Sie hat es sich immer anders vorgestellt, in ihrer Phantasie, die kleinen Geschichten die sie sich ausgemalt hat, wunderschöne Trugbilder, flüchtig wie eine Fata Morgana und doch auf eine seltsame Art tröstlich, ein kurzer Trip in eine bessere Welt. Die Heldinnen (seltsamerweise alle ihres Namens) darin sind klasse â wahnsinnig gut aussehend, wahnsinnig intelligent, wahnsinnig beliebt, wahnsinnig groÃherzig, wahnsinnig genial. Die perfekte Frau â natürlich mit dem perfekten Mann an ihrer Seite, der perfekte Mann, der sie wahnsinnig liebt. Der perfekte Job, das perfekte Auto, perfekte Freunde â die perfekte Welt. Natürlich nachdem die wahnsinnig Bösen von der wahnsinnig Guten, in ihrer Existenz einzigartigen, ausgelöscht wurden. Und all die Dramen, die nie ihren Weg auf den Bildschirm gefunden haben â Mordanschläge, Intrigen, Tränen- und SchweiÃausbrüche beim erfolgreichen Versuch die Welt zu retten â all diese Dramen waren weitaus aufregender, als das wirkliche Leben.
In der echten Welt hat man sie verarscht, sie unsanft aus ihren Träumen gerissen. Ihr Held hat das Weite gesucht. Na schön, sie hat es ihm selbst angeboten, doch wenn er sie wirklich lieben würde, dann wäre er hier. Würde sich um sie und Rory kümmern. Er tut es nicht, sie tut es selbst. Steht hier in einem Badezimmer des Independence Inn und poliert alles auf Hochglanz, während sie sich einzureden versucht, dass alles nicht so schlimm ist. Es schon irgendeinen verrückten Grund dafür gibt, auch wenn sie ihn momentan vergessen hat.
Angewidert zieht sie ein dickes, verklebtes Büschel Haare aus dem Abfluss der Dusche, lässt es mitsamt dem Stück Papier, das sie anstelle eines Handschuhs benützt, in die Toilettenschüssel fallen. Ekelhaft, es ist so ekelhaft, denkt sie sich, als sie die Spülung zieht, alles mit einem lauten Gluckern in der Tiefe verschwindet.
Zimmermädchen, sie haben mich als Zimmermädchen eingestellt. Nicht als Putzfrau. Zimmermädchen bringen den Gästen das Frühstück aufs Zimmer, Zeitungen, Champagner. Aber sie räumen ihnen doch nicht hinterher. Betten machen, Mülleimer leeren, Handtücher wechseln, das nimmt sie gerade noch in Kauf. Aber auch noch die dreckigen Badezimmer auf Vordermann bringen? Nein, das ist wirklich zuviel des Guten. Und ständig dieses Gebuckle. Ja, natürlich, Mr. Foreman, aber nein, Mrs. Strawinski. Höflichsein, Lächeln, Lächeln, Lächeln, selbst wenn man lieber kotzen würde, es den Gästen natürlich nicht unter die Nase reiben darf, dass man sie für vertrottelte Vollidioten hält. Der Kunde ist König. Viva la Revolution, köpft sie alle, dem alten Louis XIV erging es schlieÃlich auch nicht besser und der war immerhin ein echter König.
Sie sollte das Ganze hinschmeiÃen, sie wird schon einen anderen Job finden. Einen bei dem sie niemandem die Stiefel lecken muss, obwohl sie ihm lieber eine reinhauen würde. AuÃerdem hat sie es ja schon länger ausgehalten, als ihre Mutter prophezeit hat, beinahe zwei Monate. Diese Revolution ist wenigstens nicht gescheitert. Sie hat es ihnen gezeigt. Sie kann sehr wohl für ihr Geld arbeiten, auf eigenen FüÃen stehen. Sie ist kein Kind mehr, sondern eine verantwortungsbewusste junge Frau - die den Dreck anderer Leute wegräumt. Aber hey, schlieÃlich fängt jeder Mal klein an. Vom Tellerwäscher zum Millionär, sie sind hier in Amerika, da geht alles. Sie muss sich eben nur einen neuen Ausgangspunkt suchen. Einen besseren Job, der ihr bessere Perspektiven bietet. Alles ist besser als das hier. Oder etwa nicht? Nein, die Menschen hier sind nett zu ihr und Rory. Sie kümmern sich um ihre Tochter, wenn sie arbeitet. Niemand macht ihr Vorschriften, man behandelt sie wie eine Erwachsene, niemand sieht sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, mustert sie abfällig, weil sie eigentlich viel zu jung ist, um Mutter zu sein. In Stars Hollow zeigt niemand mit dem Finger auf sie, niemand tuschelt hinter ihrem Rücken. Nun, am Anfang vielleicht, man hat sie misstrauisch beäugt, sie einem inoffiziellen Rekrutierungsverfahren unterzogen, ehe man sie für würdig erachtete, ein Teil dieser seltsamen Kleinstadtgemeinschaft zu werden.
Kleinstadtgemeinschaft. Hätte ihr irgendjemand vor einem Jahr gesagt, sie würde eines Tages an einem Ort wie Stars Hollow landen, sich dort Wohlfühlen, sie hätte ihn ausgelacht. Aber es ist tatsächlich so, sie mag die Menschen hier. Sie sagen, was sie denken, sind ehrlich, niemand unterwirft sich den schwachsinnigen Benimmregeln mit denen sie aufgewachsen ist. Man ist nicht höflich um der Höflichkeit willen, sondern weil man es tatsächlich ernst meint. Niemand tu hier so als ob, alles ist echt, teilweise auf eine äuÃerst obskure, spleenige Art und Weise, aber echt.
Sie hält inne, bemerkt, dass sie sich seit Minuten im Spiegel anstarrt. Fährt mit einem Finger über die gläserne Fläche, zeichnet die Konturen ihres Gesichtes nach. Lorelai Victoria Gilmore. Sie schluckt, lächelt sich selbst an, kommt sich lächerlich vor.
âLorelai?â
Sie fährt herum, erschrocken, ein wenig beschämt, weil man sie beim Nichtstun erwischt hat.
âWas ist denn?â, wenigstens ist es nur Jimmy, der Laufbursche, er mag sie, wird gewiss nicht erzählen, dass sie anstatt aufzuräumen, ihr Spiegelbild analysiert hat.
âDa ist Besuch für dichâ, entgegnet er mit seiner kicksigen Stimme, schiebt eine Strähne seines dünnen Haares zur Seite, gibt so den Blick auf seine picklige Stirn frei.
âBesuch?â, fragt sie, obwohl sie ahnt, wer es ist. Nach so langer Funkstille kann es eigentlich nur sie sein.
âEin Mann und eine Frau. Steinreich, so wie sie aussehenâ, er macht eine abfällige Handbewegung, schnaubt dabei verächtlich. âDie hat Klunker an den Fingern, damit könnte man sich garantiert nen Camaro kaufen. Wenn nich sogar zwei.â
Du solltest die anderen Frauen der High Society sehen, Jimmy. Damit könntest du dir fünf Camaros zulegen, eine Garage noch dazu, was sage ich, eine ganze Villa, ein Schloss. âDer Mann â groà und mit Fliege?â, natürlich, die Ohrfeige blieb wirkungslos, jetzt werden die schweren Geschütze aufgefahren, guter Bulle, böser Bulle.
âHey, ja! Kennst du sie?â, seine Stimme überschlägt sich fast, die wässrigen Augen leuchten erwartungsvoll.
âNein, Jimmyâ, sie bindet ihre Schürze ab, weià selbst nicht warum, wirft sie auf den Badewannenrand. âIch kann Gedankenlesen.â
Er beginnt über das ganze Gesicht zu strahlen, ein dümmliches Grinsen, bemitleidenswert, rührend. âEcht? Wie abgefahren!â
âSehr abgefahren, Jimmyâ, sie beugt sich zu seinem Ohr. âWenn du hier vielleicht kurz für mich weitermachen könntest, dann würde ich dir später eine exklusive Kostprobe meiner telepathischen Fähigkeiten liefernâ, sie zwinkert ihm zu, lächelt dabei. âGratis versteht sich.â Es ist so einfach, denkt sie, armer Kerl, versprich ihm einen Kaugummi und er tut alles für dich.
âAbgefahren!â, ruft er erneut voller Begeisterung aus, strahlt noch mehr.
âAbsolutâ, sie lässt ihn stehen, geht betont langsam in die Lobby. Fragt sich, was sie hier wollen. Sie hat ihrer Mutter beim letzten Mal doch deutlich zu verstehen gegeben, dass sie hier bleiben wird. Es wäre auch zu schön gewesen, wenn sie einmal ihre Wünsche respektieren würde. Andererseits: Es ist Emily Gilmore, sie respektiert niemals die Wünsche von anderen. Wobei zwei Monate Funkstille einem Rekord gleichkommen. Keine Polizei, keine Anwälte. Eigentlich hatte sie fest damit gerechnet. Nun, das wird vermutlich jetzt alles kommen, vermutlich haben sie geglaubt, sie würde früher oder später von alleine angekrochen kommen. Falsch gedacht.
Vorsichtig bleibt sie am Entree stehen, schielt in die Lobby, macht sie sofort aus. Wütend erkennt sie, dass Rory bei ihnen ist, ihre Mutter sie im Arm hält. Wen auch immer sie bequatscht haben, sie wird ihm das Genick brechen. Ihre Eltern sollen die Finger von Rory lassen. Sie schaudert - was wenn sie gar nicht gekommen sind, um sie abzuholen, sondern Rory? Wen sie ihr ihre Tochter wegnehmen wollen? Sie würden es wahrscheinlich schaffen, sie können sich schlieÃlich die besten Anwälte leisten, kennen vermutlich die meisten Richter per Du. AuÃerdem können sie Rory ja auch viel mehr bieten, Haute Couture gegen Stangenware, Reisen gegen billige Sonntagsausflüge, eine Villa gegen einen alten Geräteschuppen, Privatschulen gegen Ãffentliche, alles Geld der Welt gegen ihren mickrigen Lohn. Wie gelähmt geht sie ein paar Schritte auf sie zu, nimmt ihrer Mutter ohne Umschweife Rory ab und drückt sie schützend an sich, räuspert sich.
âEmily, Richardâ, begrüÃt sie ihre Eltern absichtlich formell, will sie reizen, ihnen zeigen, dass sie kein kleines Mädchen mehr ist, das Mama und Papa braucht.
âSie erkennt uns wieder, Richard. Sie weià tatsächlich noch wer wir sind, ist das nicht rührend?â
Er nickt, ein wenig verwundert über Emilys Gebaren, ihren plötzlichen Hochmut. Noch vor wenigen Minuten war er sicher gewesen, sie würde kein Wort hervorbringen und jetzt â als hätte sie ihre Sorgen einfach abgestreift, jedes Gefühl erstickt, erwürgt. âLorelaiâ, es ist nur ein schwaches Lächeln, das er sich abringen kann.
âWas wollt ihr hier?â, ihre Stimme echot durch ihren Kopf, heiser und zittrig, die eines ängstlichen Teenagers, nicht die einer Erwachsenen.
âWir wollten unsere Enkeltochter sehenâ, Emilys Stimme klingt kühl und beherrscht, alles an ihr ist kühl und beherrscht, ein Roboter mit dem Talent zynisch zu sein, sie so auf die Palme zu bringen. âOder ist uns das etwa nicht gestattet?â
âIhr hättet euch vorher anmelden könnenâ, mir so die Möglichkeit lassen, das Weite zu suchen. Oder Rory und mich wenigstens einigermaÃen passabel herzurichten.
âIch wusste nicht, dass eine Anmeldung notwendig ist, sonst hätte ich natürlich die entsprechenden Formulare ausgefülltâ, erwidert Emily schnippisch, ist gekränkt über Lorelais Verhalten.
âWas wollt ihr wirklich?â, hakt sie nach, will nicht auf die Spielchen ihrer Mutter eingehen, es so schnell wie möglich hinter sich bringen.
âDas sagt ich doch bereits, Lorelai. Wir wollten Rory sehen.â
Sie ist ein wenig enttäuscht, Rory wollten sie sehen, ihre Enkelin. Aber nicht ihre Tochter, nicht sie. âDas habt ihr jetzt ja.â
âDu sagst esâ, sie sieht Richard an, hofft, er wird etwas sagen, etwas tun, denn sie kann es nicht. Sie weiÃ, dass jedes weitere Wort von ihr vermutlich alles nur noch Schlimmer machen wird, ist gelähmt von ihrer eigenen Hilflosigkeit, ihrem Erstaunen. Die Feindseligkeit die Lorelai ihnen entgegenbringt, sie hat nicht damit gerechnet, hat gehofft sie würde Einsicht zeigen. Hat sich in der Illusion gewiegt, alles würde wieder in ordentliche Bahnen gelenkt werden, Lorelai würde wieder nach Hause kommen. Freiwillig.
âEmily, warum gehst du nicht schon Mal zum Wagen?â, er gibt ihr die Schlüssel, drückt ihre Hand. Sie sieht in verblüfft an, nickt letztendlich zustimmend, beinahe dankbar.
Er wartet bis sie weg ist, ehe er sich an Lorelai wendet, sie unnachgiebig fixiert. âNun, es gibt einige Dinge, die wir klären müssen, Lorelai.â
Sie schiebt Rory ein Stück höher, presst ihren Kopf noch fester an ihre Schulter. âUnd die wären?â
âWenn ich mich nicht irre, haben wir dieses ganze Theater deinem Wunsch nach Unabhängigkeit zu verdanken. Richtig unabhängig wirst du aber erst sein, wenn du einen gewissen Teil an uns zurückgezahlt hast. Du hast immerhin sehr lange, sehr gut von uns gelebt, das kannst selbst du nicht bestreiten. Daher wirst du uns zumindest an den Feiertagen besuchen kommen. Thanksgiving, Weihnachten, Ostern. Drei Ereignisse im Jahr, drei Besuche. Ich denke, das ist eine akzeptabel Lösung für uns alle.â
âUnd wenn ich es nicht tue?â, fragt sie ihn. Fragt sich selbst, ob das wirklich alles ist, ob er sich den wirklichen Donnerschlag bis zum Ende aufbewahrt.
âDu wirst. AuÃerdem wirst du deine Mutter an ihrem Geburtstag anrufen.â
âIch muss das nicht tunâ, entgegnet sie zögernd, abwartend.
âWillst du Rory etwa ihre GroÃeltern vorenthalten? Zumal weder Straub noch Francine ein Interesse an ihr haben? Zumal du schon ihren Vater vertrieben hast?â
Zufrieden stellt er fest, dass seine Worte Wirkung zeigen, seine Tochter schweigt, starrt ins Leere, denkt sichtlich über das Gesagte nach. âWir haben also eine Abmachung.â Sie nickt wie betäubt, weià nicht was sie sagen soll. âSehr schön. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest,
Emily wartet auf mich.â
Schon im Gehen hält er inne, wendet sich wieder Lorelai zu. âOh, und bevor ich es vergesse: wir haben dieses Gespräch nie geführt. Es war deine Idee, uns zumindest hin und wieder die Ehre eines Besuches zuteil werden zu lassen. Das wäre doch ein durchaus angemessenes Geburtstagsgeschenk für deine Mutter, findest du nicht?â
âJa, Dadâ, flüstert sie, ist überrascht, dass das wirklich alles gewesen sein soll. Ist froh, dass es alles war. Drei Besuche, sie wird es schon irgendwie durchstehen, ein paar Stunden im Jahr, eigentlich ein geringer Preis für ihre Freiheit, zumindest an den MaÃstäben ihrer Eltern gemessen. Sie ertappt sich dabei, so etwas wie Dankbarkeit zu empfinden, echte Sympathie, erstickt diese Gefühle jedoch im Keim. Es könnte auch nur ein Trick sein, um sie gefügig zu machen, reich ihnen den kleinen Fingerâ¦.
âDann werden wir also in drei Wochen von dir hörenâ, er beeilt sich das Hotel zu verlassen, froh darüber, dass Lorelai auf diesen Handel eingegangen ist. Emily hat sich noch immer nicht damit abgefunden, er konnte es an ihrer Reaktion sehen, er weiÃ, dass es für sie schwerer ist, als für ihn, dass Lorelai ihr vermutlich wichtiger ist, als alles andere. Aber wenigstens ist sie bereit es zu tun, bereit sich auf die neue Situation einzulassen, redet endlich wieder, lässt ihn an sich heran.
Die zwei Wochen, die sie auf Long Island verbracht haben, waren dringend notwenig. Nicht nur wegen der Sache mit Lorelai, sondern wegen ihnen, ihrer Ehe. Sie sind sich wieder nahe gekommen, vielleicht näher als zuvor, haben zum ersten Mal seit langem wieder Pläne für die Zukunft gemacht, ein Zukunft die weiter entfernt ist, als das nächste Wochenende. Sie haben nicht viel über das Geschehene gesprochen, beschlossen es hinter sich zu lassen, neu anzufangen. Er hofft, dass sie es diesmal besser schaffen, zumal es nur noch sie beide gibt, vielleicht älter, mit mehr Narben und Kratzern, aber sie sind im Grunde noch immer die zwei Menschen, die sich vor beinahe zwanzig Jahren ineinander verliebt haben. Wenn die Verliebtheit damals als Ausgangsbasis genügt hat, dann muss es die Liebe jetzt erst Recht tun. Oder etwa nicht?
To be continued.
ATN: Here we go
Jetzt seid ihr dran mit schreiben⦠Feedbacks are a girls best friend⦠oder so *G* Lg, Riska
PS: @ birdie: Klamotten erschien mir im Satzgefüge besser als Kleider.... hast aber schon Recht, irgendwie
@all: Danke für's Feedback!