29.07.2007, 18:51
Ich bin aus dem Urlaub zurück und war sehr überrascht, danke an biza6 und Anne fürs FB. Bevor es morgen wieder zur Arbeit geht, gibts einen neuen Teil. Inhalt, es ist sozusagen ein Einteiler, wo ich erst überlegt habe, ob ich ihn überhaupt mit einflechten soll. Aber wie ihr seht, habe ich es getan. Also viel Spaà beim lesen.
LG Emerson Rose
Teil 55
Einen Monat später. Anfang März 2001
Unruhig rutscht Sarah auf ihrem Stuhl hin und her. David tritt währenddessen das Lenolium vor der Tür der Sozialarbeiterin platt. Beide sind aufgeregt und mehr als nervös. Denn heute wird sich herausstellen, ob sie ein Kind zur Pflege bekommen bzw. adoptieren dürfen. Die vergangene Woche war geprägt von stundenlangen Gesprächen untereinander, aber auch mit den Freunden und der Familie. Als sie den Antrag Anfang des Jahres ausfüllten, rechnete niemand mit einer so schnellen Reaktion der Behörden. Und jetzt sind sie nur wenige Meter vor der Entscheidung entfernt, die Sarah und Davids Leben ein weiteres Mal seit Emilys Geburt nachhaltig verändern könnte.
David fängt gerade die 20. Runde an, da öffnet sich die Tür und eine junge Frau mit schwarzen, gelockten Haaren betritt den Flur. âSarah Hemmingwell und David Hanniganâ, liest sie von ihrer Liste ab.
âJa das sind wir.â Sarah springt von ihrem Stuhl hoch und gesellt sich zu David. âBitte treten sie ein und nehmen sie Platz. Mein Name ist Adrianâ, stellt sie sich vor, als sie sich gesetzt haben. âIch bin die Sachbearbeiterin für ihren Antragâ, spricht sie weiter und blättert dabei in ihren Unterlagen.
âWir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht und lange überlegt. Sind jedoch der Meinung ihnen zum jetzigen Zeitpunkt kein Kind an zu vertrauen. Weder zur Pflege noch zur Adoption. Allein die Tatsache, dass sie nicht verheiratet sind, erschwert das ganze Prozedere.â
âUnd welche Argument sprechen noch gegen uns?â David ist wütend aufgestanden, während Sarah bleich vor Schreck und wie angewurzelt auf ihrem Stuhl sitzen bleibt. So aufgebracht kennt sie David gar nicht. Ist er doch sonst eher ein Mensch der leisen Töne, den so leicht nichts aus der Ruhe bringt.
âEs gibt nun einmal feste Kriterien, nach denen ich mich richten muss. Damit nicht nur das richtige Kinde zu den Eltern findet, sondern auch die richtigen Eltern für unsere Kinder.â Miss Adrian spricht im ruhigen Ton weiter. Ihr ist selbst nicht ganz wohl diesem jungen Paar ihre Hoffnungen zu nehmen. Doch eigene Gefühle sind in ihrem Beruf hier fehl am Platz.
David grummelt zwar etwas Unverständliches vor sich hin, setzt sich jedoch wieder und nimmt Sarahs Hand in seine. Er hat ihr wohl einen ziemlichen Schreck eingejagt.
âWas ist, wenn ihnen etwas passiertâ, hört er der Sozialarbeiterin weiter zu. âIch glaube nicht, dass es im Sinne der Behörden wäre, wenn ein von uns anvertrautes Kind nur von einem Elternteil groà gezogen wird.â
âUnmöglich ist es aber nicht?â
âNein, nur höchst selten. Dazu gibt es zu viele Paare, die ein Baby adoptieren wollen und zu wenig Kinder in diesem Alter. Also bis zu ca. einem Jahr. Bei allen Kindern, die älter sind, wird es zusehend schwieriger. Dazu kommt ihr medizinischer Hintergrund. Die Krankenhausaufenthalte der vergangenen Jahre waren und sind äuÃerst zahlreich. Das dürfen wir nicht auÃer Acht lassen. Sie Mr. Hannigan gehen auÃerdem Vollzeit arbeiten. All diese Dinge müssen beachtet werden.
âIch weiÃ, dass ich nicht unsterblich bin. Das ist wohl niemand. Aber unsere Tochter lieben wir über alles. Selbst wenn der Alltag nicht immer ganz einfach zu meistern ist. Wir sind gern Eltern und haben auch familientechnisch sehr viel Unterstützung.â
âDas glaube ich ihnen gern und verstehen sie mich jetzt bitte nicht falsch, sie sind bestimmt gute Eltern für ihre Tochter. Nur es tut mir leid, aber mir sind die Hände gebunden. Wenn sie allerdings möchten, können wir den Antrag in regelmäÃigen Abständen neu aufrollen und prüfen.â
âUnd was soll das bringen?â fragt David nach und muss sich immer noch sehr zurück halten um nicht laut zu werden. Dabei merkt er langsam, Miss Adrian will nur ihr Bestes. âIch kann ihnen nichts versprechen, aber vielleicht ändern sich die Bestimmungen und Auflagen mit der Zeit noch.â
âOk, wir überlegen es uns.â David steht auf und verlässt gemeinsam mit Sarah das Büro der Sozialarbeiterin.
Auf dem Flur suchen sie sich eine ruhige Ecke, um das soeben gehörte erst mal zu realisieren und verdauen. Jeder auf seine Weise. Sarah ist mit ihren Gedanken ganz woanders und hört nur undeutlich David vor sich hinschimpfen. Von hoffnungslosen Ignoranten und anderen schmeichelhaften Bezeichnungen ist die Rede.
âDavid, bitte hör aufâ, bricht es schlieÃlich aus ihr heraus. Tränenüberströmt lässt sie sich an der Wand zu Boden gleiten und schlägt die Hände vors Gesicht. David kniet sich vor sie, legt eine Hand auf ihr Knie und versucht sie zu trösten. Wenn es um ihre eigene Sterblichkeit geht, ist Sarah sehr sensibel. Die letzten Tage der Anspannung sowie der Krankenhausaufenthalt im Februar haben ihr das mal wieder mehr als verdeutlicht.
âBitte Schatz, ich habe es nicht so gemeint.â
âNur was glauben die Sozialarbeiter eigentlich wer sie sind, dass sie Gott spielen. Sehen fünf Blatt Papier von für sie fremden Menschen ausgefüllt und entscheiden darauf hin. Dabei kennen sie uns doch gar nicht.â Sarahs Stimme ist brüchig und leise.
âAber scheinbar gut genug, um uns Steine in den Weg zu legen.â
âDas ist einfach nicht fair.â
âDu weiÃt doch, das Leben ist nun mal nicht immer fair. Wir werden trotzdem eine Möglichkeit finden. Und bis dahin, haben wir uns und vor allem Emily. Das ist doch das Wichtigste.â David stellt seine eigene Wut hinten an und versucht erstmal Sarah zu beruhigen und wieder aufzubauen. Es gelingt ihm.
Sie nickt und er wischt ihr mit einem Taschentuch sanft die Tränen vom Gesicht. Als er fertig ist, hilft er ihr wieder auf die FüÃe und meint dann: âWir sollten langsam los. Emily wartet bestimmt schon sehnsüchtig auf uns.â
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Später im Kindergarten hat sich Sarah wieder etwas beruhigt und betritt zum ersten Mal die Einrichtung, in der Emily jetzt bereits seit über einem Monat betreut wird. Heute ist die 3jährige ganz in ein Puzzle vertieft und bemerkt ihre Eltern erst, als diese direkt neben ihr stehen.
âMommy, Daddy.â Emily fällt erst Sarah um den Hals und lässt sich dann von David auf den Arm nehmen. âHast du schon auf uns gewartet?â Sarah schaut sich neugierig etwas um.
âEmily hat den ganzen Tag nur davon gesprochen, dass ihre Eltern sie heute gemeinsam abholen werdenâ, antwortet die Erzieherin für Emily. âDarf ich mich vorstellen, mein Name ist Coleen Shelton und sie sind unverkennbar Emilys Mutter.â
âJa richtig. Sarah Hemmingwell, angenehm.â Sarah mustert die junge Frau vor sich eingehend. Von den Stiefeln, über einen blauen Jeansrock bis hin zu der Bluse, auf den Streublümchen verteilt sind. Die langen, dunklen Haare sind zu zwei Zöpfen geflochten und als Affenschaukeln hochgesteckt. Genau wie David hat sie den Eindruck einer Studentin gegenüber zu stehen. Nicht jedoch einer Vorschullehrerin.
âWir haben ihre Tochter sehr in unser Herz geschlossen. Sie ist trotz ihrer erst drei Jahre ein sehr unkompliziertes Kind.â Sarah lächelt zu Emily rüber. âDas freut mich zu hören.â
âTrotzdem möchte ich sie bitten, mich kurz zu begleiten, damit wir unter vier Augen sprechen können.â
âOh, ok.â Sarah ist kurz irritiert.
âEs geht um einige Unterschriften, die ich von ihnen noch benötige.â
âAch so.â Zusammen gehen sie zu einem kleinen Schreibtisch, während David und Emily das Puzzle beenden. Sie haben dabei alles um sich herum vergessen.
âSo, schauen wir mal.â Coleen zieht eine rosafarbene Akte aus dem Schrank an der Wand hinter ihr und schlägt sie auf. âGenau, hier bräuchte ich eine Unterschrift, dass Emily bei uns in der Schule gemeldet ist. Normalerweise reicht ja eine ausâ, erzählt sie weiter und reicht Sarah einen Kugelschreiber. âAber da sie nicht verheiratet sind, Emily jedoch Hemmingwell heiÃt, möchte das die Schulbehörde so.â
âWas so ein Trauschein alles vereinfachen würdeâ, murmelt sie traurig aber auch etwas wütend vor sich hin und setzt dabei ihren Namenszug neben den von David. âWie meinen?â Coleen hat nur Bruchstücke verstanden.
âDer Trauschein. Wenn es nach David und mir ginge, wären wir schon längst verheiratet. Aber bis jetzt kam immer etwas dazwischen. Irgendjemand hat wohl etwas dagegen.â
âIch finde, wichtig ist, dass man sich liebt. Alles andere wird dann zweitrangig.â
âNur der Alltag gestaltet sich mit zwei verschiedenen Nachnamen gelegentlich etwas schwierig.â
âDas glaube ich gern.â Coleen schaut noch mal auf das Blatt, wo jetzt alles vollständig ist und schlieÃt dann die Mappe. âHemmingwell, Hemmingwell. Das hört sich sehr europäisch an.â
âJa, meine Mom war zwar gebürtig aus Boston, aber mein Vater ist Engländer.â
âIhre Mutter lebt nicht mehr?â
âSchon seit 1983 nicht mehr.â
âDabei hat mir Emily vorgestern erst ganz stolz ihren neuen Plüschhund gezeigt, den sie von ihrer Grandma bekommen hat.â
Sarah lächelt, bevor sie erklärt. âMein Vater hat seit ca. 9 Jahren eine neue Lebensgefährtin. Sie haben zwar nie geheiratet, aber für Emily ist es die GroÃmutter. Uns anderen hat es Jenny allerdings verbeten, sie so zu nennen. SchlieÃlich ist sie erst 40 Jahre alt und sieht wahrhaftig nicht wie eine Oma aus.â
âNa wollen wir los?â David ist unbemerkt an Sarah heran getreten und steht jetzt hinter ihr. âEmily möchte unbedingt noch mit Scoutch spielen, bevor es drauÃen dunkel wird.â
âIch bin sofort da. Habt ihr alles?â
âSchon lange, wir warten nur noch auf dich.â
âNa dann. Es hat mich sehr gefreut, sie kennen zu lernenâ, wendet sich Sarah zurück an Coleen Shelton. Wir werden sicherlich noch öfter Gelegenheit zum reden haben.â
âBestimmt.â
Sarah folgt David zurück zu Emily und die Erzieherin wendet sich wieder den anderen Kindern zu.
âUnd, was hältst du von Mrs. Shelton?â fragt David, während sie langsam zum Auto gehen.
âSie sieht zwar wesentlich jünger aus, als sie vermutlich ist, macht aber ansonsten einen sehr patenten und angenehmen Eindruck. Emily fühlt sich offensichtlich wohl in ihrer Obhut. Das finde ich am allerwichtigsten.â
âBye bye Josephâ, brüllt Emily in diesem Moment quer über den Parkplatz und winkt dem kleinen Jungen enthusiastisch zu. Der strahlt und winkt zurück, bevor seine Mom ihn beim einsteigen in den Van hilft und dort angeschnallt wird. Zwei weitere Kinder, ebenfalls Jungs, sitzen bereits im Auto.
Sarah hebt bedeutungsschwer eine Augenbraue. âEinen Freund hat sie auch schon gefunden?â
David macht darauf keinen besonders glücklichen Eindruck. Seine kleine Prinzessin ist immerhin erst drei. âJoseph Hicks. Mit seiner Mutter habe ich mich am ersten Tag etwas unterhalten. Und seit dem dritten Tag sind die beiden laut Coleen unzertrennlich.â
âWundert es dich? Bei drei Cousins?â
âEigentlich nicht.â
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Nachdem Emily am Abend im Bett ist, schläft und wahrscheinlich von neuen Abenteuern im Kindergarten träumt, sitzen Sarah und David in der Essecke des Wohnzimmers beieinander. Der mehr als emotionale Nachmittag, ein langes Gespräch mit Tony und Jenny liegen hinter ihnen. Langsam kehrt Ruhe ein. Vor ihnen auf dem Tisch verteilt liegt jetzt alles was der Postbote so im Laufe einer Woche in den Postkasten wirft. Werbung, Kataloge, Kreditkartenbelege der Bank und Rechnungen. Diesmal ist eine vom Krankenhaus dabei. Bei den Zahlen, die ganz unten stehen, wird Sarah schon etwas schwindelig. Nur gut, dass sie durch ihren Behindertenstatus immer noch über ihren Vater krankenversichert ist. Die Kostenübernahme ist zu 100 % gedeckt.
âIch habe heute mit Peterson telefoniert!â
âUnd?â
âWenn ich möchte, kann ich morgen zum Meeting kommen. Er hat genug Arbeit.â
âGlaubst du, das ist eine gute Idee? Immerhin hast du seit Oktober pausiert. Und warst trotzdem wieder im Krankenhaus.â
âIch kann nicht einfach nur rum sitzen und Däumchen drehen. Emily ist bis zum Nachmittag im Kindergarten, du in der Schule bei deinen Schülern. Mir fällt die Decke auf den Kopf, wenn ich ständig hier zu Hause bin und die Wände anstarre. AuÃerdem können wir das Geld gut gebrauchen.â Sarah wedelt dabei mit den Rechnungen.
David lächelt zurück. âDie Finanzministerin hat gesprochen. Was wird aus diesen Unterlagen?â Er hält den Antrag auf erneute Prüfung der Adoptionsunterlagen hoch.
Sarah presst kurz die Lippen aufeinander und spielt an ihrer Lesebrille, bevor sie antwortet.
âVielleicht gibt es ja doch noch eine Chance für uns. Trotzdem lass uns erst mal darüber schlafen. Ich will darüber jetzt einfach nicht mehr nachdenken.â
âOk.â David steckt die Blätter zurück in den Umschlag und legt ihn zur Seite. Mittlerweile hat er sich in Bezug auf die Behörden wieder etwas beruhigt. Trotzdem packt ihn die Wut, wenn er an die Gründe für die Ablehnung denkt. Nur ändern können sie an der Situation nichts. Zumindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt.
LG Emerson Rose
Teil 55
Einen Monat später. Anfang März 2001
Unruhig rutscht Sarah auf ihrem Stuhl hin und her. David tritt währenddessen das Lenolium vor der Tür der Sozialarbeiterin platt. Beide sind aufgeregt und mehr als nervös. Denn heute wird sich herausstellen, ob sie ein Kind zur Pflege bekommen bzw. adoptieren dürfen. Die vergangene Woche war geprägt von stundenlangen Gesprächen untereinander, aber auch mit den Freunden und der Familie. Als sie den Antrag Anfang des Jahres ausfüllten, rechnete niemand mit einer so schnellen Reaktion der Behörden. Und jetzt sind sie nur wenige Meter vor der Entscheidung entfernt, die Sarah und Davids Leben ein weiteres Mal seit Emilys Geburt nachhaltig verändern könnte.
David fängt gerade die 20. Runde an, da öffnet sich die Tür und eine junge Frau mit schwarzen, gelockten Haaren betritt den Flur. âSarah Hemmingwell und David Hanniganâ, liest sie von ihrer Liste ab.
âJa das sind wir.â Sarah springt von ihrem Stuhl hoch und gesellt sich zu David. âBitte treten sie ein und nehmen sie Platz. Mein Name ist Adrianâ, stellt sie sich vor, als sie sich gesetzt haben. âIch bin die Sachbearbeiterin für ihren Antragâ, spricht sie weiter und blättert dabei in ihren Unterlagen.
âWir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht und lange überlegt. Sind jedoch der Meinung ihnen zum jetzigen Zeitpunkt kein Kind an zu vertrauen. Weder zur Pflege noch zur Adoption. Allein die Tatsache, dass sie nicht verheiratet sind, erschwert das ganze Prozedere.â
âUnd welche Argument sprechen noch gegen uns?â David ist wütend aufgestanden, während Sarah bleich vor Schreck und wie angewurzelt auf ihrem Stuhl sitzen bleibt. So aufgebracht kennt sie David gar nicht. Ist er doch sonst eher ein Mensch der leisen Töne, den so leicht nichts aus der Ruhe bringt.
âEs gibt nun einmal feste Kriterien, nach denen ich mich richten muss. Damit nicht nur das richtige Kinde zu den Eltern findet, sondern auch die richtigen Eltern für unsere Kinder.â Miss Adrian spricht im ruhigen Ton weiter. Ihr ist selbst nicht ganz wohl diesem jungen Paar ihre Hoffnungen zu nehmen. Doch eigene Gefühle sind in ihrem Beruf hier fehl am Platz.
David grummelt zwar etwas Unverständliches vor sich hin, setzt sich jedoch wieder und nimmt Sarahs Hand in seine. Er hat ihr wohl einen ziemlichen Schreck eingejagt.
âWas ist, wenn ihnen etwas passiertâ, hört er der Sozialarbeiterin weiter zu. âIch glaube nicht, dass es im Sinne der Behörden wäre, wenn ein von uns anvertrautes Kind nur von einem Elternteil groà gezogen wird.â
âUnmöglich ist es aber nicht?â
âNein, nur höchst selten. Dazu gibt es zu viele Paare, die ein Baby adoptieren wollen und zu wenig Kinder in diesem Alter. Also bis zu ca. einem Jahr. Bei allen Kindern, die älter sind, wird es zusehend schwieriger. Dazu kommt ihr medizinischer Hintergrund. Die Krankenhausaufenthalte der vergangenen Jahre waren und sind äuÃerst zahlreich. Das dürfen wir nicht auÃer Acht lassen. Sie Mr. Hannigan gehen auÃerdem Vollzeit arbeiten. All diese Dinge müssen beachtet werden.
âIch weiÃ, dass ich nicht unsterblich bin. Das ist wohl niemand. Aber unsere Tochter lieben wir über alles. Selbst wenn der Alltag nicht immer ganz einfach zu meistern ist. Wir sind gern Eltern und haben auch familientechnisch sehr viel Unterstützung.â
âDas glaube ich ihnen gern und verstehen sie mich jetzt bitte nicht falsch, sie sind bestimmt gute Eltern für ihre Tochter. Nur es tut mir leid, aber mir sind die Hände gebunden. Wenn sie allerdings möchten, können wir den Antrag in regelmäÃigen Abständen neu aufrollen und prüfen.â
âUnd was soll das bringen?â fragt David nach und muss sich immer noch sehr zurück halten um nicht laut zu werden. Dabei merkt er langsam, Miss Adrian will nur ihr Bestes. âIch kann ihnen nichts versprechen, aber vielleicht ändern sich die Bestimmungen und Auflagen mit der Zeit noch.â
âOk, wir überlegen es uns.â David steht auf und verlässt gemeinsam mit Sarah das Büro der Sozialarbeiterin.
Auf dem Flur suchen sie sich eine ruhige Ecke, um das soeben gehörte erst mal zu realisieren und verdauen. Jeder auf seine Weise. Sarah ist mit ihren Gedanken ganz woanders und hört nur undeutlich David vor sich hinschimpfen. Von hoffnungslosen Ignoranten und anderen schmeichelhaften Bezeichnungen ist die Rede.
âDavid, bitte hör aufâ, bricht es schlieÃlich aus ihr heraus. Tränenüberströmt lässt sie sich an der Wand zu Boden gleiten und schlägt die Hände vors Gesicht. David kniet sich vor sie, legt eine Hand auf ihr Knie und versucht sie zu trösten. Wenn es um ihre eigene Sterblichkeit geht, ist Sarah sehr sensibel. Die letzten Tage der Anspannung sowie der Krankenhausaufenthalt im Februar haben ihr das mal wieder mehr als verdeutlicht.
âBitte Schatz, ich habe es nicht so gemeint.â
âNur was glauben die Sozialarbeiter eigentlich wer sie sind, dass sie Gott spielen. Sehen fünf Blatt Papier von für sie fremden Menschen ausgefüllt und entscheiden darauf hin. Dabei kennen sie uns doch gar nicht.â Sarahs Stimme ist brüchig und leise.
âAber scheinbar gut genug, um uns Steine in den Weg zu legen.â
âDas ist einfach nicht fair.â
âDu weiÃt doch, das Leben ist nun mal nicht immer fair. Wir werden trotzdem eine Möglichkeit finden. Und bis dahin, haben wir uns und vor allem Emily. Das ist doch das Wichtigste.â David stellt seine eigene Wut hinten an und versucht erstmal Sarah zu beruhigen und wieder aufzubauen. Es gelingt ihm.
Sie nickt und er wischt ihr mit einem Taschentuch sanft die Tränen vom Gesicht. Als er fertig ist, hilft er ihr wieder auf die FüÃe und meint dann: âWir sollten langsam los. Emily wartet bestimmt schon sehnsüchtig auf uns.â
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Später im Kindergarten hat sich Sarah wieder etwas beruhigt und betritt zum ersten Mal die Einrichtung, in der Emily jetzt bereits seit über einem Monat betreut wird. Heute ist die 3jährige ganz in ein Puzzle vertieft und bemerkt ihre Eltern erst, als diese direkt neben ihr stehen.
âMommy, Daddy.â Emily fällt erst Sarah um den Hals und lässt sich dann von David auf den Arm nehmen. âHast du schon auf uns gewartet?â Sarah schaut sich neugierig etwas um.
âEmily hat den ganzen Tag nur davon gesprochen, dass ihre Eltern sie heute gemeinsam abholen werdenâ, antwortet die Erzieherin für Emily. âDarf ich mich vorstellen, mein Name ist Coleen Shelton und sie sind unverkennbar Emilys Mutter.â
âJa richtig. Sarah Hemmingwell, angenehm.â Sarah mustert die junge Frau vor sich eingehend. Von den Stiefeln, über einen blauen Jeansrock bis hin zu der Bluse, auf den Streublümchen verteilt sind. Die langen, dunklen Haare sind zu zwei Zöpfen geflochten und als Affenschaukeln hochgesteckt. Genau wie David hat sie den Eindruck einer Studentin gegenüber zu stehen. Nicht jedoch einer Vorschullehrerin.
âWir haben ihre Tochter sehr in unser Herz geschlossen. Sie ist trotz ihrer erst drei Jahre ein sehr unkompliziertes Kind.â Sarah lächelt zu Emily rüber. âDas freut mich zu hören.â
âTrotzdem möchte ich sie bitten, mich kurz zu begleiten, damit wir unter vier Augen sprechen können.â
âOh, ok.â Sarah ist kurz irritiert.
âEs geht um einige Unterschriften, die ich von ihnen noch benötige.â
âAch so.â Zusammen gehen sie zu einem kleinen Schreibtisch, während David und Emily das Puzzle beenden. Sie haben dabei alles um sich herum vergessen.
âSo, schauen wir mal.â Coleen zieht eine rosafarbene Akte aus dem Schrank an der Wand hinter ihr und schlägt sie auf. âGenau, hier bräuchte ich eine Unterschrift, dass Emily bei uns in der Schule gemeldet ist. Normalerweise reicht ja eine ausâ, erzählt sie weiter und reicht Sarah einen Kugelschreiber. âAber da sie nicht verheiratet sind, Emily jedoch Hemmingwell heiÃt, möchte das die Schulbehörde so.â
âWas so ein Trauschein alles vereinfachen würdeâ, murmelt sie traurig aber auch etwas wütend vor sich hin und setzt dabei ihren Namenszug neben den von David. âWie meinen?â Coleen hat nur Bruchstücke verstanden.
âDer Trauschein. Wenn es nach David und mir ginge, wären wir schon längst verheiratet. Aber bis jetzt kam immer etwas dazwischen. Irgendjemand hat wohl etwas dagegen.â
âIch finde, wichtig ist, dass man sich liebt. Alles andere wird dann zweitrangig.â
âNur der Alltag gestaltet sich mit zwei verschiedenen Nachnamen gelegentlich etwas schwierig.â
âDas glaube ich gern.â Coleen schaut noch mal auf das Blatt, wo jetzt alles vollständig ist und schlieÃt dann die Mappe. âHemmingwell, Hemmingwell. Das hört sich sehr europäisch an.â
âJa, meine Mom war zwar gebürtig aus Boston, aber mein Vater ist Engländer.â
âIhre Mutter lebt nicht mehr?â
âSchon seit 1983 nicht mehr.â
âDabei hat mir Emily vorgestern erst ganz stolz ihren neuen Plüschhund gezeigt, den sie von ihrer Grandma bekommen hat.â
Sarah lächelt, bevor sie erklärt. âMein Vater hat seit ca. 9 Jahren eine neue Lebensgefährtin. Sie haben zwar nie geheiratet, aber für Emily ist es die GroÃmutter. Uns anderen hat es Jenny allerdings verbeten, sie so zu nennen. SchlieÃlich ist sie erst 40 Jahre alt und sieht wahrhaftig nicht wie eine Oma aus.â
âNa wollen wir los?â David ist unbemerkt an Sarah heran getreten und steht jetzt hinter ihr. âEmily möchte unbedingt noch mit Scoutch spielen, bevor es drauÃen dunkel wird.â
âIch bin sofort da. Habt ihr alles?â
âSchon lange, wir warten nur noch auf dich.â
âNa dann. Es hat mich sehr gefreut, sie kennen zu lernenâ, wendet sich Sarah zurück an Coleen Shelton. Wir werden sicherlich noch öfter Gelegenheit zum reden haben.â
âBestimmt.â
Sarah folgt David zurück zu Emily und die Erzieherin wendet sich wieder den anderen Kindern zu.
âUnd, was hältst du von Mrs. Shelton?â fragt David, während sie langsam zum Auto gehen.
âSie sieht zwar wesentlich jünger aus, als sie vermutlich ist, macht aber ansonsten einen sehr patenten und angenehmen Eindruck. Emily fühlt sich offensichtlich wohl in ihrer Obhut. Das finde ich am allerwichtigsten.â
âBye bye Josephâ, brüllt Emily in diesem Moment quer über den Parkplatz und winkt dem kleinen Jungen enthusiastisch zu. Der strahlt und winkt zurück, bevor seine Mom ihn beim einsteigen in den Van hilft und dort angeschnallt wird. Zwei weitere Kinder, ebenfalls Jungs, sitzen bereits im Auto.
Sarah hebt bedeutungsschwer eine Augenbraue. âEinen Freund hat sie auch schon gefunden?â
David macht darauf keinen besonders glücklichen Eindruck. Seine kleine Prinzessin ist immerhin erst drei. âJoseph Hicks. Mit seiner Mutter habe ich mich am ersten Tag etwas unterhalten. Und seit dem dritten Tag sind die beiden laut Coleen unzertrennlich.â
âWundert es dich? Bei drei Cousins?â
âEigentlich nicht.â
°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
Nachdem Emily am Abend im Bett ist, schläft und wahrscheinlich von neuen Abenteuern im Kindergarten träumt, sitzen Sarah und David in der Essecke des Wohnzimmers beieinander. Der mehr als emotionale Nachmittag, ein langes Gespräch mit Tony und Jenny liegen hinter ihnen. Langsam kehrt Ruhe ein. Vor ihnen auf dem Tisch verteilt liegt jetzt alles was der Postbote so im Laufe einer Woche in den Postkasten wirft. Werbung, Kataloge, Kreditkartenbelege der Bank und Rechnungen. Diesmal ist eine vom Krankenhaus dabei. Bei den Zahlen, die ganz unten stehen, wird Sarah schon etwas schwindelig. Nur gut, dass sie durch ihren Behindertenstatus immer noch über ihren Vater krankenversichert ist. Die Kostenübernahme ist zu 100 % gedeckt.
âIch habe heute mit Peterson telefoniert!â
âUnd?â
âWenn ich möchte, kann ich morgen zum Meeting kommen. Er hat genug Arbeit.â
âGlaubst du, das ist eine gute Idee? Immerhin hast du seit Oktober pausiert. Und warst trotzdem wieder im Krankenhaus.â
âIch kann nicht einfach nur rum sitzen und Däumchen drehen. Emily ist bis zum Nachmittag im Kindergarten, du in der Schule bei deinen Schülern. Mir fällt die Decke auf den Kopf, wenn ich ständig hier zu Hause bin und die Wände anstarre. AuÃerdem können wir das Geld gut gebrauchen.â Sarah wedelt dabei mit den Rechnungen.
David lächelt zurück. âDie Finanzministerin hat gesprochen. Was wird aus diesen Unterlagen?â Er hält den Antrag auf erneute Prüfung der Adoptionsunterlagen hoch.
Sarah presst kurz die Lippen aufeinander und spielt an ihrer Lesebrille, bevor sie antwortet.
âVielleicht gibt es ja doch noch eine Chance für uns. Trotzdem lass uns erst mal darüber schlafen. Ich will darüber jetzt einfach nicht mehr nachdenken.â
âOk.â David steckt die Blätter zurück in den Umschlag und legt ihn zur Seite. Mittlerweile hat er sich in Bezug auf die Behörden wieder etwas beruhigt. Trotzdem packt ihn die Wut, wenn er an die Gründe für die Ablehnung denkt. Nur ändern können sie an der Situation nichts. Zumindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt.