Irritiert mustert er das Paar vor sich. Das Paar, er lächelt leise in sich hinein, fragt sich wie lange es jetzt schon her ist, dass er sie das letzte Mal, das erste Mal getraut hat. DreiÃig, vierzig Jahre? War es 1971 oder 1973 - er kann sich beim besten Willen nicht mehr erinnern, es ist zu lange her, er ist zu alt. Dennoch erinnert er sich noch an die Gesichter damals, nicht viel anders als heute, eine der seltsamsten Zeremonien, die er jemals vollzogen hat, beinahe unglücklich. Damals wie heute. Nun, denkt er, es gibt viele Gründe zu heiraten. Damals gab es bei weitem einen, ein uneheliches Kind, nur vernünftig die Konsequenzen zu tragen. Seltsam genug, dass die Ehe so lange hielt - kaum das es in den späten Siebzigern legitim wurde, eine Ehe zu scheiden, da wurden auch die meisten dieser arrangierten Ehen geschieden. Nun, natürlich nicht jene dieser Kreise. Zumindest nicht die Ehen jener, die etwas auf sich und ihren Namen hielten - und das taten Richard und Emily Gilmore für wahrlich. Seltsam genug die Scheidung vor bald zwei Jahren. Seltsam genug, dass sie jetzt wieder hier sind. Natürlich gibt es auch hier einen Grund, er kann ihn sich denken, einige sogar. Aber weshalb in aller Heimlichkeit? Weswegen mitten in der Nacht vor seinen Stufen stehen? Zudem fragt er sich angestrengt was mit Richard Gilmores Gesicht passiert ist, weswegen der sonst so akkurate Mann wie ein geprügelter Schuljunge aussieht. Ein Seufzer, er ist müde, die Zeiger der groÃen Wanduhr nähern sich der Vier, die Sonne wird bald aufgehen, die Zeremonie - falls man dieses Treffen überhaupt so nennen kann - bald zu Ende sein. Er hat auf die Worte verzichtet, die Zeremonie. Sie wollten es so. Hat die Papiere hergerichtet, die Formulare ausgefüllt, jetzt sitzen sie ihm gegenüber. Federn kratzen auf Papier, Tinte füllt langsam die Urkunden, nimmt die Gestalt zweier Unterschriften an.
Er ist zuerst fertig, schraubt seinen Füller zu. Sie zieht ihm keine drei Sekunden später nach und sieht ihn an. Ein schwaches Lächeln auf beider Gesicht. Ein Lächeln gleich einer Entschuldigung.
Richter Forster räuspert sich. "Dank meiner, mir vom Staate Connecticut verliehenen Kräfte, erkläre ich sie hiermit zu Mann und Frau", beginnt er, unsicher, ob er den üblichen Tonfall anschlagen soll, die üblichen Worte wählen, beschlieÃt jedoch sich ganz der nüchternen Atmosphäre anzupassen, unterschlägt die üblichen Glückwünsche.
Sie stehen auf, tun es schnell, überhastet wirkt es trotzdem nicht. Richard Gilmore reicht ihm die Hand. "Danke, Richter Forster."
"Es war mir eine Freude, Richard", er schüttelt die Hand, nickt Emily zu. Sie erwidert die Geste stumm.
"Wenn sie mir, wenn sie uns", verbessert er sich. Uns, denkt er. Plural. Ein uns, wo es kein wir gibt. Gibt es ein wir? Und warum kann es nicht einfach sein, verdammt? "Noch einen weiteren Gefallen tun könnten, wäre ich ihnen sehr zu Dank verpflichtet."
"Alles was sie wollen, mein Lieber", stimmt er neugierig zu.
"Halten sie unseren Besuch bitte unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit."
Der Richter runzelt die Stirn, blickt von ihm zu ihr, keine Regung in ihrem Gesicht. Er nickt, die Irritation wächst. "Wie sie wünschen. Allerdings werde ich nicht umhin kommen, die Stadt von ihrer EheschlieÃung zu informieren."
"Natürlich nicht", sagt sie, die Höflichkeit in Person. Das Erste was sie an diesem Abend sagt, bislang hat sie geschwiegen, ihn für sich sprechen lassen. "Sonst würde das Ganze auch jeglichen Sinns entbehren. Aber die Stadt, den Staat zu informieren, heiÃt nicht deren Bewohner miteinzuschlieÃen, oder irre ich mich da?"
Also doch, denkt er sich, selbstverständlich. "Sie können sich ganz auf mich verlassen, Mrs. Gilmore. Ihre Ehe besteht vor dem Gesetz und nur vor dem Gesetz."
"Ich hoffe doch nicht", wirft Richard ein, ein nervöses Lachen. "Denn auch dann würde das Ganze jeglichen Sinns entbehren." Sie straft ihn mit einem Seitenblick, er hat zuviel gesagt.
"Nun", der Richter lacht. Auch er lacht und das nicht weniger nervös, kommt sich reichlich albern vor. Veralbert. "Dann wünsche ich Ihnen alles Gute."
"Danke", sie bedenkt ihn mit einem beinahe freundlichen Blick und verlässt den Raum, ihr Mann bleibt zurück.
"Richter", setzt er mit leiser Stimme an. "Bitte, es muss wirklich unter uns Dreien bleiben."
"Aber ja doch!", kein Grund mich noch einmal darauf hinzuweisen, ich bin vielleicht alt, aber beileibe nicht senil, beileibe nicht begriffsstutzig. "Unter uns und dem Finanzamt", fügt er also hinzu, ein Zwinkern in den Augen.
"Das Finanzamt?", murmelt sein Gegenüber, das erste echte Lächeln des Abends huscht über sein Gesicht. "Natürlich, das Finanzamt", bestätigt er. Perfekt, denkt er, niemand tratscht über die Steuerklasse. "Wenn auch das unter uns -", setzt er an, der Richter fällt ihm ins Wort.
"Natürlich, Richard", sagt er zufrieden. "SchlieÃlich sind sie nicht die ersten die sich aus diesen Gründen zu einer, wenn auch rein geschäftlichen, WiederschlieÃung ihrer geschiedenen Ehe durchringen."
"Ach nein?"
"Nein - natürlich kann und werde ich keine Namen nennen. Niemandem", beeilt er sich hinzuzufügen und Richard reicht ihm sichtlich zufrieden erneut die Hand und verabschiedet sich, geht nach drauÃen, sieht sich suchend um.
Sie steht neben seinem Mercedes, die Arme verschränkt, den Blick ins Leere gerichtet. Er geht auf sie zu, bleibt neben ihr stehen und sie stehen eine Weile so da, jeder hängt seinen Gedanken nach, ironischerweise sind es dieselben.
Sie befeuchtet sich schlieÃlich die Lippen. "Mein Flug geht in drei Stunden und ich habe noch nicht gepackt."
"Ich bringe dich ins Hotel", bietet er an, obwohl er ahnt, dass sie es ablehnen wird. Sie lehnt ab.
"Danke, Richard, aber wenn du mir bitte ein Taxi rufen könntest", verlangt sie mit fester Stimme, obwohl sie es genausogut selbst tun könnte, beide wissen es. Aber sie kennen auch beide die Regeln und halten sich daran. "Du musst morgen schlieÃlich ins Büro, ich möchte dich nicht auch noch um die restlichen Stunden Schlaf bringen."
Ohne zu antworten, kommt er ihrer Bitte nach. Schweigen bis Minuten später ein Wagen auftaucht, zum Stehen kommt. Zu seiner Ãberraschung verschwindet sie nicht sofort hinter der schützenden Hülle aus schwarzem Blech, sondern legt eine Hand auf seine Wange, stellt sich auf die Zehenspitzen. Er fühlt ihre Lippen auf den seinen, erwidert den Kuss und schlingt seine Arme um sie, lässt sich fallen, sie beide tun es. Fallen und vergessen. Lösen sich voneinander und erinnern sich wieder.
Sie geht zum Taxi und öffnet die Tür, erschrickt als seine Stimme plötzlich klar und laut die Nachtluft erfüllt. "Ich weiÃ", sagt er. "Ich hätte es tun sollen. Ich hätte dich schon damals hierher bringen sollen. Ich hätte dich hierher bringen sollen als du mir gesagt hast, dass du schwanger bist. Ich hätte nicht einfach so verschwinden dürfen. Ich hätte dich heiraten sollen. Müssen, Emily. Ich hätte es tun müssen."
Wollen, denkt sie und steigt ohne sich umzudrehen in den Wagen. Wollen. Sie nennt dem Fahrer ihr Ziel und er fährt los. Sie lehnt ihren Kopf an die verschlissene Stütze und sieht aus dem Fenster. Nach all den Jahren, nach all der Zeit sagst du es, sagst du was ich damals hätte hören wollen. Fasst du das in Worte, was ich gebraucht hätte. Sie kann sich ein leises Lachen nicht verkneifen, ganz plötzlich kommt es, ein Anflug der Erheiterung. Nicht die Situation amüsiert sie, nicht er, sie selbst ist es. Damals, sie verdreht die Augen. Heute, Emily, erinnert sie sich. Heute. Und zum ersten Mal seit langem fühlt sie sich befreit. Befreit und glücklich, weià selbst nicht warum, weià es genau. SchlieÃlich hat sie vor wenigen Minuten den Mann geheiratet, den sie liebt. Vielleicht ist es nicht perfekt, aber das war es beim letzten Mal auch nicht. Trotzdem hat es gehalten, trotzdem war es schön - die meist Zeit. Sie zuckt zusammen, erschrickt das zweite Mal innerhalb weniger Minuten, kramt ihr summendes Mobiltelefon hervor, nimmt ab.
"Wollen", ertönt seine Stimme am anderen Ende. "Wollen", wiederholt er und sie lächelt, er sieht es, obwohl er sie nicht sieht.
"Komm bald", antwortet sie und er nickt, sie sieht es, obwohl sie ihn nicht sieht. Beider Finger wandern auf die Taste mit dem roten Hörer, das monotone Geräusch zweier toter Leitungen, das wilde Klopfen zweier lebender Herzen.
To be continued.
ATN: Glück für euch, dass mir heute furchtbar langweilig war.... ob mir wohl auch so langweilig gewesen wäre, wenn gewisse Personen auch Mal wieder was posten würden? (Ja, ich weiÃ, ich hab HP - aber J.K. Rowling braucht immer so lang um in die Hufe zu kommen... immerhin bin ich schon "im" Zug nach H. ) Eine maulende Myrthe .. äh, Franziska. PS: Danke fürs Feedback. (Solang wenigstens das noch geschrieben wird *G* )