28.12.2004, 17:17
Teil 5
Was denkt sie sich eigentlich? Denkt sie wirklich, einmal lächeln und schon sind alle ihre Probleme zerplatzt wie Seifenblasen. All der Schmerz, die Sorgen, das Alleinsein â das alles soll durch ein Lächeln entschädigt werden? Durch ein Lächeln, das noch nicht einmal echt ist? Durch ein Lächeln, das sie aufsetzt um ihre GroÃeltern glücklich zu machen? Nein. Nein, es geschieht nichts dergleichen. Wieder einmal schafft sie es nicht ihrem eigenen Willen zu folgen, fügt sich dem der anderen. Sie kann es nicht mehr ertragen. Doch ihre Augen bleiben trocken. Zu viele Tränen für einen Tag, eine Nacht. Was heiÃt eine? Zahlreiche Tage, Nächte, Stunden die sie weinend verbracht hat, zehren an ihrem Tränenvorrat. Sie kann nicht mehr weinen. Sie will und kann nicht mehr. Doch was nun bleibt, ist noch viel schlimmer. Sie zerplatzt fast, hin und her gerissen zwischen ihren Gefühlen. Unfähig sie auszudrücken. Warum fühlt sie sich so schlecht? Sie sitzt in dem Zimmer ihrer Mutter. Endlich. Nach so vielen Jahren ist sie ihr näher denn je. Und doch, und doch schmerzt es. Tut so furchtbar weh. Sie leidet, ohne Tränen.
âLorelaiâ¦â, sie spürt die Hand ihres GroÃvaters auf ihrer Schuler. Oh wie sehr sie sich doch schämt. Hat sie nicht noch vor wenigen Minuten in seinen Armen gelegen. Weinend wie ein Baby? Wie enttäuscht er von ihr sein muss. Sie kann ihm das nicht länger antun. Muss sich endlich wieder in den Griff kriegen. Sie ist so undankbar. Bekommt alles was sie will und ist doch nie zufrieden. Können sie ihr das geben, was sie braucht? Können sie sie zur Gänze zufrieden stellen? Nein. Die Antwort lautet nein. Nie wird sie zufrieden sein. Sie sollte es, doch sie ist es nicht. Sie fühlt sich im Stich gelassen, sie ist es doch nicht! Warum fühlt sie sich im Stich gelassen? Ist sie es? Und wieder lautet die Antwort nein. Warum? Warum, das ist alles an das sie denkt. Warum musste ihre Mutter sterben? Warum kommt sie nicht darüber hinweg? Warum geht es ihr erst nach so langer Zeit so schlecht? Warum kann sie nicht mehr weinen? Warum muss sie noch mehr leiden, obwohl ihr Leid doch schon gemindert sein sollte? Warum ist sie nicht mit dem zufrieden, das sie hat? Warum fühlt sie sich im Stich gelassen, wenn sie doch von ihren GroÃelter umgeben und beschützt ist? Warum findet sie keine Antworten auf diese Fragen?
Sie weià es nicht. Weià nichts. Sie starrt auf das Bild. Beginnt sie zu hassen. Warum musste sie gehen? Hätte sie nicht vorsichtiger sein können? Hätte sie nicht zu Hause bleiben können? Nur eine Minute länger zu Hause und ihr Leben wäre komplett anders. Sie kann das Bild nicht mehr sehen. Kann nicht mit ansehen wie sie auf dem Bild so glücklich aussieht, während sie so unglücklich ist. Das Mädchen auf dem Bild verspottet sie. Lacht sie aus. Sie kann es nicht mehr ertragen. Ihre Wut lässt sie erschaudern. Plötzlich hört sie ein Knacken. Ein stechender Schmerz zieht sich durch ihre Hände. Sie sieht Blut. Wessen Blut ist es? Ist es ihr Blut? Das Blut, das sie nach dem Unfall von der StraÃe kratzen mussten? Nein, es ist ihr Blut. Ihr eigenes. Scherben bohren sich tief in ihre Haut. Sie hat es zerbrochen. Sie hat das einzige wirkliche Familien Foto zerbrochen. Fassungslos starrt sie auf ihre Hände, unfähig etwas zu tun, zu sagen. Sieht zu wie das Blut ihre Hände hinunter läuft, wie es langsam auf den teuren Teppichboden tropft. Ihre Kehle ist wie zugeschnürt. Sie kann nichts sagen, nichts denken.
âOh mein Gott, Lorelai! Was ist geschehen?â
Schnell läuft Emily zu ihrer Enkeltochter, reiÃt ihr das zerbrochene Bild aus den Händen. Sie bewegt sich nicht. Ist wie in Trance. Ihre Augen sind starr, wie gebannt starrt sie auf die kleine Blutlache. Da durchfährt es sie. Oh nein! Was hat sie getan? Hastig versucht sie die Scherben vom Boden aufzuheben. Sie kann es nicht, ihre Hände zittern zu sehr.
Panisch blickt Emily ihren Mann, ihren Ruhepol, an. Er handelt ruhig. Holt ein Taschentuch aus seiner Hosentasche. Drückt seine Enkeltochter sanft auf das Bett. Wischt ihre Hände ab. Redet leise mit ihr, wie mit einem Kind. Säubert ihre Wunden, sie sind nicht tief. Es war nur der Schock.
Sie lässt es mit sich geschehen. Lässt sich von ihrem GroÃvater umsorgen. Blickt ihre GroÃmutter an. Entschuldigt sich stumm bei ihr, sie versteht. Wieder hat sie versagt. Wieder ist sie nicht stark geblieben, wieder ist sie hoffnungslos in sich selbst zusammengesackt. Hat sich auf ihren GroÃvater gestützt. Wann? Wann ist es endlich vorüber?
Sanft drückt sie das Tor auf. Es ist dasselbe Tor wie immer. Und doch fühlt es sich anders an. Besser. Leise schlieÃt sie das Tor wieder. Es ist so still. Totenstill. Jeder ihrer Schritte hallt laut. Der Kies unter ihren FüÃen knirscht. Sonst hört sie nichts, sie ist alleine.
Sie trägt einen Blumenstrauà in der Hand. Zehn an der Zahl. Fünf weiÃe Lilien. Ihre Lieblingssorte. Sie strahlen Hoffnung aus. Hoffnung, die so wichtig ist zum Ãberlegen. Und fünf gelbe Margeriten. Ihre Lieblingsblumen. Wertlose Blumen, so jeder Händler sagen würde. Wertlos und doch so wichtig. Leise summt sie ein Lied vor sich hin. Ihr Lied. Sie hört den Klang ihrer Stimme. Leise, aber doch so beruhigend. Der Klang ihrer Stimme gibt ihr den Mut das zu tun.
Sie wissen nichts von ihrem Vorhaben. Sie hat es ihnen verschwiegen, aus Angst dass sie mitkommen wollen. Sie hat nichts gegen ihre GroÃeltern, sie liebt sie von ganzem Herzen. Doch jetzt will sie alleine sein.
Sie sieht ihn schon. Hell erleuchtet strahlt er ihr entgegen. Der einzige elfenbeinfarbene Stein in dieser Umgebung. Er hebt sich von der Menge ab, so wie sie sich von der Menge abgehoben hat.
Sanft legt sie die Blumen vor den Stein.
âEs tut mir Leid, ich habe mich verspätetâ, murmelt sie leise. Wie ein Schulkind steht sie da. Weià nicht was sie sagen, denken soll. Verlegen starrt sie auf ihre Hände. Sie sind einbandagiert. Noch sind ihre Narben zu sehen, doch sie werden verheilenâ¦
Was denkt sie sich eigentlich? Denkt sie wirklich, einmal lächeln und schon sind alle ihre Probleme zerplatzt wie Seifenblasen. All der Schmerz, die Sorgen, das Alleinsein â das alles soll durch ein Lächeln entschädigt werden? Durch ein Lächeln, das noch nicht einmal echt ist? Durch ein Lächeln, das sie aufsetzt um ihre GroÃeltern glücklich zu machen? Nein. Nein, es geschieht nichts dergleichen. Wieder einmal schafft sie es nicht ihrem eigenen Willen zu folgen, fügt sich dem der anderen. Sie kann es nicht mehr ertragen. Doch ihre Augen bleiben trocken. Zu viele Tränen für einen Tag, eine Nacht. Was heiÃt eine? Zahlreiche Tage, Nächte, Stunden die sie weinend verbracht hat, zehren an ihrem Tränenvorrat. Sie kann nicht mehr weinen. Sie will und kann nicht mehr. Doch was nun bleibt, ist noch viel schlimmer. Sie zerplatzt fast, hin und her gerissen zwischen ihren Gefühlen. Unfähig sie auszudrücken. Warum fühlt sie sich so schlecht? Sie sitzt in dem Zimmer ihrer Mutter. Endlich. Nach so vielen Jahren ist sie ihr näher denn je. Und doch, und doch schmerzt es. Tut so furchtbar weh. Sie leidet, ohne Tränen.
âLorelaiâ¦â, sie spürt die Hand ihres GroÃvaters auf ihrer Schuler. Oh wie sehr sie sich doch schämt. Hat sie nicht noch vor wenigen Minuten in seinen Armen gelegen. Weinend wie ein Baby? Wie enttäuscht er von ihr sein muss. Sie kann ihm das nicht länger antun. Muss sich endlich wieder in den Griff kriegen. Sie ist so undankbar. Bekommt alles was sie will und ist doch nie zufrieden. Können sie ihr das geben, was sie braucht? Können sie sie zur Gänze zufrieden stellen? Nein. Die Antwort lautet nein. Nie wird sie zufrieden sein. Sie sollte es, doch sie ist es nicht. Sie fühlt sich im Stich gelassen, sie ist es doch nicht! Warum fühlt sie sich im Stich gelassen? Ist sie es? Und wieder lautet die Antwort nein. Warum? Warum, das ist alles an das sie denkt. Warum musste ihre Mutter sterben? Warum kommt sie nicht darüber hinweg? Warum geht es ihr erst nach so langer Zeit so schlecht? Warum kann sie nicht mehr weinen? Warum muss sie noch mehr leiden, obwohl ihr Leid doch schon gemindert sein sollte? Warum ist sie nicht mit dem zufrieden, das sie hat? Warum fühlt sie sich im Stich gelassen, wenn sie doch von ihren GroÃelter umgeben und beschützt ist? Warum findet sie keine Antworten auf diese Fragen?
Sie weià es nicht. Weià nichts. Sie starrt auf das Bild. Beginnt sie zu hassen. Warum musste sie gehen? Hätte sie nicht vorsichtiger sein können? Hätte sie nicht zu Hause bleiben können? Nur eine Minute länger zu Hause und ihr Leben wäre komplett anders. Sie kann das Bild nicht mehr sehen. Kann nicht mit ansehen wie sie auf dem Bild so glücklich aussieht, während sie so unglücklich ist. Das Mädchen auf dem Bild verspottet sie. Lacht sie aus. Sie kann es nicht mehr ertragen. Ihre Wut lässt sie erschaudern. Plötzlich hört sie ein Knacken. Ein stechender Schmerz zieht sich durch ihre Hände. Sie sieht Blut. Wessen Blut ist es? Ist es ihr Blut? Das Blut, das sie nach dem Unfall von der StraÃe kratzen mussten? Nein, es ist ihr Blut. Ihr eigenes. Scherben bohren sich tief in ihre Haut. Sie hat es zerbrochen. Sie hat das einzige wirkliche Familien Foto zerbrochen. Fassungslos starrt sie auf ihre Hände, unfähig etwas zu tun, zu sagen. Sieht zu wie das Blut ihre Hände hinunter läuft, wie es langsam auf den teuren Teppichboden tropft. Ihre Kehle ist wie zugeschnürt. Sie kann nichts sagen, nichts denken.
âOh mein Gott, Lorelai! Was ist geschehen?â
Schnell läuft Emily zu ihrer Enkeltochter, reiÃt ihr das zerbrochene Bild aus den Händen. Sie bewegt sich nicht. Ist wie in Trance. Ihre Augen sind starr, wie gebannt starrt sie auf die kleine Blutlache. Da durchfährt es sie. Oh nein! Was hat sie getan? Hastig versucht sie die Scherben vom Boden aufzuheben. Sie kann es nicht, ihre Hände zittern zu sehr.
Panisch blickt Emily ihren Mann, ihren Ruhepol, an. Er handelt ruhig. Holt ein Taschentuch aus seiner Hosentasche. Drückt seine Enkeltochter sanft auf das Bett. Wischt ihre Hände ab. Redet leise mit ihr, wie mit einem Kind. Säubert ihre Wunden, sie sind nicht tief. Es war nur der Schock.
Sie lässt es mit sich geschehen. Lässt sich von ihrem GroÃvater umsorgen. Blickt ihre GroÃmutter an. Entschuldigt sich stumm bei ihr, sie versteht. Wieder hat sie versagt. Wieder ist sie nicht stark geblieben, wieder ist sie hoffnungslos in sich selbst zusammengesackt. Hat sich auf ihren GroÃvater gestützt. Wann? Wann ist es endlich vorüber?
Sanft drückt sie das Tor auf. Es ist dasselbe Tor wie immer. Und doch fühlt es sich anders an. Besser. Leise schlieÃt sie das Tor wieder. Es ist so still. Totenstill. Jeder ihrer Schritte hallt laut. Der Kies unter ihren FüÃen knirscht. Sonst hört sie nichts, sie ist alleine.
Sie trägt einen Blumenstrauà in der Hand. Zehn an der Zahl. Fünf weiÃe Lilien. Ihre Lieblingssorte. Sie strahlen Hoffnung aus. Hoffnung, die so wichtig ist zum Ãberlegen. Und fünf gelbe Margeriten. Ihre Lieblingsblumen. Wertlose Blumen, so jeder Händler sagen würde. Wertlos und doch so wichtig. Leise summt sie ein Lied vor sich hin. Ihr Lied. Sie hört den Klang ihrer Stimme. Leise, aber doch so beruhigend. Der Klang ihrer Stimme gibt ihr den Mut das zu tun.
Sie wissen nichts von ihrem Vorhaben. Sie hat es ihnen verschwiegen, aus Angst dass sie mitkommen wollen. Sie hat nichts gegen ihre GroÃeltern, sie liebt sie von ganzem Herzen. Doch jetzt will sie alleine sein.
Sie sieht ihn schon. Hell erleuchtet strahlt er ihr entgegen. Der einzige elfenbeinfarbene Stein in dieser Umgebung. Er hebt sich von der Menge ab, so wie sie sich von der Menge abgehoben hat.
Sanft legt sie die Blumen vor den Stein.
âEs tut mir Leid, ich habe mich verspätetâ, murmelt sie leise. Wie ein Schulkind steht sie da. Weià nicht was sie sagen, denken soll. Verlegen starrt sie auf ihre Hände. Sie sind einbandagiert. Noch sind ihre Narben zu sehen, doch sie werden verheilenâ¦