalb hat sie hier unten auf den Fahrer gewartet."
"Sie hat nicht zufällig gesagt, weshalb sie es so eilig hatte?" Ein weiterer
Geldschein wechselte seinen Besitzer.
"Leider nein. Sie hat lediglich gesagt, dass ich gleich noch einen
Leichenwagen für sie bestellen könnte, da der Taxifahrer scheinbar vorhabe,
sie bis ans Ende ihrer Tage warten zu lassen."
"Mehr nicht?", hakte Richard nach.
"Mehr nicht. Aber wenn sie möchten, bringe ich gerne das Fahrtziel für sie
in Erfahrung", bot er an, doch sein Gegenüber schüttelte dankend den Kopf.
"Nein. Ich weiÃ, was ich wissen muss. Trotzdem vielen Dank für ihre
Bemühungen." Ein Taxi um dreizehn nach Sechs. Sie hatte nie vorgehabt im
Restaurant zu erscheinen. Sie hatte es wieder einmal vorgezogen die Flucht
zu ergreifen. Bitte, sollte sie doch tun was sie wollte. Er würde sie
jedenfalls nicht mehr daran hindern. Sie waren schlieÃlich nicht mehr
verheiratet, sie war ihm keinerlei Rechenschaft schuldig.
To be continued.
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~Emily&Lorelai~All in the Family| Jünger des Emilynismus| It's me![/SIZE]