21.08.2005, 22:44
Der Arzt verabschiedet sich mit einem höflichen Nicken, lässt Richard und seine Schwiegermutter in dem Raum zurück, den man wohl als Louise Johnsons Empfangszimmer bezeichnen könnte. Hier hält sie Hof, inmitten von hellblauen Gardinen und Gardenien geht sie tagtäglich ihrem Beruf und ihrer Berufung nach, tut es seit über sechzig Jahren, ist Mrs. Rupert Johnson, ist es mit Leib und Seele und hat es daher geschafft diesen (zu ihrem Bedauern aussterbenden) Berufsstand zu perfektionieren.
Sie faltet die Hände auf ihrem ebenso eleganten wie gemessenem Kleid und hebt eine Augenbraue, während sie Richard betrachtet. âIch denke nicht, dass ihre Anwesenheit in unserem Hause noch länger von Nöten istâ, erklärt sie kühl.
âDas sehe ich andersâ, erwidert er nicht weniger distanziert, doch Louise lässt diesen Einwand nicht gelten. Mit einer für ihr Alter überraschenden Geschmeidigkeit erhebt sie sich.
âAuf Wiedersehen, Mr. Gilmoreâ, sie macht sich nicht die Mühe ihm die Hand zum Abschied zu reichen, er macht sich nicht die Mühe zu gehen, hat keinerlei Absichten es zu tun. Gerade als er seinem Gegenüber dies auch mitteilen will, kommt sie ihm zuvor.
âGlauben sie etwa ernsthaft, dass ihre Anwesenheit einen Einfluss auf die Rekonvaleszenz meiner Tochter hat?â
âUnd wenn es so wäre?â, antwortet er mit einer Gegenfrage und in Louise Johnsons Augen spiegelt sich ein amüsiertes Lächeln.
âDas wage ich offen gestanden ernsthaft zu bezweifeln. Im Gegenteil, Emily war schon als Kind kränklich und ist jedes Mal wieder genesen, ohne das ich mich an ihre Anwesenheit hier erinnern könnte.â
âUnd ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie in den letzten vierzig Jahren jemals krank gewesen wäre, ohne dass ich bei ihr war.â
âAch nein?â, einen leicht süffisanten Ton schlägt sie jetzt an, beinahe spielerisch, eine Katze die noch mit der Maus spielt, ehe sie sie verschlingt. âVielleicht sollte ich sie dann eines besseren belehren?â
âEines besseren belehren?â, hakt er nach.
âNun, soweit ich mich erinnere, können sie sich nicht ihrer Präsenz rühmen, was die Geburt Lorelais betrifft.â
âWaren sie etwa da?â, dieses Spiel kennt er auch, er kennt die Regeln. Zumindest hat er das bis heute immer geglaubt.
âNein. Aber ich war auch nicht für ihren Zustand verantwortlich. Verantwortlich und habe mich verantwortungslos gezeigt.â
âGlauben sie etwa, ich hätte nicht, es vorgezogen bei meiner Frau zu sein, anstatt meine Zeit mit dem Vietcong zu verbringen?â, zischt er leicht verärgert â und dies soll erst der Anfang sein.
âGenau das ist der Punktâ, sagt sie scharf. âSie haben es nicht nur vorgezogen, nein sie haben sich der Verantwortung entzogen, nachdem sie Emily in diese überaus missliche Lage gebracht hatten.â
âIch habe mich niemals meiner Verantwortung entzogen!â, ruft er aus, kann den Ãrger in seiner Stimme dieses Mal nur schwerlich unterdrücken.
âEtwas Verantwortungsloseres als ein unerfahrenes, junges Mädchen zu entehren, gibt es wohl kaum! Sie zu schänden und dann mit der Frucht des verbotenen Tuns, sich und der Schande anheim zu lassen! Nein, Mr. Gilmore, sie sind alles andere als ein Ehrenmann. Denn wenn sie einer wären, dann hätten sie Emily nicht nur geheiratet, sondern sie hätten es getan, ehe sie sie zu diesen Inexprimables gezwungen haben.â
âGott, sie sind ja verrückt, ich habe Emily zu nichts gezwungen, wir ââ
âNiemals!â, fällt sie ihm ins Wort. âHätte meine Tochter freiwillig das Bett mit ihnen geteilt. Sie ist anständig erzogen worden, sie weià um die Nachwehen der Zügellosigkeit und Lasterhaftigkeit. Doch sie haben ihre Wehrlosigkeit ausgenutzt, haben sie und unsere Familienehre befleckt.â
âDas ist doch einfach absurdâ, er schüttelt den Kopf, hat Mühe nicht laut loszulachen, erinnert sich jedoch gleichzeitig wieder an Emilys Worte, eine Erklärung als es noch nichts zu erklären gab, geradeso als ob sie es gewusst hätte, als ob sie geahnt hätte, dass dieses Gespräch früher oder später stattfinden würde. âSie werfen mir Verantwortungslosigkeit vor, weil ich es gewagt habe, ihre Tochter zu liebenâ, bringt er mit mittlerweile vor Wut zitternder Stimme hervor. âWarum geben sie nicht zu, dass es niemals Emily war, um die sie sich sorgten, sondern der Ruf der Johnsons.â
âEmily ist eine Johnson. Schon alleine deswegen hätte sie dieses Balg niemals zur Welt bringen dürfen!â, schnaubt sie, derselbe Tonfall wie beim Abendessen, ein Kojote auf der Jagd. âUnd Gott weiÃ, dass ich das meinige getan habe, um es zu verhindern, um Emily und unsere Familie vor dieser Schande zu bewahren!â
âSie hätten sie doch auf offener StraÃe krepieren lassenâ, sagt er mit plötzlich leiser, beinahe heiserer Stimme.
Sie zuckt zusammen, fängt sich jedoch augenblicklich wieder. âVerlassen sie sofort mein Haus, Mr. Gilmore.â Er kommt ihrer Aufforderung nach, tut es dieses Mal, ahnt, dass er es dieses Mal besser tun sollte.
***
Sie verschlieÃt den cremefarbenen Umschlag, streicht zärtlich über das Papier, eine Adresse, die keine ist, eine wirre Aneinanderreihung von Zahlen und Kürzeln, sie hat sie noch nie verstanden, aber der Postbote scheint es zu tun, bisher sind sie alle angekommen, ihre Briefe, kamen die seinen alle bei ihr an. Schwerfällig steht sie auf, muss sich dabei vom Schreibtisch abstützen, presst ihre andere Hand gegen ihr SteiÃbein, seufzt müde. Es ist langsam wirklich Zeit, die Schwangerschaft hat ihr in den letzten Wochen mehr zu schaffen gemacht, als sie jemals zugeben würde. Sie bräuchte mittlerweile mehr Hilfe, als sie anzunehmen gewillt ist. Niemals käme es für sie in Frage, sich vor Lorelai Gilmore auch noch freiwillig zu erniedrigen, zuzugeben, dass sie nahezu unfähig ist, so einfache Dinge wie das SchlieÃen eines ReiÃverschlusses selbst zu vollziehen, von den vermaledeiten Knöpfen, welche die meisten Rückseiten ihrer Kleider zieren, ganz zu schweigen. Dinge die ihr immer selbstverständlich erschienen, sind plötzlich zu zeitraubenden Aufgaben geworden.
Ein Klopfen, ein Tablett in der Hand, erscheint das Hausmädchen in der Tür. âIch habe ihnen einen Tee gemacht, Miss Johnson.â
âDanke, Claraâ, sie deutet auf den Schreibtisch. âStellen sie ihn doch bitte hier ab.â
âNatürlich, Missâ, beeilt das Mädchen sich der Aufforderung nachzukommen. âKann ich sonst noch etwas für sie tun, ehe ich Feierabend mache?â
Sie will schon verneinen, als ihr Blick auf den Brief neben dem Teeservice fällt. âJa, vielleichtâ, nimmt sie ihn, reicht ihn ihrem Gegenüber. âVielleicht könnten sie den hier auf dem Nachhauseweg für mich aufgeben?â
âJa, Missâ, ein höflicher Knicks, der Brief verschwindet derweil in ihrer Schürzentasche. âUnd sonst kann ich wirklich nichts mehr für sie erledigen?â
âDanke, nein, Claraâ, entgegnet sie mit einem Lächeln, streift sich dabei geistesabwesend über den SteiÃ.
âSind sie sicher?â
âNatürlich bin ich das. Ich werde noch ein wenig lesen und dann früh zu Bett gehen.â
âSie sehen auch müde aus.â
âHerzlichen Dank, Claraâ, entgegnet sie trocken.
âVerzeihung, ich wollte nicht â ich dachte mir nur, wenn sie vielleicht möchten, dann könnte ich ihnen noch ein Bad einlassen, ehe ich gehe.â
âDas ist zwar ein reizendes Angebot, allerdings würden sie dann Morgen eine aufgedunsene Wasserleiche im Badezimmer vorfindenâ, erklärt sie, fügt ein leises âFalls ich überhaupt noch weiter aufdunsen kannâ, hinzu.
âWie dumm von mir, ich kann ihnen natürlich gerne behilflich sein, dass wäre kein Problemâ, ereifert sie sich geradezu, will vermutlich den dummen Tritt ins Fettnäpfchen wieder gut machen.
âNeinâ, wehrt sie ab, wehrt es ab, obwohl sie eigentlich gerne und sei es nur für fünf verdammte Minuten â âDas heiÃt, wenn sie vielleicht â ich will sie bestimmt nicht um ihren Feierabend berauben.â
âOh, ich hatte heute sowieso nichts mehr vorâ, ruft sie aus, ist dabei schon auf dem halben Weg ins Badezimmer. Das Geräusch einlaufenden Wassers breitet sich aus, während Emily mit gewissen Zweifeln kämpft, dennoch Clara in das Badezimmer folgt.
âHören sie, falls es ihnen doch Umstände ââ
âAber neinâ, wiegelt sie ab, lässt etwas Badeschaum in Wasser laufen. âWissen sie, meine Schwester hat drei Kinder, ich hab ihr gegen Ende der Schwangerschaften immer geholfen. Und die Hilfe hat sie auch gebraucht, glauben sie mir, völlig fertig war sie immer in den letzten zwei Monaten. Und das obwohl sie um einiges kräftiger ist als sie, Miss.â
Ein privates Lächeln huscht über Emilys Gesicht. âVielen Dank, Claraâ, sagt sie, die Verlockung nach einem einfachen Bad ist einfach zu groÃ, sie wird Clara auch sicherlich nicht lange aufhalten, nur einen kurzen Augenblick, ein wenig Wärme, der Geruch von Rosen und Jasmin, das Gefühl im Wasser schweben zu können.
Ein wenig unbeholfen, macht sie sich an dem seitlichen ReiÃverschluss ihres Kleides zu schaffen, zögert erneut einen kurzen Augenblick, ehe sie es Clara gestattet ihr zur Hand zu gehen. Was sollâs, mahnt sie sich, du wirst wohl kaum im Unterrock ins Wasser steigen können. AuÃerdem ist sie nicht die einzige, die in den letzten Monaten das zweifelhafte Vergnügen hatte, dich nackt zu sehen, denk an Lorelai. Also entledigt sie sich ihrer Kleider, steigt dennoch so schnell wie möglich in das Badewasser, versucht es zwar so anmutig wie möglich zu tun, doch der Versuch scheitert gründlich. Eine heftige Welle schwappt durch das Wasser und sie hat Mühe nicht zu lachen, kann nicht umhin an Richards letzten Brief zu denken. Eine Gazelle, wenn du mich nur sehen könntest, Richard, selbst Gürteltiere dürften im Moment graziler sein, denn ich. Sie greift nach dem Schwamm, streicht über ihre Oberarme, würde die Prozedur gerne mit ihrem Bauch wiederholen, wagt es jedoch nicht diese Albernheit in Gegenwart des Hausmädchens zu vollführen, ebenso wenig, wie sie es wagt sie fortzuschicken, setzt stattdessen dazu an, den Schwamm über ihre Schultern gleiten zu lassen.
âWarten sie, Missâ, nimmt Clara ihr den Schwamm aus den Händen. âSie lassen sich wirklich nicht gerne helfen, oder?â
âIst das so offensichtlich?â, fragt sie, eine rhetorische Frage auf die sie keine Antwort erwartet, keine Antwort erhält. Sie legt den Kopf auf ihre Knie, ein Unterfangen, das sich schwieriger gestaltet als gedacht. Aber es gelingt ihr eine einigermaÃen bequeme Position zu finden, sie schlieÃt die Augen, während sie die sanfte Rückenmasur geradezu zu genieÃen beginnt. Geradezu, denn die Absurdität der Situation springt ihr plötzlich ins Gesicht. Du kennst diese Frau nicht einmal richtig, ein Hausmädchen und trotzdem schnurrst du beinahe wie eine Katze. Sie schluckt, ein Prickeln auf ihrem Gaumen, sie versucht noch die Tränen wegzublinzeln, wegzujagen, doch es gelingt es ihr nicht. âClaraâ, hört sie sich selbst sagen, tut es in einem viel zu scharfen Ton. âLassen sie mich alleine.â
âAlles in Ordnung, Miss?â
âJaâ, presst sie hervor. âBitte, nur eine Minute, ja? Danach können sie nach Hause gehen.â
âRufen sie mich einfach, wenn sie soweit sind, Miss.â
âWirklich, nur eine Minuteâ, sie drückt ihre Wange gegen ihr Knie, hat die Augen wieder geschlossen, schmeckt dennoch den vertrauten Geschmack von Salz auf ihren Lippen. Wartet ungeduldig bis Claras Schritte an der Badezimmertür angekommen sind, das Mädchen die Tür hinter sich schlieÃt, ehe sie laut aufschluchzt, wieder einmal weint, obwohl sie sich jedes Mal schwört, es nicht wieder zu tun, da es ihr so unglaublich sinnlos und kraftraubend erscheint.
***
Seit Minuten sitzen sie auf dem Bett, bewegungslos, sprachlos, jede hängt für sich ihren Gedanken nach, versucht das verhedderte Netz zu entknoten, ein klares Muster darin zu erkennen. Erfolglos, Rory ist schlieÃlich die Erste, die aufgibt, sie die Lippen befeuchtet.
âGlaubst du Grandma geht es bald wieder besser?â
âWenn ich mit ihr fertig bin, dann wird es noch eine ganze Weile dauern, glaub mir.â
âDu bist wirklich wütend, oder?â, erkundigt sie sich zaghaft, obwohl sie die Antwort bereits kennt.
âSie haben mich verarschtâ, ruft Lorelai auch dementsprechend gereizt aus. âTotal. Mein Leben lang. Verarscht und angelogen. 38 Jahre lang. Wärst du da nicht wütend? Bist du es denn nicht?â
âKeine Ahnungâ, sagt sie leise. âIch bin einfach nur verwirrt, glaube ich.â
âUnd ich bin unehelich.â
âDas bin ich auchâ, ein unbeholfenes Zucken mit der Schulter.
âJa, aber ich habe dich nicht dafür gehasstâ, bitter klingt es, fast den Tränen nahe. Aber wegen Emily zu weinen, nein, den Gefallen wird sie ihrer Mutter bestimmt nicht tun. Und ihr Vater? Was ist mit Richard?
âGrandma hasst dich doch nichtâ, ruft Rory aus, ein bisschen entsetzt ist sie über die Worte Lorelais.
âDoch, Rory, was sonst? Jahrelang habe ich mich gefragt, warum wir so eine schlechte Beziehung haben und jetzt ist es mir klar. Sie hat mich nie gewollt, ich habe ihr alles versaut und das hat sie mich spüren lassen.â
âDas glaube ich nicht, Mom.â
âWillst du sie etwa in Schutz nehmen?â, herausfordernd reckt sie ihr Kinn vor.
âJa. Nein. Grandma ist vielleicht nicht so eine tolle Mom wie du, aber für jemanden der aus so einer Familie kommt, hat sie ihre Sache doch ganz gut gemachtâ, versucht sie zu erklären, ihre GroÃmutter zu verteidigen. âIch meine, vielleicht wollte sie dich auch mit einem dieser reichen Jungs verkuppeln, aber bestimmt nicht, weil sie glaubt, es ist alles wozu du nütze bist.â
âWer sagt denn so was?â, ein unverständliches Schnauben.
âLouise Johnson. Sie hat es vielleicht nicht in diesen Worten gesagt, aber sie hat es zu Grandma gesagt. Sie hat sie behandelt, als wäre sie nichts wert. Und das macht mich wütend. Genauso wie das, was sie über Grandpa gesagt haben. Es war gemein und fies und falsch.â
âEs war auch gemein und fies und falsch mich anzulügen!â
âSie hatten bestimmt einen Grund dafürâ, bringt sie die wohl leerste aller Entschuldigungen vor.
âKlar hatten sie den, den mir die Wahrheit zu verschweigen. Was hätte ich denn sonst von ihnen denken sollen? Das sie auch menschliche Züge an sich haben? Nein, das konnten sie natürlich nicht zulassen!â
âImmerhin haben sie wegen dir geheiratetâ, ruft sie triumphierend aus, der kurze Moment des Hochgefühls verschwindet jedoch augenblicklich wieder, als ihr bewusst wird, was sie da gesagt hat.
âWas?â, fragt Lorelai nach.
âDu hast Dad nicht geheiratet, sie haben es getanâ, erklärt sie reichlich kleinlaut, zerstört es doch ihre Illusion.
âDu weiÃt genau, weshalb ich Christopher nicht geheiratet habe, es wäre nicht gut gegangen. Niemals.â
âUnd bei ihnen ist es auch nicht gut gegangenâ, diese Worte murmelt sie nur noch, fragt sich, ob sie sich das Lächeln, die Blicke ihrer GroÃeltern vielleicht doch nur eingebildet hat, ob da in Wirklichkeit nie etwas war.
âRory, neinâ, erstaunt sieht sie auf. âDas glaube ich nicht. Das ist, es istâ, sie schüttelt den Kopf, zaghaft. Pennilyn Lott, schieÃt es ihr durch den Kopf, die jährlichen Essen mit ihrem Vater. Essen? Nur Essen? Und Farnsworth, so bitter es auch ist, gab es sie, eine Berechtigung? âGott, vermutlich hast du Recht. Sie waren über 35 Jahre lang in einer miesen Ehe, weil es sich so gehört hat. Und ich habe ihnen deswegen nicht Mal Dankbarkeit entgegengebracht. Wie auch? Ich wusste schlieÃlich nichts davon. Ein Grund mehr für sie, mich zu hassen.â
âSie hassen dich nicht!â, die Zerknirschtheit weicht wieder dem Verlangen zu verteidigen, zu reparieren.
âWie könnten sie nicht?â, ein wütender Blick, ein Schluchzen.
âMomâ, sagt sie leise, legt einen Arm um Lorelai, die nun doch leise zu weinen begonnen hat, weint obwohl sie es doch nicht wollte, es ihr unglaublich sinnlos und kraftraubend vorkommt âSie hassen dich nicht, da bin ich mir sicherâ, flüstert Rory beschwörend. âSie sind vielleicht nicht sonderlich gut darin, es dir zu zeigen, aber du bist ihre Tochter, sie lieben dich, sie sind stolz auf dich.â
âWas macht dich da so sicher?â, schnieft sie.
âWenn es nicht so wäre, dann könntet ihr euch gegenseitig nicht so sehr verletzen. Und das ist es doch was ihr tut, ständig.â
âDas ist ganz bestimmt nicht meine Schuld!â
âEs ist nicht nur ihre. Sie mischen sich ein, du verheimlichst ihnen deswegen alles, sie werden sauer, es herrscht Funkstille, ihr vertragt euch kurzfristig wieder, du verschweigst ihnen wieder was, sie werden wieder sauer, mischen sich noch mehr ein und keiner von euch denkt daran von diesem Karussell abzuspringenâ, sie merkt, dass ihre Worte nichts tröstliches mehr an sich haben, eher einer Anklage gleichen.
âIch bin vor zwanzig Jahren abgesprungen, als ich ausgezogen bin. Ich bin abgesprungen, als ich ihnen das Geld für Chilton zurückgegeben habe. Aber ich hänge an einem Gummiseil, egal wie schnell und weit ich weglaufe, pengâ, eine hektische Handbewegung. âEs katapultiert mich wieder zurück.â
âDann bin ich vielleicht ein Gummiseil, aber ich bin es gerne.â
âIch spreche doch nicht von dir, Rory.â
âDoch Mom, das tust du. Ich war es, wegen der du dir Geld von ihnen leihen musstest, ich bin es, wegen der du wieder zu den Dinnern musstest. Den Dinner, die du grauenvoll findest, aber ich habe sie immer gemocht, ich mochte die Freitagabende. Ich fand es schön, meine ganze Familie zu sehen, zusammen. Deswegen wollte ich auch, dass wir hierher fahren! Egal was war und was jetzt ist, ich will, dass ihr euch vertragt!â
âWas wenn ich nein sage, was wenn ich dir hier und jetzt verspreche, nie wieder auch nur eine Silbe mit Emily Gilmore zu wechseln? Was tust du dann, Gummiband?â
âDann werde ich dich K.O. schlagen, dich an einen Stuhl fesseln und dich gemeinsam mit Grandma in ein Zimmer sperren. Und zwar solange, bis ihr endlich diese ganzen albernen Geschichten aus der Vergangenheit vergesst.â
âSoll das eine Drohung sein?â
âAllerdings!â
âDu drohst mir? Meine eigene Tochter fällt mir in den Rücken?â
âDeine Tochter hat lediglich die Schnauze voll, sie will, dass ihre Mutter das endlich klärt. Zumal sich jetzt eine Chance dazu bietet, eine Chance über alles zu reden, es zu vergessen!â
âHast du etwa vergessen, dass ich nicht mit ihr reden kann? Ich sage Hallo und sie versteht Auf Wiedersehen, ich schreie Feuer und sie schüttet Benzin darauf. Es geht nicht, wir sprechen verschiedene Sprachen, Sprachen für die es einfach keine anständige Ãbersetzungsform gibt.â
âDann benütze eben die Zeichensprache, mal Bilder, spiel Scharade mit ihr, geh von mir aus in einen Russischkurs mit ihr. Aber versuch es zumindest. Bitte, das ist mir wirklich wichtig!â
Lorelai senkt den Kopf, bettet ihn auf ihren Knien und seufzt. So ungern sie ihrer Tochter wehtut, es geht nicht, daher steht sie auf, streicht Rory über die Wange, flüstert ein leises âEs tut mir leid, Engelchenâ. Dann geht sie zum Schrank, zieht ihren Koffer herunter, springt erschrocken zur Seite, als ihr ein Karton entgegen fällt, sich sein Inhalt mit einer Wolke aus Staub auf dem FuÃboden verteilt.
***
Ihr Kopf schmerzt immer noch fürchterlich, macht es ihr schwer die Gedanken zu sortieren, es dauert eine Weile ehe sie sich erinnert, leise stöhnt.
âWie ich sehe, bist du wach.â
Sie schlägt die Augen auf, muss ein paar Mal blinzeln, ehe die Gestalt ihrer Mutter scharfe Konturen annimmt.
âWo ist Richard?â, erkundigt sie sich ohne Umschweife, das Letzte was sie weiÃ, er war hier, seine Hand auf ihrer Wange, ein gemurmeltes âIch liebe dichâ, obwohl sie all diese furchtbaren Dinge zu ihm gesagt hat.
âDu glaubst doch nicht, dass ich diesen Mann auch nur eine Sekunde länger unter meinem Dach dulde. Du hättest hören sollen, wie er mit mir gesprochen hat.â
âDas tut mir leid, Mutterâ, ertappt sie sich dabei, wie sie sich für ihren Ehemann entschuldigt, sich entschuldigt, wo es vermutlich nichts zu entschuldigen gibt.
Ohnehin ist es egal, denn die Entschuldigung wird geflissentlich ignoriert. âDer Arzt hat dir eine Woche Bettruhe verordnet, scheinbar hast du dir einen Grippevirus eingefangenâ, ein missbilligendes Seufzen. âIch kann nur hoffen, dass du keines der Kinder angesteckt hast.â
âDie Kinderâ, flüstert Emily mit einem matten Lachen, das vieles bedeuten kann, eine Welle der Wut durchströmt ihren Körper, Wut und Verbitterung. âSieh sie dir an, Mutter. Sie dir mein Kind genau an. Sieh dir genau an, wen du da beinahe umgebracht hättest.â
âMir reicht, was ich gesehen habe, Emilyâ, entgegnet Louise Johnson kühl. âUnd jetzt schlaf, mit einer Grippe ist nicht zu spaÃen.â
To be continued.
ATN: Ich hoffe der Teil war genehm *G* :p
Sie faltet die Hände auf ihrem ebenso eleganten wie gemessenem Kleid und hebt eine Augenbraue, während sie Richard betrachtet. âIch denke nicht, dass ihre Anwesenheit in unserem Hause noch länger von Nöten istâ, erklärt sie kühl.
âDas sehe ich andersâ, erwidert er nicht weniger distanziert, doch Louise lässt diesen Einwand nicht gelten. Mit einer für ihr Alter überraschenden Geschmeidigkeit erhebt sie sich.
âAuf Wiedersehen, Mr. Gilmoreâ, sie macht sich nicht die Mühe ihm die Hand zum Abschied zu reichen, er macht sich nicht die Mühe zu gehen, hat keinerlei Absichten es zu tun. Gerade als er seinem Gegenüber dies auch mitteilen will, kommt sie ihm zuvor.
âGlauben sie etwa ernsthaft, dass ihre Anwesenheit einen Einfluss auf die Rekonvaleszenz meiner Tochter hat?â
âUnd wenn es so wäre?â, antwortet er mit einer Gegenfrage und in Louise Johnsons Augen spiegelt sich ein amüsiertes Lächeln.
âDas wage ich offen gestanden ernsthaft zu bezweifeln. Im Gegenteil, Emily war schon als Kind kränklich und ist jedes Mal wieder genesen, ohne das ich mich an ihre Anwesenheit hier erinnern könnte.â
âUnd ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie in den letzten vierzig Jahren jemals krank gewesen wäre, ohne dass ich bei ihr war.â
âAch nein?â, einen leicht süffisanten Ton schlägt sie jetzt an, beinahe spielerisch, eine Katze die noch mit der Maus spielt, ehe sie sie verschlingt. âVielleicht sollte ich sie dann eines besseren belehren?â
âEines besseren belehren?â, hakt er nach.
âNun, soweit ich mich erinnere, können sie sich nicht ihrer Präsenz rühmen, was die Geburt Lorelais betrifft.â
âWaren sie etwa da?â, dieses Spiel kennt er auch, er kennt die Regeln. Zumindest hat er das bis heute immer geglaubt.
âNein. Aber ich war auch nicht für ihren Zustand verantwortlich. Verantwortlich und habe mich verantwortungslos gezeigt.â
âGlauben sie etwa, ich hätte nicht, es vorgezogen bei meiner Frau zu sein, anstatt meine Zeit mit dem Vietcong zu verbringen?â, zischt er leicht verärgert â und dies soll erst der Anfang sein.
âGenau das ist der Punktâ, sagt sie scharf. âSie haben es nicht nur vorgezogen, nein sie haben sich der Verantwortung entzogen, nachdem sie Emily in diese überaus missliche Lage gebracht hatten.â
âIch habe mich niemals meiner Verantwortung entzogen!â, ruft er aus, kann den Ãrger in seiner Stimme dieses Mal nur schwerlich unterdrücken.
âEtwas Verantwortungsloseres als ein unerfahrenes, junges Mädchen zu entehren, gibt es wohl kaum! Sie zu schänden und dann mit der Frucht des verbotenen Tuns, sich und der Schande anheim zu lassen! Nein, Mr. Gilmore, sie sind alles andere als ein Ehrenmann. Denn wenn sie einer wären, dann hätten sie Emily nicht nur geheiratet, sondern sie hätten es getan, ehe sie sie zu diesen Inexprimables gezwungen haben.â
âGott, sie sind ja verrückt, ich habe Emily zu nichts gezwungen, wir ââ
âNiemals!â, fällt sie ihm ins Wort. âHätte meine Tochter freiwillig das Bett mit ihnen geteilt. Sie ist anständig erzogen worden, sie weià um die Nachwehen der Zügellosigkeit und Lasterhaftigkeit. Doch sie haben ihre Wehrlosigkeit ausgenutzt, haben sie und unsere Familienehre befleckt.â
âDas ist doch einfach absurdâ, er schüttelt den Kopf, hat Mühe nicht laut loszulachen, erinnert sich jedoch gleichzeitig wieder an Emilys Worte, eine Erklärung als es noch nichts zu erklären gab, geradeso als ob sie es gewusst hätte, als ob sie geahnt hätte, dass dieses Gespräch früher oder später stattfinden würde. âSie werfen mir Verantwortungslosigkeit vor, weil ich es gewagt habe, ihre Tochter zu liebenâ, bringt er mit mittlerweile vor Wut zitternder Stimme hervor. âWarum geben sie nicht zu, dass es niemals Emily war, um die sie sich sorgten, sondern der Ruf der Johnsons.â
âEmily ist eine Johnson. Schon alleine deswegen hätte sie dieses Balg niemals zur Welt bringen dürfen!â, schnaubt sie, derselbe Tonfall wie beim Abendessen, ein Kojote auf der Jagd. âUnd Gott weiÃ, dass ich das meinige getan habe, um es zu verhindern, um Emily und unsere Familie vor dieser Schande zu bewahren!â
âSie hätten sie doch auf offener StraÃe krepieren lassenâ, sagt er mit plötzlich leiser, beinahe heiserer Stimme.
Sie zuckt zusammen, fängt sich jedoch augenblicklich wieder. âVerlassen sie sofort mein Haus, Mr. Gilmore.â Er kommt ihrer Aufforderung nach, tut es dieses Mal, ahnt, dass er es dieses Mal besser tun sollte.
***
Sie verschlieÃt den cremefarbenen Umschlag, streicht zärtlich über das Papier, eine Adresse, die keine ist, eine wirre Aneinanderreihung von Zahlen und Kürzeln, sie hat sie noch nie verstanden, aber der Postbote scheint es zu tun, bisher sind sie alle angekommen, ihre Briefe, kamen die seinen alle bei ihr an. Schwerfällig steht sie auf, muss sich dabei vom Schreibtisch abstützen, presst ihre andere Hand gegen ihr SteiÃbein, seufzt müde. Es ist langsam wirklich Zeit, die Schwangerschaft hat ihr in den letzten Wochen mehr zu schaffen gemacht, als sie jemals zugeben würde. Sie bräuchte mittlerweile mehr Hilfe, als sie anzunehmen gewillt ist. Niemals käme es für sie in Frage, sich vor Lorelai Gilmore auch noch freiwillig zu erniedrigen, zuzugeben, dass sie nahezu unfähig ist, so einfache Dinge wie das SchlieÃen eines ReiÃverschlusses selbst zu vollziehen, von den vermaledeiten Knöpfen, welche die meisten Rückseiten ihrer Kleider zieren, ganz zu schweigen. Dinge die ihr immer selbstverständlich erschienen, sind plötzlich zu zeitraubenden Aufgaben geworden.
Ein Klopfen, ein Tablett in der Hand, erscheint das Hausmädchen in der Tür. âIch habe ihnen einen Tee gemacht, Miss Johnson.â
âDanke, Claraâ, sie deutet auf den Schreibtisch. âStellen sie ihn doch bitte hier ab.â
âNatürlich, Missâ, beeilt das Mädchen sich der Aufforderung nachzukommen. âKann ich sonst noch etwas für sie tun, ehe ich Feierabend mache?â
Sie will schon verneinen, als ihr Blick auf den Brief neben dem Teeservice fällt. âJa, vielleichtâ, nimmt sie ihn, reicht ihn ihrem Gegenüber. âVielleicht könnten sie den hier auf dem Nachhauseweg für mich aufgeben?â
âJa, Missâ, ein höflicher Knicks, der Brief verschwindet derweil in ihrer Schürzentasche. âUnd sonst kann ich wirklich nichts mehr für sie erledigen?â
âDanke, nein, Claraâ, entgegnet sie mit einem Lächeln, streift sich dabei geistesabwesend über den SteiÃ.
âSind sie sicher?â
âNatürlich bin ich das. Ich werde noch ein wenig lesen und dann früh zu Bett gehen.â
âSie sehen auch müde aus.â
âHerzlichen Dank, Claraâ, entgegnet sie trocken.
âVerzeihung, ich wollte nicht â ich dachte mir nur, wenn sie vielleicht möchten, dann könnte ich ihnen noch ein Bad einlassen, ehe ich gehe.â
âDas ist zwar ein reizendes Angebot, allerdings würden sie dann Morgen eine aufgedunsene Wasserleiche im Badezimmer vorfindenâ, erklärt sie, fügt ein leises âFalls ich überhaupt noch weiter aufdunsen kannâ, hinzu.
âWie dumm von mir, ich kann ihnen natürlich gerne behilflich sein, dass wäre kein Problemâ, ereifert sie sich geradezu, will vermutlich den dummen Tritt ins Fettnäpfchen wieder gut machen.
âNeinâ, wehrt sie ab, wehrt es ab, obwohl sie eigentlich gerne und sei es nur für fünf verdammte Minuten â âDas heiÃt, wenn sie vielleicht â ich will sie bestimmt nicht um ihren Feierabend berauben.â
âOh, ich hatte heute sowieso nichts mehr vorâ, ruft sie aus, ist dabei schon auf dem halben Weg ins Badezimmer. Das Geräusch einlaufenden Wassers breitet sich aus, während Emily mit gewissen Zweifeln kämpft, dennoch Clara in das Badezimmer folgt.
âHören sie, falls es ihnen doch Umstände ââ
âAber neinâ, wiegelt sie ab, lässt etwas Badeschaum in Wasser laufen. âWissen sie, meine Schwester hat drei Kinder, ich hab ihr gegen Ende der Schwangerschaften immer geholfen. Und die Hilfe hat sie auch gebraucht, glauben sie mir, völlig fertig war sie immer in den letzten zwei Monaten. Und das obwohl sie um einiges kräftiger ist als sie, Miss.â
Ein privates Lächeln huscht über Emilys Gesicht. âVielen Dank, Claraâ, sagt sie, die Verlockung nach einem einfachen Bad ist einfach zu groÃ, sie wird Clara auch sicherlich nicht lange aufhalten, nur einen kurzen Augenblick, ein wenig Wärme, der Geruch von Rosen und Jasmin, das Gefühl im Wasser schweben zu können.
Ein wenig unbeholfen, macht sie sich an dem seitlichen ReiÃverschluss ihres Kleides zu schaffen, zögert erneut einen kurzen Augenblick, ehe sie es Clara gestattet ihr zur Hand zu gehen. Was sollâs, mahnt sie sich, du wirst wohl kaum im Unterrock ins Wasser steigen können. AuÃerdem ist sie nicht die einzige, die in den letzten Monaten das zweifelhafte Vergnügen hatte, dich nackt zu sehen, denk an Lorelai. Also entledigt sie sich ihrer Kleider, steigt dennoch so schnell wie möglich in das Badewasser, versucht es zwar so anmutig wie möglich zu tun, doch der Versuch scheitert gründlich. Eine heftige Welle schwappt durch das Wasser und sie hat Mühe nicht zu lachen, kann nicht umhin an Richards letzten Brief zu denken. Eine Gazelle, wenn du mich nur sehen könntest, Richard, selbst Gürteltiere dürften im Moment graziler sein, denn ich. Sie greift nach dem Schwamm, streicht über ihre Oberarme, würde die Prozedur gerne mit ihrem Bauch wiederholen, wagt es jedoch nicht diese Albernheit in Gegenwart des Hausmädchens zu vollführen, ebenso wenig, wie sie es wagt sie fortzuschicken, setzt stattdessen dazu an, den Schwamm über ihre Schultern gleiten zu lassen.
âWarten sie, Missâ, nimmt Clara ihr den Schwamm aus den Händen. âSie lassen sich wirklich nicht gerne helfen, oder?â
âIst das so offensichtlich?â, fragt sie, eine rhetorische Frage auf die sie keine Antwort erwartet, keine Antwort erhält. Sie legt den Kopf auf ihre Knie, ein Unterfangen, das sich schwieriger gestaltet als gedacht. Aber es gelingt ihr eine einigermaÃen bequeme Position zu finden, sie schlieÃt die Augen, während sie die sanfte Rückenmasur geradezu zu genieÃen beginnt. Geradezu, denn die Absurdität der Situation springt ihr plötzlich ins Gesicht. Du kennst diese Frau nicht einmal richtig, ein Hausmädchen und trotzdem schnurrst du beinahe wie eine Katze. Sie schluckt, ein Prickeln auf ihrem Gaumen, sie versucht noch die Tränen wegzublinzeln, wegzujagen, doch es gelingt es ihr nicht. âClaraâ, hört sie sich selbst sagen, tut es in einem viel zu scharfen Ton. âLassen sie mich alleine.â
âAlles in Ordnung, Miss?â
âJaâ, presst sie hervor. âBitte, nur eine Minute, ja? Danach können sie nach Hause gehen.â
âRufen sie mich einfach, wenn sie soweit sind, Miss.â
âWirklich, nur eine Minuteâ, sie drückt ihre Wange gegen ihr Knie, hat die Augen wieder geschlossen, schmeckt dennoch den vertrauten Geschmack von Salz auf ihren Lippen. Wartet ungeduldig bis Claras Schritte an der Badezimmertür angekommen sind, das Mädchen die Tür hinter sich schlieÃt, ehe sie laut aufschluchzt, wieder einmal weint, obwohl sie sich jedes Mal schwört, es nicht wieder zu tun, da es ihr so unglaublich sinnlos und kraftraubend erscheint.
***
Seit Minuten sitzen sie auf dem Bett, bewegungslos, sprachlos, jede hängt für sich ihren Gedanken nach, versucht das verhedderte Netz zu entknoten, ein klares Muster darin zu erkennen. Erfolglos, Rory ist schlieÃlich die Erste, die aufgibt, sie die Lippen befeuchtet.
âGlaubst du Grandma geht es bald wieder besser?â
âWenn ich mit ihr fertig bin, dann wird es noch eine ganze Weile dauern, glaub mir.â
âDu bist wirklich wütend, oder?â, erkundigt sie sich zaghaft, obwohl sie die Antwort bereits kennt.
âSie haben mich verarschtâ, ruft Lorelai auch dementsprechend gereizt aus. âTotal. Mein Leben lang. Verarscht und angelogen. 38 Jahre lang. Wärst du da nicht wütend? Bist du es denn nicht?â
âKeine Ahnungâ, sagt sie leise. âIch bin einfach nur verwirrt, glaube ich.â
âUnd ich bin unehelich.â
âDas bin ich auchâ, ein unbeholfenes Zucken mit der Schulter.
âJa, aber ich habe dich nicht dafür gehasstâ, bitter klingt es, fast den Tränen nahe. Aber wegen Emily zu weinen, nein, den Gefallen wird sie ihrer Mutter bestimmt nicht tun. Und ihr Vater? Was ist mit Richard?
âGrandma hasst dich doch nichtâ, ruft Rory aus, ein bisschen entsetzt ist sie über die Worte Lorelais.
âDoch, Rory, was sonst? Jahrelang habe ich mich gefragt, warum wir so eine schlechte Beziehung haben und jetzt ist es mir klar. Sie hat mich nie gewollt, ich habe ihr alles versaut und das hat sie mich spüren lassen.â
âDas glaube ich nicht, Mom.â
âWillst du sie etwa in Schutz nehmen?â, herausfordernd reckt sie ihr Kinn vor.
âJa. Nein. Grandma ist vielleicht nicht so eine tolle Mom wie du, aber für jemanden der aus so einer Familie kommt, hat sie ihre Sache doch ganz gut gemachtâ, versucht sie zu erklären, ihre GroÃmutter zu verteidigen. âIch meine, vielleicht wollte sie dich auch mit einem dieser reichen Jungs verkuppeln, aber bestimmt nicht, weil sie glaubt, es ist alles wozu du nütze bist.â
âWer sagt denn so was?â, ein unverständliches Schnauben.
âLouise Johnson. Sie hat es vielleicht nicht in diesen Worten gesagt, aber sie hat es zu Grandma gesagt. Sie hat sie behandelt, als wäre sie nichts wert. Und das macht mich wütend. Genauso wie das, was sie über Grandpa gesagt haben. Es war gemein und fies und falsch.â
âEs war auch gemein und fies und falsch mich anzulügen!â
âSie hatten bestimmt einen Grund dafürâ, bringt sie die wohl leerste aller Entschuldigungen vor.
âKlar hatten sie den, den mir die Wahrheit zu verschweigen. Was hätte ich denn sonst von ihnen denken sollen? Das sie auch menschliche Züge an sich haben? Nein, das konnten sie natürlich nicht zulassen!â
âImmerhin haben sie wegen dir geheiratetâ, ruft sie triumphierend aus, der kurze Moment des Hochgefühls verschwindet jedoch augenblicklich wieder, als ihr bewusst wird, was sie da gesagt hat.
âWas?â, fragt Lorelai nach.
âDu hast Dad nicht geheiratet, sie haben es getanâ, erklärt sie reichlich kleinlaut, zerstört es doch ihre Illusion.
âDu weiÃt genau, weshalb ich Christopher nicht geheiratet habe, es wäre nicht gut gegangen. Niemals.â
âUnd bei ihnen ist es auch nicht gut gegangenâ, diese Worte murmelt sie nur noch, fragt sich, ob sie sich das Lächeln, die Blicke ihrer GroÃeltern vielleicht doch nur eingebildet hat, ob da in Wirklichkeit nie etwas war.
âRory, neinâ, erstaunt sieht sie auf. âDas glaube ich nicht. Das ist, es istâ, sie schüttelt den Kopf, zaghaft. Pennilyn Lott, schieÃt es ihr durch den Kopf, die jährlichen Essen mit ihrem Vater. Essen? Nur Essen? Und Farnsworth, so bitter es auch ist, gab es sie, eine Berechtigung? âGott, vermutlich hast du Recht. Sie waren über 35 Jahre lang in einer miesen Ehe, weil es sich so gehört hat. Und ich habe ihnen deswegen nicht Mal Dankbarkeit entgegengebracht. Wie auch? Ich wusste schlieÃlich nichts davon. Ein Grund mehr für sie, mich zu hassen.â
âSie hassen dich nicht!â, die Zerknirschtheit weicht wieder dem Verlangen zu verteidigen, zu reparieren.
âWie könnten sie nicht?â, ein wütender Blick, ein Schluchzen.
âMomâ, sagt sie leise, legt einen Arm um Lorelai, die nun doch leise zu weinen begonnen hat, weint obwohl sie es doch nicht wollte, es ihr unglaublich sinnlos und kraftraubend vorkommt âSie hassen dich nicht, da bin ich mir sicherâ, flüstert Rory beschwörend. âSie sind vielleicht nicht sonderlich gut darin, es dir zu zeigen, aber du bist ihre Tochter, sie lieben dich, sie sind stolz auf dich.â
âWas macht dich da so sicher?â, schnieft sie.
âWenn es nicht so wäre, dann könntet ihr euch gegenseitig nicht so sehr verletzen. Und das ist es doch was ihr tut, ständig.â
âDas ist ganz bestimmt nicht meine Schuld!â
âEs ist nicht nur ihre. Sie mischen sich ein, du verheimlichst ihnen deswegen alles, sie werden sauer, es herrscht Funkstille, ihr vertragt euch kurzfristig wieder, du verschweigst ihnen wieder was, sie werden wieder sauer, mischen sich noch mehr ein und keiner von euch denkt daran von diesem Karussell abzuspringenâ, sie merkt, dass ihre Worte nichts tröstliches mehr an sich haben, eher einer Anklage gleichen.
âIch bin vor zwanzig Jahren abgesprungen, als ich ausgezogen bin. Ich bin abgesprungen, als ich ihnen das Geld für Chilton zurückgegeben habe. Aber ich hänge an einem Gummiseil, egal wie schnell und weit ich weglaufe, pengâ, eine hektische Handbewegung. âEs katapultiert mich wieder zurück.â
âDann bin ich vielleicht ein Gummiseil, aber ich bin es gerne.â
âIch spreche doch nicht von dir, Rory.â
âDoch Mom, das tust du. Ich war es, wegen der du dir Geld von ihnen leihen musstest, ich bin es, wegen der du wieder zu den Dinnern musstest. Den Dinner, die du grauenvoll findest, aber ich habe sie immer gemocht, ich mochte die Freitagabende. Ich fand es schön, meine ganze Familie zu sehen, zusammen. Deswegen wollte ich auch, dass wir hierher fahren! Egal was war und was jetzt ist, ich will, dass ihr euch vertragt!â
âWas wenn ich nein sage, was wenn ich dir hier und jetzt verspreche, nie wieder auch nur eine Silbe mit Emily Gilmore zu wechseln? Was tust du dann, Gummiband?â
âDann werde ich dich K.O. schlagen, dich an einen Stuhl fesseln und dich gemeinsam mit Grandma in ein Zimmer sperren. Und zwar solange, bis ihr endlich diese ganzen albernen Geschichten aus der Vergangenheit vergesst.â
âSoll das eine Drohung sein?â
âAllerdings!â
âDu drohst mir? Meine eigene Tochter fällt mir in den Rücken?â
âDeine Tochter hat lediglich die Schnauze voll, sie will, dass ihre Mutter das endlich klärt. Zumal sich jetzt eine Chance dazu bietet, eine Chance über alles zu reden, es zu vergessen!â
âHast du etwa vergessen, dass ich nicht mit ihr reden kann? Ich sage Hallo und sie versteht Auf Wiedersehen, ich schreie Feuer und sie schüttet Benzin darauf. Es geht nicht, wir sprechen verschiedene Sprachen, Sprachen für die es einfach keine anständige Ãbersetzungsform gibt.â
âDann benütze eben die Zeichensprache, mal Bilder, spiel Scharade mit ihr, geh von mir aus in einen Russischkurs mit ihr. Aber versuch es zumindest. Bitte, das ist mir wirklich wichtig!â
Lorelai senkt den Kopf, bettet ihn auf ihren Knien und seufzt. So ungern sie ihrer Tochter wehtut, es geht nicht, daher steht sie auf, streicht Rory über die Wange, flüstert ein leises âEs tut mir leid, Engelchenâ. Dann geht sie zum Schrank, zieht ihren Koffer herunter, springt erschrocken zur Seite, als ihr ein Karton entgegen fällt, sich sein Inhalt mit einer Wolke aus Staub auf dem FuÃboden verteilt.
***
Ihr Kopf schmerzt immer noch fürchterlich, macht es ihr schwer die Gedanken zu sortieren, es dauert eine Weile ehe sie sich erinnert, leise stöhnt.
âWie ich sehe, bist du wach.â
Sie schlägt die Augen auf, muss ein paar Mal blinzeln, ehe die Gestalt ihrer Mutter scharfe Konturen annimmt.
âWo ist Richard?â, erkundigt sie sich ohne Umschweife, das Letzte was sie weiÃ, er war hier, seine Hand auf ihrer Wange, ein gemurmeltes âIch liebe dichâ, obwohl sie all diese furchtbaren Dinge zu ihm gesagt hat.
âDu glaubst doch nicht, dass ich diesen Mann auch nur eine Sekunde länger unter meinem Dach dulde. Du hättest hören sollen, wie er mit mir gesprochen hat.â
âDas tut mir leid, Mutterâ, ertappt sie sich dabei, wie sie sich für ihren Ehemann entschuldigt, sich entschuldigt, wo es vermutlich nichts zu entschuldigen gibt.
Ohnehin ist es egal, denn die Entschuldigung wird geflissentlich ignoriert. âDer Arzt hat dir eine Woche Bettruhe verordnet, scheinbar hast du dir einen Grippevirus eingefangenâ, ein missbilligendes Seufzen. âIch kann nur hoffen, dass du keines der Kinder angesteckt hast.â
âDie Kinderâ, flüstert Emily mit einem matten Lachen, das vieles bedeuten kann, eine Welle der Wut durchströmt ihren Körper, Wut und Verbitterung. âSieh sie dir an, Mutter. Sie dir mein Kind genau an. Sieh dir genau an, wen du da beinahe umgebracht hättest.â
âMir reicht, was ich gesehen habe, Emilyâ, entgegnet Louise Johnson kühl. âUnd jetzt schlaf, mit einer Grippe ist nicht zu spaÃen.â
To be continued.
ATN: Ich hoffe der Teil war genehm *G* :p