04.04.2010, 16:25
Kapitel 2
Sophia kurbelte das Fenster auf der Fahrerseite hinunter und atmete die warme Luft ein. Der Himmel war strahlend blau und vermittelte ein kitschig anmutendes Bild. Die junge Frau warf einen kurzen Blick auf Ãlvaro, welcher leise schnarchte. Ein kurzes Lächeln umspielte ihre Lippen.
Er hatte sie lange nervös beobachtet, ehe er schlieÃlich doch eingeschlafen war. Sie fuhr nun schon beinahe drei Stunden auf der „MutterstraÃe“ der Vereinigten Staaten, wie sie gerne genannt wurde. Anfangs hatte die StraÃe ihr alleine gehört, nun waren einige Autofahrer hinzugekommen. Sophia fuhr zügig, aber auch besonders vorsichtig. Sie war auf Ãlvaro angewiesen, durfte ihn nicht mit leichtsinnigem Fahrmanöver verärgern, weshalb sie die Lust ein wenig schneller zu fahren als erlaubt, unterdrückte. Sophia war von sich selbst überrascht, so war sie doch früher, bis auf zwei Ausnahmen, immer äuÃerst vorsichtig und korrekt gefahren. Vielleicht konnte sie ja auf dieser StraÃe doch zu einem anderen Menschen werden.
Sie dachte an die korrekte und strebsame Eliteschülerin und -studentin zurück. Was hatte sie vom Leben gehabt? Diese ewige Suche nach Perfektion, der Absturz und Verrat durch eine Person, der sie ihr Herz geöffnet hatte. Sophia seufzte leise. Sie wollte nicht mehr daran denken. Das lag nun hinter ihr. Ihr neues Leben hatte nun begonnen.
Plötzlich fiel Sophia ein Polizeiauto in wenigen Hundert Meter Entfernung neben der StraÃe auf. Ein Polizist winkte gerade ein Auto heran. Sie seufzte und warf einen Blick auf Ãlvaro, der immer noch tief schlief. Nachdenklich schaltete sie die Warnblinkanlage ein und fuhr zum rechten Rand der StraÃe.
Sophia blickte in das Fach neben der Fahrertür, entdeckte jedoch keine Fahrzeugpapiere. Ihr Blick blieb zögernd am Handschuhfach hängen. Ihre Finger hatten den Griff kaum berührt, als sich plötzlich Ãlvaros Hand um ihre legte und sie unsanft zurückzog. Sophia zuckte zusammen.
„Was wird das?“, er musterte sie misstrauisch, plötzlich hellwach.
Sie schüttelte verwirrt den Kopf und rieb sich das Handgelenk. „Da vorne“, sie wies auf die Stelle, an welcher das Auto angehalten worden war, „wurde ein Fahrer zur Papierkontrolle herausgefischt. Ich wollte nur sicherheitshalber nach den Papieren suchen. Du hast so tief geschlafen...“
Ãlvaro seufzte. Er bereute seine Grobheit, verspürte jedoch nicht das Bedürfnis sich zu entschuldigen. „Das nächste Mal weckst du mich, okay?“
Sie nickte kaum merklich, schaltete die Warnblinkanlage aus und reihte das Auto wieder in den Verkehr ein. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie Ãlvaros erleichtertes Seufzen, als sie das Polizeiauto passierten ohne heraus gewunken zu werden. „Gehört das Auto wirklich dir?“
Er ging nicht darauf ein. „Möchtest du eine Mitfahrgelegenheit oder nicht?“
Sophia kräuselte die Stirn. „Ich möchte keine Schwierigkeiten. Nur eine neue Chance.“
Ãlvaro nickte. „Genau wie ich.“
Sie betrachtete ihn nachdenklich aus dem Augenwinkel. Waren sie sich tatsächlich so ähnlich? Zu was für einem Menschen war sie nur ins Auto gestiegen? Wie hatte sie so dumm sein und überhaupt diese Art der Flucht wählen können? Sie hätte bleiben sollen, wo sie gewesen war. Und dort verkommen, fügte sie hinzu. Eine einzelne Träne rann über ihre Wange.
Nach einigen Minuten seufzte Ãlvaro hörbar. „Nimm die nächste Abfahrt.“
Sophia nahm den Weg zu einer Tankstelle wahr. „Aber der Tank ist doch noch halbvoll...“ Sie tat dennoch wie ihr geheiÃen und hielt schlieÃlich rechts neben dem Gebäude.
„Steig aus.“, sagte Ãlvaro.
Sie musterte ihn ungläubig. „Wo soll ich denn hin? Lässt du mich hier im Nichts?“ Eine wütende Falte bildete sich auf ihrer Stirn, schlieÃlich spiegelte sich jedoch blanke Verzweiflung in ihrem Gesicht. Ihre Stimme wurde brüchig. „Du warst der einzige, der mich mitgenommen hat! Niemand sonst hatte angehalten. Ich habe kaum Geld, muss aber so schnell wie möglich so weit wie möglich weg!“, Sophia seufzte. „Was willst du dafür?“ Sie biss sich auf die Unterlippe und bereute die Frage augenblicklich.
Ãlvaro schob die schwarze Sonnenbrille hoch, so dass Sophia in seine dunklen Augen blicken konnte. „Du sollst dich lediglich an meine Regeln halten.“
Die Wut in ihr gewann wieder Ãberhand. „Und die wären?“ Sie verschränkte die Arme und betrachtete den jungen Mann zum ersten Mal genauer. Sein Teint war einige Nuancen dunkler als ihrer, seine Haare so dunkel wie seine Augen. Ãlvaros Gesichtszüge waren markant und wirkten nun, als er die Stirn in Falten gezogen hatten, sehr hart.
„Keine Fragen, weder deiner- noch meinerseits. Kein Herumschnüffeln. Für alle Personen, denen wir während der Fahrt begegnen, sind wir ein frisch verlobtes Pärchen aus Chicago, unterwegs zu Verwandten in Kalifornien.“
Sophia fröstelte. Ihre Stimme hob sich, zitterte dabei jedoch: „Du möchtest also die Rechte eines Verlobten?“
Ãlvaro lehnte sich zu ihr, so dass sie seinen heiÃen Atem auf ihrem Nacken fühlen konnte. Ein seltsamer Druck erfasste ihr Herz. Ãlvaro rollte mit den Augen, als er flüsterte: „Ich möchte lediglich, dass du diese Geschichte erzählst, sollte jemand Fragen stellen. An mehr bin ich nicht interessiert.“
Sophia stieà ihn wütend von sich und blickte ihn herausfordernd an. „Mehr würdest du auch ganz sicherlich nicht bekommen!“
Ãlvaro betrachtete sie einen Moment belustigt, ehe seine Miene erneut den gleichgültigen Ausdruck annahm, den Sophia schon kannte. „Geh in das Geschäft der Tankstelle und überlege dir, ob du bereit bist, meine Regeln zu befolgen. Aber entscheide dich schnell, ich werde in zehn Minuten weiterfahren. Solltest du vorhaben, weiterhin mit mir zu fahren, nimm jeweils zwei Flaschen Wasser mit. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.“ Er wandte sich von ihr ab, zog eine Packung Zigaretten sowie ein Feuerzeug aus der Hosentasche.
Sophia rollte mit den Augen und stieg aus dem Auto. Im Geschäft angekommen, lehnte sie sich einen Moment an die kühle Mauer. Erst nun fiel ihr auf, wie sehr sie zitterte. Was hatte sie da nur getan? Doch es gab einen Ausweg. Sie musste lediglich zehn Minuten warten, dann würde er ohne sie weiterfahren. Sie würden sich nie wieder sehen. Würden ihre kurze Begegnung vergessen. Einander vergessen.
Plötzlich bemerkte sie den Blick des Verkäufers hinter der Theke. Er musterte sie eingehend. Sophia sah an sich hinab. Ihre Jeans und Schuhe waren dreckig. Das rote Shirt klebte an ihrem Körper. Sie hatte während der Fahrt geschwitzt, ihr Haar war gewiss schon mehr als waschreif. Doch was zählte das schon in diesem Leben?
Sie stemmte die Arme in die Hüften und blickte den Verkäufer herausfordernd an. „Stimmt etwas nicht?“
„Dasselbe wollte ich Sie gerade fragen.“
Sophia machte, schon etwas unsicherer, einen Schritt auf ihn zu. „Weshalb sollte etwas nicht in Ordnung sein?“
Er zuckte mit den Schultern. „Sie wirkten so erleichtert das Geschäft zu betreten.“
„Nun“, Sie strich eine helle Haarsträhne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte, hinter das Ohr. „Ich bin durstig.“ Sie griff nach vier Wasserflaschen, welche im Regal neben ihr standen, stellte aber schlieÃlich zwei wieder zurück und tauschte sie gegen Limonadeflaschen aus. Ãlvaro würde nicht über alles bestimmen. Auch sie hatte gewisse Regeln, an die er sich halten musste. Schon etwas selbstbewusster wollte sie zur Theke gehen, um zu bezahlen, als sie gegen einen anderen Kunden stieÃ, der das kleine Geschäft wenige Sekunden zuvor betreten hatte.
„Pass etwas besser auf, Kleine.“ Der Mann warf ihr nur einen kurzen Blick zu und schob sich mit zwei Six-Pack Bier vor sich. Er stellte diese auf der Theke ab und reichte dem Verkäufer einen Schein. „Stimmt so.“
Sophia funkelte die beiden wütend an. „Ich war zuerst hier!“ Sie ignorierte den warnenden Blick des Verkäufers. „Wer denken Sie eigentlich, dass Sie sind?“
Der etwa vierzigjährige Mann drehte sich um und musterte sie verächtlich. „Steh mir nicht im Weg.“ Sein Atem roch nach Alkohol. Er schob sich grob an ihr vorbei, so dass sie einen Schritt zurück treten musste.
Fluchend zog sie einen Schein aus der Hosentasche und warf ihn auf die Theke. „Hier gibt es wohl keine Menschen mit Manieren!“ Ohne das Restgeld entgegenzunehmen, verlieà sie das Geschäft und wollte schon auf Ãlvaros Auto zusteuern, als sie den Mann von vorhin mit drei anderen Männern an einen Truck gelehnt und Bier trinkend vorfand. In ihrer Wut nicht weiter nachdenkend, ging sie auf die vier zu. „Wirklich erbärmlich wie sich manche Menschen benehmen!“
Ãlvaro machte gerade einen Zug von seiner zweiten Zigarette, als er Sophias laute Stimme vernahm. Er tunkte sie seufzend auf seiner Jeans aus und stieg aus dem Auto.
Ãlvaro fand Sophia die Arme in die Hüften gestemmt vor vier Männern stehend vor.
„Was hast du eigentlich für ein Problem, Kleine?“ meinte einer gerade spöttisch zu ihr.
Ãlvaro trat näher und legte einen Arm um Sophias Hüfte, wobei die junge Frau zusammenzuckte und ihm einen kurzen, sehr wütenden Blick schenkte. Belustigt von ihrer Reaktion drückte er seine Lippen kurz auf ihren Haaransatz. „Was hast du denn, amorcita.“ Er sprach das Kosewort mit zynischem Unterton aus.
Einer der Männer machte einen Schritt vor. „Zickt sie immer so?“
Ãlvaro zuckte mit den Schultern. „Ach, sie bekommt nur bald ihre Tage.“ Die Männer begannen zu lachen.
Sophia krallte ihre Hand in Ãlvaros Arm. Wie konnte er nur!
„Gehen wir.“ Er lieà sie los und griff nach zwei der Flaschen, welche am Asphaltboden standen, Sophia nach den beiden anderen.
Beim Auto angekommen, schmiss sie die Flaschen auf die Rückbank, wartete bis Ãlvaro gleiches getan hatte, ehe sie ihm eine Ohrfeige gab. „Wie konntest du mich nur so demütigen?“
Ãlvaro musterte sie einen Moment Kopf schüttelnd, ehe er seine Lederjacke auszog und ebenfalls auf die Rückbank warf. Unter seinem Shirt zeichnete sich sein trainierter Oberkörper ab. Sophia wandte den Blick ab, doch Ãlvaro hatte diesen bemerkt und reagierte mit einem kurzen Grinsen, ehe er einen Schritt näher trat und sanft ihr Kinn drehte, so dass sie ihn ansehen musste. „Ist dir, liebste Sophia, oder wie auch immer du wirklich heiÃen magst, eigentlich bewusst, in welche Schwierigkeiten du dich hättest begeben können? Du legst dich mit vier unter Alkoholeinfluss stehenden, dir fremden Männern an. Was sagt das über dich aus?“
Sie funkelte ihn wütend an und schob seine Hand von ihrem Gesicht. „Einer hat mich beleidigt.“
Ãlvaro musterte sie. „Zu viert hätten sie womöglich noch ganz anderes getan.“ Sein Blick streifte ihren Körper einen Augenblick. „War dir das in dem Moment egal, als du ihm unbedingt die Meinung sagen musstest?“
Sophia senkte den Blick, starrte auf ihre Schuhspitzen.
Ãlvaro seufzte leise. „Du hast die Flaschen besorgt. Ich nehme also an, dass du weiterhin mitfahren möchtest?“
Sie blickte ihm in die Augen. „Danke.“, sagte sie leise.
Er wandte sich Kopf schüttelnd von ihr ab. „Setz dich einfach auf die Beifahrerseite des Autos. Ich fahre das nächste Stück.“
Sophia nahm zitternd eine der Limonadenflaschen von der Rückbank und setzte sich auf den Beifahrersitz. Die Flüssigkeit schmeckte bitter. Ihre Augen begannen kurz zu tränen. Sie wischte eilig darüber, als sich Ãlvaro mit einer Wasserflasche in den Fahrersitz sinken lieÃ.
Plötzlich spürte Sophia eine kühle Hand auf ihrer Wange. Sie zuckte zu ihrer eigenen Ãberraschung nicht zusammen, öffnete die Augen langsam. Für einen Moment erkannte sie etwas Sanftes in Ãlvaros Blick.
Er strich kurz über ihre Wange. „Du glaubst gar nicht, in was für Schwierigkeiten ich mich schon brachte, nur weil ich jemanden die Meinung sagen wollte.“
Sophia erwiderte seinen Blick herausfordernd. „Hast du daraus gelernt?“
Ãlvaro ging nicht darauf ein. „Du bekommst das Geld für meine beiden Flaschen, wenn wir das nächste Mal rasten.“
„Bevor wir fahren, möchte ich dir noch etwas sagen.“ Er betrachtete sie erwartungsvoll.
Sie fuhr zögernd fort: „Ich möchte zu deinen Regeln meine eigenen hinzufügen.“
Ãlvaro betrachtete sie belustig. „Bist es nicht du, die mitfahren möchte?“
Sophia betrachtete ihn herausfordernd. „Du warst aus irgendeinem, mir momentan noch unbekannten, Grund jedoch sehr schnell bereit mich mitzunehmen. Wahrscheinlich tust du dies nicht nur aus Nächstenliebe...“
„Vielleicht bin ich auch einfach nur ein geselliger Mensch.“
„Wie auch immer.“, Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Wenn du möchtest, dass ich bei deiner kleinen Geschichte bleibe, musst du dich an ein paar Regeln halten.“
Ãlvaro musterte sie. „Jetzt bin ich aber gespannt.“ Der sarkastische Unterton war nicht zu überhören.
Sophia atmete tief durch. Konnte sie ihm trauen? „Erstens, ich spiele nur vor anderen deine Verlobte. Zweitens beinhaltet das auch keinen öffentlichen Körperkontakt. Drittens...“ Sie hielt kurz inne und funkelte Ãlvaro wütend an, als er sich eine Zigarette anzündete. „...schlafen wir kommende Nacht in einem Motel, ich muss dringend duschen und meine Kleidung wechseln. Und viertens...“ Sie riss ihm die Zigarette aus der Hand und schmiss sie aus dem Fenster der Beifahrerseite. „...gefährdest du nicht länger meine Gesundheit.“
Ãlvaro betrachtete sie einen Moment belustigt und startete den Motor. „Ich glaube, das wird noch eine sehr interessante Fahrt...“
Sophia blickte aus dem Fenster der Beifahrerseite. „Zu wessen Verwandten fahren wir eigentlich?“
Sophia kurbelte das Fenster auf der Fahrerseite hinunter und atmete die warme Luft ein. Der Himmel war strahlend blau und vermittelte ein kitschig anmutendes Bild. Die junge Frau warf einen kurzen Blick auf Ãlvaro, welcher leise schnarchte. Ein kurzes Lächeln umspielte ihre Lippen.
Er hatte sie lange nervös beobachtet, ehe er schlieÃlich doch eingeschlafen war. Sie fuhr nun schon beinahe drei Stunden auf der „MutterstraÃe“ der Vereinigten Staaten, wie sie gerne genannt wurde. Anfangs hatte die StraÃe ihr alleine gehört, nun waren einige Autofahrer hinzugekommen. Sophia fuhr zügig, aber auch besonders vorsichtig. Sie war auf Ãlvaro angewiesen, durfte ihn nicht mit leichtsinnigem Fahrmanöver verärgern, weshalb sie die Lust ein wenig schneller zu fahren als erlaubt, unterdrückte. Sophia war von sich selbst überrascht, so war sie doch früher, bis auf zwei Ausnahmen, immer äuÃerst vorsichtig und korrekt gefahren. Vielleicht konnte sie ja auf dieser StraÃe doch zu einem anderen Menschen werden.
Sie dachte an die korrekte und strebsame Eliteschülerin und -studentin zurück. Was hatte sie vom Leben gehabt? Diese ewige Suche nach Perfektion, der Absturz und Verrat durch eine Person, der sie ihr Herz geöffnet hatte. Sophia seufzte leise. Sie wollte nicht mehr daran denken. Das lag nun hinter ihr. Ihr neues Leben hatte nun begonnen.
Plötzlich fiel Sophia ein Polizeiauto in wenigen Hundert Meter Entfernung neben der StraÃe auf. Ein Polizist winkte gerade ein Auto heran. Sie seufzte und warf einen Blick auf Ãlvaro, der immer noch tief schlief. Nachdenklich schaltete sie die Warnblinkanlage ein und fuhr zum rechten Rand der StraÃe.
Sophia blickte in das Fach neben der Fahrertür, entdeckte jedoch keine Fahrzeugpapiere. Ihr Blick blieb zögernd am Handschuhfach hängen. Ihre Finger hatten den Griff kaum berührt, als sich plötzlich Ãlvaros Hand um ihre legte und sie unsanft zurückzog. Sophia zuckte zusammen.
„Was wird das?“, er musterte sie misstrauisch, plötzlich hellwach.
Sie schüttelte verwirrt den Kopf und rieb sich das Handgelenk. „Da vorne“, sie wies auf die Stelle, an welcher das Auto angehalten worden war, „wurde ein Fahrer zur Papierkontrolle herausgefischt. Ich wollte nur sicherheitshalber nach den Papieren suchen. Du hast so tief geschlafen...“
Ãlvaro seufzte. Er bereute seine Grobheit, verspürte jedoch nicht das Bedürfnis sich zu entschuldigen. „Das nächste Mal weckst du mich, okay?“
Sie nickte kaum merklich, schaltete die Warnblinkanlage aus und reihte das Auto wieder in den Verkehr ein. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie Ãlvaros erleichtertes Seufzen, als sie das Polizeiauto passierten ohne heraus gewunken zu werden. „Gehört das Auto wirklich dir?“
Er ging nicht darauf ein. „Möchtest du eine Mitfahrgelegenheit oder nicht?“
Sophia kräuselte die Stirn. „Ich möchte keine Schwierigkeiten. Nur eine neue Chance.“
Ãlvaro nickte. „Genau wie ich.“
Sie betrachtete ihn nachdenklich aus dem Augenwinkel. Waren sie sich tatsächlich so ähnlich? Zu was für einem Menschen war sie nur ins Auto gestiegen? Wie hatte sie so dumm sein und überhaupt diese Art der Flucht wählen können? Sie hätte bleiben sollen, wo sie gewesen war. Und dort verkommen, fügte sie hinzu. Eine einzelne Träne rann über ihre Wange.
Nach einigen Minuten seufzte Ãlvaro hörbar. „Nimm die nächste Abfahrt.“
Sophia nahm den Weg zu einer Tankstelle wahr. „Aber der Tank ist doch noch halbvoll...“ Sie tat dennoch wie ihr geheiÃen und hielt schlieÃlich rechts neben dem Gebäude.
„Steig aus.“, sagte Ãlvaro.
Sie musterte ihn ungläubig. „Wo soll ich denn hin? Lässt du mich hier im Nichts?“ Eine wütende Falte bildete sich auf ihrer Stirn, schlieÃlich spiegelte sich jedoch blanke Verzweiflung in ihrem Gesicht. Ihre Stimme wurde brüchig. „Du warst der einzige, der mich mitgenommen hat! Niemand sonst hatte angehalten. Ich habe kaum Geld, muss aber so schnell wie möglich so weit wie möglich weg!“, Sophia seufzte. „Was willst du dafür?“ Sie biss sich auf die Unterlippe und bereute die Frage augenblicklich.
Ãlvaro schob die schwarze Sonnenbrille hoch, so dass Sophia in seine dunklen Augen blicken konnte. „Du sollst dich lediglich an meine Regeln halten.“
Die Wut in ihr gewann wieder Ãberhand. „Und die wären?“ Sie verschränkte die Arme und betrachtete den jungen Mann zum ersten Mal genauer. Sein Teint war einige Nuancen dunkler als ihrer, seine Haare so dunkel wie seine Augen. Ãlvaros Gesichtszüge waren markant und wirkten nun, als er die Stirn in Falten gezogen hatten, sehr hart.
„Keine Fragen, weder deiner- noch meinerseits. Kein Herumschnüffeln. Für alle Personen, denen wir während der Fahrt begegnen, sind wir ein frisch verlobtes Pärchen aus Chicago, unterwegs zu Verwandten in Kalifornien.“
Sophia fröstelte. Ihre Stimme hob sich, zitterte dabei jedoch: „Du möchtest also die Rechte eines Verlobten?“
Ãlvaro lehnte sich zu ihr, so dass sie seinen heiÃen Atem auf ihrem Nacken fühlen konnte. Ein seltsamer Druck erfasste ihr Herz. Ãlvaro rollte mit den Augen, als er flüsterte: „Ich möchte lediglich, dass du diese Geschichte erzählst, sollte jemand Fragen stellen. An mehr bin ich nicht interessiert.“
Sophia stieà ihn wütend von sich und blickte ihn herausfordernd an. „Mehr würdest du auch ganz sicherlich nicht bekommen!“
Ãlvaro betrachtete sie einen Moment belustigt, ehe seine Miene erneut den gleichgültigen Ausdruck annahm, den Sophia schon kannte. „Geh in das Geschäft der Tankstelle und überlege dir, ob du bereit bist, meine Regeln zu befolgen. Aber entscheide dich schnell, ich werde in zehn Minuten weiterfahren. Solltest du vorhaben, weiterhin mit mir zu fahren, nimm jeweils zwei Flaschen Wasser mit. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.“ Er wandte sich von ihr ab, zog eine Packung Zigaretten sowie ein Feuerzeug aus der Hosentasche.
Sophia rollte mit den Augen und stieg aus dem Auto. Im Geschäft angekommen, lehnte sie sich einen Moment an die kühle Mauer. Erst nun fiel ihr auf, wie sehr sie zitterte. Was hatte sie da nur getan? Doch es gab einen Ausweg. Sie musste lediglich zehn Minuten warten, dann würde er ohne sie weiterfahren. Sie würden sich nie wieder sehen. Würden ihre kurze Begegnung vergessen. Einander vergessen.
Plötzlich bemerkte sie den Blick des Verkäufers hinter der Theke. Er musterte sie eingehend. Sophia sah an sich hinab. Ihre Jeans und Schuhe waren dreckig. Das rote Shirt klebte an ihrem Körper. Sie hatte während der Fahrt geschwitzt, ihr Haar war gewiss schon mehr als waschreif. Doch was zählte das schon in diesem Leben?
Sie stemmte die Arme in die Hüften und blickte den Verkäufer herausfordernd an. „Stimmt etwas nicht?“
„Dasselbe wollte ich Sie gerade fragen.“
Sophia machte, schon etwas unsicherer, einen Schritt auf ihn zu. „Weshalb sollte etwas nicht in Ordnung sein?“
Er zuckte mit den Schultern. „Sie wirkten so erleichtert das Geschäft zu betreten.“
„Nun“, Sie strich eine helle Haarsträhne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte, hinter das Ohr. „Ich bin durstig.“ Sie griff nach vier Wasserflaschen, welche im Regal neben ihr standen, stellte aber schlieÃlich zwei wieder zurück und tauschte sie gegen Limonadeflaschen aus. Ãlvaro würde nicht über alles bestimmen. Auch sie hatte gewisse Regeln, an die er sich halten musste. Schon etwas selbstbewusster wollte sie zur Theke gehen, um zu bezahlen, als sie gegen einen anderen Kunden stieÃ, der das kleine Geschäft wenige Sekunden zuvor betreten hatte.
„Pass etwas besser auf, Kleine.“ Der Mann warf ihr nur einen kurzen Blick zu und schob sich mit zwei Six-Pack Bier vor sich. Er stellte diese auf der Theke ab und reichte dem Verkäufer einen Schein. „Stimmt so.“
Sophia funkelte die beiden wütend an. „Ich war zuerst hier!“ Sie ignorierte den warnenden Blick des Verkäufers. „Wer denken Sie eigentlich, dass Sie sind?“
Der etwa vierzigjährige Mann drehte sich um und musterte sie verächtlich. „Steh mir nicht im Weg.“ Sein Atem roch nach Alkohol. Er schob sich grob an ihr vorbei, so dass sie einen Schritt zurück treten musste.
Fluchend zog sie einen Schein aus der Hosentasche und warf ihn auf die Theke. „Hier gibt es wohl keine Menschen mit Manieren!“ Ohne das Restgeld entgegenzunehmen, verlieà sie das Geschäft und wollte schon auf Ãlvaros Auto zusteuern, als sie den Mann von vorhin mit drei anderen Männern an einen Truck gelehnt und Bier trinkend vorfand. In ihrer Wut nicht weiter nachdenkend, ging sie auf die vier zu. „Wirklich erbärmlich wie sich manche Menschen benehmen!“
Ãlvaro machte gerade einen Zug von seiner zweiten Zigarette, als er Sophias laute Stimme vernahm. Er tunkte sie seufzend auf seiner Jeans aus und stieg aus dem Auto.
Ãlvaro fand Sophia die Arme in die Hüften gestemmt vor vier Männern stehend vor.
„Was hast du eigentlich für ein Problem, Kleine?“ meinte einer gerade spöttisch zu ihr.
Ãlvaro trat näher und legte einen Arm um Sophias Hüfte, wobei die junge Frau zusammenzuckte und ihm einen kurzen, sehr wütenden Blick schenkte. Belustigt von ihrer Reaktion drückte er seine Lippen kurz auf ihren Haaransatz. „Was hast du denn, amorcita.“ Er sprach das Kosewort mit zynischem Unterton aus.
Einer der Männer machte einen Schritt vor. „Zickt sie immer so?“
Ãlvaro zuckte mit den Schultern. „Ach, sie bekommt nur bald ihre Tage.“ Die Männer begannen zu lachen.
Sophia krallte ihre Hand in Ãlvaros Arm. Wie konnte er nur!
„Gehen wir.“ Er lieà sie los und griff nach zwei der Flaschen, welche am Asphaltboden standen, Sophia nach den beiden anderen.
Beim Auto angekommen, schmiss sie die Flaschen auf die Rückbank, wartete bis Ãlvaro gleiches getan hatte, ehe sie ihm eine Ohrfeige gab. „Wie konntest du mich nur so demütigen?“
Ãlvaro musterte sie einen Moment Kopf schüttelnd, ehe er seine Lederjacke auszog und ebenfalls auf die Rückbank warf. Unter seinem Shirt zeichnete sich sein trainierter Oberkörper ab. Sophia wandte den Blick ab, doch Ãlvaro hatte diesen bemerkt und reagierte mit einem kurzen Grinsen, ehe er einen Schritt näher trat und sanft ihr Kinn drehte, so dass sie ihn ansehen musste. „Ist dir, liebste Sophia, oder wie auch immer du wirklich heiÃen magst, eigentlich bewusst, in welche Schwierigkeiten du dich hättest begeben können? Du legst dich mit vier unter Alkoholeinfluss stehenden, dir fremden Männern an. Was sagt das über dich aus?“
Sie funkelte ihn wütend an und schob seine Hand von ihrem Gesicht. „Einer hat mich beleidigt.“
Ãlvaro musterte sie. „Zu viert hätten sie womöglich noch ganz anderes getan.“ Sein Blick streifte ihren Körper einen Augenblick. „War dir das in dem Moment egal, als du ihm unbedingt die Meinung sagen musstest?“
Sophia senkte den Blick, starrte auf ihre Schuhspitzen.
Ãlvaro seufzte leise. „Du hast die Flaschen besorgt. Ich nehme also an, dass du weiterhin mitfahren möchtest?“
Sie blickte ihm in die Augen. „Danke.“, sagte sie leise.
Er wandte sich Kopf schüttelnd von ihr ab. „Setz dich einfach auf die Beifahrerseite des Autos. Ich fahre das nächste Stück.“
Sophia nahm zitternd eine der Limonadenflaschen von der Rückbank und setzte sich auf den Beifahrersitz. Die Flüssigkeit schmeckte bitter. Ihre Augen begannen kurz zu tränen. Sie wischte eilig darüber, als sich Ãlvaro mit einer Wasserflasche in den Fahrersitz sinken lieÃ.
Plötzlich spürte Sophia eine kühle Hand auf ihrer Wange. Sie zuckte zu ihrer eigenen Ãberraschung nicht zusammen, öffnete die Augen langsam. Für einen Moment erkannte sie etwas Sanftes in Ãlvaros Blick.
Er strich kurz über ihre Wange. „Du glaubst gar nicht, in was für Schwierigkeiten ich mich schon brachte, nur weil ich jemanden die Meinung sagen wollte.“
Sophia erwiderte seinen Blick herausfordernd. „Hast du daraus gelernt?“
Ãlvaro ging nicht darauf ein. „Du bekommst das Geld für meine beiden Flaschen, wenn wir das nächste Mal rasten.“
„Bevor wir fahren, möchte ich dir noch etwas sagen.“ Er betrachtete sie erwartungsvoll.
Sie fuhr zögernd fort: „Ich möchte zu deinen Regeln meine eigenen hinzufügen.“
Ãlvaro betrachtete sie belustig. „Bist es nicht du, die mitfahren möchte?“
Sophia betrachtete ihn herausfordernd. „Du warst aus irgendeinem, mir momentan noch unbekannten, Grund jedoch sehr schnell bereit mich mitzunehmen. Wahrscheinlich tust du dies nicht nur aus Nächstenliebe...“
„Vielleicht bin ich auch einfach nur ein geselliger Mensch.“
„Wie auch immer.“, Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Wenn du möchtest, dass ich bei deiner kleinen Geschichte bleibe, musst du dich an ein paar Regeln halten.“
Ãlvaro musterte sie. „Jetzt bin ich aber gespannt.“ Der sarkastische Unterton war nicht zu überhören.
Sophia atmete tief durch. Konnte sie ihm trauen? „Erstens, ich spiele nur vor anderen deine Verlobte. Zweitens beinhaltet das auch keinen öffentlichen Körperkontakt. Drittens...“ Sie hielt kurz inne und funkelte Ãlvaro wütend an, als er sich eine Zigarette anzündete. „...schlafen wir kommende Nacht in einem Motel, ich muss dringend duschen und meine Kleidung wechseln. Und viertens...“ Sie riss ihm die Zigarette aus der Hand und schmiss sie aus dem Fenster der Beifahrerseite. „...gefährdest du nicht länger meine Gesundheit.“
Ãlvaro betrachtete sie einen Moment belustigt und startete den Motor. „Ich glaube, das wird noch eine sehr interessante Fahrt...“
Sophia blickte aus dem Fenster der Beifahrerseite. „Zu wessen Verwandten fahren wir eigentlich?“