Das Dämmerlicht legt sich in das Zimmer, vermischt sich mit dem vagen Nebel aus Erschöpfung und Euphorie, der in der Luft steht. Violette Strahlen, welche das Zimmer in ein seltsames Licht tauchen, warm und geheimnisvoll. Es ist früh am Abend, dennoch ist er vorbei, ist alles geschehen, was hätte geschehen sollen, besser nicht hätte geschehen sollen â wer weià das schon? Sie am allerwenigsten. Es fühlt sich gut an, das ist alles. Wissen und Fühlen, konträr, verzwickt.
Er legt einen Arm um sie, küsst ihr braunes Haar, fühlt die Wärme, letzte Boten dessen was war. âBereust du es?â, fragt er in den Raum hinein, tut es klar und deutlich, Scham wäre am falschen Platz.
âNeinâ, entgegnet sie, versucht dabei einen neutralen Tonfall anzustimmen, ist sich aber nicht sicher, ob es ihr gelingt. âAber ich hoffe wir stimmen darüber ein, dass die Geschehnisse heute Abend keinen von uns beiden zu etwas verpflichten.â Wie auswendig gelernt es klingt, als hätte sie Tage über diesem Satz gebrütet, Wort um Wort zusammengefügt und wieder verworfen, Verben und Adjektive, Nomen und Pronomen solange vermischt bis sie am Ende ausdrückten, was sie denkt.
âIn Ordnungâ, stimmt er mit einem knappen Nicken zu, ist erleichtert und enttäuscht. âAllerdings kann ich nicht leugnenâ, setzt er also an. âDass ich einer Wiederholung besagter Geschehnisse nicht abgeneigt bin.â
Sie hebt die Augenbrauen, ein leises Zittern in ihrer Stimme. âAch nein?â
âIm Gegenteilâ, fährt er fort, will der plötzlich so seltsamen Atmosphäre wieder die verrauchte Leichtigkeit einhauchen. âIch habe es sehr genossen. Und soweit ich das beurteilen kann, ging es dir ebensoâ, ein leises Lachen ist ihre einzige Antwort, er nimmt es als Zusage. âDann sind wir uns also handelseinig?â
âKeine Verantwortung, keine Bänder, nichtsâ, will sie bestätigt wissen.
âKeine Verantwortung, keine Bänder, nichtsâ, wiederholt er ruhig.
âDann sind wir wohl handelseinigâ, seltsam dieses Wort â kann man über Emotion verhandeln? Scheinbar ja, weshalb also nicht schon früher?
âSehr schönâ, er zieht sie zu sich, beginnt sie zu küssen. Manche Dinge gehören nicht gesagt, nicht jetzt, vielleicht niemals. Sie erwidert den Kuss, Antworten ohne Worte, Antworten ohne Fragen. âWas tust du da?â, murmelt sie, als seine Hände unter die Bettdecke gleiten.
âIch erfülle nur meine vertraglichen Pflichtenâ, entgegnet er mit einem Lächeln, sie erwidert es, küsst ihn erneut und vergisst.
***
Falls Wangen brennen können, die ihren tun es, erleuchten die Nacht geradezu, tiefes Rot, dass mit dem Blau ihres Kleides konkurriert, sich der Farbe ihre Lippen anpasst. Sie weià nicht weswegen sie so wütend ist. Nein, sie weià es, will es nur nicht wahrhaben, es würde alles zerstören â wenn es nicht ohnehin schon kaputt ist. Anfänglich hat sie gehofft, es würde vergehen, eine Schwärmerei, kindlich, blauäugig. Aber das ist es nicht, es ist nach wie vor da, präsenter denn je, vermischt sich mit einer stechenden Eifersucht. Pennylin. Es ist nur ein Name, ein Gesicht, wie kann man jemanden hassen, den man gar nicht kennt? Wie kann man jemanden ob seines bloÃen Daseins hassen? Seit heute weià sie, dass es geht. Heute hat sie sie zum erste Mal gesehen, hat dieses vage Phantasiegeschöpf eine reale Gestalt angenommen, wurde so von einem Gespenst zu einem Menschen, einer realen Bedrohung für etwas, das gar nicht existiert.
Manchmal wacht sie mitten in der Nacht auf, ein seltsames Gefühl in der Magengegend, ein unbestimmtes Ziehen, ein Prickeln auf den Lippen, eine seltsame Leere in der Brust, weil er sich wieder in ihre Träume geschlichen hat. Es macht sie schwach, er macht sie schwach, dabei wollte sie es nie wieder sein, nie wieder wollte sie etwas anderes über sich bestimmen lassen, als Vernunft, jemand anderen, als sich selbst.
Sie lehnt sich gegen einen Baum, atmet die kühle Luft tief ein, versucht ihre Empfindungen zur Seite zu schieben, einen klaren Kopf zu bekommen, sie muss zurück zu der Party, Haltung bewahren, Contenance. Sie spürt es, spürt ihn, eine Hand auf ihrer Schulter, seine. Sie wendet sich ihm zu und sieht ihn an. Er öffnet den Mund will etwas sagen, kommt nicht dazu, weil sie sich ihm entgegenlehnt, sich auf Zehenspitzen stellt, ihn küsst, nicht anders kann. Kurz nur berühren sich ihre Lippen, ein warmer Schauer, der sie abgrundtief verunsichert, befriedigte Sehnsucht die eine dunkle Ahnung heraufbeschwört. Sie löst sich von ihm, starrt ihn an, starrt auf die Spiegelung ihrer selbst in seinen Augen, eine Frau, die sie nicht kennt. âTrenn dich von ihrâ, hört sie sich selbst sagen. âWenn du es nicht tust, dann will ich dich nie wieder sehen.â
Abrupt wendet sie sich von ihm ab, geht dennoch so langsam wie möglich zurück in das Verbindungshaus, lachende Menschen, Worte, Töne, Trubel. Es ist laut, viel zu laut. Und dennoch nicht laut genug, um die innere Stimme zu übertönen, eine Stimme, die ihr klar macht, was sie eben getan hat, dass es ein Fehler war. Sie hat gegen die Etikette verstoÃen, den Verlobten einer anderen geküsst, ihm gesagt er solle sie verlassen. Ein Fehler. War es das? Es war nicht fair ihm gegenüber. Sich selbst gegenüber jedoch, für sie selbst war es die einzige Möglichkeit es endlich zu beenden. Und egal wie es endet, solange es nur endlich in Gewissheit endet, so hat dieser Fauxpas doch seine Berechtigung.
***
Er setzt sich neben sie, reicht ihr eine blaue Tasse dessen Inhalt verführerisch dampft, der Geruch hingegen weckt andere Assoziationen bei ihr.
âWas ist das?â, erkundigt sie sich und blickt Naserümpfend auf die gelbliche Flüssigkeit.
âFenchelteeâ, erklärt er und sie verzieht das Gesicht noch mehr, stellt die Tasse neben sich.
âWillst du mich umbringen?â
âIm Gegenteil. Fenchel ist gut für den Magen und die Nerven.â
âWeder mein Magen noch meine Nerven benötigen irgendwelche ekelhaften Naturmittelchen, um zu funktionierenâ, erklärt sich in sichtlich gereizten Ton, tut es ein Mal zuviel, ihm platzt der Kragen.
âIn Ordnung, Lorelai, es reichtâ, ruft er aus, Schwangerschaft hin, Schwangerschaft her, als Entschuldigung lässt er sie jedenfalls nicht länger durchgehen. âLangsam habe ich genug von deiner ständigen schlechten Laune.â
âIch bin nicht schlecht gelauntâ, giftet sie, verschränkt die Arme dabei und schnaubt.
âAch nein? Die ganze Stadt wird dir in diesem Punkt widersprechen. Es gibt wohl keinen, den du noch nicht beleidigt oder angegiftet hättest.â
âDas stimmt doch überhaupt nicht!â, wehrt sie heftig ab.
âUnd ob es stimmt, seit Rorys Geburtstag benimmst du dich unmöglich. Egal was ich tue oder sage, egal wer auch immer was tut oder sagt, du wertest alles als persönliche Attacke auf dich.â
âNur weil ich diesen blöden Tee nicht trinken will, heiÃt das noch lange nicht, dass ich schlecht gelaunt bin. Nur weil ich Taylor sage, dass mir seine ständige Wichtigtuerei auf die Nerven geht, heiÃt das noch lange nicht, dass ich schlecht gelaunt bin. Und Kirk, Kirk sollte sich doch langsam wirklich im Klaren darüber werden, ob er den Rest seines Lebens als schlecht bezahlte Aushilfe verbringen will!â
âEr hat beinahe geweint!â
âEr ist alt genug, den Tatsachen in die Augen zu sehen. Und wenn er die Wahrheit nicht verkraftet, dann soll er sich doch weiterhin hinter dem Rockzipfel seiner Mutter verstecken.â
âHa! Da haben wir es!â
âDa haben wir was?â
âDas Schlagwort. M u t t e râ, betont er jeden Buchstaben mit Nachdruck.
âBlödsinn.â
âTiefsinn, Lorelai, Tiefsinn. Wie lange kennen wir uns jetzt? Zwölf, dreizehn Jahre? Und wenn ich in dieser Zeit etwas über dich gelernt habe, dann sind es drei Dinge. Erstens: Wenn du keinen Kaffee bekommst, bist du schlecht gelaunt. Zweitens: Wenn du Streit mit Rory hast, bist du schlecht gelaunt. Und Drittens: Wenn du nicht wegen Erstens oder Zweitens schlecht gelaunt bist, dann bist du es wegen deiner Mutter.â
âNette Analyse, Dr. Freud, aber leider ist sie falsch. Vollkommen falsch, fälscher als falsch.â
âRede mit mir, Lorelaiâ, fordert er sie in plötzlich sanftem Ton auf. âBitte.â
âDa gibt es nichts zu redenâ, lehnt sie die Aufforderung zerknirscht ab, doch er denkt nicht daran, sich abweisen zu lassen.
âNa schön, sie hat einen Fehler gemacht, aber sie ist deine Mutter. Findest du nicht, dass sie eine zweite Chance verdient hat?â
âEine zweite Chance?â, ein beinahe verzweifeltes Lachen, sie reibt sich die Schläfen. âDie Millionste, Luke. Es wäre die Millionste.â
âDann gib ihr die Millionste.â
Sie sieht ihn an, ein Lächeln, Dankbarkeit und Liebe. âDu verstehst das nicht. Es istâ, ein hilfloses Zucken mit den Achseln. âEs ist, wie wenn du in einer miesen Ehe steckst. Am Anfang versuchst du noch zu ignorieren, dass es nicht gut läuft, dass ihr euch dauernd streitet, dass es letztendlich wohl besser für dich wäre, wenn du dich trennst. Aber du willst dich nicht trennen, weil du sie liebst. Du liebst sie, obwohl sie dir nicht einmal ein Mindestmaà an Achtung entgegenbringt. Also schlagt ihr euch und vertragt euch wieder und wieder und wieder. Und irgendwann, letztendlich, egal wie weh es tut, da siehst du ein, dass du so nicht weiter machen kannst. Und du reichst die Scheidung ein. Denn niemand würde von dir erwarten, dass du den Rest deines Lebens mit einem Partner verbringst, der dich schlecht behandelt. Niemandâ, ein Schniefen, sie befeuchtet sich die Lippen und atmet tief durch. âUnd genau das habe ich getan, ich habe die Scheidung eingereicht. Denn für mich und meine Mutter, nein, Luke, das geht einfach nicht, es geht nicht. Egal wie weh es tut, es geht nicht. Und das habe ich endlich eingesehen, ich habâs begriffen. Egal wie sehr ich mir wünsche, dass wir eine normale Beziehung haben, dass wird niemals der Fall sein. Es würde immer nur noch schlimmer werden.â
Er erwidert nichts, legt stattdessen einen Arm um sie und sie bettet ihren Kopf auf seiner Schulter, weint leise in das Hemd ihres Mannes. Es ausgesprochen zu haben, macht es endgültig wahr. Es ausgesprochen zu haben, macht es ihr leichter. Dass er es weiÃ, macht es leichter. Keine Lügen mehr, wo sie nicht lügen will, lächerlich, dass sich in ihr manchmal noch immer etwas dagegen sperrt vollkommen offen mit ihm zu reden. Aber immer ehrlich zu sein, hieÃe das nicht Fehler eingestehen zu müssen? Zuzugeben, dass sie nicht perfekt ist? Und welcher Mann will schon eine Frau, die nicht perfekt ist? Wenn bei einem Wagen der Lack abblättert, will ihn schlieÃlich auch keiner mehr haben. Höchstens bis man genügend Geld für einen Neuen gespart hat.
To be continued.
ATN: Tut mir leid, leid, leid, dass ich euch solange auf einen neuen Teil warten hab lassen und dass er so kurz ist. Hoffe aber trotzdem, dass ihr euch zum Feedbacken bewegen lasst⦠Riska