Sie rubbelt sich das gelockte, schwarze Haar mit einem Handtuch trocken, während sie ihrer Tochter, welche auf dem breiten Bett sitzt, zulächelt. Zielsicher den Schreibtisch ansteuert, der unter einem der groÃen, hellen Fenster steht. Setzt sich, während sie das Frottetuch geschickt zu einem Turban um ihren Kopf wickelt. AnschlieÃend beginnt sie die Schubladen zu öffnen, leere Papierbögen, unbeschriftete Briefumschläge und teuer aussehende Füller auf dem polierten Mahagoniholz zu stapeln.
âWas tust du da, Mom?â, erkundigt Rory sich, schlägt dabei ihr Buch zusammen, die Beine zu einem Schneidersitz zusammen.
âIch ergründe die unendlichen Tiefen des menschlichen Seinsâ, antwortet sie, tastet dabei blind die Schreibtischunterseite ab. Irgendwo wird es doch wohl Antworten geben, irgendwo hier werden sie sein. Wenn sie nur eine einzige findet, dann hat sich dieser grausame Familienausflug wenigstens gelohnt. Gelohnt, sie versteht noch immer nicht, weswegen ihr Vater sie förmlich angefleht hat mitzukommen. Weswegen er selbst hier ist. Weswegen ihre GroÃeltern angeblich Wert auf die Anwesenheit ihres Ex-Schwiegersohnes legten. Ex, ein leises Seufzen, eine Silbe, die man in der Eile leicht unterschlägt.
âDu schnüffelst in Grandmas Sachen herumâ, reiÃt Rory sie aus den Gedanken.
âSo kann man es auch nennenâ, ein leises Kichern, es vertreibt die ernsten Gedanken. âAllerdings schreit dieses Zimmer soviel nach Emily Gilmore, wie es Lukes Diner tutâ, sie unterbricht das Abtasten und dreht sich herum. âIch kann einfach nicht glauben, dass überhaupt jemand länger als eine Nacht in diesem Zimmer verbracht hat.â
Rory zuckt mit den Schultern. âWas hast du denn erwartet? Elvisâ Poster an den Wänden? Eingeritzte Liebesschwüre auf der Fensterbank?â
âIch weià es nichtâ, sie wendet sich wieder dem Schreibtisch zu. âIrgend ein kleines, schmutziges Geheimnis, dass ich ihr für den Rest des Lebens unter die Nase reiben kann.â
âDas wirst du nicht findenâ, ertönt Emilys kühle Stimme, Rory verzieht ertappt das Gesicht, Lorelai wirbelt herum.
âMom, du hast mich erschrecktâ, sie mustert ihre Mutter, zieht amüsiert die Augenbrauen nach oben. âHabe ich was verpasst? Haben sie dich in den letzten drei Stunden zur Königin von Neuengland ernannt?â Nicht das sie jemals unangemessen gekleidet gewesen wäre, aber am heutigen Abend hat sie sich und sämtliche Stylisten dieser Erde übertroffen, Perfektion bis in letzte Detail, Stil und Formvollendung.
Sie ignoriert den Kommentar ihrer Tochter, steuert stattdessen auf den Schrank zu, an dessen halb geöffneter Tür zwei sorgsam aufgehängte Kleidersäcke hängen. âIch kann einfach nicht fassen, dass sie euch zu zweit in dieses Zimmer gesteckt hatâ, murmelt Emily, öffnet dabei den ReiÃverschluss des einen Sackes. âSchwarz. Gut, dazu passt eigentlich allesâ, seufzt sie mit gewisser Erleichterung, öffnet auch den zweiten ReiÃverschluss, betrachtet das dunkelgrüne Kleid darin. âUnd Richard in ein Hotel zu stecken, einfach unglaublich. Meinen Mann steckt sie in ein Hotel, während die dreijährigen Zwillinge von Marthas jüngstem Sohn jeder ein Eckzimmer für sich bekommen. Ich fasse es einfach nicht.â
âKinder brauchen ihren Freiraumâ, zwitschert Lorelai, doch auch diesen Kommentar ignoriert Emily geflissentlich. Sie steuert stattdessen das Bett an, stellt den eleganten Schmuckkoffer darauf ab, den sie bislang in Händen hielt und öffnet die Verschlüsse, ein Klicken und der AtlasgroÃe Deckel springt auf.
âWas tust du da?â, fragt Lorelai, schielt auf das Bett.
âIch sorge dafür, dass ihr angemessen eingekleidet seidâ, erwidert Emily, zieht eine Goldkette hervor und hält sie in Richtung Rory. âIn jeglicher Hinsichtâ, sie schüttelt missbilligend den Kopf und legt das schmale Goldband auf die weiÃen Seidenleinen. âZu schlichtâ, sie entfernt die erste Schicht, legt sie auf das Bett, eine zweite Etage kommt zum Vorschein, noch mehr Gold und Silber, Steine jeglicher Fassung und Farbe, der angehäufte Reichtum eines beinahe sechzigjährigen Lebens. âSucht euch etwas ausâ, fordert sie ihre Tochter und Enkeltochter auf und Lorelai steht auf, lässt sich ebenfalls auf das Bett fallen, starrt mit zusammengezogenen Augenbrauen auf die schmale Platinkette in dem Schmuckkoffer, deren verlängertes Ende eine schimmernde Naturperle umfasst. âDie habe ich ja seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.â
âWeil ich seit Ewigkeiten aus dem Alter heraus bin, in dem tiefe Dekolletees mir schmeichelnâ, sie greift nach der Kette und reicht sie Rory. âLeg sie um, ich will sehen, wie sie an dir wirkt.â
âAch komm schon, für dein Alter hast du dich doch gut gehaltenâ, grinst Lorelai, erntet einen weiteren missbilligenden Blick dafür.
âDu erwartest doch nicht, dass ich dir für dieses äuÃerst zweifelhafte Kompliment auch noch danke?â
âEs war mein Ernst. Du siehst gut aus, Momâ, sie meint es tatsächlich ernst. Eine hübsche Maske ist es, hinter der sich die Abgründe auftun, Mom.
âVor vierzig Jahren vielleichtâ, entgegnet Emily trocken, weià nicht was sie von dieser Bemerkung ihrer Tochter halten soll, zudem bringen ihre Kopfschmerzen sie mittlerweile um, selbst eine zweite Aspirintablette konnte sie nicht vertreiben, konnte nicht verhindern, dass sie sich spätestens seit dem Gespräch mit Elliot unkontrolliert ausbreiten.
Sie verdreht die Augen und ihr Blick bleibt auf etwas haften, das ihre Gedanken in eine andere Richtung lenkt. âDer Ringâ, ruft sie beinahe aufgeregt aus und zieht ihn hervor. Der Smaragdring. âDarf ich den tragen?â
âNeinâ, wehrt Emily heftig ab.
âIch dachte ich darf mir etwas aussuchen?â
âNicht diesen Ring.â
âAber den fand ich als Kind schon immer toll. Bitte, Momâ, bettelt sie mit herzzerweichender Stimme, die ihre Wirkung verfehlt.
âLorelai.â
âBitte!â
âNein.â
âAber warum nicht?â
âWeil es nicht geht.â
âUnd warum?â
âLorelai!â
âWarum?â
âWie alt bist du? Fünf?â
âGenau und wenn ich ihn nicht tragen darf, werde ich mich auf den Boden werfen und zu strampeln und schreien anfangen.â
âSolange du deinen GroÃeltern erklärst, weshalb du nicht zum Essen erscheinst, bitte.â
Sie seufzt und gibt den Ring zurück. âDu hast ihn doch sowieso nie getragen.â
âIch habe ihn getragen, Lorelaiâ, Emily mustert den grünen Stein, ein trauriger Schatten in ihren Augen. âSehr lange sogar. Viel zu lange.â
âWas meinst du?â, hakt sie nach, wirft Rory einen Seitenblick zu, der zu sagen scheint âIch wusste es, Schätzchen, dieser Ort birgt seine Geheimnise. Dreckig und Tief, ein Festessenâ.
âNichtsâ, sie ringt sich ein Lächeln ab, sieht ihre Tochter lange an, tut es verstohlen. Sie erinnert sich nicht mehr, aber Emily tut es, weià noch genau, wie Lorelai als kleines Mädchen in ihrem Schlafzimmer stand, die kleinen FüÃe in viel zu groÃen Schuhen, ihr Körper versank förmlich in ihren Kleidern, überall Schmuck, verschmierter Lippenstift. Die Ernsthaftigkeit mit der sie verkündete gleich auf einen Ball zu müssen, nur noch auf den Prinzen zu warten, der bestimmt gleich kommen würde, sie auf seinem Schimmel abholen würde. Wie sie selbst nie gewusst hatte, ob sie böse sein sollte oder nicht, schlieÃlich waren die Kleider, der Schmuck teuer gewesen, zu kostbar um damit zu spielen. Andererseits machte sie sowieso nie Gebrauch davon, schon lange nicht mehr, für wen hätte sie sich auch zurecht machen sollen? Also half sie Lorelai dabei sich für ihren imaginären Prinzen zurechtzumachen, während ihr eigener auf sich warten lies, nicht mehr kommen würde, nie wieder, in einer nutzlosen Schlacht gefallen war. Sie erinnert sich wie Lorelai am Ende immer auf ihren Schoà geklettert war, sie mit ihren groÃen blauen Augen angesehen hatte, sie schlieÃlich nachgab, ihren Verlobungsring vom Finger zog und ihn über den viel zu schmalen Ringfinger ihrer Tochter streifte. Wie Lorelai ihn gegen das Licht hielt, grüne Reflexe auf der weiÃen Wand, dabei immer verzückt dasselbe murmelte, kundtat auch so einen Ring zu wollen, wenn sie groà sei.
Sie realisiert, dass der Smaragd sie unangenehm in ihre fest geschlossene Hand piekst, öffnet sie also wieder, der grüne Stein glitzert verheiÃungsvoll, hat nichts von seiner Schönheit eingebüÃt. Selbst der Rubin für den er irgendwann wich, kam nicht an ihn heran, er war ihr vom falschen Mann geschenkt worden war. Ein Verlobungsring machte dem anderen Platz, doch seltsam, den Rubin, den Rubin hat sie nie am Finger ihrer Tochter gesehen. Sie schluckt, gibt Lorelai den Ring. âEr gehört dir.â
âDas kann ich nicht annehmen!â
âNatürlich kannst du das. In ein paar Jahren würdest du ihn doch sowieso bekommen und auÃerdem hast du Recht. Er ist wirklich sehr schön, es wäre eine Schande, wenn er in meiner Schmuckschatulle vor sich hin rottet. Aber trag ihn nicht heute, nicht solange wir hier sind. In Ordnung?â
âGeht klarâ, sie lächelt, presst die Lippen freudig aufeinander als sie den Ring in ihrer Bademanteltasche verschwinden lässt und sich aus kindlicher Dankbarkeit, vielleicht auch einfach um ihrer Mutter einen Gefallen zu tun, für die nächsten zwanzig Minuten jeden Kommentar verkneift, geduldig Kette um Kette anlegt, sie gegen ihr dunkelgrünes Kleid hält, um auch daran die Wirkung zu testen. Zudem ist da etwas anderes, etwas, dass sie Abseits des Ringes beschäftigt, Abseits seiner Geschichte. Das fehlen zweier simpler Buchstaben ist es. Er hatte sie an der Haustüre ebenso unterschlagen, wie ihre Mutter es vor wenigen Minuten vor dem Schrank getan hatte. Seltsam, denkt sie, dass das Fehlen einer simplen Silbe dir als etwas unendlich Wichtiges erscheint. Und nicht nur ihr scheint es so vorzukommen, auch Rory hat es bemerkt, es mit einem leisen Lächeln quittiert. Bei Lorelai hingegen hat es ein leises Runzeln auf die Stirn gezaubert, sie hat, kann und will sie nicht vergessen, Williams Worte, ihre eigenen Erinnerungen. Beobachtet ihre Mutter unauffällig, fragt sich wie es sein kann, wie Emily Gilmore ihren Ehemann, ihren Dad jahrelang betrügen konnte. Vermutlich Nachmittag um Nachmittag in Farnsworths Armen verbracht hatte, während sie Richard abends die liebende Ehefrau vorspielte. Wie Emily es geschafft hatte, diese Rolle so gut zu spielen. Wie sie es jetzt scheinbar geschafft hatte, Richard wieder mit einem Bann zu legen. âEntschuldigt mich, bitteâ, sie steht abrupt auf. âWenn ich mich nicht auf der Stelle um meine Haare kümmere, dann werden sie ein Eigenleben entwickeln.â Sie verschwindet im Badezimmer, schlieÃt die Tür hinter sich, schlieÃt den Blick ihrer Mutter aus. Versucht die widersprüchlichen Gefühle ihr gegenüber zu vertreiben, während sie ihr noch immer feuchtes Haar mit wütender Energie kämmt.
To be continued.