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Noch einmal mit Gefühl!
âDer Tränen Gabe, sie versöhnt den grimmsten Schmerz,
sie flieÃen glücklich,
wenn´s im Innern heilend schmilzt.â
Johann Wolfgang von Goethe, Pandora
Die Papiertaschentuchindustrie kann sich glücklich schätzen. Zwar ist keine Grippe-Welle in Sicht, aber das Gilmore-Ende hatte die gleiche wirtschaftliche Wirkung gehabt: Umsatz, Umsatz, Umsatz!
Ich lese mich nun schon seit 2 Tagen durch die Foren und die Eindrücke derjenigen, die den Mut hatten, die letzte Folge anzusehen, sind wirklich anrührend. Ich gestehe mehr oder minder freimütig, ich verneine die Realität und Versage mir selbst das Ende. Was nicht ist, kann nicht sein! Punkt! Zumindest heute, morgen ist auch noch ein Tag.
Auffallend ist aber, dass viele schreiben, eigentlich zu wissen, dass es NUR eine Serie ist, aber trotzdem der Schmerz, die Trauer so real wäre, wie im richtigen Leben.
Leiden wir alle am Realitätsverlust? Ist das die moderne Form der Schizophrenie, nicht mehr zu wissen, was real und was konstruiert ist? Hat uns das Fernsehen und das Internet das Hirn schon so weich gespült?
Nun, durch die Jahrhunderte hindurch haben sich Menschen Ideen und Unterhaltungsformen angeschlossen und auch dabei teilweise sehr extreme Formen entwickelt. Man erinnert sich nur an die Erzählung von Goethe âWertherâ, danach setzte unter jungen Männern eine Selbstmord-Welle ein. Alles wegen einer Geschichte. Das gleiche passierte nach dem Erscheinen von âFrühlingserwachenâ von Wedekind.
Immer dann, wenn die Identifikation mit einem Stoff einen emotional tief berührt, man entweder sein eigenes Leben widerspiegeln sieht oder geheime Wünsche geweckt werden, verschwimmen schnell die Grenzen zwischen Sein und Sein-könnte!
Nochmals Goethe:
âWer nie die kummervollen Nächte/ Auf seinem Bette weinend saÃ/Der kennt auch nicht, ihr himmlischen Mächteâ.
Also warum für solche Gefühle schämen? Man kann ja heute schon fast froh sein, dass man emotional nicht völlig abstumpft ist. Kaum macht man den Fernseher an, trifft einen die ganze Härte der Welt: Kinder werden aus dem Fenster geschmissen, weil man für sie keine Verwendung hat, Menschen laufen Amok, die Natur schlägt beinhart zurück, es brennt an allen Ecken lichterloh, in Afrika verhungert man oder stirbt massentauglich an AIDS. Wir sitzen derweil auf dem Sofa und dösen langsam weg.
Nun gut, man könnte jetzt natürlich behaupten, dass es erschreckend ist, dass man darüber nicht weint, sondern seinen Tränen freien Lauf lässt bei dem Serienfinale von Gilmore girls. Aber ich glaube, es ist ein gutes Zeichen von Menschlichkeit, wenn man sich überhaupt noch traut, Emotionen zu zeigen UND darüber öffentlich schreibt. Ein Anfang!
Besonders in einer Zeit, wo es in der Fernsehunterhaltung Quote macht, wenn Leute von anderen öffentlich schäbig heruntergeputzt werden, weil sie sich etwas trauen. Zu singen, zu tanzen, etwas zu wagen. Es ist schon perfide, das als Unterhaltung zu bezeichnen.
Aber ich komme vom Thema ab.
âWohl denen, die Tränen habenâ, schreibt Goethe in einem Brief (und damit beende ich heute meine Liaison mit Herrn Goethe J).
Und das rufe ich Euch auch zu. Ob Serie, Buch, Kinofilm oder CD, wer fühlen kann, ist eindeutig im Vorteil. Wer sich selbst auferlegt hat, dem Lauf des Lebens in höchstmöglicher emotionsloser Effizienz zu begegnen, verpasst die schönsten Augenblicke.
Und wer sich nicht von Lauren Graham´s Tränen rühren lassen kann, der hat was verpasst. Ob real oder inszeniert, töricht sind alle, die das lächerlich finden und sich heimlich Herz-Schmerz-Romane am Kiosk kaufen. Denn, ach, es schmachtet sich so schön, wenn es keiner sieht!
© Koile 2007