Nachdenklich mustert er sie, nicht nur ihr Gesicht, die Augen, das Haar, es ist gerade so, als wolle er hinter sie sehen, in sie hinein, seinen Blick durch die weiche Haut wandern lassen, Fasern, Sehnen und Muskeln, Organe, Venen und Blut beiseite schieben, bis er in ihr Innerstes gelangt ist, Einblick in ihre Seele erhält. Aber es geht nicht, natürlich nicht, man kann einen Menschen noch so sehr anstarren, analysieren, sezieren, das tiefste Innere wird einem nie offenbar werden. Reine Gedanken und Gefühle: ein ewiges Geheimnis. Doch selbst wenn er sie kennen würde, etwas finden würde, dass ihm bislang unbekannt war â würde das etwas ändern? Würde es die Dinge grundlegend ändern? Nein, keine Aufklärung würde stattfinden und selbst wenn â er hat sich entschieden. Nur aussprechen, aussprechen muss er es noch, um das Gedankenspiel zur Realität werden zu lassen. Sie greift nach seiner Hand, er entzieht sich ihr. Mitleid kommt in ihm hoch, er empfindet Mitleid für sie, bereits jetzt, obwohl er noch nichts getan hat, obwohl er selbst der Grund sein wird, weswegen sie Objekt des geheuchelten Mitfühlens werden wird.
Jetzt ist sie es, die ihn ansieht, sein Blick irritiert sie, sein gesamtes Verhalten in den letzten Tagen. So verändert, unstet, als brenne ihm etwas auf den Lippen, ein düsteres Geheimnis, dass auszusprechen er nicht wagt. Zunächst war sie sich nicht sicher, ob sie es überhaupt wissen will, doch letztendlich siegt die Verwunderung, die Neugier. Denn so wenig sie weiÃ, was es ist, so ahnt sie doch, dass es mit ihr zu tun hat. Seine Blicke, seine Gesten und sein seltsames Verhalten haben ihr zumindest das verraten.
âWas ist?â, erkundigt sie sich geradeheraus, streicht ihr blondes Haar zurück, ein sanftes Lächeln.
Auch er lächelt, doch nicht Sanftmut ist es die mitschwingt. Du bist schön, denkt er, so vertraut, ich liebe dich und dennoch, dennoch reicht es nicht. Früher ja, da war es genug, aber jetzt wo ich weiÃ, wie es sein kann, wie es ist..... âIch werde dich nicht heiratenâ, platzt er heraus, Erleichterung und Schuldgefühle machen sich breit, während ihre Gesichtszüge zu einer Maske erstarren.
âWas?â, ein Lachen, eine nervöse Geste. âAber...â, setzt sie an, starrt ihn ungläubig an. âDas ist nicht dein Ernst, Richard. Das kann nicht dein Ernst sein! Die, die Einladungen sind verschickt, die Blumen bestellt. Und das Menu, Lamm an Koriander, Honigparfaitâ, beginnt sie mit der Aufzählung nichtiger Argumente, während ihre Gedanken rasen, sie fieberhaft nach Gründen fahndet. â Wir haben alles schon gebucht, die Tischordnung ist arrangiert, die Musik ausgesucht, Richard, alles, alles steht seit Wochen fest!â
âEs tut mir leidâ, erwidert er knapp, es klingt hohl, er weiÃ, aber was soll er sonst sagen?
âWeswegen?â, fragt sie so gefasst wie möglich nach, eine Ahnung steigt in ihr empor, dünner Rauch, zum Greifen nah und doch nicht konsistent.
âEs würde nicht gut gehen, Pennylinâ, er schüttelt den Kopf, befeuchtet sich seine ausgetrockneten Lippen.
âNein, Richardâ, presst sie hervor, krampfhafte Beherrschung. âSo einfach lasse ich dich nicht davon kommen. Du kannst nicht einfach unsere Hochzeit absagen ohne mir einen plausiblen Grund dafür zu nennen.â
âIch bin nicht mehr verliebt in dich. Nicht in dichâ, deutet er vage an, was er auszusprechen noch immer nicht wagt. Aber für sie genügt es, es macht die Gewissheit voll.
âIn wen dann, Richard? Wer ist es?â, erkundigt sie sich, verschränkt die Arme dabei, in ihren Augen glitzern Tränen und Zorn.
âEmily Johnsonâ, ein Flüstern ist es nur, das erste Mal, dass er ihren Namen in diesem Zusammenhang ausspricht.
âEmily Johnson?â, sie jappst nach Luft, ein Loch in das sie fällt, gebildet aus vermeintlichen Lügen seinerseits. âEmily Johns- Ihre Eltern haben sie rausgeworfen! Die Johnsons, Richard! Demokraten, Liberale vor dem Herrn. Welchen Grund sollten derart Freisinnige wohl haben ihre Tochter vor die Tür zu setzen, wenn sie sich nicht ganz eindeutig misslich verhalten hat?â
âEs ist mir vollkommen egal weswegen.â
âNatürlich, schlieÃlich profitierst du ja nur davonâ, schnaubt sie. âLohnt es sich wenigstens? Ist sie soviel besser als ich?â
âIch habe nicht mit ihr geschlafenâ, gibt er ehrlich zu, sie glaubt ihm nicht, natürlich nicht.
âLüg mich nicht an, Richard. Sei wenigstens jetzt ehrlich, wenn du mich schon verlässt!â, ihre Stimme hebt sich, wird schrill, überschlägt sich nervös, verängstigt. In Panik.
âDa war nichts, Penny, glaub mir.â
âNatürlich nicht, du verlässt mich, weil sie so hübsche Augen hat!â, ein Schluchzen, er will ihren Arm ergreifen doch sie wehrt ihn bestimmt ab. âGlaub ja nicht, dass ich dir das abnehme, Richard Gilmore. Welchen anderen Grund sollte es denn sonst wohl geben?â
Er schüttelt den Kopf, setzt zu einer Antwort an, doch sie unterbricht ihn noch ehe eine Silbe seine Lippen verlassen hat. âNein, schon gut, du musst nichts sagen, lassen wir die Sache einfach auf sich beruhen, in Ordnung?â, greift sie nach der zerfetzten Hoffnung. âIch meine, du hast mit ihr geschlafen, aber das heiÃt doch noch lange nicht, dass du mich deswegen verlassen musst. Versprich mir einfach, dass es nie wieder passiert und wir vergessen die ganze Sache. Bitte, Richard, lass es uns einfach vergessen.â
Er weicht ihrem Blick aus, starrt an ihr vorbei ins Leere. âDas kann ich nicht, Pennylin. Und egal was du mir oder ihr unterstellst, da war nichts. Nichts als ein einziger Kuss.â
âIch ââ, ihre Stimme bricht weg, sie räuspert sich, spricht heiser weiter. âAber wir lieben uns doch, Richard. Ich liebe dich.â
âVielleicht, ja. Ich liebe dich, aber es ist andersâ, versucht er seine Gefühle zu formulieren. âNicht so, wie man seine Frau lieben sollte.â
âAber sie liebst so?â
âNeinâ, ein schwaches Lächeln. âAber ich bin verliebt in sie. Sie ist...â, er bricht ab. Da ist etwas, würde er am liebsten sagen, ich kann es in ihren Augen sehen, trotz der Kühle, die sie ausstrahlt, abseits der Aura der Perfektion. Aber ihre Augen, als würde man das Leben selbst sehen, alles was man von ihm verlangt. Er spricht es nicht aus, sie würde es nicht verstehen, mehr noch, es wäre ein nicht wiedergutzumachender Affront. Also schüttelt er zaghaft den Kopf, ein Anheben der Schulter, hilflos und unsicher, die Situation überfordert ihn doch mehr als er angenommen hat.
âSie ist was?â, bohrt sie nach. âWas hat sie? Was kann sie dir geben, was du bei mir nicht finden kannst? Denn wenn du nicht einmal, wenn ihr nicht einmal â was ist es dann?â
âIch weià es nicht, Penny, ich weià es wirklich nicht.â
Sie schlieÃt die Augen, versucht zu verstehen, doch es gelingt ihr nicht. Vielleicht, weil es nichts zu verstehen gibt. Vielleicht, weil sie gar nicht verstehen will. Sie schlingt ihre Arme um ihn, krallte ihre Nägel in seinen Rücken, küsst ihn und er erwidert den Kuss. Doch er schmeckt anders als sonst, bitter und leer. âBleib bei mir, Richard, bitteâ, flüstert sie an seine Wange und er küsst ihre Schläfe.
âUm welchen Preis? Willst du wirklich einen Mann heiraten, der dich nicht glücklich machen wird?â
âAber du machst mich glücklich. Ich bin glücklich!â
âJetzt nochâ, entgegnet er und sie weiÃ, dass er es tatsächlich ernst meint. Genauso wie sie ihm glaubt, dass nichts war. Und sie ertappt sich bei dem Gedanken, es sich zu wünschen, sich zu wünschen, dass er sie tatsächlich auf physische Weise betrogen hätte. Denn dann hätte sie wenigstens wahre Wut empfinden können, gegen etwas ankämpfen können. Sie kennt Emily Johnson nicht einmal gut genug, um zu wissen, wie sie gegen sie vorgehen könnte. Sie hat sie lediglich ein Mal gesehen, nicht lange genug um sich ein umfassendes Bild von ihr zu machen - jedoch lange genug um eine seltsame Abneigung gegen sie zu entwickeln. Sie ist schön und gebildet, zweifelsohne, aber da war etwas in ihren Augen, dass sie verunsichert hatte, eine Kälte, die ihr Angst eingeflösst hatte. Richard hat sich für eine Frau entschieden, die ihn unmöglich glücklich machen wird, jedenfalls nicht so wie sie es vollbringen würde. Denn er mag sich wohl einbilden, dass er glücklich mit Emily Johnson werden wird. Aber sie, sie hat es gesehen, hat gesehen, wie diese Frau ihn angesehen hat. Und dieser Blick, diese verdammten Augen, sie haben nicht die Spur von elementarer Zuneigung oder gar Liebe verraten. Alles wozu Richard ihr vermutlich wirklich dient, ist wieder in der Gesellschaft aufzusteigen. Sie wird ihn bekommen, den Aufstieg, ihn und Richard, ein Sieg ohne Kampf, Meuchelmord. Und ihr selbst, ihr selbst bleibt nichts, ihre gesamte Zukunft hat sich binnen Sekunden in Luft aufgelöst, zerschmetterte Tagträume, ein unerwartetes Ende der Geschichte. Ein Happy End an dem sie nicht teilhaben wird, von dem sie weiÃ, dass es nicht existiert.
To be continued
ATN: So, dass war's dann auch mit Pennylin *G* Riska