manchmal kann ich das
gar nicht glauben
wie fremd
du mir vorkommen kannst
wenn ich dich
einmal richtig ansehe
ich staune
wer da plötzlich
vor mit steht:
sichtbar
durch den riÃ
mitten durch das bild
das ich mir
von dir gemacht hab.
für einen kurzen moment
ist alles
völlig neu.
hans-curt flemming
ACHT
Ein schlichtes Lokal, kleine Tische, weiÃe Tischdecken darauf und gelb gestreifte Abdecker. Eine schmale Vase ziert jeden von ihnen, Blumen darin, Astern deren dunkles Violet sich kräftig von den schmucklosen Kalkwänden abhebt. Abgesehen von zwei alten Männern, tief über ein Schachspiel gebeugt, ist dieser Ort wie leergefegt. Der Kellner lehnt gelangweilt am Tresen, starrt zu den Fenstern hinaus, die Blick auf eine kleine NebenstraÃe geben.
Er dreht den Kopf, den Bruchteil einer Sekunde bevor die Tür sich öffnet, ein kühler Windstoà herein bläst, sie mit sich bringt. Trotz des neuen Gastes, macht der Kellner keine Anstalten sich zu bewegen, doch William tut es, er springt auf, hilft ihr aus dem Mantel. Fühlt sich versucht, sich länger Zeit zu lassen, als nötig, während er sich ihrer letzten Begegnung erinnert, feststellt, dass es noch immer derselbe Geruch ist, der sie umgibt. Wenigstens das hat sich nicht geändert, denkt er, als er ihr den Stuhl zurechtrückt, sie die Hände faltet, locker nur, doch er kann es sehen, er sieht, dass sie ebenso nervös ist wie er. Doch im Gegensatz zu ihm nicht vor Freude, sondern aus Unbehaglichkeit.
Er setzt sich ebenfalls, winkt den Kellner heran, der sich nur widerwillig in Gang setzt, gerade so, als müsste er sich dazu zwingen. Mit gedämpfter Stimme ordert er Wasser, die Speisekarten, sie starrt währenddessen die Blütenblätter an und schweigt.
âDanke, das du gekommen bistâ, sagt er, als der Kellner weg ist, ein schwaches Blinzeln ist die einzige Antwort. âSchön dich zu sehenâ, das ist es, ebenso, wie du. Wie kommt es, fragt er sich, wie kommt es, das sich auch daran nichts geändert hat, das ich dich noch immer schön finden kann, mir die feinen Linien in deinem Gesicht wie eine Bereicherung, und nicht wie ein Makel erscheinen.
Sie sieht ihn an, sieht ihm direkt in die Augen. Nein, scheint ihr Blick zu sagen, das ist es nicht. âJaâ, sagen ihre Lippen. Weshalb bin ich hier?, fügen ihre Augen hinzu.
âIch habe dich um dieses Treffen gebeten, weil ichâ, setzt er daher an, bricht jedoch ab, nimmt die Speisekarte entgegen, sie tut dasselbe, legt sie auf den Tisch, streicht über den Einband. Auch er legt die seine beiseite, greift nach dem frisch eingeschenkten Wasser, benetzt sich die Lippen damit, befeuchtet seinen ausgetrockneten Gaumen. âIch könnte dich jetzt mit einem ausschweifenden Bericht über die Situation von Peco langweilenâ, beginnt er erneut, lächelt dabei. âAber ich will es kurz machen, Emily. Die gegenwärtigen Umstände verlangen eine kleine Neuorientierung. Dazu gehört unter anderem die Ausarbeitung neuer Policen, mit der ich Richards Firma beauftragt habe. Genauer gesagt ihnâ, er macht eine kleine Pause, doch sie nutzt sie nicht, um etwas zu erwidern. âIch wollte, dass du es weiÃtâ, fährt er also fort. âGenauso, wie ich will, dass du damit einverstanden bist. Denn wenn du es nicht bist, werde ich selbstverständlich Abstand davon nehmen.â
âNein, Williamâ, sie lächelt matt, während sie ihm schnell widerspricht. âDas musst du nicht. Es ist ein Geschäft, nicht wahr? Ein Geschäft, nicht mehr und nicht weniger.â
âGutâ, er greift zur Speisekarte. âUnd jetzt, wo wir das geklärt haben, sollten wir vielleicht bestellen.â
âIch halte das für keine gute Ideeâ, entgegnet sie.
âHier zu essen oder zusammen zu essen?â
Sie ringt sich ein weiteres Lächeln ab. âWilliam, egal, ob du und Richard, ob ihr Geschäfte miteinander macht oder nicht, es betrifft mich nicht. Du hättest mich nicht einmal darüber informieren müssenâ, er hat es schlieÃlich auch nicht getan. âUnd nur, weil ihr wieder in Kontakt zueinander steht, heiÃt das nicht, dass wir es auch müssen. Im Gegenteil, ich will es nicht. Ich kann es nicht. Ich kann nicht hier mit dir sitzen, als ob nie etwas gewesen wäre.â
âWar, Perfektum, Emily, Vergangenheit. Vergangen und vergessen. Was auch immer zwischen uns war, es ist -â
âUns?â, fällt sie ihm ins Wort. âUns? Welches âunsâ meinst du? Dich und mich? Oder dich und meine Tochter?â, zischt sie und steht auf, reiÃt ihre Handtasche, ihren Mantel an sich und hat Mühe nicht zu rennen, als sie das Lokal verlässt.
Er gibt sich die Mühe nicht, wirft ein paar Dollarnoten auf den Tisch und spurtet ihr hinterher, packt sie an der Schulter, hindert sie am Weitergehen. âEs tut mir leid, Emily. Glaub mir, es tut mir leid. Ich wollte das nicht. Es war dumm von mir, so unglaublich dumm. Und wenn ich es ungeschehen machen könnte, dann würde ich es tun.â
âWarum, William? Warum? Nach all den Jahren, warum tauchst du da wieder auf? Tauchst auf und hast die Frechheit mir zu sagen, dass es dir Leid tut. Warum hast du es nicht einfach auf sich beruhen lassen können? Es bestand keinerlei Anlass, dass du dich bei mir meldest.â
âDen gab es.â
âAch ja? Und welchen?â
âRichard und ich ââ
âDas hättest du mir auch am Telefon sagen könnenâ, würgt sie seine Antwort ungehalten ab.
âIch wollte dich aber sehen.â
Entgeistert sieht sie ihn an. âWeswegen?â
âWeil ich dich liebe, Emilyâ, nein, mahnt er sich, so war es nicht geplant, verflucht, so war es nicht â âIch habe es immer getanâ, setzt er dennoch hinzu. Was auch immer er sich davon erhofft hat, ihre Reaktion war es nicht.
âAuch als du mit Lorelai geschlafen hast? Als du es mir gesagt hast, während du mit mir geschlafen hast?â, ein Schrei, obwohl ihre Stimme nicht laut dabei wird.
Er atmet scharf ein. âBitte, Emily, lass es uns einfach vergessen.â
âVergessenâ¦.?â, Verständnislosigkeit spiegelt sich in ihrem Gesicht, ihren Worten, Verständnislosigkeit die sich endgültig in blanken Zorn verwandelt. âSie war doch noch ein Kind! Wie konntest du so etwas tun? Warum sollte überhaupt jemand so etwas tun?â, ihre Worte hallen durch die StraÃe, prallen von den Häuserwänden ab, erschrockene Tauben, aufgeregtes Flügelschlagen und Gurren.
âWeil ich dir wehtun wollte, ich wollte dir so wehtun, dass du es niemals vergessen würdest, dich mehr verletzen, als du es jemals für möglich gehalten hättest. Wenn du mich schon nicht lieben konntest, dann solltest du mich wenigstens hassen. Ich wollte, dass du mich hasst, ich wollte, dass er mich hasst. Das er einmal, nur einmal in seinem Leben sieht, wie es ist zu verlieren.â
âDu hast ja keine Ahnungâ, ihre Wut ist plötzlich verflogen, ganz sanft klingt sie, sanfte Melancholie, wie ein warmer Sommerregen, der dem Ausflug zum Strand ein frühzeitiges Ende bereitet hat. âRichard hat schon vor langer Zeit verloren. Und ich ebenso. Die Einzige der du wirklich geschadet hast, war Lorelai. Und sie, sie hat doch mit all dem nichts zu tun.â
âAber ââ
âIch würde jetzt gerne gehen, William, bitte.â
Erst jetzt bemerkt er, dass er sie noch immer am Arm hält, es die ganze Zeit getan hat. Er lässt sie los, murmelt eine Entschuldigung dabei, doch sie hört ihn schon nicht mehr, ist schon längst auÃer Reichweite.
***
Im Dragonfly herrscht reges Treiben. Sonntag, Menschen checken aus, Menschen checken ein, für die einen endet das Wochenende, endet der Urlaub, für die anderen beginnt er. Ungeachtet all dessen steht sie an der Rezeption, trommelt mit den Fingern auf den Empfangstisch, wartet dort auf ihre Tochter. Obwohl es keine Minute ist, kommt es ihr doch wie eine Ewigkeit vor. Unendlich viel Zeit, in der die Ungeduld und die Ungewissheit sich mit einem unangenehmen, nervösen Prickeln in jeder Faser ihres Körpers manifestieren, greifbar werden, unerträglich.
âLorelai!â, ruft sie aus, als ihre Tochter sich schnellen Schrittes nähert.
âMomâ, entgegnet diese gehetzt, ihr Gesicht zeigt alles andere als Freude über den unerwarteten Besuch.
âHast du eine Minute Zeit?â, sie versucht ruhig zu klingen, autoritär, kurzum sich nichts anmerken zu lassen.
âHat das nicht bis Freitag Zeit, Mom? Hier ist wirklich viel los und ââ
âDas hat es nichtâ, fällt Emily ihr ins Wort, bereut es sofort so überhastet reagiert zu haben, aber sie kann nicht warten, nicht mehr.
Lorelai stöhnt leise auf, deutet auf die Tür ihres Büros, schiebt ihre Mutter dorthin âAlso, was gibt es so dringendes?â, erkundigt sich, schlieÃt die Tür dabei, sperrt so das rege Gemurmel aus der Empfangshalle aus.
âIchâ, setzt sie an, kann nicht Weitersprechen, weià nicht, wie sie es sagen soll, nur das sie es sagen muss, fragen muss. Nicht mehr weiÃ, was Wahrheit, was Lüge ist, endlich die Wahrheit wissen muss.
âMom!?!â , sie verschränkt die Arme, lehnt sich gegen den Schreibtisch.
âEs geht um William Farnsworthâ, erwidert sie leise, ignoriert die Verwirrung im Gesicht ihrer Tochter. âIch muss wissen, wie, wie gut du ihn kennst.â
âWieso? Kennst du ihn denn?â
âDarum geht es hier nichtâ, weicht sie aus. âBitte, Lorelai. Wie gut kennst du ihn?â
To be continued