17.04.2010, 10:51
Hallo,
Der Unialltag hat wieder begonnen, weshalb es etwas länger dauerte, bis ich das dritte Kapitel beenden konnte.
Danke für eure Feedbacks. Freut mich, dass euch die Geschichte bisher gefällt.
Schönes Wochenende
HobbyWriter
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Kapitel 3
Die Fahrt verlief sehr ruhig. Ãlvaro warf Sophia währenddessen ein paar Blicke aus dem Augenwinkel zu. Sie starrte aus dem Fenster der Beifahrerseite, hin und wieder glaubte er, ein leichtes Zittern ihres Körpers zu bemerken. Ãlvaro fragte sich einen Moment, ob er sich bei ihr entschuldigen sollte. Er war schon wieder grob gewesen. Andrerseits hatte er es in dieser Situation nicht für unangebracht gehalten. Sophia war sehr leichtsinnig gewesen.
Er hatte eigentlich keine Lust so viel Zeit wegen ihr zu verlieren, dennoch blickte er sich suchend nach Motels um, als der Tag der Nacht zu weichen begann.
Sophia nahm das Schild überrascht wahr. Ãlvaro folgte dem kurzen Wegweiser und parkte vor einem älteren Haus. âDu hast also beschlossen, auch meine Regeln zu befolgen.â, meinte sie nur.
Er lachte genervt auf und verspürte die Lust sofort wieder zu fahren. Es war ein Fehler gewesen sie mitzunehmen. Am besten sollte er sich in der Nacht davonschleichen und ohne sie weiterfahren. Ãlvaro stieg seufzend aus und griff nach seinem spärlichen Gepäck, Sophia machte es ihm gleich. âDir ist klar, dass wir uns ein Zimmer teilen müssen, um unsere Glaubwürdigkeit zu wahren?â, fragte er mit belustigtem Unterton, als sie die fünf Stiegen zur Eingangstür des Motels hinaufgingen.
Sophia wollte schon protestieren, schluckte den Ãrger aber tapfer hinunter. Ãlvaro zog sie durch die Tür. Gleich gegenüber stand ein Tisch, an dem ein älterer Mann Zeitung lesend saÃ. Dieser sah erst hoch, als die beiden direkt vor ihm standen. Er legte die Zeitung auf die Seite und griff nach dem vor ihm liegenden dicken roten Buch. Aus einer Schreibutensiliendose am Rande des Tisches zog er einen Kugelschreiber. âWillkommen in unserem bescheidenen Motel.â Er rückte seine Brille zurecht und mühte sich um ein besonders strahlendes Lächeln.
Ãlvaros Mundwinkel deuteten einen Moment ähnliches an. Er wies auf Sophia. âWir suchen ein Zimmer für eine Nacht.â
Der Motelbesitzer musterte die beiden nachdenklich. Wie ein glückliches Paar sahen sie ja nicht gerade aus. Die junge Frau trat unruhig von einem Fuà auf den anderen, einen alten Rucksack auf dem Rücken geschnallt. Als sie seinen Blick bemerkte, trat sie jedoch näher zu dem jungen Mann, der eine groÃe Sporttasche in der rechten Hand trug. âSie gehören also zusammen?â Der Besitzer wandte sich an Sophia, schalt sich jedoch gleich selbst. Es ging ihn nichts an. Er verlangte ja nicht einmal Ausweise von den Gästen, sie mussten sich lediglich in sein Buch eintragen. Er hatte in den letzten Jahren schon die interessantesten Fantasienamen gelesen, weshalb er seit einiger Zeit schlieÃlich endlich auf die Bezahlung mit Kreditkarte bestand, wie ihm schon mehrmals geraten worden war.
Ãlvaro warf Sophia einen kurzen Blick zu, diese nickte dem Besitzer lächelnd zu und bat innerlich sie klänge überzeugend. âJa, wir sind verlobt. Es war nur eine etwas lange Fahrt.â
Ãlvaro nickte ihr kaum merklich zu. âWie viel wird uns diese Nacht kosten?â, fragte er.
Der Motelbesitzer räusperte sich. âVierzig Dollar.â
Der junge Mann zog zwei Scheine aus der Hosentasche. âIch hoffe, es ist kein Problem, dass wir bar bezahlen.â
Sein Gegenüber zögerte kurz, bemerkte aber schlieÃlich Sophias flehenden Blick. Was ging hier nur vor? Doch er hatte hübschen jungen Frauen noch nie widerstehen können, was ihm auch beide Ehen gekostet hatte. Er nickte schlieÃlich. âSie können auch bar zahlen, aber ich benötige ihre Namen.â Er seufzte leise als er das Buch drehte, aufschlug und der jungen Frau den Kugelschreiber reichte. In diesem Moment trat der Mann vor und legte den linken Arm um ihre Hüfte.
Sophia warf Ãlvaro einen kurzen, strafenden Blick zu. Ihr Hand zitterte etwas, als sie den Kugelschreiber führte. Sophia. Doch sie benötigte noch einen Nachnamen. Miller war der erste Name, der ihr spontan einfiel. Miller, wie einer der Menschen, der an ihrem Absturz beteiligt gewesen war. Also Sophia Miller als Erinnerung an das Leben, das sie nicht mehr führen wollte und konnte. Sie atmete tief durch und reichte Ãlvaro den Kugelschreiber. Er führte ihn schnell, scheinbar ganz ohne zu zögern oder kurz zu überlegen. Ãlvaro Sanchez.
Er reichte dem Motelbesitzer das Buch, dieser besah die Namen kurz und verzog dabei keinerlei Miene.
âGibt es in der Nähe eine Einkaufsmöglichkeit?â, fragte Ãlvaro plötzlich. âWir benötigen etwas zu essen.â
Sein Gegenüber überlegte kurz, ehe er ihm den Weg zu einer Tankstelle beschrieb. Ãlvaro nickte und bedankte sich. Er glaubte diese bereits am Weg zum Motel angeschrieben gesehen zu haben. âGeh einstweilen ins Zimmer.â, sagte er zu Sophia und zog sie näher an sich. âIch werde uns etwas besorgen. Hast du besondere Wünsche? Oder - angesichts der wahrscheinlich geringen Auswahl - gibt es Snacks, die du überhaupt nicht magst?â, flüsterte er ihr zu. Der Motelbesitzer behielt ihn dabei im Auge, konnte jedoch die Worte nicht verstehen. Sophia flüsterte die Antwort ebenso leise zurück.
Ãlvaro nickte ihr zu. âOkay.â Er bemühte sich um ein leichtes Lächeln und hoffte inständig, sie würde sich in seiner Abwesenheit durch nichts verraten. âBis gleich.â
Als er das Gebäude verlassen hatte, reichte der Motelbesitzer Sophia einen Schlüssel mit der Nummer 37. Er nickte ihr aufmunternd zu. âUnsere beste Suite.â, scherzte er.
Sophia mühte sich um ein Lächeln. âDanke. Die Zimmer sind doch sauber?â Sie biss sich auf die Unterlippe. Was war das denn? Sie musste ihr altes Selbst endlich ablegen.
Doch der Besitzer lachte nur. âSie übernachten wohl nicht oft in Motels? Die meisten Besitzer, so wie auch ich, sind sehr auf Sauberkeit und Komfort der Räumlichkeiten bedacht. Sie können unbesorgt sein. Im Holiday Inn könnten Sie es nicht besser haben.â Er zwinkerte ihr zu.
Sophia verkniff sich eine zynische Bemerkung, schenkte ihm nochmals ein höfliches Lächeln, ehe sie sich suchend nach Hinweisschildern umsah.
Der Motelbesitzer wies auf den Gang rechts von ihm. âGanz hinten ist eine Treppe. Ihr Zimmer befindet sich am oberen Stockwerk. Verzeihen Sie die Frageâ, er zögerte und räusperte sich kurz, ehe er fort fuhr: âEs ist doch alles in Ordnung?â
Sophia wandte sich ruckartig um. Warum fragte dies jeder? Sah sie aus wie ein hilfloses, kleines Mädchen? Sie mühte sich um ein Lächeln, was ihr diesmal besonders schwer fiel und deshalb auch nur teilweise gelang. âAlles bestens. Ich bin lediglich todmüde.â Sophia wartete keine Antwort ab und ging, wie geheiÃen, zur Treppe.
Das Zimmer war zwar so klein wie befürchtet, aber zumindest sehr sauber und immerhin praktisch eingerichtet. Es gab ein kleines Bad mit Dusche und Waschbecken. Im anderen Raum befanden sich ein Doppelbett mit Nachttischen auf jeder Seite - auf dem linken stand ein Telefon - ein groÃer Kasten sowie eine Abstellfläche, auf der ein alter Fernseher stand und eine StraÃenkarte von Missouri lag. Sophia stellte ihren Rucksack auf dem Bett ab und fuhr sich nachdenklich durch ihren langen Haarzopf. Sie betrachtete das für amerikanische Verhältnisse schmale Doppelbett skeptisch. Hier sollte sie also schlafen, neben einem Mann, den sie im Grunde gar nicht kannte. Sophia seufzte leise und öffnete den Rucksack. Sie musste duschen und sich umziehen, ehe Ãlvaro zurück war.
Sophia schloss die Badezimmertür und stellte mit einem lauten Seufzen fest, dass sich diese nicht versperren lieÃ. Sie entledigte sich ihrer verschwitzten Kleidung und stieg in die Dusche. Als das heiÃe Wasser auf ihren Körper prasselte, schloss sie die Augen und dachte an die Wochen vor ihrem Aufbruch. An die Menschen, die sie einfach im Stich gelassen hatten. Die grobe Zurückweisung. Die Ablehnung. Zerstörtes Vertrauen, zerstörte Träume. Ihre Seele war immer zerbrechlich wie Porzellan gewesen. Ausgerechnet die Menschen, denen sie ihr Herz zu öffnen begonnen hatte, waren für dessen Bruch verantwortlich. Sie hätte ihr altes, verlogenes Leben keinen weiteren Tag mehr ertragen.
Sophia wusste nicht, was am Ende der StraÃe auf sie warten würde. Sie wusste nur, dass sie es herausfinden musste. Es gab kein Zurück mehr.
Sophia drehte das Wasser ab und stieg fröstelnd aus der Dusche. Sie griff nach einem der groÃen, weiÃen Handtücher, die am Waschbecken lagen und wickelte sich darin ein. Fluchend stellte sie schlieÃlich fest, dass sie ihre frische Kleidung im Rucksack vergessen hatte. Sie trat zur Tür und lehnte das Ohr dagegen. âHallo?â, rief sie unsicher und ging schlieÃlich schnell in den anderen Raum, als keine Antwort erwidert wurde. Erleichtert stellte sie fest, dass Ãlvaro tatsächlich noch nicht zurückgekommen war. Genau dies geschah jedoch, als sie ihre Kleidung aus dem Rucksack nehmen wollte. Sophia zuckte zusammen, als die Tür geöffnet wurde und presste die Arme um ihren Körper.
Ãlvaro musterte die nur durch ein Handtuch bedeckte junge Frau einen Moment irritiert. Sophia schien in diesem Augenblick starr vor Schreck. Sie wich dem Blick des jungen Mannes aus und sah auf ihre nackten FüÃe.
Ãlvaro wandte sich schlieÃlich ab und schloss rasch die Motelzimmertür. âKannst du dich nicht im Badezimmer umziehen?â Seine Stimme klang so gleichgültig wie zumeist.
Sophia schenkte ihm einen wütenden Blick und verschwand im Badezimmer. Ihre Wangen brannten vor Scham, waren vermutlich sichtlich gerötet. Ein Gedanke, der sie noch mehr verärgerte.
Ãlvaro sah nicht hoch, als sie zurückkam. Er saà auf der einen Seite des Bettes und hatte den Blick auf eine Tageszeitung gerichtet, die er an der Tankstelle gekauft hatte. âIch habe dir zwei Gemüsebagels mitgebracht. Ich hoffe, das passt.â Er hob den Blick und sah ihr schlieÃlich in die Augen.
Sophia musterte ihn unsicher. âJa, danke.â Sie bezweifelte, dass ihr die Snacks schmecken würden, doch darum ging es nicht mehr. âHör mal...â, Sie setzte sich auf den Rand der anderen Bettseite. â...das war keine Absicht.â
Ãlvaro fuhr sich durch die kurzen dunklen Haare. âWas meinst du?â
âIch wollte mich im Badezimmer umziehen, hatte jedoch meine Kleidung im Rucksack vergessen.â Sie wich seinem Blick aus.
Er musterte sie belustigt. âUnd ich dachte schon, du wolltest mich verführen.â Der Unterton war nicht zu überhören.
Sophia funkelte ihn wütend an. âDas wird wohl nie passieren.â
Ãlvaro zog amüsiert eine Augenbrauche hoch und widmete sich wieder dem Zeitungsartikel.
Sophias Hand zitterte leicht, als sie nach einem der Bagels griff, die er auf ihrem Nachttisch abgelegt hatte. Erst zögernd biss sie in den ungeliebten Snack, als sie plötzlich ein regelrechter HeiÃhunger überfiel.
Ãlvaro betrachtete sein den Bagel verschlingendes Gegenüber amüsiert, ehe er schlieÃlich wieder ernst wurde. âDu musst an deinem Part arbeiten.â
Sie schenkte ihm einen verwirrten Blick. âWie bitte?â, kam es mit vollem Mund.
Er seufzte. âDer Motelbesitzer glaubt uns kein Wort. Habt ihr euch noch unterhalten, nachdem ich weg war? Ich hoffe, du hast uns durch nichts verraten.â
Sophia rückte ein Stück näher zu Ãlvaro. âIch habe ihm auf seine Frage, ob alles in Ordnung sei, nur geantwortet, dass du deine Bewährungsauflagen bis auf ein paar Ausrutscher recht gut befolgst.â
Er rollte mit den Augen. âDas war mein Ernst. Du musst glaubwürdiger spielen.â
Sophia seufzte leise und nickte. âAb morgen wird mein Schauspiel Oscarreif sein.â
Ãlvaro musterte sie spöttisch. âDa bin ich aber gespannt.â
âKeiner wird mehr daran zweifeln, dass ich deine Verlobte bin.â Ein kurzer schelmischer Blick wanderte über ihr Gesicht, ehe sie sich dem zweiten Bagel widmete.
Als sie aufgegessen hatten, schaltete Ãlvaro den Fernseher ein und entschied sich schlieÃlich für einen Musiksender. âMagst du The Cure?â, fragte er plötzlich.
Sie hatten während des Essens nicht gesprochen, waren beide ihren Gedanken nachgegangen. Sophia fuhr verwirrt aus ihrer Lethargie. âWas?â Sie folgte Ãlvaros Handbewegung zum Fernseher. Auf dem Musiksender lief The Cure. Das Musikvideo zu einem Lied, das sie nie wieder hatte hören wollen. Zu einem Lied, das auf der Heimfahrt danach im Radio gelaufen war. Das sie höhnisch verspottet hatte. Erneut sah Sophia den Mann vor sich. Der ihr alles genommen hatte, das sie besessen hatte. Sie wieder zurück gestoÃen hatte. In die Kälte. Die Einsamkeit. Jahrelang hatte sie ihr Herz geschützt, ehe sie es geöffnet hatte. Das Ergebnis war schwärzer als die Dunkelheit davor gewesen. Sophia begann zu zittern, ein schwerer Druck erfasste ihr Herz. Der Raum begann sich zu drehen. âSophia?â, kam es aus scheinbar weiter Ferne. Etwas berührte ihren Arm, sie zuckte zusammen. Erst als sie wieder zu sich kam, spürte sie die heiÃen Tränen. Schmeckte das Salz auf ihren Lippen. Sophia musterte Ãlvaro einen Moment irritiert, ehe sie verschämt den Kopf senkte. Sie musste sich wieder beherrschen. Durfte ihm keine Informationen geben, die er ausnutzen konnte. Und wenn es nur das Wissen war, dass sie Gefühle hatte. Kein Eisblock war.
âHeyâ, Ãlvaros Stimme klang zuerst unsicher, wurde aber fester. âso furchtbar klingt das Lied doch gar nicht.â, versuchte er zu scherzen. Warum tat sie das? Er hätte sie niemals mitnehmen dürfen. Sie hielt ihn bloà auf und erinnerte ihn an Dinge, die er aus seinem Gedächtnis verbannen musste. Endgültig. Doch er blieb neben ihr sitzen und schenkte ihr einen aufmunternden Blick, während er den Fernseher wieder ausschaltete. âMusik wird ohnehin überbewertet.â
Sophia hob den Kopf und betrachtete ihn durch einen Tränenschleier. âIch möchte nicht darüber sprechen.â, sagte sie nur.
Ãlvaro nickte. âDas ist die Abmachung.â
Sie räusperte sich. âIch werde kein Hindernis mehr für dich sein. Je eher wir ankommen, desto besser.â
Ãlvaro seufzte leise und vergröÃerte den Abstand zwischen ihnen wieder. âWir sollten schlafen gehen, ich möchte morgen früh los.â Er wich ihrem Blick aus und stand auf, um ins Badezimmer zu gehen.
Sophia atmete tief durch und wischte die letzten Tränen von den Wangen. So ein Fehler durfte ihr nicht nochmals passieren. Sie durfte keinen Blick mehr zurück werfen.
Sophia rollte sich in die Decke, wandte sich mit dem Rücken zu Ãlvaros Bettseite und kniff die Augen fest zusammen in der Hoffnung einzuschlafen, ehe er zurückkam.
Der Mond warf helle Strahlen durch die dünne Jalousie. Ãlvaro richtete sich langsam auf und sah zu Sophia, die leise schnarchte. Er seufzte.
Ãlvaro hatte sich sehr viel Zeit im Badezimmer gelassen und die zumindest scheinbar schlafende junge Frau keines Blickes gewürdigt, als er sich neben sie gelegt hatte. Es war ein seltsames Gefühl gewesen mit einem fremden Menschen das Bett zu teilen. Seine Gedanken hatten ihn gejagt, er hatte kaum geschlafen, als er sich leise erhob.
Sophia atmete tief und gleichmäÃig. Zumindest diesmal schienen die Träume sie nicht zu peinigen. Sie lag eingerollt wie ein Embryo, das lange Haar ruhte auf dem Kissen.
Ãlvaro atmete tief durch und tastete leise nach den wenigen Dingen, die er aus der Sporttasche herausgenommen hatte und nun wieder hinein gab. Er zog Schuhe und Jacke an, warf schlieÃlich noch einen letzten Blick auf die junge Frau. Sophia schien so viel verletzlicher, als er anfangs gedacht hatte. Sie hatte ihm zweimal einen kurzen Blick auf ihr Herz gewährt. Konnte er tatsächlich durchführen, was er geplant hatte? Sie einfach hier ihrem Schicksal überlassen? Ãlvaro schüttelte den Kopf, als konnte er damit seine Bedenken vertreiben. Es war besser, wenn sie alleine ihren Weg gingen. Sie hielt ihn nur auf und er konnte sie früher oder später in Schwierigkeiten bringen. Es würde sich gewiss eine andere Mitfahrgelegenheit für Sophia ergeben. Entschlossen öffnete er die Motelzimmertür und schlüpfte leise hindurch. Nicht einmal eine Nachricht hatte er ihr hinterlassen. Was hätte er auch schreiben sollen? âAlles Guteâ hätte wie der reinste Hohn geklungen. Schon morgen, redete er sich ein, würde sie gewiss einer der anderen Gäste ein Stück mitnehmen. Er verdrängte die gelesenen Zeitungsberichtete über misshandelte und getötete Tramperinnen. Sophia war hart im Nehmen, sie würde nicht so dumm sein und in das Auto eines zwielichtigen Kerls steigen. Ãberhaupt war sie erwachsen und für sich selbst verantwortlich. Genauso wie Ãlvaro nur für sich selbst verantwortlich war. Er ging die Stufen hinunter und atmete ein weiteres Mal tief durch, als er sich der Tür näherte.
âGehen Sie etwa schon?â, ertönte plötzlich eine Stimme.
Ãlvaro fuhr herum. Der Motelbesitzer musterte ihn nachdenklich, die Augen über die Sporttasche gleitend. âKommen Sie, Junge. Für eine Tasse Kaffee wird wohl noch Zeit sein.â Er berührte ihn sacht am Arm.
Ãlvaro schüttelte den Kopf. âIch muss etwas erledigen und werde Sophia in der früh abholen. Sie weià bescheid.â, log er wenig überzeugend.
Der Motelbesitzer lächelte leicht. âWie auch immer. Alles, was in diesem Motel geschieht, bleibt auch hier. Vorausgesetzt Sie schenken mir ein paar Minuten. Ich muss meinen Kaffee sonst immer alleine trinken.â
Der Besitzer wusste oder ahnte zumindest mehr als er vorgab. Ãlvaro seufzte. Er zweifelte an seinem eigenen Verstand, als er sagte: âFünf Minuten.â, dem Mann in einen Aufenthaltsraum folgte und an einem alten Holztisch Platz nahm. Der Besitzer verschwand kurz in einem Nebenraum und kam schlieÃlich mit zwei dampfenden Tassen zurück. Er reichte Ãlvaro eine davon, ehe er ihm gegenüber Platz nahm. âNennen Sie mich John.â, sagte er.
Ãlvaro betrachtete ihn mit gleichgültiger Miene. Er hatte nicht vor auch nur ein einziges Wort zu sagen.
John betrachtete ihn nachdenklich. âIhre Kleine ist sehr hübsch.â
Ãlvaro erwiderte den Blick misstrauisch. Wo würde dies hinführen? Er sah Sophia vor sich. Keine klassische Schönheit, doch auf ihre Weise durchaus attraktiv. Das Bild der jungen Frau mit lediglich einem Handtuch bedeckt erschien kurz vor seinen Augen, er schüttelte es ab wie ein lästiges Insekt. âJa.â, antwortete er nur.
John nickte. âWo haben Sie Sophia kennen gelernt?â
âSie ist die beste Freundin meiner jüngeren Schwester.â, kam es wie aus der Pistole geschossen.
âSo?â John nickte wieder. âDann kennen Sie einander vermutlich schon länger.â
âFünf Jahre.â, antwortete Ãlvaro erneut ohne zu zögern. âSeit viereinhalb sind wir zusammen, seit drei Monaten verlobt.â
John seufzte. âIch war zweimal verheiratet.â, erzählte er. âBeides gute Frauen, doch ich hatte sie nicht zu schätzen gewusst. Goldstücke wie Sophia muss man auf Händen tragen.â
Ãlvaro wich seinem Blick aus. Was sollte dieses lächerliche Spiel? SchlieÃlich blickte er John in die Augen. âWarum sagen Sie mir nicht einfach, was Sie wirklich sagen möchten?â
âOkay.â Sein Gegenüber nickte. âSie mögen vieles sein, jedoch sicherlich nicht der Verlobte oder Partner der Kleinen. Vielleicht sind Sie befreundet, vielleicht kennen Sie sich auch erst seit kurzem. Doch Sie gingen eine Verantwortung ein, als Sie die junge Frau mitnahmen. Der Wagen da drauÃen ist doch Ihrer? Ich werde nicht zulassen, dass Sie die Kleine in dieser Gegend zurücklassen.â John schüttelte den Kopf. âSie ahnen nicht, was für Menschen hier häufig durchfahren. Ich habe Sophias Ausdruck in den Augen erkannt. Sie würde auch versuchen weiter zu ziehen, wo immer sie auch hin möchte, wenn Sie nicht mehr hier sind. Wollen Sie wirklich riskieren, dass Sie zu dem Falschen ins Auto steigt? Ich werde nicht zulassen, dass Sie einfach ohne sie weiterfahren. Nein, das werde ich nicht.â Seine Stimme klang wild entschlossen, doch ein leichtes Zittern drang hindurch. Sophia war ihm nicht nur sympathisch. Nachdem sie zu ihrem Zimmer gegangen war, hatte John erkennen müssen, dass sie ihn auch an jemanden erinnerte. Caroline. Sie war hier, in dieser Gegend, vor über zwanzig Jahren zuletzt gesehen worden. Bevor er das Motel übernommen hatte. Bevor sich sein Leben grundlegend verändert hatte. Caroline, sein Ein und Alles, seine geliebte Tochter. Doch er würde Ãlvaro nicht von ihr erzählen. Er hatte seit beinahe zwei Jahrzehnten nicht mehr über sie gesprochen, dabei würde es bleiben bis er ihr folgte.
Ãlvaro sah John herausfordernd an. âWie wollen Sie das verhindern?â
Sein Gegenüber atmete tief durch. âEin kurzer Anruf bei einem Freund von mir genügt und Ihr Name sowie Ihr Gesicht wird umgehend überprüft. Im Eingangsbereich sind Kameras montiert. Sehr gut versteckt, nicht? Es ist ein Leichtes meinem Freund die Bänder zukommen zu lassen und für ihn reine Routinesache in diversen Datenbanken nach Ihnen zu recherchieren.â
Ãlvaros Miene verhärtete sich. âIch habe nichts zu verbergen.â
John nickte leicht. âSo geht es uns doch allen.â Er erhob sich langsam. âÃberlegen Sie sich gut, was sie tun.â Mit diesen Worten verschwand er in einem Nebenraum.
Ãlvaro ballte die Hände zu Fäusten und erhob sich. Warum hatte Sophia ihm das alles nur eingebrockt? Er verlieà das Gebäude und lieà die Tür krachend ins Schloss fallen. Ein undefinierbarer Gestank von den StraÃen drang in seine Nase. Ãlvaro lehnte sich stöhnend gegen die Mauer und zog ein Päckchen Zigaretten und ein Feuerzeug aus der Jackentasche. Er fluchte leise, als er sich eine Zigarette anzündete. Es hätte so einfach sein können, hätte er einfach nicht angehalten als er sie am StraÃenrand gesehen hatte. Sie war nicht Sara, es lag nicht in seiner Verantwortung, was mit ihr geschah. Er kniff die Augen zusammen und atmete tief durch, ehe er die Zigarette achtlos auf den Asphalt warf und kurz darauf trat. Sein Puls raste, als er den Weg zurück in das Motelzimmer ging. Sophia war ihm gleichgültig, aber es wäre unehrenhaft sie einfach zurückzulassen. Es würde der Abmachung widersprechen. Und Sara wäre enttäuscht von ihm.
Sophia fuhr erschrocken hoch, als die Tür geöffnet wurde. Sie erahnte eine männliche Silhouette und warf einen Blick zu Ãlvaros Bettseite. Leer. Die Tür wurde wieder geschlossen. Sophia sprang auf und stemmte die Arme in die Hüften. âDu wolltest abhauen!â, fuhr sie Ãlvaro an, als sie die Umrisse seiner Sporttasche erkannte.
Er lieà diese achtlos fallen, setzte sich schwungvoll auf seine Bettseite und streifte Jacke und Schuhe ab. âHabe ich es getan?â Seine Stimme war ruhig, aber kalt wie Eis. Sophia zuckte zusammen und setzte sich auf das Bett. âIch werde morgen alleine weiterziehen.â, sagte sie langsam.
Ãlvaro wandte sich ihr zu. âDu wirst so lange an meiner Seite bleiben bis du an deinem Ziel angekommen bist. Oder spätestens bis wir in Kalifornien sind.â Er sagte es in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Sophia spürte einen eisigen Schauer auf ihrem Rücken. Was hatte er vor? Ãlvaro lieà ihr keine Zeit etwas zu erwidern. âAb morgen wirst du deine Rolle glaubwürdiger spielen. Schlaf nun weiter. Morgen früh fährst du.â Mit diesen Worten wandte er sich von ihr ab. Sophia schluckte schwer, als sie sich wieder hinlegte und die Augen schloss. Was hatte sie nur getan?
Der Unialltag hat wieder begonnen, weshalb es etwas länger dauerte, bis ich das dritte Kapitel beenden konnte.
Danke für eure Feedbacks. Freut mich, dass euch die Geschichte bisher gefällt.

Schönes Wochenende
HobbyWriter
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Kapitel 3
Die Fahrt verlief sehr ruhig. Ãlvaro warf Sophia währenddessen ein paar Blicke aus dem Augenwinkel zu. Sie starrte aus dem Fenster der Beifahrerseite, hin und wieder glaubte er, ein leichtes Zittern ihres Körpers zu bemerken. Ãlvaro fragte sich einen Moment, ob er sich bei ihr entschuldigen sollte. Er war schon wieder grob gewesen. Andrerseits hatte er es in dieser Situation nicht für unangebracht gehalten. Sophia war sehr leichtsinnig gewesen.
Er hatte eigentlich keine Lust so viel Zeit wegen ihr zu verlieren, dennoch blickte er sich suchend nach Motels um, als der Tag der Nacht zu weichen begann.
Sophia nahm das Schild überrascht wahr. Ãlvaro folgte dem kurzen Wegweiser und parkte vor einem älteren Haus. âDu hast also beschlossen, auch meine Regeln zu befolgen.â, meinte sie nur.
Er lachte genervt auf und verspürte die Lust sofort wieder zu fahren. Es war ein Fehler gewesen sie mitzunehmen. Am besten sollte er sich in der Nacht davonschleichen und ohne sie weiterfahren. Ãlvaro stieg seufzend aus und griff nach seinem spärlichen Gepäck, Sophia machte es ihm gleich. âDir ist klar, dass wir uns ein Zimmer teilen müssen, um unsere Glaubwürdigkeit zu wahren?â, fragte er mit belustigtem Unterton, als sie die fünf Stiegen zur Eingangstür des Motels hinaufgingen.
Sophia wollte schon protestieren, schluckte den Ãrger aber tapfer hinunter. Ãlvaro zog sie durch die Tür. Gleich gegenüber stand ein Tisch, an dem ein älterer Mann Zeitung lesend saÃ. Dieser sah erst hoch, als die beiden direkt vor ihm standen. Er legte die Zeitung auf die Seite und griff nach dem vor ihm liegenden dicken roten Buch. Aus einer Schreibutensiliendose am Rande des Tisches zog er einen Kugelschreiber. âWillkommen in unserem bescheidenen Motel.â Er rückte seine Brille zurecht und mühte sich um ein besonders strahlendes Lächeln.
Ãlvaros Mundwinkel deuteten einen Moment ähnliches an. Er wies auf Sophia. âWir suchen ein Zimmer für eine Nacht.â
Der Motelbesitzer musterte die beiden nachdenklich. Wie ein glückliches Paar sahen sie ja nicht gerade aus. Die junge Frau trat unruhig von einem Fuà auf den anderen, einen alten Rucksack auf dem Rücken geschnallt. Als sie seinen Blick bemerkte, trat sie jedoch näher zu dem jungen Mann, der eine groÃe Sporttasche in der rechten Hand trug. âSie gehören also zusammen?â Der Besitzer wandte sich an Sophia, schalt sich jedoch gleich selbst. Es ging ihn nichts an. Er verlangte ja nicht einmal Ausweise von den Gästen, sie mussten sich lediglich in sein Buch eintragen. Er hatte in den letzten Jahren schon die interessantesten Fantasienamen gelesen, weshalb er seit einiger Zeit schlieÃlich endlich auf die Bezahlung mit Kreditkarte bestand, wie ihm schon mehrmals geraten worden war.
Ãlvaro warf Sophia einen kurzen Blick zu, diese nickte dem Besitzer lächelnd zu und bat innerlich sie klänge überzeugend. âJa, wir sind verlobt. Es war nur eine etwas lange Fahrt.â
Ãlvaro nickte ihr kaum merklich zu. âWie viel wird uns diese Nacht kosten?â, fragte er.
Der Motelbesitzer räusperte sich. âVierzig Dollar.â
Der junge Mann zog zwei Scheine aus der Hosentasche. âIch hoffe, es ist kein Problem, dass wir bar bezahlen.â
Sein Gegenüber zögerte kurz, bemerkte aber schlieÃlich Sophias flehenden Blick. Was ging hier nur vor? Doch er hatte hübschen jungen Frauen noch nie widerstehen können, was ihm auch beide Ehen gekostet hatte. Er nickte schlieÃlich. âSie können auch bar zahlen, aber ich benötige ihre Namen.â Er seufzte leise als er das Buch drehte, aufschlug und der jungen Frau den Kugelschreiber reichte. In diesem Moment trat der Mann vor und legte den linken Arm um ihre Hüfte.
Sophia warf Ãlvaro einen kurzen, strafenden Blick zu. Ihr Hand zitterte etwas, als sie den Kugelschreiber führte. Sophia. Doch sie benötigte noch einen Nachnamen. Miller war der erste Name, der ihr spontan einfiel. Miller, wie einer der Menschen, der an ihrem Absturz beteiligt gewesen war. Also Sophia Miller als Erinnerung an das Leben, das sie nicht mehr führen wollte und konnte. Sie atmete tief durch und reichte Ãlvaro den Kugelschreiber. Er führte ihn schnell, scheinbar ganz ohne zu zögern oder kurz zu überlegen. Ãlvaro Sanchez.
Er reichte dem Motelbesitzer das Buch, dieser besah die Namen kurz und verzog dabei keinerlei Miene.
âGibt es in der Nähe eine Einkaufsmöglichkeit?â, fragte Ãlvaro plötzlich. âWir benötigen etwas zu essen.â
Sein Gegenüber überlegte kurz, ehe er ihm den Weg zu einer Tankstelle beschrieb. Ãlvaro nickte und bedankte sich. Er glaubte diese bereits am Weg zum Motel angeschrieben gesehen zu haben. âGeh einstweilen ins Zimmer.â, sagte er zu Sophia und zog sie näher an sich. âIch werde uns etwas besorgen. Hast du besondere Wünsche? Oder - angesichts der wahrscheinlich geringen Auswahl - gibt es Snacks, die du überhaupt nicht magst?â, flüsterte er ihr zu. Der Motelbesitzer behielt ihn dabei im Auge, konnte jedoch die Worte nicht verstehen. Sophia flüsterte die Antwort ebenso leise zurück.
Ãlvaro nickte ihr zu. âOkay.â Er bemühte sich um ein leichtes Lächeln und hoffte inständig, sie würde sich in seiner Abwesenheit durch nichts verraten. âBis gleich.â
Als er das Gebäude verlassen hatte, reichte der Motelbesitzer Sophia einen Schlüssel mit der Nummer 37. Er nickte ihr aufmunternd zu. âUnsere beste Suite.â, scherzte er.
Sophia mühte sich um ein Lächeln. âDanke. Die Zimmer sind doch sauber?â Sie biss sich auf die Unterlippe. Was war das denn? Sie musste ihr altes Selbst endlich ablegen.
Doch der Besitzer lachte nur. âSie übernachten wohl nicht oft in Motels? Die meisten Besitzer, so wie auch ich, sind sehr auf Sauberkeit und Komfort der Räumlichkeiten bedacht. Sie können unbesorgt sein. Im Holiday Inn könnten Sie es nicht besser haben.â Er zwinkerte ihr zu.
Sophia verkniff sich eine zynische Bemerkung, schenkte ihm nochmals ein höfliches Lächeln, ehe sie sich suchend nach Hinweisschildern umsah.
Der Motelbesitzer wies auf den Gang rechts von ihm. âGanz hinten ist eine Treppe. Ihr Zimmer befindet sich am oberen Stockwerk. Verzeihen Sie die Frageâ, er zögerte und räusperte sich kurz, ehe er fort fuhr: âEs ist doch alles in Ordnung?â
Sophia wandte sich ruckartig um. Warum fragte dies jeder? Sah sie aus wie ein hilfloses, kleines Mädchen? Sie mühte sich um ein Lächeln, was ihr diesmal besonders schwer fiel und deshalb auch nur teilweise gelang. âAlles bestens. Ich bin lediglich todmüde.â Sophia wartete keine Antwort ab und ging, wie geheiÃen, zur Treppe.
Das Zimmer war zwar so klein wie befürchtet, aber zumindest sehr sauber und immerhin praktisch eingerichtet. Es gab ein kleines Bad mit Dusche und Waschbecken. Im anderen Raum befanden sich ein Doppelbett mit Nachttischen auf jeder Seite - auf dem linken stand ein Telefon - ein groÃer Kasten sowie eine Abstellfläche, auf der ein alter Fernseher stand und eine StraÃenkarte von Missouri lag. Sophia stellte ihren Rucksack auf dem Bett ab und fuhr sich nachdenklich durch ihren langen Haarzopf. Sie betrachtete das für amerikanische Verhältnisse schmale Doppelbett skeptisch. Hier sollte sie also schlafen, neben einem Mann, den sie im Grunde gar nicht kannte. Sophia seufzte leise und öffnete den Rucksack. Sie musste duschen und sich umziehen, ehe Ãlvaro zurück war.
Sophia schloss die Badezimmertür und stellte mit einem lauten Seufzen fest, dass sich diese nicht versperren lieÃ. Sie entledigte sich ihrer verschwitzten Kleidung und stieg in die Dusche. Als das heiÃe Wasser auf ihren Körper prasselte, schloss sie die Augen und dachte an die Wochen vor ihrem Aufbruch. An die Menschen, die sie einfach im Stich gelassen hatten. Die grobe Zurückweisung. Die Ablehnung. Zerstörtes Vertrauen, zerstörte Träume. Ihre Seele war immer zerbrechlich wie Porzellan gewesen. Ausgerechnet die Menschen, denen sie ihr Herz zu öffnen begonnen hatte, waren für dessen Bruch verantwortlich. Sie hätte ihr altes, verlogenes Leben keinen weiteren Tag mehr ertragen.
Sophia wusste nicht, was am Ende der StraÃe auf sie warten würde. Sie wusste nur, dass sie es herausfinden musste. Es gab kein Zurück mehr.
Sophia drehte das Wasser ab und stieg fröstelnd aus der Dusche. Sie griff nach einem der groÃen, weiÃen Handtücher, die am Waschbecken lagen und wickelte sich darin ein. Fluchend stellte sie schlieÃlich fest, dass sie ihre frische Kleidung im Rucksack vergessen hatte. Sie trat zur Tür und lehnte das Ohr dagegen. âHallo?â, rief sie unsicher und ging schlieÃlich schnell in den anderen Raum, als keine Antwort erwidert wurde. Erleichtert stellte sie fest, dass Ãlvaro tatsächlich noch nicht zurückgekommen war. Genau dies geschah jedoch, als sie ihre Kleidung aus dem Rucksack nehmen wollte. Sophia zuckte zusammen, als die Tür geöffnet wurde und presste die Arme um ihren Körper.
Ãlvaro musterte die nur durch ein Handtuch bedeckte junge Frau einen Moment irritiert. Sophia schien in diesem Augenblick starr vor Schreck. Sie wich dem Blick des jungen Mannes aus und sah auf ihre nackten FüÃe.
Ãlvaro wandte sich schlieÃlich ab und schloss rasch die Motelzimmertür. âKannst du dich nicht im Badezimmer umziehen?â Seine Stimme klang so gleichgültig wie zumeist.
Sophia schenkte ihm einen wütenden Blick und verschwand im Badezimmer. Ihre Wangen brannten vor Scham, waren vermutlich sichtlich gerötet. Ein Gedanke, der sie noch mehr verärgerte.
Ãlvaro sah nicht hoch, als sie zurückkam. Er saà auf der einen Seite des Bettes und hatte den Blick auf eine Tageszeitung gerichtet, die er an der Tankstelle gekauft hatte. âIch habe dir zwei Gemüsebagels mitgebracht. Ich hoffe, das passt.â Er hob den Blick und sah ihr schlieÃlich in die Augen.
Sophia musterte ihn unsicher. âJa, danke.â Sie bezweifelte, dass ihr die Snacks schmecken würden, doch darum ging es nicht mehr. âHör mal...â, Sie setzte sich auf den Rand der anderen Bettseite. â...das war keine Absicht.â
Ãlvaro fuhr sich durch die kurzen dunklen Haare. âWas meinst du?â
âIch wollte mich im Badezimmer umziehen, hatte jedoch meine Kleidung im Rucksack vergessen.â Sie wich seinem Blick aus.
Er musterte sie belustigt. âUnd ich dachte schon, du wolltest mich verführen.â Der Unterton war nicht zu überhören.
Sophia funkelte ihn wütend an. âDas wird wohl nie passieren.â
Ãlvaro zog amüsiert eine Augenbrauche hoch und widmete sich wieder dem Zeitungsartikel.
Sophias Hand zitterte leicht, als sie nach einem der Bagels griff, die er auf ihrem Nachttisch abgelegt hatte. Erst zögernd biss sie in den ungeliebten Snack, als sie plötzlich ein regelrechter HeiÃhunger überfiel.
Ãlvaro betrachtete sein den Bagel verschlingendes Gegenüber amüsiert, ehe er schlieÃlich wieder ernst wurde. âDu musst an deinem Part arbeiten.â
Sie schenkte ihm einen verwirrten Blick. âWie bitte?â, kam es mit vollem Mund.
Er seufzte. âDer Motelbesitzer glaubt uns kein Wort. Habt ihr euch noch unterhalten, nachdem ich weg war? Ich hoffe, du hast uns durch nichts verraten.â
Sophia rückte ein Stück näher zu Ãlvaro. âIch habe ihm auf seine Frage, ob alles in Ordnung sei, nur geantwortet, dass du deine Bewährungsauflagen bis auf ein paar Ausrutscher recht gut befolgst.â
Er rollte mit den Augen. âDas war mein Ernst. Du musst glaubwürdiger spielen.â
Sophia seufzte leise und nickte. âAb morgen wird mein Schauspiel Oscarreif sein.â
Ãlvaro musterte sie spöttisch. âDa bin ich aber gespannt.â
âKeiner wird mehr daran zweifeln, dass ich deine Verlobte bin.â Ein kurzer schelmischer Blick wanderte über ihr Gesicht, ehe sie sich dem zweiten Bagel widmete.
Als sie aufgegessen hatten, schaltete Ãlvaro den Fernseher ein und entschied sich schlieÃlich für einen Musiksender. âMagst du The Cure?â, fragte er plötzlich.
Sie hatten während des Essens nicht gesprochen, waren beide ihren Gedanken nachgegangen. Sophia fuhr verwirrt aus ihrer Lethargie. âWas?â Sie folgte Ãlvaros Handbewegung zum Fernseher. Auf dem Musiksender lief The Cure. Das Musikvideo zu einem Lied, das sie nie wieder hatte hören wollen. Zu einem Lied, das auf der Heimfahrt danach im Radio gelaufen war. Das sie höhnisch verspottet hatte. Erneut sah Sophia den Mann vor sich. Der ihr alles genommen hatte, das sie besessen hatte. Sie wieder zurück gestoÃen hatte. In die Kälte. Die Einsamkeit. Jahrelang hatte sie ihr Herz geschützt, ehe sie es geöffnet hatte. Das Ergebnis war schwärzer als die Dunkelheit davor gewesen. Sophia begann zu zittern, ein schwerer Druck erfasste ihr Herz. Der Raum begann sich zu drehen. âSophia?â, kam es aus scheinbar weiter Ferne. Etwas berührte ihren Arm, sie zuckte zusammen. Erst als sie wieder zu sich kam, spürte sie die heiÃen Tränen. Schmeckte das Salz auf ihren Lippen. Sophia musterte Ãlvaro einen Moment irritiert, ehe sie verschämt den Kopf senkte. Sie musste sich wieder beherrschen. Durfte ihm keine Informationen geben, die er ausnutzen konnte. Und wenn es nur das Wissen war, dass sie Gefühle hatte. Kein Eisblock war.
âHeyâ, Ãlvaros Stimme klang zuerst unsicher, wurde aber fester. âso furchtbar klingt das Lied doch gar nicht.â, versuchte er zu scherzen. Warum tat sie das? Er hätte sie niemals mitnehmen dürfen. Sie hielt ihn bloà auf und erinnerte ihn an Dinge, die er aus seinem Gedächtnis verbannen musste. Endgültig. Doch er blieb neben ihr sitzen und schenkte ihr einen aufmunternden Blick, während er den Fernseher wieder ausschaltete. âMusik wird ohnehin überbewertet.â
Sophia hob den Kopf und betrachtete ihn durch einen Tränenschleier. âIch möchte nicht darüber sprechen.â, sagte sie nur.
Ãlvaro nickte. âDas ist die Abmachung.â
Sie räusperte sich. âIch werde kein Hindernis mehr für dich sein. Je eher wir ankommen, desto besser.â
Ãlvaro seufzte leise und vergröÃerte den Abstand zwischen ihnen wieder. âWir sollten schlafen gehen, ich möchte morgen früh los.â Er wich ihrem Blick aus und stand auf, um ins Badezimmer zu gehen.
Sophia atmete tief durch und wischte die letzten Tränen von den Wangen. So ein Fehler durfte ihr nicht nochmals passieren. Sie durfte keinen Blick mehr zurück werfen.
Sophia rollte sich in die Decke, wandte sich mit dem Rücken zu Ãlvaros Bettseite und kniff die Augen fest zusammen in der Hoffnung einzuschlafen, ehe er zurückkam.
Der Mond warf helle Strahlen durch die dünne Jalousie. Ãlvaro richtete sich langsam auf und sah zu Sophia, die leise schnarchte. Er seufzte.
Ãlvaro hatte sich sehr viel Zeit im Badezimmer gelassen und die zumindest scheinbar schlafende junge Frau keines Blickes gewürdigt, als er sich neben sie gelegt hatte. Es war ein seltsames Gefühl gewesen mit einem fremden Menschen das Bett zu teilen. Seine Gedanken hatten ihn gejagt, er hatte kaum geschlafen, als er sich leise erhob.
Sophia atmete tief und gleichmäÃig. Zumindest diesmal schienen die Träume sie nicht zu peinigen. Sie lag eingerollt wie ein Embryo, das lange Haar ruhte auf dem Kissen.
Ãlvaro atmete tief durch und tastete leise nach den wenigen Dingen, die er aus der Sporttasche herausgenommen hatte und nun wieder hinein gab. Er zog Schuhe und Jacke an, warf schlieÃlich noch einen letzten Blick auf die junge Frau. Sophia schien so viel verletzlicher, als er anfangs gedacht hatte. Sie hatte ihm zweimal einen kurzen Blick auf ihr Herz gewährt. Konnte er tatsächlich durchführen, was er geplant hatte? Sie einfach hier ihrem Schicksal überlassen? Ãlvaro schüttelte den Kopf, als konnte er damit seine Bedenken vertreiben. Es war besser, wenn sie alleine ihren Weg gingen. Sie hielt ihn nur auf und er konnte sie früher oder später in Schwierigkeiten bringen. Es würde sich gewiss eine andere Mitfahrgelegenheit für Sophia ergeben. Entschlossen öffnete er die Motelzimmertür und schlüpfte leise hindurch. Nicht einmal eine Nachricht hatte er ihr hinterlassen. Was hätte er auch schreiben sollen? âAlles Guteâ hätte wie der reinste Hohn geklungen. Schon morgen, redete er sich ein, würde sie gewiss einer der anderen Gäste ein Stück mitnehmen. Er verdrängte die gelesenen Zeitungsberichtete über misshandelte und getötete Tramperinnen. Sophia war hart im Nehmen, sie würde nicht so dumm sein und in das Auto eines zwielichtigen Kerls steigen. Ãberhaupt war sie erwachsen und für sich selbst verantwortlich. Genauso wie Ãlvaro nur für sich selbst verantwortlich war. Er ging die Stufen hinunter und atmete ein weiteres Mal tief durch, als er sich der Tür näherte.
âGehen Sie etwa schon?â, ertönte plötzlich eine Stimme.
Ãlvaro fuhr herum. Der Motelbesitzer musterte ihn nachdenklich, die Augen über die Sporttasche gleitend. âKommen Sie, Junge. Für eine Tasse Kaffee wird wohl noch Zeit sein.â Er berührte ihn sacht am Arm.
Ãlvaro schüttelte den Kopf. âIch muss etwas erledigen und werde Sophia in der früh abholen. Sie weià bescheid.â, log er wenig überzeugend.
Der Motelbesitzer lächelte leicht. âWie auch immer. Alles, was in diesem Motel geschieht, bleibt auch hier. Vorausgesetzt Sie schenken mir ein paar Minuten. Ich muss meinen Kaffee sonst immer alleine trinken.â
Der Besitzer wusste oder ahnte zumindest mehr als er vorgab. Ãlvaro seufzte. Er zweifelte an seinem eigenen Verstand, als er sagte: âFünf Minuten.â, dem Mann in einen Aufenthaltsraum folgte und an einem alten Holztisch Platz nahm. Der Besitzer verschwand kurz in einem Nebenraum und kam schlieÃlich mit zwei dampfenden Tassen zurück. Er reichte Ãlvaro eine davon, ehe er ihm gegenüber Platz nahm. âNennen Sie mich John.â, sagte er.
Ãlvaro betrachtete ihn mit gleichgültiger Miene. Er hatte nicht vor auch nur ein einziges Wort zu sagen.
John betrachtete ihn nachdenklich. âIhre Kleine ist sehr hübsch.â
Ãlvaro erwiderte den Blick misstrauisch. Wo würde dies hinführen? Er sah Sophia vor sich. Keine klassische Schönheit, doch auf ihre Weise durchaus attraktiv. Das Bild der jungen Frau mit lediglich einem Handtuch bedeckt erschien kurz vor seinen Augen, er schüttelte es ab wie ein lästiges Insekt. âJa.â, antwortete er nur.
John nickte. âWo haben Sie Sophia kennen gelernt?â
âSie ist die beste Freundin meiner jüngeren Schwester.â, kam es wie aus der Pistole geschossen.
âSo?â John nickte wieder. âDann kennen Sie einander vermutlich schon länger.â
âFünf Jahre.â, antwortete Ãlvaro erneut ohne zu zögern. âSeit viereinhalb sind wir zusammen, seit drei Monaten verlobt.â
John seufzte. âIch war zweimal verheiratet.â, erzählte er. âBeides gute Frauen, doch ich hatte sie nicht zu schätzen gewusst. Goldstücke wie Sophia muss man auf Händen tragen.â
Ãlvaro wich seinem Blick aus. Was sollte dieses lächerliche Spiel? SchlieÃlich blickte er John in die Augen. âWarum sagen Sie mir nicht einfach, was Sie wirklich sagen möchten?â
âOkay.â Sein Gegenüber nickte. âSie mögen vieles sein, jedoch sicherlich nicht der Verlobte oder Partner der Kleinen. Vielleicht sind Sie befreundet, vielleicht kennen Sie sich auch erst seit kurzem. Doch Sie gingen eine Verantwortung ein, als Sie die junge Frau mitnahmen. Der Wagen da drauÃen ist doch Ihrer? Ich werde nicht zulassen, dass Sie die Kleine in dieser Gegend zurücklassen.â John schüttelte den Kopf. âSie ahnen nicht, was für Menschen hier häufig durchfahren. Ich habe Sophias Ausdruck in den Augen erkannt. Sie würde auch versuchen weiter zu ziehen, wo immer sie auch hin möchte, wenn Sie nicht mehr hier sind. Wollen Sie wirklich riskieren, dass Sie zu dem Falschen ins Auto steigt? Ich werde nicht zulassen, dass Sie einfach ohne sie weiterfahren. Nein, das werde ich nicht.â Seine Stimme klang wild entschlossen, doch ein leichtes Zittern drang hindurch. Sophia war ihm nicht nur sympathisch. Nachdem sie zu ihrem Zimmer gegangen war, hatte John erkennen müssen, dass sie ihn auch an jemanden erinnerte. Caroline. Sie war hier, in dieser Gegend, vor über zwanzig Jahren zuletzt gesehen worden. Bevor er das Motel übernommen hatte. Bevor sich sein Leben grundlegend verändert hatte. Caroline, sein Ein und Alles, seine geliebte Tochter. Doch er würde Ãlvaro nicht von ihr erzählen. Er hatte seit beinahe zwei Jahrzehnten nicht mehr über sie gesprochen, dabei würde es bleiben bis er ihr folgte.
Ãlvaro sah John herausfordernd an. âWie wollen Sie das verhindern?â
Sein Gegenüber atmete tief durch. âEin kurzer Anruf bei einem Freund von mir genügt und Ihr Name sowie Ihr Gesicht wird umgehend überprüft. Im Eingangsbereich sind Kameras montiert. Sehr gut versteckt, nicht? Es ist ein Leichtes meinem Freund die Bänder zukommen zu lassen und für ihn reine Routinesache in diversen Datenbanken nach Ihnen zu recherchieren.â
Ãlvaros Miene verhärtete sich. âIch habe nichts zu verbergen.â
John nickte leicht. âSo geht es uns doch allen.â Er erhob sich langsam. âÃberlegen Sie sich gut, was sie tun.â Mit diesen Worten verschwand er in einem Nebenraum.
Ãlvaro ballte die Hände zu Fäusten und erhob sich. Warum hatte Sophia ihm das alles nur eingebrockt? Er verlieà das Gebäude und lieà die Tür krachend ins Schloss fallen. Ein undefinierbarer Gestank von den StraÃen drang in seine Nase. Ãlvaro lehnte sich stöhnend gegen die Mauer und zog ein Päckchen Zigaretten und ein Feuerzeug aus der Jackentasche. Er fluchte leise, als er sich eine Zigarette anzündete. Es hätte so einfach sein können, hätte er einfach nicht angehalten als er sie am StraÃenrand gesehen hatte. Sie war nicht Sara, es lag nicht in seiner Verantwortung, was mit ihr geschah. Er kniff die Augen zusammen und atmete tief durch, ehe er die Zigarette achtlos auf den Asphalt warf und kurz darauf trat. Sein Puls raste, als er den Weg zurück in das Motelzimmer ging. Sophia war ihm gleichgültig, aber es wäre unehrenhaft sie einfach zurückzulassen. Es würde der Abmachung widersprechen. Und Sara wäre enttäuscht von ihm.
Sophia fuhr erschrocken hoch, als die Tür geöffnet wurde. Sie erahnte eine männliche Silhouette und warf einen Blick zu Ãlvaros Bettseite. Leer. Die Tür wurde wieder geschlossen. Sophia sprang auf und stemmte die Arme in die Hüften. âDu wolltest abhauen!â, fuhr sie Ãlvaro an, als sie die Umrisse seiner Sporttasche erkannte.
Er lieà diese achtlos fallen, setzte sich schwungvoll auf seine Bettseite und streifte Jacke und Schuhe ab. âHabe ich es getan?â Seine Stimme war ruhig, aber kalt wie Eis. Sophia zuckte zusammen und setzte sich auf das Bett. âIch werde morgen alleine weiterziehen.â, sagte sie langsam.
Ãlvaro wandte sich ihr zu. âDu wirst so lange an meiner Seite bleiben bis du an deinem Ziel angekommen bist. Oder spätestens bis wir in Kalifornien sind.â Er sagte es in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Sophia spürte einen eisigen Schauer auf ihrem Rücken. Was hatte er vor? Ãlvaro lieà ihr keine Zeit etwas zu erwidern. âAb morgen wirst du deine Rolle glaubwürdiger spielen. Schlaf nun weiter. Morgen früh fährst du.â Mit diesen Worten wandte er sich von ihr ab. Sophia schluckte schwer, als sie sich wieder hinlegte und die Augen schloss. Was hatte sie nur getan?