Der Fernseher läuft, Charlieâs Angels, und auch in Folge 83 noch immer kein Charlie in Sicht, zumindest nicht sein Gesicht⦠ob er wohl gut aussieht? Ein fescher Millionär, der sein Geld nicht in Antiquitäten investiert, sondern in eine Gegensprechanlage und drei schicke Ladys. Topmodische Agentinnen, die es trotz High Heels schaffen, sämtlichen kriminellen Elementen das Handwerk legen. Dabei natürlich richtig gut aussehen, selbst nach dem hitzigsten Gefecht keine Knitterfalten in ihren kurzen Röcken, den Fönfrisuren könnte vermutlich nicht einmal ein Tornado etwas anhaben. Lang lebe der Ideenreichtum amerikanischer Fernsehmacher, denkt Lorelai, baut ihnen ein Monument!
Sie lässt sich täglich stundenlang von ihrem neuen Freund berieseln, hat ihm sogar einen Namen gegeben, Thaddäus. Hängt auch jetzt in einem Sessel und sieht fern, die Beine baumeln über die Lehne, im Rücken ein Kissen, die Fernbedienung auf dem Bauch.
Der Bauch. Sie hasst es nur noch in unförmige Kleider zu passen, dankt dem Himmel, dass Leggins en vogue sind. Bei Jeans hätte sie endgültig verloren. Trotzdem hat sie sich an ihn gewöhnt, mag ihn sogar irgendwie. Vor allem, wenn das Baby sich darin bemerkbar macht, wie wild Purzelbäume zu schlagen scheint. So als wolle es sagen, hey, hier bin ich, lass mich endlich raus, so gemütlich es hier auch ist, ich langweile mich. Sie liest ihm jeden Abend vor, die Märchen der Gebrüder Grimm, Mary Poppins, Dr. Dolittle, Alice im Wunderland. Gott, sie liebt dieses Buch, weià selbst nicht warum, aber es hat irgendwie etwas Tröstliches an sich. Dumm nur, denkt sie sich jedes Mal, dass es in Wirklichkeit keine Löcher gibt, die in ein Land voller Grinsekatzen, Kartensoldaten und sprechender Kaninchen führen. Eine Stunde Freiheit inmitten der wahnwitzigen Figuren Lewis Carrolls und sie wäre ein neuer Mensch, dafür würde sie sogar Tee aus viel zu kleinen Tassen trinken. Aber es gibt kein Wunderland, kein Spiegelland, was sollâs, dann muss sie sich eben irgendwie hier in Emilyland beschäftigen. Wer auch immer der Erfinder des Fernsehens war, auch ihm wird sie eines Tages ein Denkmal errichten.
Ein leises Klopfen lässt sie herumfahren, die Tür zu ihrem Zimmer öffnet sich und sie knipst den Fernseher aus, als Christopher den Raum betritt, richtet sich auf und versucht die Beine zu einem Schneidersitz zu verschränken, erfolglos.
âErinnerst du dich, an die Folge in der Pipi in diesem Fass den Wasserfall runter geschwommen ist?â, fragt sie, verschwendet keine Zeit damit ihn zu begrüÃen. Sie weià nie wie sie es machen soll. Früher wäre sie ihm um den Hals gefallen und hätte ihn geküsst, aber jetzt. Nicht nur, dass der Bauch im Weg wäre, nein, es gibt auch andere Dinge, die sie trennen, Dinge bar jeder physischen Gestalt.
Christopher schüttelt verwirrt den Kopf, tritt ein paar Schritte auf sie zu. âUnd?â
âSie ist in das Fass reingeklettert, ich habe es verschlucktâ, entgegnet sie grinsend, hievt sich nach oben. Wenn sie gewusst hätte, dass er kommt, dann hätte sie zumindest einen schmeichelhafteren Pullover angezogen und nicht dieses bequeme, aber unförmige Wollteil. Sie sieht darin bestimmt wie eine arkansische Hausfrau aus, die in ihrem gesamten Leben noch kein einziges Modemagazin zu Gesicht bekommen hat.
âWas?â, er runzelt die Stirn, ist ein wenig überfordert mit diesem unerwarteten Bodycheck. Er findet sie sieht hübsch aus, schwanger, aber hübsch. Irgendwie.
âIch bin fettâ, erklärt sie in beinahe innbrünstiger Ãberzeugung.
âRed keinen Unsinn, Lorelai. Du bis nicht fett.â
âHallo? Ich habe 5 Kilo zugenommen.â Die Waage, ihr Erfinder gehört gesteinigt, geteert und gefedert, in einer Schandgeige auf den Times Square gestellt. Die Yuppiefrauen New Yorks hätten bestimmt ihre helle Freude daran ihm die Meinung zu sagen.
âDas heiÃt doch nur, dass das Baby wächstâ, versucht er sie unschlüssig umzustimmen.
â5 Kg? Hallo? Kein einzelnes Baby kann fünf Kilo wiegenâ, sie tätschelt ihren Bauch liebevoll. âUnd wenn es nicht das Baby ist, das so fett ist, dann bin ich es.â
âLorelaiâ¦.â, setzte er an, doch sie unterbricht ihn, will keine Komplimente hören, von denen sie nicht weiÃ, ob sie tatsächlich ehrlich gemeint sind.
âFett, fett, fettâ, sie lässt sich auf das Bett fallen, greift nach einer Tüte Chips, wirft sie jedoch gleich wieder im hohen Bogen durch das Zimmer. âFett.â
Er bückt sich, beginnt beinahe hilflos die verstreuten Chips einzusammeln. Kommt sich fehl am Platz vor, wie so oft in letzter Zeit. Er weiÃ, er sollte sich auf das Baby freuen, aber es erscheint ihm so abstrakt, so surreal, ein Zaubertrick. Hier sehen sie die zersägte Jungfrau, und hallo, was ist denn das? Na so was! Unsere Jungfrau scheint so jungfräulich nicht mehr zu sein, da sehen wir doch tatsächlich ein Baby in ihrem zersägten Bauch. Eine tolle Nummer, finden sie nicht auch?
Lorelai beobachtet ihn, fragt sich, ob sie ihn an dieser seltsamen Aufräumaktion hindern soll, lässt ihn weiter machen. Wenn er aufräumen will, bitte. âWie warâs auf dem Abschlussball?â
Er sieht erstaunt auf, der Ball. Er hatte gehofft, sie würde ihn nicht erwähnen. âIn Ordnungâ, eine Lüge, es war furchtbar. Er wollte nicht hingehen, seine Eltern bestanden darauf. Nur weil sie Lorelai nicht hineinlassen, heiÃt das nochlange nicht, dass du fern bleiben wirst. Du bist ein Hayden, du hast Haltung zu bewahren.
âIn Ordnung?â, hakt sie nach, will alles ganz genau wissen, ihr fällt die Decke auf den Kopf, Dick van Dyke und Don Johnson sind keine sonderlich gesprächigen Zeitgenossen, auch Babys Wortschatz beschränkt sich noch auf ein paar gezielte FuÃtritte. Die einzigen Momente in denen sie Tageslicht sieht, sind diese bescheuerten Spaziergänge auf die ihre Mutter besteht, auf denen sie natürlich begleitet wird, sie könnte ja in Versuchung geraten, einen Abstecher in eine Bar zu machen oder in die Fänge des örtlichen Mädchenhändlerrings geraten. Bullshit.
âTja, ja, so wie Abschlussbälle eben sind. Schlechtes Essen, eine noch viel schlechtere Band, jede Menge Flachmänner, jede Menge kotzender Absolventen. Georgia Gallaham hat ihr Chanel-Kleidchen ruiniert, das war kein schöner Anblickâ, er schüttelt sich und sie beginnt leise zu kichern, also macht er weiter, will wenigstens etwas Sinnvolles tun. Und wenn es nur ist, sie zum Lachen zu bringen. âVor allem da sie Fitzie Herberts in voller Breitseite miterwischt hat. Ebenfalls Chanel. Sagt sie. Könnte aber auch ein billiges Model aus dem Kaufhaus gewesen sein. Jedenfalls hat man sie nicht zur Ballkönigin gewählt.â
âWie furchtbar. Sie wird sich von einer Brücke stürzen.â
âOder an einer Alkoholvergiftung sterben.â
âVielleicht heiratet sie ja auch einen ungemein wichtigen Kerl, um diesen Schandfleck in ihrem Lebenslauf auszulösc-â, sie senkt ihre Stimme, wird mit jedem Wort leiser, wird sich bewusst, was sie da sagt, bricht ab. âKlingt doch so, als hättest du viel Spaà gehabt.â
âEin wenigâ, er schluckt, setzt sich neben Lorelai, starrt ihren Bauch an. âWie gehtâs dir so? Wie gehtâs euch so?â, auch seine Stimme ist leise, als stelle er eine verbotene Frage.
âWenn man davon absieht, dass wir fett sind. Gut, doch, ja.â
âMeine Eltern haben mir zum gelungenen Schulabschluss eine Reise nach Europa geschenktâ, platzt er heraus, wechselt das Thema, verdreht innerlich die Augen, weil er so unvermittelt mit dieser Neuigkeit herausgeplatzt ist.
âWowh, Europaâ, sie ringt sich ein Lächeln ab. âDas ist doch toll.â
âIch denke ich werde nicht fahren.â
âWarum denn nicht? Du wolltest doch nach der Schule immer nach Europa.â
âMit dirâ, es wäre bestimmt witzig geworden. Lorelai und er in Europa, ausgefallene Partys, Tanzen bis in die späte Nacht, heimliche Küsse in alten Kirchen und Schlössern, Spaà haben ohne Rücksicht zu nehmen. Endlich frei sein.
âSie würden mich gar nicht erst in den Flieger lassen. Das Ding würde schneller zur Seite kippen, als du Schlagseite sagen kannstâ, sie lächelt, Europa. Es wird wohl eine Weile dauern, bis sie den alten Kontinent zu Gesicht bekommt. Und wenn Christopher die Chance hat. Seine Eltern ihm diese Chance geben. Sie ihm vermutlich nur geben, um ihn von ihr fernzuhalten â er sollte fahren. Zwischen ihnen ist alles so kompliziert geworden, ein wenig Abstand wird ihnen vermutlich ganz gut tun. âIch finde du solltest dieses groÃzügige Angebot nicht ausschlagen. Mit oder ohne mich, es wird bestimmt toll. Und wenn du in Mailand bist, kannst du mir gleich was aus der Frühjahrskollektion mitbringen. Ich hoffe, dann kann ich so was auch wieder tragen.â
âHör auf, du bist wirklich nicht fettâ, weicht er aus. Er weià ihr Angebot zu schätzen, würde wirklich gerne fahren. Aber er will sie nicht im Stich lassen, hat ohnehin ständig das Gefühl es zu tun. Sie geht so souverän mit der ganzen Situation um, hat allen und jedem die Stirn geboten, während er - er verhält sich wie ein Feigling. Anstatt sie gegen die Kommentare zu verteidigen, hat er den Mund gehalten, nie gewusst, was er sagen sollte. Sich verzweifelt gegen das Gefühl des Schams gewehrt, dass manchmal in ihm hochstieg. Es auch jetzt noch tut, obwohl er doch eigentlich stolz sein müsste. Er wird schlieÃlich Vater. Er müsste sich darauf freuen, will sich darauf freuen, aber es gelingt ihm einfach nicht. Dafür hat er zuviel Angst.
âUnd du bist wirklich blöd, wenn du nicht fährst.â Je länger sie darüber nachdenkt, desto mehr will sie, dass er fährt. 5000 Meilen Wasser zwischen ihnen â er wird sie bestimmt vermissen, sie und das Baby. Und wenn er zurückkommt, wird alles besser sein, gut sein.
âIch wäre aber erst Ende September wieder zurück.â Zwei Monate. Eine lange Zeit. Zwei Monate ohne Lorelai. Eine Ewigkeit. Seit sie Vier waren, ist kaum ein Tag vergangen an dem sie sich nicht gesehen haben. Kindergarten, Schule, Ferienlager. Alles haben sie gemeinsam erlebt. Beinahe wie ein altes Ehepaar, wie ein altes Ehepaar. Sie wissen alles übereinander, es gibt niemanden, der ihn so gut kennt wie Lorelai. Es gibt niemanden, den er so sehr liebt wie Lorelai. Warum fällt es ihm dann so schwer auch das Baby zu lieben? Ãberhaupt etwas für es zu empfinden?
Sie mustert ihn, wartet. Ergreift schlieÃlich selbst das Wort. âGerade rechtzeitig, bevor sich das Kücken aus dem Ei schältâ, sagt sie fröhlich. Fragt sich, was gerade geschieht. Was mit ihnen geschehen ist.
Er holt tief Luft, gibt dabei ein leises Zischen von sich, nickt. âTja dann.â
âJa, dannâ, auch sie nickt, nickt und lächelt. Hofft, dass sie überzeugend wirkt, etwas muss sie schlieÃlich von ihrer Mutter gelernt haben.
Er steht auf, drückt ihr einen Kuss auf die Wange. Ãberlegt, ob er ihr über den Bauch streichen soll, lässt es, er käme sich albern dabei vor.
To be continued.
ATN: So, ein Teil für alle Balconyâs â¦. Wobei ich leider auf wilde Knutschereien verzichten musste, da es so besser zur Story passt. Hoffe es gefällt euch trotzdem
Riska
PS: Danke für's FB, auch wenn's scheinbar nicht nötig ist.... Rapunzel will aber nämlich trotzdem dennoch Reviews! Sonst stürzt sie sich aus dem Turm*G*