TADAAAAAAAAAA!! Hier kommt der neue teil (hab ihn extra schön lang gemacht ^^ es sind auch mehrere flashbacks drin)!!
Teil 14
"Soweit ich das beurteilen kann, gibt es keinen Verdacht darauf, dass Sie in der nächsten Zeit noch innere Verletzungen haben werden.", sagte der Arzt eineinhalb Monate später bei der wöchentlichen Untersuchung.
Dann war ja alles in Butter. Bis auf die Tatsache, dass er nicht mehr laufen konnte ...
Er hatte sich unbewusst immer mehr von allen, besonders von Lilly, abgeschottet. Hatte einfach nicht mehr mit ihnen geredet, hatte sie abgewiesen, sie manchmal auch angelogen ... Er hatte eben keine Lust gehabt, ewig diese Mitleidsnummer durchzumachen. Mitleid brachte nichts.
Aber ... war es bei Lilly Mitleid gewesen? Nein. Sie hatte sich um ihn gesorgt und das tat sie immer noch. Sie sorgte sich immer noch um ihn, obwohl er sie behandelte wie ... wie ein Stück Dreck.
"Haben Sie noch irgendwo Schmerzen?" Der Arzt sah ihn fragend an.
Nein. Wie auch? Er konnte nicht mehr laufen. Warum amputierten sie ihm nicht gleich die Beine? Kam auf's selbe hinaus.
Er schüttelte den Kopf. "Nein. Alles okay."
"Gut." Der Arzt nickte. "Dann werden wir uns mal Ihr Bein ansehen ..."
"Und?" Hannah kam auf ihn zugelaufen. "Was hat der Arzt gesagt?"
Missmutig schleppte er sich an Hannah vorbei, die Treppe hoch und in sein Zimmer. "Nichts."
"Wie nichts? Er muss doch was gesagt haben, Chriss! Vielleicht ..."
"Hannah!", unterbrach er sie barsch. "Lass mich in Ruhe."
"Okay. Wie du willst. Ich kann ja verstehen, dass du zurzeit eine schwere Zeit durchmachst und unser Mitleid nicht ertragen kannst, aber ... ich finde es ganz schön gemein von dir, wie du Lilly behandelst. Ich meine, sie hat kein Mitleid mit dir. Nein, natürlich tust du ihr leid, aber vor allem sorgt sie sich ziemlich um dich. Sie versteht nicht, warum du sie so behandelst. Sie ist deine Freundin, Chriss. Wenn du so weiter machst, könnte es sein, dass du sie verlierst. Sie ist sich nämlich nicht mehr sicher, ob du sie noch liebst."
"Raus!", brüllte er. "Verschwinde aus meinem Zimmer, du superschlaues Mistvieh!"
Kaum hatte sie die Türe lautstark hinter sich zugeknallt, fing Chriss erst an zu fluchen und stütze dann seinen Kopf auf beide Hände. Wie kam sie nur dazu, dass er sie nicht lieben würde? Merkte sie denn nicht, dass ... dass er ohne sie nicht leben konnte? Behandelte er sie wirklich so mies?
Er seufzte noch einmal auf und griff schlieÃlich zum Hörer um sie anzurufen.
"Lilly? Hier ist Chriss.", sagte er, als sie sich meldete.
"Oh. Hi." Er merkte deutlich, dass sie nicht mit ihm gerechnet hatte.
"Ich wollte ... mit dir reden."
Sie zögerte. "Ja, ich auch. Ich war mir nur nicht sicher, ob du das willst."
Das war ein schlechtes Zeichen. Allein, wie ihre Stimme klang. Bedauernd ...
"Okay. Fang an."
"WeiÃt du ... ich habe das Gefühl, du ... du willst nicht mehr mit mir reden ..."
"Das stimmt nicht.", unterbrach er sie panisch. Er ahnte, was kommen würde. "Ich rede gerne mit dir. Ich ... ich weià einfach nicht, was ich machen soll."
"Ich weiÃ. Aber ... du stöÃt mich von dir. Ich ... Wenn ich mit dir reden will, sagst du immer nur, du hast keine Zeit, keine Lust, was auch immer. Wenn ... wenn ich Hilfe brauche, wenn ich will, dass du mir hilfst, sagst du dasselbe. Ich weià auch nicht mehr, was ich machen soll ... Ich ... ich dachte immer, ich kann immer mit dir reden und du bist immer für mich da ..."
Verzweifelt sagte er: "Aber das kannst du doch, Lilly. Du kannst immer mit mir reden. Und ich bin immer für dich da ..."
Sie schwieg. "Das sagst du jetzt so. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass du es so meinst.", sagte sie schlieÃlich.
Er würde sie verlieren. Hannah hatte Recht. Er würde sein Leben, seine groÃe Liebe verlieren, nur weil er nicht mit dem Schicksal umgehen konnte ...
"Lilly ..."
"Ich weià nicht, wie es weitergehen soll, Chriss. Um ehrlich zu sein, ich will gar nicht, dass es weitergeht. Ich will nicht daran zweifeln, dass ... dass du mich liebst."
"Das tue ich doch!", unterbrach er sie wieder und in seiner Stimme schwang die Angst mit, die ihm das Blut in den Adern gefrieren lieÃ. "Ich liebe dich von ganzem Herzen, Lilly."
"Chriss ... ich ... ich glaube, es ist besser, wenn ... wenn wir uns trennen ..."
"Lilly Brandner!", tönte es aus den Lautsprechern des Krankenhauses. "Lilly Brandner bitte sofort zur Pflegestation 3!"
Lilly zuckte aus ihren Gedanken und fuhr hoch. Sie hatte gerade an ihre Begegnung mit Chriss am letzten Tag gedacht. War es bloà Zufall?
"Ja, was ist?", fragte sie, als sie an der Station ankam.
"Zimmer 352. Suizidversuch. Ein siebzehnjähriger Junge. Sie wurden für ihn eingeteilt."
Zwischen dem riesigen weiÃen Bettlaken und umzingelt von den vielen Maschinen sah er gar nicht aus, wie ein Siebehnjähriger.
Wie verzweifelt musste er gewesen sein, als er versucht hatte, sich das Leben zu nehmen? Was war passiert, dass er keinen anderen Ausweg mehr sah? Solche Fragen schossen Lilly immer durch den Kopf, wenn sie wieder Patienten mit Suizidversuch gesund pflegte. Sie wusste nicht, was sie durchmachten, obwohl sie selbst schon oft an Selbstmord gedacht hatte. Es war keine schöne Zeit gewesen. AuÃerdem waren da noch Ronny und Amy ...
"Hey.", krächzte plötzlich eine Stimme vom Bett. "Was machst du da?"
Sie sah sich um. Sie stand nun schon seit zwei Minuten an der selben Stelle und dachte üer ihre schwere Zeit nach. Dabei sollte sie doch den Patienten pflegen ...
"Ich soll dich pflegen.", antwortete sie. "Wie heiÃt du?"
"Leon. Und selbst?"
"Lilly. Hey, ist das nicht ein toller Zufall, dass wir den selben Anfangsuchstaben haben?"
Sie zog einen Stuhl ans Bett und setzte sich hin. "Wie geht's dir?"
Leon sah sie an. "Wirklich wunderbar. Siehst du nicht?"
"Warum hast du das getan?", fragte sie ihn.
Er seufzte schwer und sah an die Decke. "Ich liebe meine Schwester."
"Oh."
"Ich meine, ich liebe sie
wirklich. Keine Geschwisterliebe."
Sie sah ihn an. "Und deswegen wolltest du dich umbringen?"
"Ich habe sie erst vor zwei Jahren getroffen." Er zuckte mit den Schultern. "Ihre Eltern - meine Eltern, haben mich als Baby zur Adoption freigegeben und ich wollte unbedingt meine richtigen Eltern kennen lernen. Meine Adoptiveltern haben mir nie verschwiegen, dass sie mich adoptiert haben und ich habe deshalb früh angefangen, nach meinen Wurzeln zu suchen.
Ich wusste gar nicht, dass sie meine Schwester ist. Ich habe sie gesehen und gedacht: 'Wow, das ist meine Traumfrau'. Sie haben uns erst gesagt, dass wir Geschwister sind, als es bereits zu spät war."
"Sie liebt dich auch?"
"Ja." Er seufzte noch einmal. "Es hat alles keinen Sinn. Ich meine ... wir dürfen das nicht, aber ich kann nicht anders."
"Ich will dir nicht sagen, was du machen sollst, aber ..." Sie hielt kurz inne und dachte nach. "Aber ihr dürft das wirklich nicht. Gut, ihr habt eigentlich keine Schuld daran, weil Liebe ... einfach über einen kommt und man sie nicht aufhalten kann, und weil eure Eltern euch verschwiegen haben, dass ihr Geschwister seid ... aber es könnte gefährlich werden. Eure Kinder ...
wenn ihr welche haben wollt ... sie können darunter leiden, nicht seelisch, sondern vor allem körperlich. Ich weiÃ, als AuÃenstehende habe ich kein Recht, mich darin einzumischen, aber ... du solltest dir überlegen, ob du das wirklich auf dich nehmen willst."
"Woher weiÃt du das alles? Wie kannst du so über die Liebe reden?"
Lilly lächelte schwach. "Oh, ich hatte selbst meine Liebesgeschichte."
"War sie genauso krass wie meine?"
"Nein. Eigentlich nicht. WeiÃt du, er war mein bester Freund und wir sind fast wie Geschwister aufgewachsen, weil sich unsere Eltern seit der Schule kannten. Wir haben vieles zusammen unternommen, waren unzertrennlich."
"Und was ist daran schlimm?"
Sie fing an zu erzählen. Ihre ganze Geschichte von Chriss. Von ganz vorne.
~Flashback~
"Hey, Chriss, hast du 'ne Gruselgeschichte auf Lager?", rief Nicky ihm zu.
Sie saÃen am Lagerfeuer, auf Baumstämmen, im Schutze ihrer Zelte. Es war eine milde Nacht, der tiefschwarze Himmel voller Sterne.
"Klar." Chriss wollte gerade aufstehen, als Lilly ihn am Arm packte.
"Keine Gruselgeschichte. Bitte." Chriss konnte grausige Geschichten erzählen, wenn er wollte. Er war der beste Geschichtenerzähler, den sie kannte, und normalerweise mochte sie seine Geschichten auch, doch bei Gruselgeschichten war das was anderes. Immer kam bei ihm Mord und Totschlag vor und er erzählte alles ganz genau, jedes kleinste Detail.
"Komm schon, Lilly. Es ist nur eine Geschichte." Er küsste sie kurz, schnappte sich seine Taschenlampe und setzte sich neben Nicky dorthin, wo ihn alle sehen konnten. Wie immer machte er seine Taschenlampe an und legte sie sich unters Kinn, sodass sein Gesicht geisterhaft angeleuchtet wurde.
"Vor langer Zeit", fing er an, "lebte in dem Schloss dort" - er deutete auf den schwachen Umriss eines imposanten Schlosses am anderen Ufer - "ein mächtiger König. Er war reich, wie gesagt mächtig, hatte groÃen Einfluss auf die kleinen Bewohner in seinem Dorf und er war -"
"Fett.", fügte Nicky hinzu.
Chriss lachte. "Nein. Er war noch unverheiratet. Mit seinen fast schon vierzig Jahren und seinem Stand als König war das natürlich nicht gut, also hat er sich auf die Suche begeben. Was hieÃ, er lieà alle ledigen Frauen des Dorfes und umliegenden Grafschaften zu sich auf das Schloss kommen und sollte sich eine aussuchen. Allerdings war keine Frau unter ihnen, die er als ihm würdig erklärte. Also suchte er weiter und weiter, und dann tauchte plötzlich eine junge, geheimnisvolle Frau auf. Der König war begeistert von ihr und machte ihr einen Heiratsantrag. Doch sie lehnte ab."
"Wo ist da die Gruselgeschichte?", fragte Clarissa. "Hört sich eher an, wie ein Märchen."
"Lass mich doch erst erzählen.", motzte Chriss beleidigt. "Die Geschichte fängt gerade an!"
"Na gut."
"Okay. Sie lehnte also ab. In den nächsten sechs Monaten machte er ihr Tag für Tag einen Antrag und bekam Tag für Tag eine Abfuhr. Gerade hatte er es aufgegeben, sie als Frau zu bekommen, als sie plötzlich zusagte. Am nächsten Tag fand die Hochzeit statt. Jeder im Dorfe war eingeladen, und jeder freute sich, hatten sie doch endlich eine schöne Königin. Aber ... sie war nicht nur schön, sie war gerissen und gefährlich. Sie ging ihren eigenen Plan nach. Sie wollte Reichtum.
Sie lebten glücklich und zufrieden, hatten ein noch besseres Leben im Bett und bekamen ein Jahr nach der Hochzeit ihr erstes Kind. Seinen Thronfolger. Die nächsten Jahre waren Friede-Freude-Eierkuchen, ihr Sprössling wuchs wohlbehütet und abgöttisch geliebt in einer tollen Umgebung auf. Alles war perfekt. Für ihn. Denn seine Frau wollte bald ihren Plan zu Ende bringen. Sie wollte ihren Gatten in den Ruin treiben und sich sein ganzes Vermögen unter die Nägel reiÃen. Zusammen mit ihrem Geliebten. Sie hatte seit Jahren einen Geliebten, konnte ihn aber nicht ehelichen, weil es ihre Gesellschaft nicht erlaubte. Also betrog sie ihren Gatten und wollte ihn ausnehmen.
Das ging aber schief, denn eines Tages erwischte er sie mit ihrem Geliebten bei eindeutigen Sachen. Also heckte er ebenfalls einen Plan aus. Er wollte sie umbringen."
Lilly zuckte zusammen. Sie hatte es gewusst. Schon wieder Mord und Totschlag.
"Er redete nicht mehr mit ihr, warf sie aus ihrem Schlafzimmer raus und degradierte sie zu seinem Hausmädchen. Nach einer Woche war es soweit. Er würde sie umbringen. Entweder würde er sie gnadenlos aufschlitzen, sie beim lebendigen Leibe ins Feuer werfen, sie den Aasgeiern vorwerfen, sie hängen lassen ... Sorry, Lilly. Also, er würde sie umbringen. In der Nacht schlich er sich in ihr Zimmer, und stach so lange mit seinem Schwert auf sie ein, bis kein Blut mehr aus ihr herausspritzte. Das war seine Rache dafür, dass sie ihn betrogen hatte, obwohl er ihr solch ein schönes Heim geschenkt hatte, ihr jeden Wunsch erfüllt hatte, wie materiell als auch im Bett." Er räusperte sich. "Ihr Geliebter wollte sie am nächsten Tag besuchen kommen, fand dann aber nur die grauenhaft zugerichtete Leiche. Er wusste sofort, wer sie umgebracht hatte. Er zog sein Schwert, raste in den Speisesaal (es war Essenszeit) und kämpfte mit ihm. Der Kampf dauerte Tage, aber der König war unerfahren, weil er immer nur seine Soldaten kämpfen lieÃ, deshalb schaffte es der ... Geliebte, ihm - in Gegenwart des Sohnes - den Kopf abzuschlagen. Später wurde er selbst gehängt. Hatte ganze fünf Minuten am Strick gehangen und war dann eines grausamen Todes gestorben. Jedenfalls, noch heute sollen die beiden Geister, der des Königs und der des
Geliebten, durch diese Gegend streifen, unschuldige Leute umbringen und gegeneinander kämpfen. Das ist das schreiende Geräusch, was wir nachts immer hören.
Lilly.", sagte Chriss plötzlich mit weit aufgerissenen Augen. "Hinter dir!"
Sie fuhr herum und erstarrte. An dem Baum stand ein verwestes Skelett, an dem noch einige verwitterte Lumpen hingen, mit leeren Augenhöhlen ...
~Flashback Ende~
Leon lachte, als sie ihm erzählte, wie sie Angst bekommen und in den Wald gerannt war.
"Du bist echt weggerannt?", fragte er und schnappte nach Luft.
Sie verteidigte sich: "Hey, ich war erst dreizehn und hatte Angst!"
Trotzdem lachte Leon weiter. "Das hätte ich gerne gesehen! Und was hat dein Freund gemacht?"
Sie lächelte wieder, in Erinnerung an Chriss. "Er hat einen Suchtrupp zusammengestellt und ist mich suchen gegangen."
"Wer hat dich gefunden?"
"Er. Ich war nur ein bisschen in den Wald gerannt, weil er so dunkel war und ... naja."
Sie erzählte ihm, wie Chriss sich besorgt vor sie gehockt hatte und gefragt hatte, ob alles in Ordnung sei. Und wie er sie in den Arm genommen und getröstet hatte, als sie angefangen hatte zu weinen.
Unbewegt stand Chriss an der Tür zum Zimmer 352 und hörte zu, wie Lilly diesem Jungen von ihm erzählte. Er erinnerte sich selbst daran, wie panisch sie immer auf Gruselgeschichten reagiert hatte und es huschte ein kleines Lächeln über sein Gesicht. Als Lilly an die Stelle kam, wie er den Suchtrupp organisiert hatte, um sie zu suchen und sie dann gefunden hatte, verschwand das Lächeln wieder. Er fühlte immer noch, wie er damals gefühlt hatte. Als sie angefangen hatte zu weinen, hatte er sich gefühlt wie ein herzloser Mensch, der einen unschuldigen kleinen Welpen gnadenlos trat und dann noch auf ihm herumtrampelte. Denn der Gag mit dem Skelett hinter ihr ... ja, genau das war es gewesen. Ein Gag. Ein SpaÃ. Es war der Gruppenleiter gewesen, der sich verkleidet hatte. Chriss hatte ihn selbst
gefragt, ob er Interesse daran hätte, Lilly zu ärgern. Er hätte wissen müssen, dass sie so reagierte ...
"Er hat sich von dir getrennt, um mit der Kuh zusammenzusein, die dir das eingerockt hat?" Leon kam nicht mehr aus dem Staunen heraus.
"Ja. Ich weià auch nicht, warum. Er kam an, sagte, er hätte keine Lust mehr, er könne es nicht mehr ertragen, mit mir zusammen zu sein und hat mir dann gesagt, dass er mit Cora zusammen sein will."
"Mein Gott, was für ein Idiot."
Sie blickte auf ihre FüÃe. "Als ich damals abgehauen bin ... ich habe ihm sogar Zeit gelassen, mich zu finden. Ich wusste, wenn er mich finden wollte, dann konnte er es und tat es. Ich habe drei Stunden lang an dem Steg gesessen und habe auf ihn gewartet."
~Flashback~
Schniefend saà Lilly auf dem Steg, starrte ins Wasser. Sie würde auf ihn warten. Ein paar Minuten, vielleicht eine Stunde ...
Sie griff in den Koffer neben ihr und holte einen Packen Taschentücher raus. Ja, sie würde weglaufen, wenn Chriss nicht kommen sollte. Es war alles schon geklärt. Sie würde bei ihrem Vater wohnen, ihre Vergangenheit vergessen und ein neues Leben aufbauen.
'Warum hat er das getan?', fragte sie sich. 'Warum hat er mich in der schwersten Zeit meines Lebens alleine gelassen? Warum musste er gerade wegen Cora mit mir Schluss machen? Es könnte jede sein, selbst Clarissa, aber warum gerade Cora?'
Eine Minute verging, dann eine Stunde, aber Chriss tauchte nicht auf. Er rief nicht an, meldete sich nicht bei ihr. Sie wusste, dass sie eigentlich selbst Schuld daran war, denn schlieÃlich war sie es gewesen, die aufgehört hatte, mit Chriss zu reden. Aber ... wenn sie schon nicht mehr zusammen waren, hätten sie dann nicht wenigstens noch Freunde sein können?
Nein, die Liebe war zu stark, es gab zu viele Gefühle zwischen ihnen, die nicht einfach auszulöschen waren.
Warum tat er ihr das aber an? Wusste er nicht, wie sehr er sie damit verletzte? Das es sogar mehr wehtat, als ein Schlag ins Gesicht? Wusste er denn nicht, dass sie ihn zu sehr liebte, um sauer auf ihn zu sein? Sie war doch nicht sauer. Sie war verzweifelt.
Sie hatte nie an Herzschmerz, an Liebeskummer geglaubt, sie hatte so etwas nie durchmachen müssen, weil Chriss sie nie alleine gelassen hatte, weil er immer für sie da gewesen war. Bis jetzt. Jetzt wusste sie genau, wie sehr jemand einem das Herz brechen konnte, wie sehr es schmerzen konnte ...
'Noch ein paar Minuten', sagte sie sich, als zwei Stunden verstrichen waren. Chriss würde schon noch kommen ...
Sie sah auf das sich sanft kräuselnde Wasser und die Erinnerungen schlugen auf sie ein.
Chriss, als er in das Zimmer gestürmt kam, in das Julian sie entführt hatte.
Chriss, wie er auf Julian einprügelte, ihn immer wieder anbrüllte, dass er kein Recht hatte, sie anzufassen.
Chriss, wie er in den darauf folgenden Tagen immer bei ihr vorbei kam, sie tröstete oder aufheiterte.
Chriss, wie er sich plötzlich verändert, sich zurückgezogen hatte.
Chriss, wie er ihr mitten ins Gesicht log, behauptete, es wäre nichts, er hätte keine Zeit, er hätte noch etwas vor.
Chriss, als er vor ihr stand und sagte, er wolle sich von ihr trennen, weil er jetzt mit Cora zusammen war.
Sie brach in Tränen aus, wünschte sich, sie hätte nie eingewilligt, sich mit Cora zu treffen oder sich von ihm zu trennen. Wünschte sich, sie hätte um ihn gekämpft, solange, bis er wieder ihr gehörte, bis er wieder ihr bester Freund, ihr Chriss war. Bis sie wieder glücklich mit ihm war ...
Als die dritte Stunde um war, stand Lilly auf. Er würde nicht kommen. Nicht mehr. Wahrscheinlich war er jetzt bei Cora, vieleicht unterhielten sie sich voller Verachtung über sie ...
Mit schmerzender Seele und schwerem Herzen zog sie ihren Trolley hinter sich her und verschwand.
Hätte sie wirklich an die Liebe geglaubt und hätte sie Chriss vertraut, dann hätte sie noch länger gewartet. Und sie hätte Chriss gesehen, der in dem Moment, in dem sie ging, auf der Wiese auftauchte und sich deprimiert und verzweifelt an den Steg setzte ...
~Flashback Ende~
"Du wartest drei Stunden auf jemanden, der dich sitzengelassen hat?" Er konnte es nicht fassen.
Lilly zuckte mit den Schultern. "Ich war vierzehn und naiv."
"Eine Frage." Er räusperte sich. "Warum hast du mir das alles erzählt? Ich meine ... ich habe nichts dagegen, aber ... wir haben uns gerade erst kennen gelernt."
"Ich habe jemanden gebraucht, der mir zuhört.", erwiderte Lilly mit einem traurigen Lächeln. "Jemanden, der ihn nicht kennt und der mich nicht kennt. Der keine ... Vorurteile hat oder voreilige Schlüsse zieht. Verstehst du? AuÃerdem hatte ich das Gefühl, du brauchst selbst einmal Alenkung, da habe ich dich zugequatscht."
Leon nickte. "Gut. Wenn du willst, kannst du ja mal wieder kommen. So wie's aussieht, bin ich noch 'ne Weile ans Bett gefesselt."
"Ja, drei Tage und dann brauchst du noch mindestens zwei Wochen Ruhe." Sie stand auf. "Ich hoffe, es geht dir jetzt besser. WeiÃt du, du musst dir nicht gleich das Leben nehmen wollen. Du bist nicht der Einzige, der solch einen Kummer in sich trägt. Ich habe so etwas auch schon durchgemacht. Es ist nicht schön ... du kannst dich ja bei mir melden, wenn du reden willst."
Du kannst dich ja melden ... Das selbe hatte sie gestern erst zu Chriss gesagt, als sie ihn noch nicht erkannt hatte. War sie wirklich so naiv und bot jedem ihre Hilfe an? War deswegen ihre Beziehung mit Ryan so aus den Fugen geraten? War ihr deswegen all das widerfahren?
"Hey, Lilly!", rief Nicole, von allen Nicc genannt und ihre engste Freundin hier, ihr zu, als sie die Tür zu Leons Zimmer schloss und sich müde durch die Haare fuhr. Warum hatte sie auch die ganze Vergangenheit wieder herausbuddeln müssen, jetzt, wo es ihr gelungen war, ihr Leben halbwegs in Ordnung zu bringen? Ach ja, Chriss war wieder da. Oder besser gesagt: Sie hatten sich wiedergetroffen. Und ihre Gefühle für ihn hatten sich nicht geändert.
"Ja?" Sie trat an die Rezeption, an der Nicc heute arbeitete.
"Irgendso ein Typ war gerade für dich da. Er wollte dich unbedingt sprechen. Als ich ihm gesagt habe, wo du bist, stand er erst wie versteinert an der Tür zu Zimmer 352 und dann kam er wieder her und wollte dir bloà eine Nachricht hinterlassen. Hier." Nicc reichte ihr einen Zettel.
Ich habe Hannah erzählt, dass wir uns getroffen haben, und jetzt will sie dich unbedingt wiedersehen.
Ruf sie bei der Arbeit an, sie ist dort immer zu erreichen.
073/3852764
Chriss
Also war Chriss hier gewesen? Er hatte an der Tür zu Leons Zimmer gestanden?
"Oh mein Gott!" Lilly schlug sich die Hand vor den Mund.
"Was ist?" Nicc musterte ihre Freundin neugierig.
Er hatte alles mitgehört! "Nein, nein, nein!" Verzweifelt schlug sie sich immer wieder die Hand gegen die Stirn.
"Kennst du den Typen? Er sah richtig schnuckelig aus. Wie alt ist er?"
"Er ist ein alter Schulfreund." Und er hatte alles mitgehört! "Ich kenne ihn von früher. Er ist 25."
"Oh." Nicc nickte zufrieden. "Das passt. Ich bin gerade 24."
"Ja, ich weiÃ."
Nicc sah sie an. "Wirst du ihn anrufen?"
"Ich weià es nicht."
Es war die Wahrheit. Sie wusste nicht, ob es gut oder schlecht war, dass sie Chriss wiedergetroffen hatte. Und genausowenig wusste sie, ob sie froh sein sollte, ihn wiedergetroffen zu haben, oder ob sie Angst davor haben sollte, was ihre Zukunft für Auswirkungen auf sie - oder auf Ryan - haben könnte.
Nur eines wusste sie sicher: Sie wollte Hannah auch unbedingt wiedersehen ...
eigentlich sollte ich ja um diese uhrzeit im flugzeug nach korea sitzen, aber dann gab's probleme mit den sitzen (ich fliege nur standby weil mein vater bei lufthansa arbeitet) und ich konnte nicht mitfliegen -.- den ganzen tag verschwendet, nur um wie eine irre durch den ganzen flughafen zu rasen
naja, hoffentlich klappt's nächste woche ...
bis dann, silbernerschatz