Bitte darf ich das behalten
Behalt meine alten Träume
Kannst sie verwalten wie du willst
Halt die Welt in deiner Gewalt
Aber nimm deine kalten Hände
Von meiner Hand
Ich geb dir meinen Verstand dafür
Ich geb dir mein Wort, ich will
Für immer stumm sein, aber
Nimm das nicht fort von mir
Ich weiÃ, du nimmst alles
Was du willst zu dir
Aber das hier bleibt hier
Darf ich das behalten
Ich geb alles her
Darf ich das behalten
Ich brauche nichts mehr
Darf ich das behalten
Ich brauche nichts mehr als das
Ich brauche nichts mehr als das
Ich brauche nichts mehr
Darf ich das behalten
Ich habâs gefunden
Zerknittert und scheu
Saà es zwischen zwei Stunden
Bevor alles neu war
Und zwischen zwei Blicken
Zwei Schritten im Sand
Fand ichâs in meiner Hand
Ich geb dir meinen Verstand dafür
Ich geb dir mein Wort, ich will
Für immer stumm sein, aber
Nimm das nicht fort von mir
Ich weiÃ, du nimmst alles
Was du willst zu dir
Aber das hier bleibt hier
Darf ich das behalten
Ich habâs gefunden
Zerschunden und lahm
Hab seine Wunden verbunden
Und jetzt ist es zahm
Siehst du, es findet den Weg nicht mehr
Ich kann seine Sprache, ich
Lauf hinter ihm her und dann
Läuft es mir nach und ich
Halt es geborgen in meiner Hand
Schlaf bis zum Morgen
Mit dem Rücken zur Wand
Ich geb dir meinen Verstand dafür
Ich geb dir mein Wort
Judith Holofernes
Epilog
Die Tür fällt mit einem lauten Knall in das Schloss, vibrierende Luft, vibrierende Porzellanvasen, auch die zarten weiÃen Blätter der Lilien beginnen sanft zu zittern. Er sieht seine Frau an, das braune Haar ist elegant aufgesteckt, das dezente Make Up unterstreicht die Vorzüge ihres Gesichts formvollendet, ebenso wie das weiÃe Kostüm die Vorzüge ihres gesamten Körpers perfekt hervorhebt. Das einzige Manko in diesem Bild ist eine gehobene Augenbraue, sei es aus Ernst oder nicht, sie sieht in vorwurfsvoll an.
âEs war unhöflich das zu tunâ, erklärt sie, verschränkt die Arme dabei und er lacht.
âEs war unhöflich von ihnen so lange zu bleiben, wo sie doch genau wissen, dass wir heute noch einiges vorhabenâ, kontert er, geht dabei zwei Schritte auf sie zu, legt seine Arme um ihre schmalen Hüften. Ihr Blick wird noch skeptischer, einer Antwort kommt er jedoch wohl wissend zuvor. âDu siehst einfach atemberaubend aus, Emilyâ, ein sanfter Kuss, kaum eine Sekunde berühren sich ihre Lippen, gerade lange genug um sich ein Versprechen auf weitere Treffen abzunehmen.
âWas sie jetzt wohl denken werdenâ, ignoriert sie Kompliment und Kuss. âSich einfach so davonzuschleichen. Mich einfach so davon zu zerren.â
âDu tust gerade so als wäre ich King Kong und du die weiÃe Frauâ, ein Lachen, sie lacht, verpasst ihm einen sanften Klaps auf den Oberarm und er löst sich von ihr, steuert zielsicher einen kleinen Beistelltisch an, auf dem eine Flasche Champagner in einer Schale voll Eis ruht.
Sie setzt sich währenddessen auf einen der eleganten Sessel, schlägt die Beine grazil übereinander, beobachtet Richard wie er die Flasche gekonnt öffnet, die goldene Flüssigkeit in die Gläser laufen lässt.
âMadameâ, reicht er ihr schlieÃlich eines, setzt sich ebenfalls, ein leises Klirren, Kristall auf Kristall. âAuf meine dritte Ehefrauâ, sagt er mit einem Zwinkern in den Augen, beide spüren den süÃen Geschmack des Schaumweins auf ihren Zungen, ein angenehmes Prickeln auf dem Gaumen.
âWenn du so weiter machst, mein Lieberâ, entgegnet sie, âDann wirst du nicht umhin können nach einer vierten Ehefrau Ausschau halten zu müssen.â
âDu scheinst die Worte des Pastors nicht so ganz verstanden zu haben: Bis das der Tod uns scheidetâ, er stellt sein Glas zu Seite. âUnd ich werde dich bestimmt nicht noch Mal gehen lassen und wenn ich dich fesseln und knebeln müsste, meine Liebe.â
âDas hättest du wohl gerneâ, sie hebt erneut die Augenbrauen und ein spöttisches Lächeln umspielt ihre Mundwinkel.
âJetzt wo du es erwähnstâ, entgegnet er, stellt sein Glas zur Seite und beugt sich zu ihr. âAuf den Knebel würde ich gegebenenfalls sogar verzichten.â
âRichardâ, ruft sie tadelnd aus, spürt im selben Moment seine Lippen auf den ihren, lässt sich ein Stück zurückfallen und erwidert den Kuss.
âWeiÃt duâ, murmelt er nach einer Weile, nimmt ihr auch ihr Glas ab und öffnet den Knopf ihres Blazers. âWenn mir jemand vor vierzig Jahren gesagt hätte, dass ich jemals einer Sechzigjährigen dermaÃen verfallen sein könnte, ich hätte ihn für verrückt erklärt.â
âWasâ¦â, ruft sie aus, verpasst ihm einen leichten Schubs dabei. âSei gewarnt, Richard Gilmore, wenn du so weitermachst, dann könntest du mich selbst mit Eisenketten nicht am Gehen hindern.â
âEs war als Kompliment gedacht, Emily. Denn du hast wirklich diese unglaubliche Anziehungskraft auf mich, das hättest du auch wenn ich zwanzig und du sechzig wärstâ, es ist die Wahrheit, denkt er sich. Noch immer, nach all den Jahren - auch wenn er es lange Zeit vergessen hatte, umso präsenter ist es jetzt wieder - hat Emily eine betörende Wirkung auf ihn, erscheint sie ihm manchmal wie die Fleischgewordene Sinnlichkeit, erschaffen um ihn zu stimulieren, ihn glücklich zu machen.
âUnd weswegen darfst du der Zwanzigjährige in dieser äuÃerst abstrusen Phantasie sein?â, fragt sie ein wenig schmollend, weià nicht so Recht ob sie sich nun tatsächlich geschmeichelt fühlen soll.
âNun, wenn du Zwanzig wärst und ich Sechzig, dann würde der Vergleich hinken. Welcher Sechzigjährige wäre nicht gerne mit einer derart schönen und charmanten Zwanzigjährigen zusammen?â
âFindest du nicht, du solltest erst diese Zwanzigjährige fragen, ob sie überhaupt mit einem verrückten Sechzigjährigen zusammen sein will?â
âDazu würde ich sie schon bringen.â
âSo würdest du das?â
âSelbstverständlichâ, er löst sich von ihr und setzt sich auf, sie folgt seinem Beispiel. âIch würde mich in einer dieser netten Bars neben sie setzten, ihr einen Drink spendieren, mit ihr anstoÃen und ein unverfängliches Gespräch beginnenâ, er reicht ihr wieder ihr Glas, nippt an dem seinen, während sie zu einer Antwort ansetzt.
âUnd dann?â, erkundigt sie sich, teils neugierig, teil erheitert. âWas würdest du dann tun, Richard Gilmore?â
âNun, ich würde versuchen Körperkontakt zu ihr herzustellen und sie daher um einen Tanz bittenâ, er lässt seinen Worten Taten folgen, steht auf, deutet eine leichte Verbeugung an und nimmt ihre Hand, führt sie in die Mitte des Zimmers, wirbelt sie gekonnt herum. âErstâ, erklärt er. âWürde ich natürlich einen schnellen Tanz wählen, einen ChaCha, einen Fox. Gerade das Richtige um sie vertraut mit der neuen Situation zu machen.â
Sie verdreht die Augen, kann nicht umhin über Richards Ausführungen zu lachen, doch er fährt ungerührt fort. âIrgendwann würde die Band natürlich einen Blues spielen. Genau das richtig um den Kontakt zu intensivierenâ, er zieht sie an sich. âDer perfekt Zeitpunkt ihr zu sagen, dass sie einfach atemberaubend ist. Der perfekt Zeitpunkt meine Hand ein wenig tiefer wandern zu lassen.â
Sie fühlt wie seine Hand im selben Moment tatsächlich ihr Hüften leicht abwärts wandert, während er sie noch enger an sich zieht. âUnd das Mädchen?â, fragt sie. âWie würde das Mädchen deiner Meinung nach reagieren?â
âEs würde seinen Kopf auf meine Schulter legen und sich an mich schmiegen.â
Sie kommt seiner Aufforderung nach, die beiden Tanzen schweigend zu einer Melodie, die leise in ihren Köpfen gespielt wird, spüren gleichzeitig, wie eine nahezu greifbare Spannung sich aufbaut, angenehm prickelnde Gänsehaut, eine seltsame Verlangsamung des Atems, während der Puls sich zu verschnellern beginnt.
Emily hebt schlieÃlich vorsichtig ihren Kopf an, ihr Haar streift seine Wange, ihre weiche Haut die seine und er spürt ihren warmen Atem auf seiner Haut, während ihre Lippen seinen Mund suchen. Kurz bevor sie ihr Ziel erreichen, löst er sich von ihr. âAls echter Gentlemenâ, sagt er in die Stille des Raumes hinein. âWürde ich sie jetzt natürlich nach Hause bringen.â
âWürdest du das?â, flüstert sie und er nimmt sie bei der Hand, führt sie zu der noch geschlossenen Schlafzimmertür der Suite, öffnet diese galant.
âUnd jetzt?â, erkundigt sie sich, rückt wieder ein Stück näher, ein nervöses Kribbeln in der Magengegend.
âIch würde ihre Hand küssenâ, sagt er und tut es. âDann würde ich mich höflich verabschiedenâ, er kann nicht umhin einen Schleier der Enttäuschung auf ihrem Gesicht auszumachen, tut es mit Vergnügen. âNatürlich nicht ohne sie um eine Verabredung zu bittenâ, fügt er also hinzu, hatte es ohnehin geplant. âGlaubst du, sie würde einwilligen, wenn ich sie um ein zweites Rendevouz bitte?â
âDas würde sie, Richardâ, antwortet sie lächelnd, hält ihn an der Hand fest, hindert ihn so sich von ihr zu entfernen. âDas zweite Rendevouzâ, erklärt sie. âWas würdest du beim zweiten Rendevouz tun?â
âIch würde dem Mädchen Blumen schenkenâ, antwortet er, greift nach einer der Lilien in einer nahe stehenden Vase und reicht sie ihr. âUnd da ich sie natürlich nachhaltig beeindrucken willâ, sagt er und zieht dabei eine Schatulle aus seinem Jackett hervor, reicht sie ihr. âWürde ich ihr ein kleines Präsent mitbringen.â
Sie sieht ihn überrascht an und öffnet das schmale, Samtbezogene Behältnis, die Lilie fällt ihr dabei beinahe aus den Händen, japst beim Anblick des Inhalts nach Luft. âDie ist wunderschön, Richardâ, ruft sie aus, streicht über die schmale, mit kleinen Diamanten besetzte Kette vor sich.
âIch schätzeâ, nimmt er ihr die Schatulle wieder ab, holt die Kette heraus. âDiese Reaktion hatte ich mir erhofftâ, er stellt sich hinter sie, legt das edle Band um ihren Hals, verschlieÃt es und seine Lippen streifen dabei wie zufällig ihr Haar. âEbenso wie ich mir offen gestanden erhofft habe, dass sie mich zum Dank vielleicht küssen würde.â
âHast du das?â, sie dreht sich herum, stellt sich auf die Zehenspitzen und küsst ihn. Zärtlich erst, doch sie intensiviert den Kuss schnell und schiebt ihn mit sanfter Bestimmtheit ins Schlafzimmer. Hat bei diesem Balanceakt Mühe nicht das Gleichgewicht zu verlieren, die Lilie entgleitet ihren Händen jetzt doch und landet vergessen auf dem Teppichboden. Sie lässt der Blume kurz darauf ihren Blazer, ihre Schuhe folgen. Ist gerade dabei, auch den Verschluss ihres Rockes zu öffnen, als sie am Bett angekommen sind und sie sich darauf fallen lässt, ihn mit sich zieht ohne ihre Lippen von den seinen zu nehmen, ohne damit aufzuhören ihre Zunge um die seine kreisen zu lassen. Unter dem Gewicht seines Körpers schlingt sie ihre Arme um ihn, saugt seinen Geschmack gierig in sich auf, ihr Herz beginnt zu rasen, ihr Atem sich ungleich seinem Rhythmus anzupassen.
âMit soviel Dankbarkeit hätte ich nicht gerechnetâ, murmelt er und sie lacht, fährt ihm dabei durchs Haar.
âDu hast das Mädchen unterschätzt, Richardâ, antwortet sie.
âDann denkst du also nicht, dass das sie sich wehren würde, wenn ich das hier tue?â, erkundigt er sich und lässt seinen Mund ihren Hals hinabwandern.
âIch denke nichtâ, flüstert sie, genieÃt die Berührungen, ihre Reaktionen darauf.
âUnd das hier?â, seine Hand gleitet unter ihren Rock, streift sanft ihren Oberschenkel entlang. âGlaubst du es würde ihr gefallen?â
âSehr sogarâ, ein warmer Schauer, ein leises Stöhnen als sie seine Hand auf ihrem Slip spürt, er sanfte Linien auf der feinen Seide zieht. Sie presst ihre Lippen wieder auf die seinen, presst ihren gesamten Körper gegen den seinen und küsst ihn hungrig, beeilt sich die Knöpfe seines Hemdes zu öffnen. âMir scheint, ich habe dieses Mädchen wirklich unterschätztâ, sagt er zwischen zwei Küssen. âTrotz meines hohen MaÃes an Selbsteingenommenheit, hätte ich niemals geglaubt, dass sie gleich bei unserer zweiten Verabredung zu derartigen Intimitäten bereit ist.â
âDu kennst uns Frauen eben schlechtâ, entgegnet sie mit funkelnden Augen und streift sein Hemd über seine Arme. âSchenk uns Blumen und Diamanten und wir würden alles für dich tunâ, sie will gerade etwas hinzusetzen, da schiebt er seine Hand unter ihren Slip, forciert einen erneuten Schauer in ihrem Körper, ein wohliges Stöhnen.
âIch denkeâ, flüstert er in ihr Ohr. âIch habe ein Geschenk, dass dir noch viel mehr zusagen wird als Blumen und Diamanten.â
***
Wenn Träume wahr werden, dann haftet ihnen normalerweise die Aura des Verlorenen an. Die Vorstellung dessen was sein könnte, entspricht selten ihrer Manifestation. Ebenso wie die langsamen Wellen des Glücks selten der kribbelnden Nervosität der Vorfreude gerecht werden. Phantasie, sie ist vielleicht die stärkste Macht auf Erden, verheiÃungsvoll und tröstend, eine wärmende Decke des Trostes, der Euphorie. Doch manchmal, aus einer scheinbaren Laune des Schicksal heraus, da werden Phantasie und Realität zu einer Einheit, einem warmen Brei des Hochgefühls. Die Perfektion des Augenblicks. Meistens jedoch ereignet sich dieser Zufall aus purem Zufall â aus dem mangelnden Wissen heraus überhaupt diesen einen speziellen Traum zu haben. Wenn dies geschieht, wenn also ein Traum wahr wird, von dessen Existenz man gar nichts wusste oder aber man ihn im gegebenen Fall einfach verdrängte und vergrub, dann darf man damit rechnen, dass das plötzliche Eintreffen, die Realisation des unbewusst Erträumten, dass es einen hinwegrafft. Fortspült und übermannt gleichsam eines herrenlosen Stück Holzes in der Strömung eines überfluteten Flusses. Es lieÃe sich lange darüber streiten, ob man daher besser täte, überhaupt keine Träume zu haben, so vielleicht der schmerzenden Enttäuschung ihrer Nichterfüllung entrinnen könnte oder sich ihnen hingeben sollte, der Hoffnung, dass wenigstens einer aus Tausenden in ferner Zukunft die zerbrechliche Haut des Seins durchbricht und zur erhofften Wirklichkeit wird.
Aber hier, in diesem Stück, geht es nicht darum was sein könnte oder was war, was ist. Es geht darum, dass die Dinge einfach geschehen. Sie geschehen und man steht ihnen hilflos gegen über.
Als Emily erfuhr, dass ihr Mann, nun nicht vor dem Gesetz, doch in ihrer Vorstellung, ihren Träumen, ihren Empfindungen, dass er tot sein sollte, da dachte sie einen Wimpernschlag daran ihrem Leben ebenfalls ein Ende zu bereiten. In diesem einen quälenden Moment erschien es ihr als der einzige Ausweg, der Grausamkeit des Augenblicks zu entgehen. Doch kaum hatten ihre Wimpern ihre Haut berührt, da wusste sie, dass sie nicht das Recht dazu hatte. Weder das Recht noch den Mut. Denn darum geht es doch letzten Endes, die Angst. Richard hatte ihr diese Angst genommen, die fundamentale Panik. Da konnte sie es ihm nicht antun, sie konnte nicht alles was er sie gelehrt hatte wegwerfen wie ein schmutziges Taschentuch. AuÃerdem war da Lorelai. Sie hatte eine Tochter, einen Grund weiterzumachen. Seltsam, denkt ihr, absurd, was einem in dieser kurzen Zeitspanne durch den Kopf schieÃen kann, aber so trug es sich zu. Sie dachte und empfand all dies, beschloss gleichzeitig weiterzumachen. Beschloss nicht zu weinen um ihn, es niemals zu tun. Keine einzige Träne hätte ihn ihr zurückgebracht. Keine einzige Träne hätte ein Lächeln auf das Gesicht ihrer Tochter gezaubert. Und darum geht es doch auch, den Menschen die uns Nahe stehen, dass Leben als etwas Lebenswertes erscheinen zu lassen. Als etwas das unendlich viele Wunder birgt, Wunder, die nur darauf warten entdeckt zu werden. Also presste sie die Lippen aufeinander und lächelte. Tat es für Lorelai. Tat es für sich. Auch wenn sie nicht dazu fähig war Freude dabei zu empfinden, sie war dazu fähig zu lächeln. Selbst wenn es ihr schwer fiel, tat sie es. Tat es, weil sie wusste, wenn sie es sich nur einmal gestatten würde diesem Bedürfnis nachzugeben, wenn sie nur eine einzige Träne weinen würde, dann könnte sie es für spätere Zusammenbrüche als Entschuldigung verwenden, würde sie zu einem nichtsnutzigen Häufchen Elend verkommen und das konnte sie sich beileibe nicht gestatten. Stoisch, sie wurde stoisch und kalt. Selbst als sie herausfand, als sie begriff, dass ihre eigene Mutter versucht hatte, ihr Kind zu töten, dabei beinahe sie selbst tötete, sie weinte nicht. Vielleicht aus dem einfachen Grund, weil sie wusste, dass es weitergehen würde. SchlieÃlich war es das auch nach Richards Tod. Ebenso wie es nach Lorelais Flucht irgendwie weitergegangen war, nach ihrer Scheidung. Irgendetwas kam immer. Ob man damit einverstanden war oder nicht, es spielt keine Rolle. Es spielt keine Rolle, solange man die seine spielt. Und wenn Emily Gilmore etwas in ihrem Leben gelernt hatte, dann war es die ihre perfekt auszufüllen. Doch jetzt und hier, da spielt sie nicht, gibt nicht vor etwas zu sein, was sie nicht ist. Sie ist. Und dieser Zustand genügt ihr Vollauf.
Sie blinzelt eine Träne weg, kommt sich ungleich albern vor. Vor Freude zu Weinen erscheint ihr kindisch und albern. Gleichzeitig fragt sie sich, wann sie es das letzte Mal getan hat, wann sie das letzte Mal vor Freude geweint hat. Lorelai, schieÃt es ihr durch den Kopf, so viele Jahre ist es her, aber es war als sie ihre Tochter zum ersten Mal im Arm hielt, die unendliche Erleichterung, dass ihr Kind wohl auf war, ein unerklärliches Glück es zu sehen. Die Tatsache, dass sie hier gewesen war, dass sie den Tag, die letzte Wochen seit jenem obskuren Beisammensein am See überstanden haben ohne die Spitzfindigkeiten überzustrapazieren - nicht das sie nicht oft genug davor gewesen wären, aber sie haben sich wohl wissend zurückgenommen, haben sie auf die Zunge gebissen, wenn sie sich gefährlichen Themen näherten. Emily biss sich auf die Zunge sobald sie merkte, dass sie zu übereifrig in ihrer Vorfreude auf die Hochzeit wurde, schluckte jedweden Kommentar bezüglich Luke hinunter. Denn er, er war nicht da. Eine Absenz die sie nicht unbedingt ob seiner Person gestört hat, doch ob seiner Funktion. Er ist der Ehemann ihrer Tochter und sie hofft, Lorelai wird sich dieser Tatsache wieder besinnen. Vielleicht hat sie es auch schon, vielleicht haben ihre Worte am See tatsächlich etwas bewirkt. Vielleicht hat der heutige Abend etwas bewirkt â und das nicht nur in Bezug auf Lorelai, sondern auch in Bezug auf Rory. Logan Hutzenberger scheint ihr nach allem was sie über ihn weiÃ, ein anständiger junger Mann zu sein. Ein wenig Unstet, ein Manko, natürlich, aber er erinnert sie auf seltsame Art und Weise an den jungen Richard und das erscheint ihr nicht das Schlechteste zu sein. Richard, eine Welle der Euphorie, ein unterdrücktes Schluchzen, sie beiÃt sich auf die Lippe. Hör endlich auf damit, Emily, verdammt, mahnt sie sich still. Wieso um alles in der Welt benimmst du dich derart unmöglich? Es ist schlieÃlich nur deine Hochzeit. Die Hochzeit mit einem Mann, mit dem du eigentlich schon verheiratet bist. Weswegen macht es dich also so glücklich?
Vielleicht liegt es daran, dass es eben einer jener inspirativen Träume ist, die sich plötzlich erfüllen, dass ihre Hochzeit so ist, wie sie sein sollte. Keine schnelle Zeremonie, keine Zweifel und Angst, sondern nur Freude und Beschwingtheit. Die Einfachheit, die Normalität. Wenn jemand sein ganzes Leben nur Champagner und Kaviar zu sich genommen hat, dann wird er überrascht sein über den angenehmen Geschmack von Butterbrot und Bier, wird diesen Geschmack vielleicht sogar dem Gewohnten vorziehen â auch wenn es den Konventionen zufolge Rückschritt bedeutet.
Sie wischt sich mit dem Handrücken über das Gesicht, wischt die Tränen zur Seite und dreht sich Richard zu, betrachtet ihn, seinen Körper der sich im Takt seines gleichmäÃigen Atems ebenmäÃig hebt und senkt. Vorsichtig küsst sie seine Brust, lässt dem ersten Kuss einen zweiten folgen, einen dritten, während sie sich seinen Hals entlang nach oben arbeitet, seine Lippen in dem Moment trifft, in dem er aufwacht. âIch liebe dichâ, wispert sie und er lächelt, küsst sie zurück, will sie zur Seite drehen, doch sie hindert ihn daran. Stattdessen lässt sie ihre Hand sachte tiefer gleiten, hält hier und da inne, sanfte Kreise aus seiner Brust, seinem Bauch. Sie kennt ihn genau, jedes Detail des Körpers ihres Mannes, ein offenes Buch geschrieben in Blindenschrift, ertastbar, berührbar, verursacht so eine Reihe von kalten und heiÃen Wellen, die seinen Körper durchströmen ehe sie ihn nach oben zieht und sich auf seinen Schoà schiebt, ihre Hände um seinen Nacken legt. Nur langsam bewegt sie sich, ihre Wange fest gegen die seine gepresst, vernimmt sie seinen schweren, erregten Atem in ihrem Ohr, spürt seine Hand die zärtlich die Linie ihrer Wirbelsäule nachfährt, während sie sich so völlig anders lieben als wenige Stunden zuvor. Sich zum ersten Mal seit Jahren auf diese bedachte Weise lieben. Es ihnen plötzlich wieder so erscheint als hätten sie alle Zeit der Welt.
***
Ich werde mein Leben lang üben, dich so zu lieben, wie ich dich lieben will, wenn du gehst.
FIN