05.03.2008, 19:52
Der erste Tag neigt sich langsam dem Ende zu. Viel Spaà beim Lesen. Wie immer sind Reviews gerne gesehen.
Don half ihr beim Einsteigen. Dann fuhr er die Auffahrt hinunter und folgte der StraÃe in Richtung Studentenwohnheim. Um diese Zeit, es war schon nach 22 Uhr, herrschte in dieser typischen Einfamilienhaus-Gegend nur wenig Verkehr, so dass er sich nicht besonders auf die Fahrt konzentrieren musste. Trotzdem fing er kein Gespräch an.
Auch Amita hielt sich zurück. Sie hatte zwar eine Frage, die ihr auf der Zunge brannte, doch während der Fahrt wollte sie diese nicht stellen. Ob er sie beantworten würde, wusste sie nicht, aber sie hoffte es. Schon jetzt fühlte sie ein Vertrauen, das sie nicht erklären konnte, schlieÃlich kannte sie in gerade mal ein paar Stunden.
So saÃen sie in Gedanken versunken nebeneinander.
Nach kurzer Fahrt hielt Don vor ihrem Wohnheim und machte den Motor aus. Als er die Tür öffnete und aussteigen wollte, um ihr aus dem Wagen zu helfen, griff sie nach seinem Unterarm und hielt ihn zurück. Woraufhin er sich zurückdrehte.
âWarte bitte einen Momentâ, sagte sie.
Fragend schaute er sie an, denn er wusste nicht, was sie noch wollte. Denn sie wollte sicherlich nicht das, was er gerne wollte.
âDarf ich Dich etwas persönliches fragen?â, fuhr sie fort.
âJaâ, antwortete kurz und wartete auf die Frage.
âIst die Frau auf dem Portrait im Flur Deine Mutter?â
Anstatt zu antworten nickte er nur, denn auf die Frage und das Thema war er nicht vorbereitet gewesen. Seine Mutter war zwar allgegenwärtig in der Familie, aber sie sprachen nur selten über sie. Seinem Vater fiel das noch immer schwer und tat es nur selten. Doch das war nichts im Vergleich mit Charlie, denn der hatte nie wieder über sie geredet, seit er nach ihrem Tod nach Princeton zurückgekehrt war.
Amita wusste nicht, was das Schweigen bedeutete, ob er darüber reden wollte oder nicht. So gut kannten sie sich nicht, trotzdem versuchte sie noch einmal, das Gespräch in Gang zu bringen. âIst sie ...â, begann sie ihre nächste Frage, überlegte es sich jedoch anders, denn sie wollte nicht zu direkt sein. Stattdessen fragte sie: âWas ist passiert?â
Diesmal antwortete er, und zwar sofort. âTut mir leid Amita, aber das ist ein Gespräch, das ich nicht zwischen Tür und Angel führen möchte. Bei Gelegenheit werde ich Dir aber von ihr erzählen. Das verspreche ich.â Den Tod seiner Mutter hatte er verarbeitet und er konnte auch über sie reden, obwohl er sie schrecklich vermisste, doch hier im Auto fand er es unangebracht.
âWenn es am Auto liegt, kannst Du gerne noch auf einen Tee mit hineinkommen. Viel mehr habe ich leider nicht anzubietenâ, erwiderte sie spontan. Ihre Neugierde war einfach zu groÃ, um ihn einfach so gehen zu lassen. AuÃerdem vermittelte er ihr kein schlechtes Gefühl, also sprach nichts dagegen.
Ein Blick auf das Armaturenbrett sagte ihm, dass es schon spät war, eigentlich zu spät, aber sein Flug startete erst um 9 Uhr am nächsten Morgen. Dementsprechend hatte er noch etwas Zeit. Warum also nicht, sagte er sich. Nun stieg er doch aus und half ihr aus dem Wagen. Dann nahm er ihren Rucksack und ging mit ihr zum Wohnheim. Dort angekommen schloss sie erst die Eingangstür auf, ging mit ihm zu ihrem Zimmer, öffnete die Tür und betrat es schlieÃlich. Er folgte ihr.
âSetz Dichâ, sagte Amita und deutete mit der Hand auf ihr Bett, das neben dem Schreibtischstuhl und dem FuÃboden die einzige Sitzgelegenheit war. âLeider kann ich Dir nur schwarzen Tee oder Orangensaft anbietenâ, stellte sie dann sachlich fest.
âSaft ist vollkommen in Ordnungâ, erwiderte er daraufhin.
Die zwei Schritte vom Bett zum Schreibtisch hinkte sie vorsichtig auf nur eine Krücke gestützt. Auf dem Regal, das dort angebracht war, standen ihr Geschirr, ein Wasserkocher und einige Instantsuppen. Zwei Gläser nahm sie herunter und dachte erst jetzt daran, dass sich ihre Einkäufe noch in dem Rucksack befanden, der bei Don stand. âGibst Du mir bitte meinen Rucksackâ, bat sie ihn deshalb.
âKlar.â Noch während er das sagte war er schon halb aufgestanden und reichte ihn ihr. Anstelle eines bedeutungsleeren Wortes erhielt er ein Lächeln von ihr als Dankeschön.
Ihren Rucksack stellte sie auf den Stuhl und holte erst die Tüte mit ihren alten Schuhen heraus und dachte erst jetzt an ihre verdreckten Schuhe, die sie vorhin nicht gewechselt hatte. Bedauernd schaute sie auf die ehemals schönen Schuhe, die nur noch hässlich waren, ehe sie sich seufzend ihren Einkäufen zuwendete und diese nach und nach auf den Tisch legte. Als sie den Saft in der Hand hielt, hörte sie damit auf und schüttelte stattdessen den Karton. Dann öffnete sie ihn und füllte Saft in die Gläser.
Als sie ihm sein Glas reichen wollte, ging das wegen der Krücke nicht, so dass er noch einmal aufstand, um ihr die Getränke abzunehmen. Währenddessen hinkte sie wieder zu ihrem Bett und setzte sich hin. Noch einmal musste sie ihre Schuhe betrachten, während sie den linken auszog. Beim rechten hatte sie wegen des Gipses Schwierigkeiten, ihn mit der Hand zu erreichen. Darum versuchte sie, ihn mit Hilfe des anderen FuÃes abzustreifen, doch das klappte nicht. Entnervt verdrehte sie daraufhin die Augen.
Genau das sah Don und fand süÃ, wie ihre Augen funkelten. Dabei bestand kein Grund dazu, denn sie musste nur nett lächeln und er würde ihr helfen. Doch er wollte sich nicht aufdrängen, was auch nicht nötig war.
Mit einem Seufzen gab sie ihre Bemühungen auf. âHilfst Du mir, den verfluchten Schuh loszuwerdenâ, bat sie ihn.
âNatürlichâ, antwortete er lächelnd, beugte sich vor und nahm behutsam ihren FuÃ, den sie ein Stück vom Boden hochgehoben hatte, in die Hand. Dann öffnete er die Schleife und lockerte die Schlaufen, so dass er vorsichtig ihren Fuà aus dem Schuh ziehen konnte. Dabei achtete er auf jede seiner Bewegungen, denn er wollte ihr nicht wehtun.
Von ihm wie ein rohes Ei behandelt zu werden, gefiel ihr. Ihre Wut hatte sie darüber schon längst vergessen. Als er fertig war, bedankte sie sich, zog das gesunde Bein an und das andere Bein aufs Bett. SchlieÃlich drehte sie sich zu Don, der sie frech angrinste. âWas?â, fragte sie irritiert.
âWie hast Du es geschafft, Deine Schuhe so zu versauen?â, erwiderte er neugierig, wobei er sich das Grinsen einfach nicht verkneifen konnte.
Gekonnt verdrehte sie daraufhin die Augen, antwortete aber trotzdem: âDafür benötigt man nicht viel, nur mich mit einem Becher Kaffe in der Hand und Deinen Bruder. Du weiÃt ja, dass ich Charlie schon kenne. Wir sind uns zufällig heute Morgen auf dem Campus begegnet und haben eine Weile zusammen unseren Weg gesucht, trennten uns aber irgendwann. Weil ich noch Zeit hatte, bis zu meiner ersten Vorlesung, bin ich einkaufen gegangen. Typisch Frau halt. Dabei habe ich die perfekten Schuhe gefunden, die damals übrigens noch quietschgrün mit pinken Punkten waren. Die musste ich haben, also kaufte ich sie, aber ich konnte nicht warten und behielt sie an. Meine alten Treter stopfte ich in den Rucksack und bin noch schnell in den Starbucks nebenan, denn ich brauchte noch einen Kaffee vor meiner ersten Vorlesung. Natürlich nahm ich mir nicht die Zeit, mich hinzusetzen und in Ruhe zu trinken, sondern machte mich gleich wieder auf den Rückweg. Was passierte? Ich ging raus, bewunderte meine Schuhe und rannte dabei in Deinen Bruder oder er in mich. Egal, auf jeden Fall lud er mich daraufhin zu einem neuen Kaffee ein, denn meiner war natürlich komplett leer, nachdem er meine Schuhe versaut hatteâ, erzählte sie schnell und lieà ihn gar nicht zu Wort kommen, als ihr einfiel, dass eigentlich er ihr etwas erzählen wollte. âAber wir sind nicht hier, um über meine einst so schönen Schuhe zu redenâ, versuchte sie zum Thema zurückzukehren.
Jetzt grinste Don nicht mehr, was zwei Gründe hatte, denn er hatte nicht gedacht, dass sie und Charlie schon so viel Zeit miteinander verbracht hatten und sie eher als Student und Dozent betrachtet. Auch war ihm bewusst, dass der Moment für seine Familiengeschichte gekommen war, die nicht zum Grinsen einlud. Also setzte er sich in den Schneidersitz und begann zu erzählen: âDu hattest recht, die Frau auf dem Bild ist meine Mum, Magaret. Vor drei Jahren, damals hatte ich gerade mein letztes Jahr am College begonnen, kehrte sie endgültig aus Princeton zurück. In ihren Augen war Charlie alt genug, alleine dort zu bleiben, aber ich denke, dass auch die Sehnsucht nach Dad in ihren Entscheidung hineinspielte. Das ist aber nicht wichtig. Sie war gerade für drei Monate zurück, als sie mit dem Fahrrad zum Bäcker fuhr, um Brötchen zu holen. Laut Augenzeugen war sie wohl auf dem Rückweg und musste an einer Kreuzung die StraÃe überqueren. In dem Moment kam von hinten viel zu schnell ein schwarzer Kombi angerast, der eigentlich bei einer roten Ampel anhalten musste, aber das tat er nicht. Stattdessen erwischte er meine Mutter, die gerade bei grün über die StraÃe fuhr. Die Ersthelferin, die den Unfall direkt miterlebt hat, sagte, dass Mum schon da bewusstlos war. Sie ist auch nicht mehr aufgewacht, aber erst, nachdem Charlie und ich uns persönlich verabschiedet hatten, ist sie gestorben.â Trauer schwang in seiner Stimme mit, als er die Geschichte beendete. Natürlich war er traurig wegen seiner Mutter, aber damit verband er auch die Zeit, in der er sich mit seinem Bruder verstand und fragte sich wieder, warum sie sich nicht wie normale Geschwister verhielten. Irgendwann mussten sie ihre Differenzen doch ablegen können? Gerade als seine Gedanken anfingen, abzuschweifen, holte Amita ihn in die Realität zurück.
âDas tut mir leidâ, antwortete sie aufrichtig und berührte ihn sachte am Arm. âSie ist bestimmt eine tolle Frau gewesen, so wie Du sie beschreibst.â
Ãberrascht von der Berührung antwortete er lächelnd: âJa, das war sie. Immer war sie für mich da, hat mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Nie hat sie eins meiner Spiele verpasst und mich immer unterstützt, egal wie wenig Zeit sie hatte.â Vor seinem geistigen Auge sah er seine Mutter, wie sie seine Mannschaft, wie sie ihn bejubelte, wie sie Kuchen buk und für ihn und seine Mitspieler bereithielt. Dann erinnerte er sich an den Geruch ihrer Pancakes, die niemand so machte wie sie. Erst Amita riss ihn wieder aus seinen Gedanken.
âDann bist Du der Baseballspieler auf dem Bild im Wohnzimmerâ, stellte sie fest.
âDas war bei meinem ersten Spiel, der Anfang eines Hobbys, das mich lange begleitete und auch heute noch nicht losgelassen hat.â
âDu spielst noch?â
âNein, schon lange nicht mehrâ, antwortete er noch immer lächelnd, âaber ich schaue so oft es geht die Spiele der Angels an.â
âDas sind doch Looserâ, sagte sie, um die Stimmung aufzulockern. âMeine Mannschaft sind die Mets.â
âEine gute Mannschaft, aber meine ist besser.â
âNein meineâ, sagte sie überzeugend.
Gebannt hörte er ihr zu, reagierte aber nicht mehr. Stattdessen schaute er sie an, denn sobald sie von etwas sprach, das sie mochte, funkelten ihre Augen, so wie jetzt bei ihrem Geplänkel wegen zwei Baseballmannschaften. Allein die Tatsache, dass er eine Frau getroffen hatte, die sich für Baseball interessierte, gefiel ihm. Vielleicht fühlte er sich ihr gerade deshalb mit jeder Sekunde, die er in ihrer Gegenwart verbrachte, näher.
Zuerst war Amita noch überrascht gewesen, wie gut sie sich mit ihm verstand und worüber sie redeten, aber mittlerweile dachte sie darüber gar nicht mehr nach. Er war einfach ein toller Typ. Als sie darauf einen Schluck trinken wollte, bemerkte sie, dass ihr Glas leer war. Auch sein Saft war alle. âMöchtest Du noch etwas trinken?â, fragte sie deshalb und rückte schon vorsichtig zur Bettkante, weil sie dort besser aufstehen konnte. Dabei stellte sie fest, dass ihr gesundes Bein eingeschlafen war. Deshalb ermahnte sie sich innerlich zur Vorsicht.
âBleib sitzen, ich mach das schonâ, antwortete Don hilfsbereit.
âNein, Du bist Gastâ, entgegnete sie und wollte von seiner Hilfe nichts wissen. Doch als sie nach ihren Krücken griff und sich daran hochzog, gab das eingeschlafene Bein nach. âDon!â, entfuhr es ihr vor Schreck, als sie mit dem Gleichgewicht kämpfte.
Das hatte er kommen sehen und fing sie behände auf, ohne dass sie oder ihr Bein zu Schaden kamen. Während sie so in seinen Armen lag und offenbar keine Schmerzen hatte, schaute er ihr tief in die Augen und bewegte dann sein Gesicht auf ihres zu bis sich ihre Lippen trafen.
Seit einiger Zeit lag Charlie wach in seinem Bett und horchte auf Geräusche, die von der StraÃe hereindrangen. Wie es aber um die Uhrzeit üblich war, war nichts zu hören. Dabei wollte er etwas hören, denn sein Bruder war schon mindestens eine Stunde fort, dabei sollte er nur Amita zurück bringen. Gerade als er wieder darüber nachdachte, fuhr ein Auto die StraÃe entlang, wie er am Licht der Scheinwerfer, das durch die Vorhänge drang und dann auch am Motorengeräusch bemerkte.
Nun stand er vom Bett auf und schob leicht den Vorhang zur Seite. Durch den entstandenen Spalt sah er Don, der aus dem Wagen stieg. Sein Gesicht konnte er von seinem Fenster aus nicht sehen. Doch die Frage, warum das so lange gedauert hatte, brannte ihm auf der Seele. Als die Tür unten geschlossen wurde und er die Schritte seines Bruders auf der Treppe hörte, ging er kurz entschlossen vom Fenster zur Tür und öffnete sie, wobei er wie zufällig seinem Bruder in die Arme lief.
âSo spät noch auf, Brüderchen?â, fragte Don. âSollst Du morgen nicht arbeiten?â
âDu bist doch auch noch auf, oder?â, reagierte er patzig auf die Bevormundung seines Bruders. âIch muss mal für kleine Mathematikerâ, rechtfertigte er sich trotzdem.
âHast Du was?â Der Tonfall in der Stimme seines kleinen Bruders gefiel ihm gar nicht.
âWas soll schon sein? Ich muss mal und Du stehst im Wegâ, entgegnete er immer noch patzig und schob sie an Don vorbei zur Badezimmertür, die Don tatsächlich blockierte.
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9.
Don half ihr beim Einsteigen. Dann fuhr er die Auffahrt hinunter und folgte der StraÃe in Richtung Studentenwohnheim. Um diese Zeit, es war schon nach 22 Uhr, herrschte in dieser typischen Einfamilienhaus-Gegend nur wenig Verkehr, so dass er sich nicht besonders auf die Fahrt konzentrieren musste. Trotzdem fing er kein Gespräch an.
Auch Amita hielt sich zurück. Sie hatte zwar eine Frage, die ihr auf der Zunge brannte, doch während der Fahrt wollte sie diese nicht stellen. Ob er sie beantworten würde, wusste sie nicht, aber sie hoffte es. Schon jetzt fühlte sie ein Vertrauen, das sie nicht erklären konnte, schlieÃlich kannte sie in gerade mal ein paar Stunden.
So saÃen sie in Gedanken versunken nebeneinander.
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Nach kurzer Fahrt hielt Don vor ihrem Wohnheim und machte den Motor aus. Als er die Tür öffnete und aussteigen wollte, um ihr aus dem Wagen zu helfen, griff sie nach seinem Unterarm und hielt ihn zurück. Woraufhin er sich zurückdrehte.
âWarte bitte einen Momentâ, sagte sie.
Fragend schaute er sie an, denn er wusste nicht, was sie noch wollte. Denn sie wollte sicherlich nicht das, was er gerne wollte.
âDarf ich Dich etwas persönliches fragen?â, fuhr sie fort.
âJaâ, antwortete kurz und wartete auf die Frage.
âIst die Frau auf dem Portrait im Flur Deine Mutter?â
Anstatt zu antworten nickte er nur, denn auf die Frage und das Thema war er nicht vorbereitet gewesen. Seine Mutter war zwar allgegenwärtig in der Familie, aber sie sprachen nur selten über sie. Seinem Vater fiel das noch immer schwer und tat es nur selten. Doch das war nichts im Vergleich mit Charlie, denn der hatte nie wieder über sie geredet, seit er nach ihrem Tod nach Princeton zurückgekehrt war.
Amita wusste nicht, was das Schweigen bedeutete, ob er darüber reden wollte oder nicht. So gut kannten sie sich nicht, trotzdem versuchte sie noch einmal, das Gespräch in Gang zu bringen. âIst sie ...â, begann sie ihre nächste Frage, überlegte es sich jedoch anders, denn sie wollte nicht zu direkt sein. Stattdessen fragte sie: âWas ist passiert?â
Diesmal antwortete er, und zwar sofort. âTut mir leid Amita, aber das ist ein Gespräch, das ich nicht zwischen Tür und Angel führen möchte. Bei Gelegenheit werde ich Dir aber von ihr erzählen. Das verspreche ich.â Den Tod seiner Mutter hatte er verarbeitet und er konnte auch über sie reden, obwohl er sie schrecklich vermisste, doch hier im Auto fand er es unangebracht.
âWenn es am Auto liegt, kannst Du gerne noch auf einen Tee mit hineinkommen. Viel mehr habe ich leider nicht anzubietenâ, erwiderte sie spontan. Ihre Neugierde war einfach zu groÃ, um ihn einfach so gehen zu lassen. AuÃerdem vermittelte er ihr kein schlechtes Gefühl, also sprach nichts dagegen.
Ein Blick auf das Armaturenbrett sagte ihm, dass es schon spät war, eigentlich zu spät, aber sein Flug startete erst um 9 Uhr am nächsten Morgen. Dementsprechend hatte er noch etwas Zeit. Warum also nicht, sagte er sich. Nun stieg er doch aus und half ihr aus dem Wagen. Dann nahm er ihren Rucksack und ging mit ihr zum Wohnheim. Dort angekommen schloss sie erst die Eingangstür auf, ging mit ihm zu ihrem Zimmer, öffnete die Tür und betrat es schlieÃlich. Er folgte ihr.
âSetz Dichâ, sagte Amita und deutete mit der Hand auf ihr Bett, das neben dem Schreibtischstuhl und dem FuÃboden die einzige Sitzgelegenheit war. âLeider kann ich Dir nur schwarzen Tee oder Orangensaft anbietenâ, stellte sie dann sachlich fest.
âSaft ist vollkommen in Ordnungâ, erwiderte er daraufhin.
Die zwei Schritte vom Bett zum Schreibtisch hinkte sie vorsichtig auf nur eine Krücke gestützt. Auf dem Regal, das dort angebracht war, standen ihr Geschirr, ein Wasserkocher und einige Instantsuppen. Zwei Gläser nahm sie herunter und dachte erst jetzt daran, dass sich ihre Einkäufe noch in dem Rucksack befanden, der bei Don stand. âGibst Du mir bitte meinen Rucksackâ, bat sie ihn deshalb.
âKlar.â Noch während er das sagte war er schon halb aufgestanden und reichte ihn ihr. Anstelle eines bedeutungsleeren Wortes erhielt er ein Lächeln von ihr als Dankeschön.
Ihren Rucksack stellte sie auf den Stuhl und holte erst die Tüte mit ihren alten Schuhen heraus und dachte erst jetzt an ihre verdreckten Schuhe, die sie vorhin nicht gewechselt hatte. Bedauernd schaute sie auf die ehemals schönen Schuhe, die nur noch hässlich waren, ehe sie sich seufzend ihren Einkäufen zuwendete und diese nach und nach auf den Tisch legte. Als sie den Saft in der Hand hielt, hörte sie damit auf und schüttelte stattdessen den Karton. Dann öffnete sie ihn und füllte Saft in die Gläser.
Als sie ihm sein Glas reichen wollte, ging das wegen der Krücke nicht, so dass er noch einmal aufstand, um ihr die Getränke abzunehmen. Währenddessen hinkte sie wieder zu ihrem Bett und setzte sich hin. Noch einmal musste sie ihre Schuhe betrachten, während sie den linken auszog. Beim rechten hatte sie wegen des Gipses Schwierigkeiten, ihn mit der Hand zu erreichen. Darum versuchte sie, ihn mit Hilfe des anderen FuÃes abzustreifen, doch das klappte nicht. Entnervt verdrehte sie daraufhin die Augen.
Genau das sah Don und fand süÃ, wie ihre Augen funkelten. Dabei bestand kein Grund dazu, denn sie musste nur nett lächeln und er würde ihr helfen. Doch er wollte sich nicht aufdrängen, was auch nicht nötig war.
Mit einem Seufzen gab sie ihre Bemühungen auf. âHilfst Du mir, den verfluchten Schuh loszuwerdenâ, bat sie ihn.
âNatürlichâ, antwortete er lächelnd, beugte sich vor und nahm behutsam ihren FuÃ, den sie ein Stück vom Boden hochgehoben hatte, in die Hand. Dann öffnete er die Schleife und lockerte die Schlaufen, so dass er vorsichtig ihren Fuà aus dem Schuh ziehen konnte. Dabei achtete er auf jede seiner Bewegungen, denn er wollte ihr nicht wehtun.
Von ihm wie ein rohes Ei behandelt zu werden, gefiel ihr. Ihre Wut hatte sie darüber schon längst vergessen. Als er fertig war, bedankte sie sich, zog das gesunde Bein an und das andere Bein aufs Bett. SchlieÃlich drehte sie sich zu Don, der sie frech angrinste. âWas?â, fragte sie irritiert.
âWie hast Du es geschafft, Deine Schuhe so zu versauen?â, erwiderte er neugierig, wobei er sich das Grinsen einfach nicht verkneifen konnte.
Gekonnt verdrehte sie daraufhin die Augen, antwortete aber trotzdem: âDafür benötigt man nicht viel, nur mich mit einem Becher Kaffe in der Hand und Deinen Bruder. Du weiÃt ja, dass ich Charlie schon kenne. Wir sind uns zufällig heute Morgen auf dem Campus begegnet und haben eine Weile zusammen unseren Weg gesucht, trennten uns aber irgendwann. Weil ich noch Zeit hatte, bis zu meiner ersten Vorlesung, bin ich einkaufen gegangen. Typisch Frau halt. Dabei habe ich die perfekten Schuhe gefunden, die damals übrigens noch quietschgrün mit pinken Punkten waren. Die musste ich haben, also kaufte ich sie, aber ich konnte nicht warten und behielt sie an. Meine alten Treter stopfte ich in den Rucksack und bin noch schnell in den Starbucks nebenan, denn ich brauchte noch einen Kaffee vor meiner ersten Vorlesung. Natürlich nahm ich mir nicht die Zeit, mich hinzusetzen und in Ruhe zu trinken, sondern machte mich gleich wieder auf den Rückweg. Was passierte? Ich ging raus, bewunderte meine Schuhe und rannte dabei in Deinen Bruder oder er in mich. Egal, auf jeden Fall lud er mich daraufhin zu einem neuen Kaffee ein, denn meiner war natürlich komplett leer, nachdem er meine Schuhe versaut hatteâ, erzählte sie schnell und lieà ihn gar nicht zu Wort kommen, als ihr einfiel, dass eigentlich er ihr etwas erzählen wollte. âAber wir sind nicht hier, um über meine einst so schönen Schuhe zu redenâ, versuchte sie zum Thema zurückzukehren.
Jetzt grinste Don nicht mehr, was zwei Gründe hatte, denn er hatte nicht gedacht, dass sie und Charlie schon so viel Zeit miteinander verbracht hatten und sie eher als Student und Dozent betrachtet. Auch war ihm bewusst, dass der Moment für seine Familiengeschichte gekommen war, die nicht zum Grinsen einlud. Also setzte er sich in den Schneidersitz und begann zu erzählen: âDu hattest recht, die Frau auf dem Bild ist meine Mum, Magaret. Vor drei Jahren, damals hatte ich gerade mein letztes Jahr am College begonnen, kehrte sie endgültig aus Princeton zurück. In ihren Augen war Charlie alt genug, alleine dort zu bleiben, aber ich denke, dass auch die Sehnsucht nach Dad in ihren Entscheidung hineinspielte. Das ist aber nicht wichtig. Sie war gerade für drei Monate zurück, als sie mit dem Fahrrad zum Bäcker fuhr, um Brötchen zu holen. Laut Augenzeugen war sie wohl auf dem Rückweg und musste an einer Kreuzung die StraÃe überqueren. In dem Moment kam von hinten viel zu schnell ein schwarzer Kombi angerast, der eigentlich bei einer roten Ampel anhalten musste, aber das tat er nicht. Stattdessen erwischte er meine Mutter, die gerade bei grün über die StraÃe fuhr. Die Ersthelferin, die den Unfall direkt miterlebt hat, sagte, dass Mum schon da bewusstlos war. Sie ist auch nicht mehr aufgewacht, aber erst, nachdem Charlie und ich uns persönlich verabschiedet hatten, ist sie gestorben.â Trauer schwang in seiner Stimme mit, als er die Geschichte beendete. Natürlich war er traurig wegen seiner Mutter, aber damit verband er auch die Zeit, in der er sich mit seinem Bruder verstand und fragte sich wieder, warum sie sich nicht wie normale Geschwister verhielten. Irgendwann mussten sie ihre Differenzen doch ablegen können? Gerade als seine Gedanken anfingen, abzuschweifen, holte Amita ihn in die Realität zurück.
âDas tut mir leidâ, antwortete sie aufrichtig und berührte ihn sachte am Arm. âSie ist bestimmt eine tolle Frau gewesen, so wie Du sie beschreibst.â
Ãberrascht von der Berührung antwortete er lächelnd: âJa, das war sie. Immer war sie für mich da, hat mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Nie hat sie eins meiner Spiele verpasst und mich immer unterstützt, egal wie wenig Zeit sie hatte.â Vor seinem geistigen Auge sah er seine Mutter, wie sie seine Mannschaft, wie sie ihn bejubelte, wie sie Kuchen buk und für ihn und seine Mitspieler bereithielt. Dann erinnerte er sich an den Geruch ihrer Pancakes, die niemand so machte wie sie. Erst Amita riss ihn wieder aus seinen Gedanken.
âDann bist Du der Baseballspieler auf dem Bild im Wohnzimmerâ, stellte sie fest.
âDas war bei meinem ersten Spiel, der Anfang eines Hobbys, das mich lange begleitete und auch heute noch nicht losgelassen hat.â
âDu spielst noch?â
âNein, schon lange nicht mehrâ, antwortete er noch immer lächelnd, âaber ich schaue so oft es geht die Spiele der Angels an.â
âDas sind doch Looserâ, sagte sie, um die Stimmung aufzulockern. âMeine Mannschaft sind die Mets.â
âEine gute Mannschaft, aber meine ist besser.â
âNein meineâ, sagte sie überzeugend.
Gebannt hörte er ihr zu, reagierte aber nicht mehr. Stattdessen schaute er sie an, denn sobald sie von etwas sprach, das sie mochte, funkelten ihre Augen, so wie jetzt bei ihrem Geplänkel wegen zwei Baseballmannschaften. Allein die Tatsache, dass er eine Frau getroffen hatte, die sich für Baseball interessierte, gefiel ihm. Vielleicht fühlte er sich ihr gerade deshalb mit jeder Sekunde, die er in ihrer Gegenwart verbrachte, näher.
Zuerst war Amita noch überrascht gewesen, wie gut sie sich mit ihm verstand und worüber sie redeten, aber mittlerweile dachte sie darüber gar nicht mehr nach. Er war einfach ein toller Typ. Als sie darauf einen Schluck trinken wollte, bemerkte sie, dass ihr Glas leer war. Auch sein Saft war alle. âMöchtest Du noch etwas trinken?â, fragte sie deshalb und rückte schon vorsichtig zur Bettkante, weil sie dort besser aufstehen konnte. Dabei stellte sie fest, dass ihr gesundes Bein eingeschlafen war. Deshalb ermahnte sie sich innerlich zur Vorsicht.
âBleib sitzen, ich mach das schonâ, antwortete Don hilfsbereit.
âNein, Du bist Gastâ, entgegnete sie und wollte von seiner Hilfe nichts wissen. Doch als sie nach ihren Krücken griff und sich daran hochzog, gab das eingeschlafene Bein nach. âDon!â, entfuhr es ihr vor Schreck, als sie mit dem Gleichgewicht kämpfte.
Das hatte er kommen sehen und fing sie behände auf, ohne dass sie oder ihr Bein zu Schaden kamen. Während sie so in seinen Armen lag und offenbar keine Schmerzen hatte, schaute er ihr tief in die Augen und bewegte dann sein Gesicht auf ihres zu bis sich ihre Lippen trafen.
----
Seit einiger Zeit lag Charlie wach in seinem Bett und horchte auf Geräusche, die von der StraÃe hereindrangen. Wie es aber um die Uhrzeit üblich war, war nichts zu hören. Dabei wollte er etwas hören, denn sein Bruder war schon mindestens eine Stunde fort, dabei sollte er nur Amita zurück bringen. Gerade als er wieder darüber nachdachte, fuhr ein Auto die StraÃe entlang, wie er am Licht der Scheinwerfer, das durch die Vorhänge drang und dann auch am Motorengeräusch bemerkte.
Nun stand er vom Bett auf und schob leicht den Vorhang zur Seite. Durch den entstandenen Spalt sah er Don, der aus dem Wagen stieg. Sein Gesicht konnte er von seinem Fenster aus nicht sehen. Doch die Frage, warum das so lange gedauert hatte, brannte ihm auf der Seele. Als die Tür unten geschlossen wurde und er die Schritte seines Bruders auf der Treppe hörte, ging er kurz entschlossen vom Fenster zur Tür und öffnete sie, wobei er wie zufällig seinem Bruder in die Arme lief.
âSo spät noch auf, Brüderchen?â, fragte Don. âSollst Du morgen nicht arbeiten?â
âDu bist doch auch noch auf, oder?â, reagierte er patzig auf die Bevormundung seines Bruders. âIch muss mal für kleine Mathematikerâ, rechtfertigte er sich trotzdem.
âHast Du was?â Der Tonfall in der Stimme seines kleinen Bruders gefiel ihm gar nicht.
âWas soll schon sein? Ich muss mal und Du stehst im Wegâ, entgegnete er immer noch patzig und schob sie an Don vorbei zur Badezimmertür, die Don tatsächlich blockierte.
Danke an Jo & XY ungelöst - die weltbesten Künstlerinnen
Ideenlos und stolz darauf!