20.04.2010, 11:17
Hallo,
@a.black.sheep: Danke schön für dein Feedback.
Im kommenden Kapitel gibt es wieder ein paar Hinweise, ich fürchte allzu eindeutige, aber kann man nix machen, das Kapitel ist geschrieben
Bis zur Erklärung, was vor der Handlung der Geschichte passierte, dauert es aber noch ein paar Kapiteln.
@sweetGilmore: Vielen Dank für dein Feedback sowie den Verbesserungstipp
Freut mich, dass euch die Geschichte bisher gefällt.
Der kommende Teil ist nicht so ereignisreich, aber es war mir wichtig, dass Kapitel 4 und 5 (bisher nur im Kopf, versuche es aber bald zu schreiben) eigenständige Kapitel sind. Einerseits wegen der Handlung, andrerseits auch wegen der Länge.
Liebe GrüÃe
HobbyWriter
Kapitel 4
Die Sonne warf ihre ersten Strahlen in das kleine Zimmer, als Sophia erwachte. Sie rieb sich gähnend die Augen und warf einen kurzen Blick auf Ãlvaro, der noch tief schlief. Langsam erhob sie sich und trat zum Fenster. Ihr Magen krampfte sich bei der Erinnerung an den gestrigen Abend sowie die gestrige Nacht zusammen. Sophia brauchte frische Luft. Das Fenster knarrte, als sie es öffnete. Eine warme Brise kam ihr entgegen, gefolgt von einem Geruch nach Abgasen. Sie blickte auf die StraÃe hinunter, auf der gerade ein Truck am Motelgebäude vorbei fuhr. Hätte ihr jemand vor einem Jahr erzählt, dass sie heute aus gegebenen Umständen hier stehen würde, hätte sie ihn ausgelacht oder zur Schnecke gemacht.
Doch das war in einem anderen Leben. Sophia atmete tief durch. Sie hatte ihre Pläne immer zielstrebig verfolgt. Zumindest das war von ihrem alten Selbst geblieben. Ãber die gestrigen Ereignisse konnte sie ein anderes Mal nachdenken. Entschlossen ging sie zurück zum Bett, musterte Ãlvaro einen Moment zögernd, ehe sie sanft an seinem Arm rüttelte. „Aufstehen.“, sagte sie nur.
Er blickte sie einen Moment verschlafen und irritiert an, ehe er sich langsam aufsetzte.
„Du sagtest, dass ich heute fahren solle. Wir fahren in zwanzig Minuten los.“ Sophia wurde selbstbewusster, als er ihr nur zu hörte, sie nicht unterbrach. „Unterwegs werden wir dann im nächst besten Diner frühstücken. Es ist sehr gefährlich mit leerem Magen Auto zu fahren.“, sagte sie bestimmt. „Und, Ãlvaro?“ Sie schenkte ihm einen unschuldigen Blick. „Du möchtest doch die perfekte Tarnung, nicht wahr? Die perfekte Geschichte?“
Ãlvaro wusste nicht was zu erwidern, weshalb er lediglich eine Augenbraue hoch zog.
Ãber Sophias Gesicht wanderte ein kurzes Lächeln. Sie hob die linke Hand und wies auf ihren nackten Ringfinger. „Dann würde ich vorschlagen, dass wir einen kleinen Umweg durch eine Stadt machen, dort Mittagessen und du mir meinen Verlobungsring kaufst. Es wirkt theatralischer, wenn ich von unserer Verlobung erzähle und dabei stolz die Hand hebe, findest du nicht?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, griff Sophia nach ihrem Rucksack und ging ins Badezimmer.
„Der Ring wurde gestohlen!“, rief Ãlvaro ihr noch nach, vernahm aber bald das Rinnen des Wassers in der Dusche. Sie wollte also Machtspielchen, die konnte sie haben.
„Guten Morgen.“, John begrüÃte Sophia lächelnd und nickte Ãlvaro kaum merklich zu.
Sie erwiderte das Lächeln und reichte dem Besitzer den Zimmerschlüssel. „Herzlichen Dank.“
„Ich hoffe, alles war zu Ihrer Zufriedenheit?“ Erneut galt sein Blick nur der jungen Frau.
Sophia legte ihre Hand auf Ãlvaros muskulösen Arm und schenkte ihm den sanftesten Blick, den sie zu spielen fähig war. „Es war perfekt, nicht wahr, mein Schatz?“
Ãlvaros Stirn zog sich einen Moment in Falten, ehe er schlieÃlich den Arm um ihre Hüften legte und sie näher an sich zog. Sophia zuckte kurz zusammen, lieà es aber auch geschehen, als seine Lippen kurz ihre Schläfe berührten. „Perfekt.“, stimmte er ihr zu, worauf er von John einen kurzen, tadelnden Blick erntete.
Der Motelbesitzer fuhr sich nachdenklich durch das kurze grauweiÃe Haar. „Alles Gute.“, sagte er noch, als die beiden das Gebäude verlieÃen. Er hoffte, dass zumindest die junge Frau finden würde, was auch immer sie suchte.
„Er weiÃ, dass wir nicht verlobt sind. Du hättest nicht so eine Show abziehen müssen.“, meinte Ãlvaro, als er seine Sporttasche auf die Rückbank des Autos warf. Sophia legte ihr Gepäck daneben hin. „Das hättest du mir mitteilen können, ehe ich mich lächerlich gemacht habe.“ Sie seufzte genervt und nahm auf dem Fahrersitz Platz.
Ãlvaro setzte sich neben sie. „Es war zu amüsant.“
Sophia rollte mit den Augen, startete den Motor und fuhr los. Die Sonne brannte durch das Fenster auf ihre Haut. Der Sommer, der so lange auf sich warten hatte lassen, schien nun doch mit erkenntlichem Elan zu beginnen. Sie hatte jedoch keine entsprechende Kleidung. Ãberhaupt hatte sie zu wenig Gewand mitgenommen. Ihr entfuhr ein kurzer Seufzer, als sie den Freeway auffuhr.
„Was hast du?“, fragte Ãlvaro, obwohl es ihm im Grunde nicht besonders interessierte. Frauen störten sich doch immer an etwas.
Sophia schüttelte den Kopf. „Wir müssen einen Waschsalon finden sowie ein halbwegs günstiges Gewandgeschäft. Ich habe zu wenig und nicht mehr der Temperatur entsprechende Kleidung bei mir.“
Ãlvaro lag eine spöttische Bemerkung auf der Zunge, er schluckte sie jedoch hinunter als er den Schweià auf Sophias Stirn bemerkte. Er kurbelte das Fenster auf seiner Seite kurz hinunter, kurbelte es jedoch angesichts des Lärms und Motorengestanks wieder hoch. „Okay, gleich nach dem Frühstück.“, meinte er. „Aber kauf nur das Notwendigste. Ich habe weder Zeit noch Lust auf eine ausschweifende Shoppingtour. Die kannst du mit deiner besten Freundin machen.“
Sophia warf ihm einen kurzen Blick zu. „Hältst du mich tatsächlich für so jemanden?“ Sie schüttelte den Kopf. „Selbst in meiner High School Zeit stand Bildung und meine Zukunft für mich an erster Stelle. Aber ich hatte zwei Freundinnen, wenn man sie denn so bezeichnen konnte, die deinem Bild wohl entsprachen.“ Sie trommelte Gedankenverloren mit den Fingern auf dem Lenkrad.
„Was wurde aus ihnen?“
Sophia zuckte mit den Schultern. „Sie schlossen unsere Privatschule mit mittelmäÃigen Noten ab und gingen aufs College. Ich traf die beiden nach der High School nur noch einmal.“
Ãlvaro zog eine Augenbraue hoch. „Du warst auf einer Privatschule? Mit Schuluniform?“
„Ja, die hatten wir. Bluse, Jackett, ein karierter Rock, ...“, erinnerte sie sich.
„Wie kurz war er?“, unterbrach Ãlvaro sie.
„Wie bitte?“ Sophia schüttelte irritiert den Kopf, als sie plötzlich sein amüsiertes Grinsen im Augenwinkel bemerkte. „Du bist ein Idiot. Und zu deiner Enttäuschung muss ich dir sagen, dass der Rock leider fast bis zu den Knien reichte.“
„Warum raubst du mir meine Phantasien?“
„Weil...“, sie hielt irritiert inne. Was bezweckte er mit diesem Verhalten? Es irritierte sie, vor allem, wenn sie sich an den gestrigen Tag erinnerte. „Was hast du dir denn vorgestellt?“ Sie biss sich auf die Unterlippe und bereute die Gegenfrage augenblicklich.
Ãlvaro lehnte sich entspannt zurück und blickte aus dem Fenster. Der Freeway schien unheimlich leer, Ãlvaro konnte in seinem Blickfeld lediglich drei Trucks erkennen. Er wandte sich schlieÃlich wieder an Sophia. „Ich stellte mir lediglich attraktive Mädchen in Uniformen vor, die untertags strebsam lernten und nachts nachholten, was sie vom Leben verpasst hatten.“
Sie ignorierte sein schiefes, zweideutiges Grinsen. „Ich schlief nachts. Wie jeder anständige Mensch. Immerhin musste ich ausgeruht für den nächsten Tag sein, um wieder volle Leistungen erbringen zu können.“
Er lachte auf. „Ach, komm schon, Sophia. Willst du mir ernsthaft weismachen, dass du dich nie auch einfach mal amüsiert hattest? Nicht mal nach deinem Abschluss?“
Auf Sophias Stirn bildete sich eine Falte. „Meine Ziele waren eben höher als die anderer Personen. Mir geht es nicht ab, fast nie dabei gewesen zu sein, wenn andere feierten.“
Ãlvaro nickte. „Ach.“, es klang spöttisch.
Sophia ignorierte seine Reaktion. „Was war mit dir?“
„Ich trug keinen Rock.“
Sie rollte mit den Augen. „Wie verbrachtest du deine Freizeit?“
Ãlvaro zuckte mit den Schultern. „Ich hatte sehr viele Verpflichtungen.“, antwortete er abweisend.
Sophia nickte. Er verschloss sich erneut vor ihr, sein Gesichtsausdruck spiegelte die gewohnte, kühle Gleichgültigkeit wider. „Wir...“, begann sie zaghaft. „Wir sollten uns eine Geschichte überlegen. Unsere Show wird umso besser gelingen, je ausgefeilter die Hintergrundsgeschichte ist.“
Ãlvaro seufzte. „Wir lernten uns über meine jüngere Schwester kennen.“
Sie runzelte die Stirn. „Okay. Wie ist ihr Name? Wir brauchen für den Fall des Falles einen Namen.“
Er warf ihr einen irritierten Blick zu. „Wen wird das interessieren? Das ist Perfektionismus an falscher Stelle.“
Sophia schüttelte den Kopf. „Wenn ich schon lüge und schauspielre, möchte ich es gut machen.“
Ãlvaro rollte mit den Augen. „Ihr Name ist Sara.“ Er starrte einen Moment auf seine von der Reise etwas schmutzigen Fingernägel und sah schlieÃlich wieder aus dem Fenster.
„Sara.“ Sophia nickte. Sie ahnte die Bedeutung dieses Namens aufgrund seines verspannten Gesichtsausdrucks. Er hatte ihr keinen beliebigen Namen genannt. Es musste eine Sara in seinem alten Leben gegeben haben. „Ein schöner Name.“, sagte sie leise. Als er nicht reagierte, fuhr sie fort: „Wie lange sind wir schon zusammen? Fünf Jahre? Du machtest mir den Antrag bei unserem letzten Jahrestag, vor zwei Monaten?“
„Von mir aus.“ Ãlvaro wies plötzlich auf ein Schild in wenigen Metern. „Da kommt bald die Abfahrt zu einem Diner.“
Das Diner war ähnlich eingerichtet wie das erste. Es erschien wie eine Mischung aus Facetten unterschiedlicher Jahrzehnte. Die viel zu moderne Musik aus dem Radio - die Jukebox schien mehr Zierde als Gebrauchsgegenstand - störte die Zeitreise etwas. Es waren bereits drei Tische besetzt. Auf dem ersten, gleich beim Eingang, saÃen zwei Männer um die fünfzig in Jeans und Hemden. Einer trug einen Hut, der wohl an den Wilden Westen erinnern sollte. Zwei Tische weiter am Fenster saÃen ein Paar um die dreiÃig sowie eine ältere Dame mit beinah silbernem Haar, welche ein höchstens dreijähriges Mädchen mit blonden Zöpfen auf dem Schoà sitzen hatte. Auf dem dritten besetzten Tisch, gleich neben der Bar, saà ein älterer, bärtiger Herr in Bauarbeiteranzug, welcher gerade an seiner Zigarette zog, als Ãlvaro und Sophia das Gebäude betraten.
Eine etwa vierzigjährige Frau, vermutlich afrikanischer Abstammung, mit aufgestecktem, hellbraun gefärbtem Haar, kam ihnen lächelnd entgegen. „Willkommen. Ein Tisch für zwei oder bevorzugen Sie einen Platz an der Bar?“
Sophia beobachtete, wie Ãlvaros Blick zur Theke wanderte, an der eine junge Frau mit derselben roten Schürze, die auch ihre Chefin trug, stand und gerade Kaffee in eine Tasse schenkte. „Ein Tisch wäre besser, danke.“, antwortete Sophia.
Die Chefin - Lucy, wie auf ihrem Namensschild zu lesen war - führte sie lächelnd zu dem Tisch neben der vierköpfigen Familie. „Keisha wird Sie gleich bedienen.“ Sie reichte ihnen die Menükarten und verschwand mit einem weiteren Lächeln zu dem Mann in Bauarbeiteranzug, mit dem sie sich einige Minuten unterhielt.
Sophias Magen begann zu knurren als sie die Beschreibung der unterschiedlichen Frühstückmenüs durchlas. Sie sah hoch und wollte gerade etwas zu Ãlvaro sagen, als plötzlich eine helle Stimme neben ihnen erklang.
„Wisst ihr schon, was ihr trinken möchtet?“ Keisha lächelte die beiden fröhlich an. Sophia entging der Blick nicht, den Ãlvaro der jungen Frau schenkte. Sie musterte die Kellnerin genauer. Keishas Haut hatte einen strahlenden Olivebraunton, ihre langen dunkelbraunen Locken waren zu einem lockeren Zopf gebunden. Ihre weiblichen Rundungen kamen trotz Schürze und legerer Kleidung - weites Shirt und Dreivierteljeans - darunter gut zur Geltung.
„Was kannst du denn empfehlen?“ Ãlvaro schenkte Keisha einen tiefen Blick.
„Nun“, Die Kellnerin überlegte einen Moment. „Wir haben den besten Kaffee hier in der Gegend.“
Ãlvaro nickte. „Dann sollte ich diesen wohl probieren.“ Er schenkte ihr ein warmes Lächeln.
Keisha wandte sich an Sophia. Diese runzelte kurz die Stirn, ehe sich ein spitzbübisches Grinsen über ihr Gesicht legte. „Ich vertraue meinem Verlobten bei seiner Auswahl.“, sagte sie und warf einen Blick auf ihr Gegenüber. Ãlvaros Lächeln erstarb augenblicklich. „Nur, könnte ich meinen Kaffee bitte koffeinfrei haben?“ Als Keisha darauf lächelnd nickte, fügte sie noch hinzu: „Ãlvaro, Liebster, was meinst du? Teilen wir uns noch einen Erdbeermilkshake? Das haben wir schon so lange nicht mehr.“
Ãlvaro schenkte ihr einen finsteren Blick. „Nein, heute nicht.“
„Männer, einmal sind sie davon begeistert, dann wieder nicht. Versteh sie einer.“ Sophia schenkte Keisha ein viel sagendes Lächeln. „Na schön, wenn mein Schatz sich sträubt, dann nehme ich zusätzlich zu meinem Kaffee bitte noch ein Glas frisch gepressten Orangensaft.“
Als Keisha wieder zur Theke gegangen war, raunte Ãlvaro seinem Gegenüber zu: „Was zur Hölle sollte das?“
Sophia erhob sich lächelnd und nahm neben ihm auf der schmalen Bank Platz. „Ich vermisse dich da drüben einfach zu sehr.“, sagte sie lauter als notwendig.
Ãlvaro rollte mit den Augen. „Setz dich sofort wieder hinüber!“
Sie schüttelte den Kopf und raunte ihm zu: „Du wolltest letzte Nacht abhauen, weil du die Sorge hattest, ich könnte unsere Tarnung auffliegen lassen. Dann gefährdest du dieselbe mit deinen lächerlichen Flirtversuchen.“
„Der Grund, warum ich letzte Nacht...,“ Er hielt inne und schüttelte den Kopf. „Welche Flirtversuche?“
Sophia lachte leise. „Komm schon. Du hast die Kleine fast mit den Blicken ausgezogen. Gehört sich das für einen glücklichen Verlobten?“
Ãlvaro stöhnte auf. „Du übertreibst maÃlos.“
„Ich wette, du wärst anderer Meinung hätte ich mich so verhalten.“
Ãlvaro wollte etwas erwidern, als plötzlich Keisha mit einem Tablett zurückkam. Während sie die Getränke auf dem Tisch abstellte, schmiegte sich Sophia an Ãlvaros Schulter, wobei dieser sich deutlich versteifte.
„Ihr seid ein schönes Paar.“, kam es lächelnd von der Kellnerin, nachdem sie die Bestellung für das Essen aufgenommen hatte.
Als sie zur Theke zurückgegangen war, schob Ãlvaro Sophia von sich. „Du bist eine ausgesprochene Nervensäge.“
Sie schenkte ihm ein spöttisches Grinsen. „Ich bemühe mich doch nur meinen Part glaubwürdig zu spielen.“
Er schüttelte den Kopf. „Das war nicht glaubwürdig, das war albern und übertrieben.“
Sophia zuckte mit den Schultern. „So verhalten sich nun mal überglücklich Verlobte.“
„Ach?“ Er musterte sie eingehend. „Warst du denn schon mal verlobt?“
„Davon halte ich nichts. Aber ich bin eine sehr gute Beobachterin. Und was ist mit dir, warst du schon mal verlobt?“
„Nein, meine Beziehungen waren groÃteils lockerer Natur.“, antwortete er und bemerkte Sophias gekräuselte Stirn. „Es gab zwei ernsthaftere Beziehungen, aber es reichte nicht für Hochzeitspläne. Warum hältst du nichts von Verlobungen?“
„Wenn man sich liebt, benötigt man keinen Schmuck und kein Papier, die das beweisen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Staat und Religion wollen uns mit dieser Institutionalisierung von Liebe lediglich kontrollieren. An einer Ehe ist nichts Romantisches.“
Ãlvaro hob eine Augenbraue. „Was du nicht sagst.“
Das weitere Frühstück verlief sehr schweigsam, bis Sophia die ältere Dame mit dem kleinen Mädchen am Nebentisch plötzlich bewusster auffiel. Die Kleine saà auf dem Schoà der Ãlteren, ihre Arme umschlangen deren Hals, sie küsste ihre GroÃmutter - wie Sophia zumindest annahm - strahlend auf die Wange. Ein schwerer Druck erfasste Sophias Herz. Die Erinnerung kam wie aus dem Nichts. „Das, das könnte ich gewesen sein in diesem Alter.“, sagte sie leise.
Ãlvaro folgte ihrem Blick. „Du trugst Zöpfe?“
Sophia schüttelte den Kopf. „Sie musste mich viel zu früh verlassen.“ Sie spürte die aufkeimenden Tränen, unterdrückte sie jedoch erfolgreich. Nicht noch einmal sollte Ãlvaro sie so sehen. Sie zuckte nicht zusammen, als sie seine Hand für einen kurzen Moment auf ihrer spürte. „Das müssen sie immer. Die Menschen, die uns viel bedeuten.“ Er seufzte leise.
Sophia und Ãlvaro sahen sich in die Augen und spürten zum ersten Mal seit ihrer Begegnung so etwas wie Verbundenheit. „Wir hatten eine Nachbarin - wir nannten sie Grandma, da unsere leibliche GroÃmutter schon vor unserer Geburt verstorben war - die öfters auf uns aufpasste, uns lustige und abenteuerliche Geschichten erzählte, stets für uns da war.“
„Was war geschehen? Erkrankte eure Nachbarin?“
Ãlvaro schüttelte den Kopf. „Grandma war es nicht, die mich verlieÃ. Sie wohnt heute in einem Altersheim.“
Sophia musterte ihn einen Moment irritiert, bis sie es plötzlich erkannte. „Du hattest eine Schwester.“, flüsterte sie. „Sara.“ Sie erschrak vor der Mischung aus Schmerz und Wut, die sich plötzlich in seinen Augen spiegelte.
„Meine Mutter sprach nie wieder über sie, brachte es nicht übers Herz.“ Sophia beobachtete, wie Ãlvaros Hände sich zu Fäusten ballten. „Als könnte man es so ungeschehen machen.“
Sie runzelte unsicher die Stirn. „Mir“, begann sie zögernd. „mir wurde einmal gesagt, es sei wichtig, sich an die schönen Momente - etwa eure Zeit bei Grandma - zu erinnern. Mir selbst half dies zwar nur bedingt, aber...“ Sophia hielt inne, als sie sah, wie Ãlvaro sich erneut verschloss, seine Miene sich wieder verhärtete. „Ich weiÃ, ich bin keine gute Trösterin. Das war ich nie. Ich fühle mich immer etwas hilflos in solchen Situationen und sage wahrscheinlich genau das Falsche.“ Sie biss sich unsicher auf die Unterlippe.
Ãlvaro musterte sie eingehend. „Ich benötige weder dein Mitleid noch deinen Trost.“ Wieder der eiskalte Ton. Sophia begann zu frösteln. Sie erhob sich schnell. „Entschuldige mich kurz.“
Ãlvaro sah ihr seufzend nach. Sophia hatte es nett gemeint, doch er ertrug diese Art Freundlichkeiten einfach nicht mehr. Sie alle hatten versucht ihn zu trösten, als könnten sie damit etwas verändern. Dann hatten sie ihn verachtet für das, was er getan hatte.
Es war Ãlvaro egal, was sie über ihn dachten. Das einzige, das zählte, und sich wie eine scharfe Klinge in sein Herz bohrte, war die Tatsache, dass ihn auch Sara dafür verachtet hätte.
Sophia lehnte sich gegen die kühle, geflieste Mauer des Sanitärraums und starrte auf den gegenüberliegenden Spiegel knapp über dem Waschbecken. Es war ungerecht gewesen, als sie ihr vorgeworfen hatten, sie sei gefühllos. Niemand hatte vermutlich mehr gefühlt als sie. Doch nun wünschte sie sich nichts sehnlicher als nicht mehr fühlen zu können.
Ãlvaro betrachtete sie nachdenklich, als sie zurückkam. Die leeren Teller waren bereits abgeräumt. Vor ihm stand, wie zum Hohn, ein Erdbeermilkshake mit zwei Strohhalmen.
Sophias Stirn kräuselte sich. Sie wollte sich schon gegenüber von ihm setzen, als sie Ãlvaros ungeduldige Handbewegung bemerkte. Seufzend rutschte sie neben ihn.
Ãlvaro schob den hohen Becher etwas näher zu ihr, sah kurz zur Theke, ehe er den Arm um ihren Körper legte, Sophias Unwillen ignorierend, und sie näher zu sich zog. Ihr Magen zog sich zusammen, als sie seinen heiÃen Atem auf ihrem Nacken spürte.
Ãlvaro sprach leise, aber dennoch verständlich. „Ich möchte nicht über sie sprechen.“
Sophia nickte und wich seinem Blick aus.
„Aber“, er hob ihr Kinn und beugte sich etwas näher zu ihr, so dass sie ihn ansehen musste. „dein Ratschlag war gut.“ Er seufzte. „Danke“ Es war ihm anzusehen, wie schwer es ihm gefallen war, diese Worte auszusprechen.
Sophia vergröÃerte den Abstand zwischen ihnen wieder.
„Möchtest du über deinen Verlust sprechen?“ Es kam so überraschen wie zögernd.
Sie runzelte die Stirn und betrachtete Ãlvaro irritiert. Seine Augen hatten einen sanften Ausdruck angenommen. Sophia schüttelte langsam den Kopf. Man hatte ihr gesagt, es würde leichter werden, doch das war es niemals geworden. Selbiges traf wohl auch auf einen anderen Verlust zu, welcher noch längst nicht so lange zurück lag.
Sie spielte einen Moment nachdenklich mit einem der Strohhalme, ehe sie das Thema wechselte. „Dir ist klar, dass du das Zeug alleine trinken wirst müssen?“
Ãlvaro ging nur allzu dankbar auf den Themenwechsel ein. „Wie bitte?“ Er wies auf das hellrosa Getränk. „Du wolltest es doch?“
Sophia schüttelte den Kopf. „Das sagte ich doch nur, weil ich wusste, du würdest ablehnen.“ Sie hob den rechten Zeigefinger. „Allein dein dämliches Flirten hat uns das eingebrockt.“
„Ich habe nicht...“, er hielt inne. „Du wolltest es zuvor bestellen, also trinkst du es nun auch.“
„Und du bestelltest es während ich auf der Toilette war.“
Ãlvaro seufzte. „Okay, dann trinken wir es eben gemeinsam.“ Er griff unschlüssig nach einem der Strohhalme.
Sophias Stirn kräuselte sich. „Aber nicht zugleich. Das wäre albern. Abwechselnd.“, entschied sie.
@a.black.sheep: Danke schön für dein Feedback.


@sweetGilmore: Vielen Dank für dein Feedback sowie den Verbesserungstipp

Freut mich, dass euch die Geschichte bisher gefällt.
Der kommende Teil ist nicht so ereignisreich, aber es war mir wichtig, dass Kapitel 4 und 5 (bisher nur im Kopf, versuche es aber bald zu schreiben) eigenständige Kapitel sind. Einerseits wegen der Handlung, andrerseits auch wegen der Länge.
Liebe GrüÃe
HobbyWriter
Kapitel 4
Die Sonne warf ihre ersten Strahlen in das kleine Zimmer, als Sophia erwachte. Sie rieb sich gähnend die Augen und warf einen kurzen Blick auf Ãlvaro, der noch tief schlief. Langsam erhob sie sich und trat zum Fenster. Ihr Magen krampfte sich bei der Erinnerung an den gestrigen Abend sowie die gestrige Nacht zusammen. Sophia brauchte frische Luft. Das Fenster knarrte, als sie es öffnete. Eine warme Brise kam ihr entgegen, gefolgt von einem Geruch nach Abgasen. Sie blickte auf die StraÃe hinunter, auf der gerade ein Truck am Motelgebäude vorbei fuhr. Hätte ihr jemand vor einem Jahr erzählt, dass sie heute aus gegebenen Umständen hier stehen würde, hätte sie ihn ausgelacht oder zur Schnecke gemacht.
Doch das war in einem anderen Leben. Sophia atmete tief durch. Sie hatte ihre Pläne immer zielstrebig verfolgt. Zumindest das war von ihrem alten Selbst geblieben. Ãber die gestrigen Ereignisse konnte sie ein anderes Mal nachdenken. Entschlossen ging sie zurück zum Bett, musterte Ãlvaro einen Moment zögernd, ehe sie sanft an seinem Arm rüttelte. „Aufstehen.“, sagte sie nur.
Er blickte sie einen Moment verschlafen und irritiert an, ehe er sich langsam aufsetzte.
„Du sagtest, dass ich heute fahren solle. Wir fahren in zwanzig Minuten los.“ Sophia wurde selbstbewusster, als er ihr nur zu hörte, sie nicht unterbrach. „Unterwegs werden wir dann im nächst besten Diner frühstücken. Es ist sehr gefährlich mit leerem Magen Auto zu fahren.“, sagte sie bestimmt. „Und, Ãlvaro?“ Sie schenkte ihm einen unschuldigen Blick. „Du möchtest doch die perfekte Tarnung, nicht wahr? Die perfekte Geschichte?“
Ãlvaro wusste nicht was zu erwidern, weshalb er lediglich eine Augenbraue hoch zog.
Ãber Sophias Gesicht wanderte ein kurzes Lächeln. Sie hob die linke Hand und wies auf ihren nackten Ringfinger. „Dann würde ich vorschlagen, dass wir einen kleinen Umweg durch eine Stadt machen, dort Mittagessen und du mir meinen Verlobungsring kaufst. Es wirkt theatralischer, wenn ich von unserer Verlobung erzähle und dabei stolz die Hand hebe, findest du nicht?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, griff Sophia nach ihrem Rucksack und ging ins Badezimmer.
„Der Ring wurde gestohlen!“, rief Ãlvaro ihr noch nach, vernahm aber bald das Rinnen des Wassers in der Dusche. Sie wollte also Machtspielchen, die konnte sie haben.
„Guten Morgen.“, John begrüÃte Sophia lächelnd und nickte Ãlvaro kaum merklich zu.
Sie erwiderte das Lächeln und reichte dem Besitzer den Zimmerschlüssel. „Herzlichen Dank.“
„Ich hoffe, alles war zu Ihrer Zufriedenheit?“ Erneut galt sein Blick nur der jungen Frau.
Sophia legte ihre Hand auf Ãlvaros muskulösen Arm und schenkte ihm den sanftesten Blick, den sie zu spielen fähig war. „Es war perfekt, nicht wahr, mein Schatz?“
Ãlvaros Stirn zog sich einen Moment in Falten, ehe er schlieÃlich den Arm um ihre Hüften legte und sie näher an sich zog. Sophia zuckte kurz zusammen, lieà es aber auch geschehen, als seine Lippen kurz ihre Schläfe berührten. „Perfekt.“, stimmte er ihr zu, worauf er von John einen kurzen, tadelnden Blick erntete.
Der Motelbesitzer fuhr sich nachdenklich durch das kurze grauweiÃe Haar. „Alles Gute.“, sagte er noch, als die beiden das Gebäude verlieÃen. Er hoffte, dass zumindest die junge Frau finden würde, was auch immer sie suchte.
„Er weiÃ, dass wir nicht verlobt sind. Du hättest nicht so eine Show abziehen müssen.“, meinte Ãlvaro, als er seine Sporttasche auf die Rückbank des Autos warf. Sophia legte ihr Gepäck daneben hin. „Das hättest du mir mitteilen können, ehe ich mich lächerlich gemacht habe.“ Sie seufzte genervt und nahm auf dem Fahrersitz Platz.
Ãlvaro setzte sich neben sie. „Es war zu amüsant.“
Sophia rollte mit den Augen, startete den Motor und fuhr los. Die Sonne brannte durch das Fenster auf ihre Haut. Der Sommer, der so lange auf sich warten hatte lassen, schien nun doch mit erkenntlichem Elan zu beginnen. Sie hatte jedoch keine entsprechende Kleidung. Ãberhaupt hatte sie zu wenig Gewand mitgenommen. Ihr entfuhr ein kurzer Seufzer, als sie den Freeway auffuhr.
„Was hast du?“, fragte Ãlvaro, obwohl es ihm im Grunde nicht besonders interessierte. Frauen störten sich doch immer an etwas.
Sophia schüttelte den Kopf. „Wir müssen einen Waschsalon finden sowie ein halbwegs günstiges Gewandgeschäft. Ich habe zu wenig und nicht mehr der Temperatur entsprechende Kleidung bei mir.“
Ãlvaro lag eine spöttische Bemerkung auf der Zunge, er schluckte sie jedoch hinunter als er den Schweià auf Sophias Stirn bemerkte. Er kurbelte das Fenster auf seiner Seite kurz hinunter, kurbelte es jedoch angesichts des Lärms und Motorengestanks wieder hoch. „Okay, gleich nach dem Frühstück.“, meinte er. „Aber kauf nur das Notwendigste. Ich habe weder Zeit noch Lust auf eine ausschweifende Shoppingtour. Die kannst du mit deiner besten Freundin machen.“
Sophia warf ihm einen kurzen Blick zu. „Hältst du mich tatsächlich für so jemanden?“ Sie schüttelte den Kopf. „Selbst in meiner High School Zeit stand Bildung und meine Zukunft für mich an erster Stelle. Aber ich hatte zwei Freundinnen, wenn man sie denn so bezeichnen konnte, die deinem Bild wohl entsprachen.“ Sie trommelte Gedankenverloren mit den Fingern auf dem Lenkrad.
„Was wurde aus ihnen?“
Sophia zuckte mit den Schultern. „Sie schlossen unsere Privatschule mit mittelmäÃigen Noten ab und gingen aufs College. Ich traf die beiden nach der High School nur noch einmal.“
Ãlvaro zog eine Augenbraue hoch. „Du warst auf einer Privatschule? Mit Schuluniform?“
„Ja, die hatten wir. Bluse, Jackett, ein karierter Rock, ...“, erinnerte sie sich.
„Wie kurz war er?“, unterbrach Ãlvaro sie.
„Wie bitte?“ Sophia schüttelte irritiert den Kopf, als sie plötzlich sein amüsiertes Grinsen im Augenwinkel bemerkte. „Du bist ein Idiot. Und zu deiner Enttäuschung muss ich dir sagen, dass der Rock leider fast bis zu den Knien reichte.“
„Warum raubst du mir meine Phantasien?“
„Weil...“, sie hielt irritiert inne. Was bezweckte er mit diesem Verhalten? Es irritierte sie, vor allem, wenn sie sich an den gestrigen Tag erinnerte. „Was hast du dir denn vorgestellt?“ Sie biss sich auf die Unterlippe und bereute die Gegenfrage augenblicklich.
Ãlvaro lehnte sich entspannt zurück und blickte aus dem Fenster. Der Freeway schien unheimlich leer, Ãlvaro konnte in seinem Blickfeld lediglich drei Trucks erkennen. Er wandte sich schlieÃlich wieder an Sophia. „Ich stellte mir lediglich attraktive Mädchen in Uniformen vor, die untertags strebsam lernten und nachts nachholten, was sie vom Leben verpasst hatten.“
Sie ignorierte sein schiefes, zweideutiges Grinsen. „Ich schlief nachts. Wie jeder anständige Mensch. Immerhin musste ich ausgeruht für den nächsten Tag sein, um wieder volle Leistungen erbringen zu können.“
Er lachte auf. „Ach, komm schon, Sophia. Willst du mir ernsthaft weismachen, dass du dich nie auch einfach mal amüsiert hattest? Nicht mal nach deinem Abschluss?“
Auf Sophias Stirn bildete sich eine Falte. „Meine Ziele waren eben höher als die anderer Personen. Mir geht es nicht ab, fast nie dabei gewesen zu sein, wenn andere feierten.“
Ãlvaro nickte. „Ach.“, es klang spöttisch.
Sophia ignorierte seine Reaktion. „Was war mit dir?“
„Ich trug keinen Rock.“
Sie rollte mit den Augen. „Wie verbrachtest du deine Freizeit?“
Ãlvaro zuckte mit den Schultern. „Ich hatte sehr viele Verpflichtungen.“, antwortete er abweisend.
Sophia nickte. Er verschloss sich erneut vor ihr, sein Gesichtsausdruck spiegelte die gewohnte, kühle Gleichgültigkeit wider. „Wir...“, begann sie zaghaft. „Wir sollten uns eine Geschichte überlegen. Unsere Show wird umso besser gelingen, je ausgefeilter die Hintergrundsgeschichte ist.“
Ãlvaro seufzte. „Wir lernten uns über meine jüngere Schwester kennen.“
Sie runzelte die Stirn. „Okay. Wie ist ihr Name? Wir brauchen für den Fall des Falles einen Namen.“
Er warf ihr einen irritierten Blick zu. „Wen wird das interessieren? Das ist Perfektionismus an falscher Stelle.“
Sophia schüttelte den Kopf. „Wenn ich schon lüge und schauspielre, möchte ich es gut machen.“
Ãlvaro rollte mit den Augen. „Ihr Name ist Sara.“ Er starrte einen Moment auf seine von der Reise etwas schmutzigen Fingernägel und sah schlieÃlich wieder aus dem Fenster.
„Sara.“ Sophia nickte. Sie ahnte die Bedeutung dieses Namens aufgrund seines verspannten Gesichtsausdrucks. Er hatte ihr keinen beliebigen Namen genannt. Es musste eine Sara in seinem alten Leben gegeben haben. „Ein schöner Name.“, sagte sie leise. Als er nicht reagierte, fuhr sie fort: „Wie lange sind wir schon zusammen? Fünf Jahre? Du machtest mir den Antrag bei unserem letzten Jahrestag, vor zwei Monaten?“
„Von mir aus.“ Ãlvaro wies plötzlich auf ein Schild in wenigen Metern. „Da kommt bald die Abfahrt zu einem Diner.“
Das Diner war ähnlich eingerichtet wie das erste. Es erschien wie eine Mischung aus Facetten unterschiedlicher Jahrzehnte. Die viel zu moderne Musik aus dem Radio - die Jukebox schien mehr Zierde als Gebrauchsgegenstand - störte die Zeitreise etwas. Es waren bereits drei Tische besetzt. Auf dem ersten, gleich beim Eingang, saÃen zwei Männer um die fünfzig in Jeans und Hemden. Einer trug einen Hut, der wohl an den Wilden Westen erinnern sollte. Zwei Tische weiter am Fenster saÃen ein Paar um die dreiÃig sowie eine ältere Dame mit beinah silbernem Haar, welche ein höchstens dreijähriges Mädchen mit blonden Zöpfen auf dem Schoà sitzen hatte. Auf dem dritten besetzten Tisch, gleich neben der Bar, saà ein älterer, bärtiger Herr in Bauarbeiteranzug, welcher gerade an seiner Zigarette zog, als Ãlvaro und Sophia das Gebäude betraten.
Eine etwa vierzigjährige Frau, vermutlich afrikanischer Abstammung, mit aufgestecktem, hellbraun gefärbtem Haar, kam ihnen lächelnd entgegen. „Willkommen. Ein Tisch für zwei oder bevorzugen Sie einen Platz an der Bar?“
Sophia beobachtete, wie Ãlvaros Blick zur Theke wanderte, an der eine junge Frau mit derselben roten Schürze, die auch ihre Chefin trug, stand und gerade Kaffee in eine Tasse schenkte. „Ein Tisch wäre besser, danke.“, antwortete Sophia.
Die Chefin - Lucy, wie auf ihrem Namensschild zu lesen war - führte sie lächelnd zu dem Tisch neben der vierköpfigen Familie. „Keisha wird Sie gleich bedienen.“ Sie reichte ihnen die Menükarten und verschwand mit einem weiteren Lächeln zu dem Mann in Bauarbeiteranzug, mit dem sie sich einige Minuten unterhielt.
Sophias Magen begann zu knurren als sie die Beschreibung der unterschiedlichen Frühstückmenüs durchlas. Sie sah hoch und wollte gerade etwas zu Ãlvaro sagen, als plötzlich eine helle Stimme neben ihnen erklang.
„Wisst ihr schon, was ihr trinken möchtet?“ Keisha lächelte die beiden fröhlich an. Sophia entging der Blick nicht, den Ãlvaro der jungen Frau schenkte. Sie musterte die Kellnerin genauer. Keishas Haut hatte einen strahlenden Olivebraunton, ihre langen dunkelbraunen Locken waren zu einem lockeren Zopf gebunden. Ihre weiblichen Rundungen kamen trotz Schürze und legerer Kleidung - weites Shirt und Dreivierteljeans - darunter gut zur Geltung.
„Was kannst du denn empfehlen?“ Ãlvaro schenkte Keisha einen tiefen Blick.
„Nun“, Die Kellnerin überlegte einen Moment. „Wir haben den besten Kaffee hier in der Gegend.“
Ãlvaro nickte. „Dann sollte ich diesen wohl probieren.“ Er schenkte ihr ein warmes Lächeln.
Keisha wandte sich an Sophia. Diese runzelte kurz die Stirn, ehe sich ein spitzbübisches Grinsen über ihr Gesicht legte. „Ich vertraue meinem Verlobten bei seiner Auswahl.“, sagte sie und warf einen Blick auf ihr Gegenüber. Ãlvaros Lächeln erstarb augenblicklich. „Nur, könnte ich meinen Kaffee bitte koffeinfrei haben?“ Als Keisha darauf lächelnd nickte, fügte sie noch hinzu: „Ãlvaro, Liebster, was meinst du? Teilen wir uns noch einen Erdbeermilkshake? Das haben wir schon so lange nicht mehr.“
Ãlvaro schenkte ihr einen finsteren Blick. „Nein, heute nicht.“
„Männer, einmal sind sie davon begeistert, dann wieder nicht. Versteh sie einer.“ Sophia schenkte Keisha ein viel sagendes Lächeln. „Na schön, wenn mein Schatz sich sträubt, dann nehme ich zusätzlich zu meinem Kaffee bitte noch ein Glas frisch gepressten Orangensaft.“
Als Keisha wieder zur Theke gegangen war, raunte Ãlvaro seinem Gegenüber zu: „Was zur Hölle sollte das?“
Sophia erhob sich lächelnd und nahm neben ihm auf der schmalen Bank Platz. „Ich vermisse dich da drüben einfach zu sehr.“, sagte sie lauter als notwendig.
Ãlvaro rollte mit den Augen. „Setz dich sofort wieder hinüber!“
Sie schüttelte den Kopf und raunte ihm zu: „Du wolltest letzte Nacht abhauen, weil du die Sorge hattest, ich könnte unsere Tarnung auffliegen lassen. Dann gefährdest du dieselbe mit deinen lächerlichen Flirtversuchen.“
„Der Grund, warum ich letzte Nacht...,“ Er hielt inne und schüttelte den Kopf. „Welche Flirtversuche?“
Sophia lachte leise. „Komm schon. Du hast die Kleine fast mit den Blicken ausgezogen. Gehört sich das für einen glücklichen Verlobten?“
Ãlvaro stöhnte auf. „Du übertreibst maÃlos.“
„Ich wette, du wärst anderer Meinung hätte ich mich so verhalten.“
Ãlvaro wollte etwas erwidern, als plötzlich Keisha mit einem Tablett zurückkam. Während sie die Getränke auf dem Tisch abstellte, schmiegte sich Sophia an Ãlvaros Schulter, wobei dieser sich deutlich versteifte.
„Ihr seid ein schönes Paar.“, kam es lächelnd von der Kellnerin, nachdem sie die Bestellung für das Essen aufgenommen hatte.
Als sie zur Theke zurückgegangen war, schob Ãlvaro Sophia von sich. „Du bist eine ausgesprochene Nervensäge.“
Sie schenkte ihm ein spöttisches Grinsen. „Ich bemühe mich doch nur meinen Part glaubwürdig zu spielen.“
Er schüttelte den Kopf. „Das war nicht glaubwürdig, das war albern und übertrieben.“
Sophia zuckte mit den Schultern. „So verhalten sich nun mal überglücklich Verlobte.“
„Ach?“ Er musterte sie eingehend. „Warst du denn schon mal verlobt?“
„Davon halte ich nichts. Aber ich bin eine sehr gute Beobachterin. Und was ist mit dir, warst du schon mal verlobt?“
„Nein, meine Beziehungen waren groÃteils lockerer Natur.“, antwortete er und bemerkte Sophias gekräuselte Stirn. „Es gab zwei ernsthaftere Beziehungen, aber es reichte nicht für Hochzeitspläne. Warum hältst du nichts von Verlobungen?“
„Wenn man sich liebt, benötigt man keinen Schmuck und kein Papier, die das beweisen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Staat und Religion wollen uns mit dieser Institutionalisierung von Liebe lediglich kontrollieren. An einer Ehe ist nichts Romantisches.“
Ãlvaro hob eine Augenbraue. „Was du nicht sagst.“
Das weitere Frühstück verlief sehr schweigsam, bis Sophia die ältere Dame mit dem kleinen Mädchen am Nebentisch plötzlich bewusster auffiel. Die Kleine saà auf dem Schoà der Ãlteren, ihre Arme umschlangen deren Hals, sie küsste ihre GroÃmutter - wie Sophia zumindest annahm - strahlend auf die Wange. Ein schwerer Druck erfasste Sophias Herz. Die Erinnerung kam wie aus dem Nichts. „Das, das könnte ich gewesen sein in diesem Alter.“, sagte sie leise.
Ãlvaro folgte ihrem Blick. „Du trugst Zöpfe?“
Sophia schüttelte den Kopf. „Sie musste mich viel zu früh verlassen.“ Sie spürte die aufkeimenden Tränen, unterdrückte sie jedoch erfolgreich. Nicht noch einmal sollte Ãlvaro sie so sehen. Sie zuckte nicht zusammen, als sie seine Hand für einen kurzen Moment auf ihrer spürte. „Das müssen sie immer. Die Menschen, die uns viel bedeuten.“ Er seufzte leise.
Sophia und Ãlvaro sahen sich in die Augen und spürten zum ersten Mal seit ihrer Begegnung so etwas wie Verbundenheit. „Wir hatten eine Nachbarin - wir nannten sie Grandma, da unsere leibliche GroÃmutter schon vor unserer Geburt verstorben war - die öfters auf uns aufpasste, uns lustige und abenteuerliche Geschichten erzählte, stets für uns da war.“
„Was war geschehen? Erkrankte eure Nachbarin?“
Ãlvaro schüttelte den Kopf. „Grandma war es nicht, die mich verlieÃ. Sie wohnt heute in einem Altersheim.“
Sophia musterte ihn einen Moment irritiert, bis sie es plötzlich erkannte. „Du hattest eine Schwester.“, flüsterte sie. „Sara.“ Sie erschrak vor der Mischung aus Schmerz und Wut, die sich plötzlich in seinen Augen spiegelte.
„Meine Mutter sprach nie wieder über sie, brachte es nicht übers Herz.“ Sophia beobachtete, wie Ãlvaros Hände sich zu Fäusten ballten. „Als könnte man es so ungeschehen machen.“
Sie runzelte unsicher die Stirn. „Mir“, begann sie zögernd. „mir wurde einmal gesagt, es sei wichtig, sich an die schönen Momente - etwa eure Zeit bei Grandma - zu erinnern. Mir selbst half dies zwar nur bedingt, aber...“ Sophia hielt inne, als sie sah, wie Ãlvaro sich erneut verschloss, seine Miene sich wieder verhärtete. „Ich weiÃ, ich bin keine gute Trösterin. Das war ich nie. Ich fühle mich immer etwas hilflos in solchen Situationen und sage wahrscheinlich genau das Falsche.“ Sie biss sich unsicher auf die Unterlippe.
Ãlvaro musterte sie eingehend. „Ich benötige weder dein Mitleid noch deinen Trost.“ Wieder der eiskalte Ton. Sophia begann zu frösteln. Sie erhob sich schnell. „Entschuldige mich kurz.“
Ãlvaro sah ihr seufzend nach. Sophia hatte es nett gemeint, doch er ertrug diese Art Freundlichkeiten einfach nicht mehr. Sie alle hatten versucht ihn zu trösten, als könnten sie damit etwas verändern. Dann hatten sie ihn verachtet für das, was er getan hatte.
Es war Ãlvaro egal, was sie über ihn dachten. Das einzige, das zählte, und sich wie eine scharfe Klinge in sein Herz bohrte, war die Tatsache, dass ihn auch Sara dafür verachtet hätte.
Sophia lehnte sich gegen die kühle, geflieste Mauer des Sanitärraums und starrte auf den gegenüberliegenden Spiegel knapp über dem Waschbecken. Es war ungerecht gewesen, als sie ihr vorgeworfen hatten, sie sei gefühllos. Niemand hatte vermutlich mehr gefühlt als sie. Doch nun wünschte sie sich nichts sehnlicher als nicht mehr fühlen zu können.
Ãlvaro betrachtete sie nachdenklich, als sie zurückkam. Die leeren Teller waren bereits abgeräumt. Vor ihm stand, wie zum Hohn, ein Erdbeermilkshake mit zwei Strohhalmen.
Sophias Stirn kräuselte sich. Sie wollte sich schon gegenüber von ihm setzen, als sie Ãlvaros ungeduldige Handbewegung bemerkte. Seufzend rutschte sie neben ihn.
Ãlvaro schob den hohen Becher etwas näher zu ihr, sah kurz zur Theke, ehe er den Arm um ihren Körper legte, Sophias Unwillen ignorierend, und sie näher zu sich zog. Ihr Magen zog sich zusammen, als sie seinen heiÃen Atem auf ihrem Nacken spürte.
Ãlvaro sprach leise, aber dennoch verständlich. „Ich möchte nicht über sie sprechen.“
Sophia nickte und wich seinem Blick aus.
„Aber“, er hob ihr Kinn und beugte sich etwas näher zu ihr, so dass sie ihn ansehen musste. „dein Ratschlag war gut.“ Er seufzte. „Danke“ Es war ihm anzusehen, wie schwer es ihm gefallen war, diese Worte auszusprechen.
Sophia vergröÃerte den Abstand zwischen ihnen wieder.
„Möchtest du über deinen Verlust sprechen?“ Es kam so überraschen wie zögernd.
Sie runzelte die Stirn und betrachtete Ãlvaro irritiert. Seine Augen hatten einen sanften Ausdruck angenommen. Sophia schüttelte langsam den Kopf. Man hatte ihr gesagt, es würde leichter werden, doch das war es niemals geworden. Selbiges traf wohl auch auf einen anderen Verlust zu, welcher noch längst nicht so lange zurück lag.
Sie spielte einen Moment nachdenklich mit einem der Strohhalme, ehe sie das Thema wechselte. „Dir ist klar, dass du das Zeug alleine trinken wirst müssen?“
Ãlvaro ging nur allzu dankbar auf den Themenwechsel ein. „Wie bitte?“ Er wies auf das hellrosa Getränk. „Du wolltest es doch?“
Sophia schüttelte den Kopf. „Das sagte ich doch nur, weil ich wusste, du würdest ablehnen.“ Sie hob den rechten Zeigefinger. „Allein dein dämliches Flirten hat uns das eingebrockt.“
„Ich habe nicht...“, er hielt inne. „Du wolltest es zuvor bestellen, also trinkst du es nun auch.“
„Und du bestelltest es während ich auf der Toilette war.“
Ãlvaro seufzte. „Okay, dann trinken wir es eben gemeinsam.“ Er griff unschlüssig nach einem der Strohhalme.
Sophias Stirn kräuselte sich. „Aber nicht zugleich. Das wäre albern. Abwechselnd.“, entschied sie.