Er weiÃ, dass er es besser lassen sollte, wenn er sich den Unmut seiner Schwiegermutter nicht noch weiter zuziehen will. Andererseits kann es ihm völlig egal sein, er legt keinen Wert auf ihre Meinung, weshalb sollte er auch? Also nutzt er die Gelegenheit, streicht in einigem Abstand zum illuminierten Garten um das Haus herum, wartet bis sich der Dienstboteneingang öffnet und einer der Caterer herauseilt. Es ist nur dem Alter der Tür zu verdanken, den schweren Angeln, dass er es noch rechtzeitig schafft seinen Schuh in sie zu schieben, bevor sie zufällt. Er schlüpft hinein und bahnt sich vorsichtig seinen Weg durch das Haus, ist froh, dass er trotz des vielen Gäste lediglich einigen der Dienstleuten begegnet, die ihm zwar fragende Blicke zuwerfen, aber keine Fragen stellen oder ihn gar aufhalten.
Als er endlich im zweiten Stock angekommen ist, die Tür ihres Zimmers hinter sich schlieÃt, lässt das nervöse Rasen seines Pulses augenblicklich nach und er konzentriert sich auf seine Frau, geht zu ihrem Bett, setzt sich auf den Rand, kann nicht anders denn Lächeln. Er sieht sie gerne an, wenn sie schläft, hat es immer getan. Wenn sie wach ist, lässt sie es ohnehin nicht zu, dass er sie so unverhohlen ansieht, dabei könnte er es stundelang tun. Vorsichtig legt er eine Hand auf ihre Stirn, stellt fest, dass das Fieber tatsächlich nachgelassen hat, obwohl ihre Stirn noch immer von einem feinen SchweiÃfilm bedeckt wird. Und obwohl er bedacht in seiner Geste war, wacht sie auf.
âRichardâ, murmelt sie verschlafen, ihre Stimme klingt heiser und matt. âWas machst du denn hier?â
âIch wollte nach dir sehen, Emâ, erwidert er und streicht über ihre Wange, sie belohnt ihn mit einem leisen Lächeln und greift nach seiner Hand, umschlieÃt sie fest mit der ihren, bettet sie auf ihrem Bauch.
âMutter wird es nicht gerne sehenâ, sagt sie und er zuckt so unbeteiligt wie möglich mit den Schultern, forciert seiner Stimme einen Beschwingten Unterton auf.
âUnd ich sehe es nicht gerne, dass du soviel redest, wenn du krank bist.â
âHast du mit Lorelai gesprochen?â, erkundigt sie sich ohne auf seinen Einwand zu achten und er nickt bejahend. âUnd?â, hakt sie nach, das einzelne Wort verliert sich in einem Hustenanfall, sie wendet Kopf und Körper zur Seite, spürt, wie er sich über sie beugt, ihr erneut über die Wange streicht, wartet bis es vorbei ist. AnschlieÃend hilft er ihr sich aufzurichten, reicht ihr das Glas Wasser vom Nachttisch und sie leert es begierig, genieÃt das Gefühl der kalten Flüssigkeit in ihrem rauen, trockenen Hals. Er nimmt ihr das Glas wieder ab und sie schlingt beinahe schutzsuchend ihre Arme um ihn, legt ihren Kopf an seine Schulter. âIst sie sehr wütend?â, flüstert sie in sein Hemd, atmet dabei seinen Geruch tief ein, fühlt sich durch seine Präsenz seltsam getröstet.
âIch denke nichtâ, antwortet er ehrlich, spürt im selben Moment wie der Körper seiner Frau sich entspannt, hört sie erleichtert ausatmen. Auch er ist, ist erleichtert darüber, das Lorelai zu verstehen scheint, auch wenn sie ihn um Zeit gebeten, Zeit es zu begreifen. âDu hast mir nie erzählt, dass du mit Lorelai darüber gesprochen hastâ, setzt er nach einigen Momenten des Schweigens an und obwohl er sich so vage ausdrückt, weià sie instinktiv wovon er spricht.
âIch hielt es für richtig, sie um Erlaubnis zu fragen. Ich wollte, dass sie damit einverstanden ist.â
âEs tut mir leidâ, sagt er. âAber du weiÃt, dass ich meine Gründe hatte. Gute Gründe.â
âFür dich waren sie das vielleichtâ, sie schluckt, ein Kratzen, ein Kloà im Hals. Für ihn waren sie es gewesen, gut und überzeugend, die Gründe kein weiteres Kind mehr zu bekommen. Und als sie endlich begriffen hatte, also sie endlich begriff, wovor er sich so fürchtete, da war es zu spät gewesen. Als sie begriff, war ihre Ehe beinahe am Ende und ihre Sechzehnjährige Tochter schwanger. Es war endgültig zu spät gewesen, ihre letzte Hoffnung vielleicht doch noch einmal ein Kind in ihren Armen zu halten, war gestorben. Die Hoffnung darauf, endlich wenigstens diesen einen Wunsch erfüllt zu bekommen. Es war der einzige Traum gewesen, den sie sich hin und wieder noch gestattet hatte und er hatte sich nie erfüllt.
Er streicht ihr wortlos durchs Haar, drückt sie sanft zurück in die Matratze. Legt sich schlieÃlich neben sie, als sie keinerlei Anstalten macht ihren Griff zu lösen. Sie bettet ihren Kopf an seiner Brust und schlieÃt die Augen, schwört sich es nur kurz zu tun, diese Intimität nur kurz zu genieÃen ehe sie Richard wieder wegschickt. Doch bevor sie diesen Gedanken noch richtig zu Ende gedacht hat, ist sie eingeschlafen.
***
Zufrieden patrouilliert Louise Johnson durch die Gänge ihres Hauses. Es ist spät, die letzten Gäste haben erst um kurz nach Zwei die Villa verlassen, es war beinahe halb Drei als endlich alle Verwandten zu Bett gegangen waren. Ein weiterer Beweis dafür, dass der Abend ein voller Erfolg war, wieder einmal hat sie es geschafft sich selbst zu übertrumpfen, die Feierlichkeiten anlässlich des 85. Geburtstages ihres Ehemannes waren mehr als gelungen und würden sicherlich noch lange in den Köpfen der Gäste haften bleiben.
Als sie das gelbe Zimmer passiert, wird ihr Schritt unwillkürlich langsamer, wird langsamer bis sie schlieÃlich stehen bleibt, sich umdreht und zurück geht, sich mit einem flüchtigen Blick vergewissern will, dass ihre Tochter wohlauf ist.
So sehr sie den Lebensstil Emilys missbilligt, sie wird immer ihre Tochter bleiben, sie hat niemals die Hoffnung aufgegeben, dass sie eines Tages doch noch Vernunft annehmen würde, das Richtige tun würde. Und als sie von der Scheidung erfuhr, hatte Louise innerlich jubiliert. Ein Trugschluss, wie sich schnell herausstellte. Richard Gilmore hat es geschafft, Emily erneut in seine Fänge zu ziehen, wieder einmal jeden ihrer Pläne für ihre mittlere Tochter zu vereiteln.
Niemals würde sie den Tag vergessen, an dem sie von der Schwangerschaft Emilys erfahren hatte. Der Tag an dem sie erfahren musste, dass ihre Tochter sich der Sünde hingegeben hatte. Es ihrer Ãberzeugung nach nur getan hatte, weil Richard Gilmore es ihr schön geredet hatte, es raffiniert geschafft hatte, das junges, unerfahrenes Mädchen um den Finger zu wickeln. Und Emily in ihrer Naivität hatte sich vermutlich nur zu gerne um den Fingern wickeln lassen, war sie doch schon immer verträumt gewesen (Louise Johnson ist die einzige, die ihrer Tochter diese Eigenschaft jemals zuschreiben würde, jemals zuschrieb.)
Niemals wird sie diese Briefe vergessen, all diese widerwärtigen, abscheulichen Anspielungen die der junge Gilmore darin gemacht hatte. Das Entsetzen, wenn ihre Tochter diese Obszönitäten hin und wieder, wenn auch sehr vage, erwiderte. Es stöÃt ihr heute noch bitter auf, Bitterkeit und Galle, wenn sie daran denkt, dass alles schief gelaufen ist. Es schief gelaufen ist, weil dieses dumme Dienstmädchen sich nicht an die schlichten Anweisungen gehalten hatte und so nicht nur das Leben ihrer Tochter gefährdet, sondern auch das dieses Bastards bewahrt hatte.
Sie erstarrt in ihrer letzten Bewegung, ein Moment des Schocks, blankes Entsetzen als sie sieht, wie ihre Tochter im Bett liegt, die Arme um Richard Gilmore geschlungen, ihn gotteslästernd küsst. (So sieht zumindest sie es, denn jeder andere, geübtere Betrachter würde diesen Kuss erkennen, als das was er ist: Ein simpler Abschiedskuss, sich sanft umspielende Lippen, die suchen den Abschied hinauszuzögern, dabei dennoch kläglich scheitern müssen. Deren Bemühungen in diesem Fall ohnehin jäh durch einen Aufschrei Louise Johnsons unterbrochen werden.) Sie lösen sich hastig voneinander, Emily schrickt auf, richtig sich auf, ebenso, wie Richard es tut. Ihre Arme schlingen sich um seinen rechten Arm, tun es fest, während sie sich gegen ihn presst, es dieses Mal wirklich schutzsuchend tut.
Einige Sekunden verstreichen, Sekunden in denen Louise Johnson atemlos und aufgebracht versucht Worte zu finden, gleichzeitig versucht ihre Fassung zurückzugewinnen. âVerlassen sie augenblicklich mein Hausâ, fährt sie Richard letztendlich ungehalten an. âOder ich sehe mich gezwungen die Polizei zu rufen.â
âIch war ohnehin gerade dabei zu gehenâ, entgegnet er höflich, spürt wie Emilys Griff sich verfestigt.
âDu weiÃt, dass wir verheiratet sind, Mutterâ, erklärt sie. âHope hat mir gesagt, dass du es weiÃt. Es besteht also keinerlei Veranlassung dazu, diese Farce auch nur eine Sekunde länger zu betreiben. Richard ist mein Ehemann und hat von daher das Recht, das Bett mit mir zu teilenâ, die letzten Worte spricht sie mit einer unglaublichen Trotzigkeit aus, die ihre Wirkung nicht verfehlt.
âEin Recht, dass er sich auch ohne den dafür notwendigen Segen geholt hatâ, erwidert Louise Johnson spitz, will Richard erneut dazu auffordern zu gehen, doch Emily kommt ihr zuvor.
âEin Recht, dass ich mir genommen habeâ, noch immer liegt der Trotz in ihrer Stimme, schafft es die leiseren Untertöne aus Traurigkeit und Krankheit zu überschatten.
âMach dich nicht lächerlich, Emilyâ, sie lacht, sie lacht tatsächlich, forciert so eine Welle der Wut bei Emily.
âAber so ist es, Mutter. Du kannst das vielleicht nicht begreifen, aber ich liebe ihn. Ich liebe meinen Mann. Er liebt michâ, stöÃt sie hervor. âUnd Lorelai, egal unter welchen Umständen sie gezeugt wurde, sie ist meine Tochter. Sie ist deine Enkelin.â
âSie ist ein Bastard.â
âDas ist sie nichtâ, sie schreit jetzt, ein klägliches Kratzen in der Stimme, schreit sie. âSie ist deine Enkeltochter. Ebenso wie die Kinder von Martha oder Hope es sind. Sie ist deine Enkelin und du, du hättest sie beinahe umgebracht.â
âEmilyâ, mit leisem Entsetzen packt Richard sie am Ellenbogen. âWas redest du denn da?â
âIch spreche von Oxytozin, Richardâ, erwidert sie, lässt ihre Mutter dabei nicht aus den Augen. âIch bin sicher diese Geschichte wird ihn brennend interessieren. Es gibt jede Menge Menschen, die sich brennend dafür interessieren würden,â sie springt auf, verheddert sich dabei beinahe in den Laken, ignoriert Richard, der es ihr gleichtut, seine Hand auf ihre Schulter legt, ein âEmily, bitteâ, murmelt.
âKein Wort wirst du darüber verlieren, Emily Johnson!â, stöÃt Louise fassungslos hervor.
âGilmore, Mutter. Gilmore, verdammt!â
âIch erlaube es nicht, dass in diesem Haus geflucht wird, dass weiÃt du ganz genau!â
âIch glaube Gott wird mir diese kleine Sünde gerade noch verzeihen, vor allem wenn man bedenkt mit welcher Erbsünde du mich belastet hastâ, es fällt ihr erstaunlich leicht sie wieder zu sprechen, die Sprache ihrer Kindheit, die Sprache ihrer Mutter.
âIch habe keine Ahnung wovon du sprichstâ, entgegnet sie kühl, hat keinerlei Absicht sich hier in ihrem Haus bloÃstellen zu lassen. Sie für etwas beschuldigen zu lassen, dass sie zwar getan hat, es jedoch keineswegs als Schuld empfindet.
âIch bin nicht ganz so dumm, wie du glaubst. Es hat eine Weile gedauert, aber irgendwann habe ich die Zusammenhänge dann doch verstandenâ, sie blinzelt die Zornestränen in ihren Augen zur Seite. âWusstest du, dass Richard deswegen keine Kinder mehr wollte? Er hatte Angst es könnte wieder passieren, er hatte Angst um mich, dieser dumme Kerl. Und als ich das endlich begriff, da war es schon zu spät. Denn als ich es begriff, da war meine Tochter schwanger und ich, ich konnte doch unmöglichâ, ein leises Lachen, sie schüttelt den Kopf. âAls GroÃmutter.â
âIch bin überrascht, dass du wenigstens einmal in deinem Leben so etwas wie Taktgefühl bewiesen hast, Emily.â
âEs geht hier nicht um Takt und Anstand. Es geht hier um Lorelai. Es geht darum, dass du willens warst, das Leben meiner Tochter für den Ruf der Familie aus Spiel zu setzen.â
âIch habe nichts getan, was in anbetracht der Umstände nicht gerechtfertig gewesen wäre. Da du nicht willens warst auf Elliot zu hören, war es das einzige was zu tun übrig blieb, Emily. Und wenn du dich nur eine Minute deiner Erziehung besinnen würdest, dann wüsstest du, dass es richtig war!â
âDu bereust es wirklich nicht, oder?â, sagt sie fassungslos. âEs ist dir tatsächlich vollkommen egal. Sie ist dir vollkommen egal. Hast du sie dir überhaupt angesehen? Hast du dir Lorelai überhaupt angesehen?â
âDas habe ichâ, lautet die knappe Antwort.
âUnd?â, sie ist selbst überrascht von der Hoffnung, die sie in diese Frage packt, schüttelt Richard von sich, der sie sanft am Ellenbogen ergriffen hat, warnend ihren Namen murmelt. âNeinâ, stöÃt sie hervor, streift seinen entsetzten Blick, sieht wieder Louise Johnson an. âIch habe dich etwas gefragt, Mutter!â
âIch habe nichts bemerkt, was von Belang oder Schönheit wäre.â
âDann sag mir wenigstens, dass es dir dennoch Leid tutâ, obwohl sie das âBitteâ nicht ausspricht, könnte selbst ein Tauber es nicht überhören. âWenigstens das, Mutter.â
âDas tut es nicht. Denn wie ich bereits erwähnte, ich konnte nichts erkennen, dass eine Existenzberechtigung verdient.â
âOh mein Gottâ, sagt sie, haucht es eigentlich mehr, ihre Lippen formen die Worte, ihre Augen tun es. Sie geht einige Schritte rückwärts, prallt gegen die Ecke der Nachtkommode, wütender Schmerz, als die hölzerne Kante mit ihrem Hüftknochen aufeinander trifft, sie im selben Augenblick unverholen zu weinen beginnt. Es erst jetzt tut, obwohl der physische Schmerz gewiss nichts damit zu tun hat. Sie schlägt die Hand vor den Mund und stützt sich mit der anderen an der Kommode ab, während sie es ihren Knien gestattet nachzugeben, langsam das hölzerne Möbelstück entlang zu Boden sinkt.
Zu ihrer Ãberraschung ist es nicht Richard, der sich im selben Moment neben sie kniet. Lorelai tut es, hilft ihr ohne ein Wort zu sagen mit einer überraschend bestimmenden Geste auf. âIch denkeâ, sagt sie, ein kaum merkliches Zittern in der Stimme, âWir können den Ratschlag des Arztes ruhig für ein paar Minuten vergessen und Mom ins Hotel bringen.â
To be continued.