Under Pressur
âWas soll das?â Jess stemmte sich gegen Luke und versuchte ihn von sich weg zuschieben. âWas soll das?â Lukes Hand schloss sich wieder um Jess Kragen, diesmal zog sie ihn zurück zu der Matratze und drückte ihn nach unten. Von oben herab schaute Luke seinen Neffen an, atmete tief durch und fing schlieÃlich an wie wild mir den Händen zu gestikulieren. âDu fragst mich was das soll? Ich sollte dich wohl besser fragen, was das soll! Ich weià nicht in wie fern du dir darüber bewusst bist, aber im Moment sitzt deine schwangere Freundin in Stars Hollow und heult sich fast jeden Tag die Augen aus, weil du...â Luke zeigte mit dem Finger auf Jess â... nicht da bist!â âIch hab ihr gesagt das ich zurück komme!â âDu hast ihr gesagt du kommst zurück? Toll, Jess. Das hast du wirklich gut gemacht!â Luke atmete tief durch âDenkst du wirklich sie glaubt dir?â Lukes Stimme wurde etwas ruhiger, während er seine absolute Aufmerksamkeit auf Jess richtete. Jess schaute zu seinem Onkel auf, senkte seinen Blick aber wieder. Es dauerte etwas aber letztendlich zuckte er mit den Schultern. âWillst du eine Antwort, Jess?â Luke hatte die Arme vor der Brust verschränkt, als von Jess keine Reaktion kam, sprach er weiter âNein, Jess, sie glaubt dir nicht. Warum auch? Du sagst ihr kein Wort davon das du gehst, wo du hin willst, nichts, aber, ach du Freude, rufst an und sagst ihr das du zurück kommst, nur noch nicht weiÃt wann!â
Kurze Zeit herrschte Stille in dem Zimmer, alles was sie hörten war das Geklapper von Teller und Tassen aus der Küche.
Jess schaute überall hin, vermied es aber den Blick auf seinen Onkel zurichten. Vorsichtig griff er nach hinten und berührte die Stelle direkt neben seiner unteren Wirbelsäule. Er zuckte unwillkürlich zusammen. Der Schmerz breitete sich von der Stelle aus und bahnte sich einen Weg durch seinen ganzen Körper.
âPack deine Sachen!â Jess Augenmerk wanderte nach oben âWas?â âPack deinen Kram! Wir fahren in ein Hotel, in der nähe des Flughafens. Morgenfrüh geht unser Flug. Und sag nicht du kannst nicht fliegen, weil dein Auto hier ist. Dass das nicht stimmt wissen wir beide!â Jess rappelte sich langsam auf âDir ist klar, dass niemand glauben wird das ich aus freien Stücken wieder da bin?â
Luke brummte und rang mit den Händen âDas ist egal! Hauptsache du bist da und jeder der dir im Moment gerne in den Arsch treten würde, kann es tun!â Luke zischte die letzten Worte fast. Unüberlegt griff er wieder nach Jess T- Shirt und zog ihn näher an sich heran, so das ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter von einander entfernt waren. Er musste sich zusammenreiÃen Jess nicht noch eine zu verpassen. âWenn du dir einfallen lässt, noch mal zu verschwinden... bist du Tod und das ist keine Metapherâ, stieà Luke zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor.
Lorelai beobachtete ihre Tochter, die verschlafen aus ihrem Zimmer kam und zur Kaffeemaschine ging. âDu trinkst Kaffee?â Rory räusperte sich und nahm einen Schluck aus ihrer Tasse, bevor sie ihrer Mutter antwortete âNur Morgens eine Tasse.â Lorelai nickte, drehte sich wieder zu Lucan und schob ihm einen weiteren Löffel Karottenbrei in den Mund. Warum auch immer, Lucan liebte Karottenbrei. Lorelai war sich ziemlich sicher, dass Lukes Gene dafür verantwortlich waren. Wenn sie an Rory zurück dachte, ein Löffel Gemüsebrei und Lorelai durfte sich umziehen gehen. Damals waren die Gilmore- Gene stärker gewesen, bei Lucan schlugen die Danes- Gene voll durch.
Rory setzte sich zu ihrer Mutter an den Tisch. Bald kam das auch auf sie zu. Ein Baby füttern, wickeln, in den Schlafwiegen, Nachts aufstehen, kaum schlaf. Sie fragte sich wie ihre Mutter das hinbekommen hatte als Rory ein Baby war, ohne Hilfe, jetzt mit Lucan war es anders, sie hatte Luke.
âWo ist Luke?â Rory setzte ihre Tasse auf dem Tisch ab und wartete darauf das ihre Mutter den letzten Rest des Breis auf den Löffel gekratzt hatte, um ihn Lucan in den Mund zu schieben.
Lorelai wischte ein paar Ãberreste aus dem Gesicht ihres Sohnes und hob ihn aus dem Hochstuhl. âNa ja, er ist... uhmm... also...â âMum?â Rory schaute besorgt zu ihrer Mutter, die mit Lucan auf dem Arm vom Stuhl aufgestanden war und nervös hin und her ging. âEr ist in... Kalifornien!â
Rory hob den Kopf und blinzelte skeptisch âWie bitte?â
Lorelai fischte den Zettel von Luke aus einer der Schubladen und hielt ihn Rory hin âIch hab nichts davon gewusstâ, verteidigte sie sich.
Rory überflog in kurze Nachricht ein paar Mal. Es war so gut wie sicher, dass Jess zurück kommen würde. Luke würde nichts anderes zulassen. Aber wollte sie das?
Wenn er zurück kam, dann nicht weil er es wollte, nicht weil er die Trennung von ihr und ihrem Baby nicht aushielt. Sondern weil Luke ihn zwang.
Der Zettel segelte langsam auf den Boden. Rory merkte es kaum, jeder Muskel in ihrem Körper verkrampfte sich schmerzhaft, ihr Magen drehte sich um die eigene Achse.
âRory, ...â âNein, Mum!â Rory presste die Lippen aufeinander âEs ist ok. Ich brauche nur... etwas Luft.â Lorelai bekam keine Gelegenheit noch etwas zu erwidern, denn Rory war schon aufgesprungen und in ihrem Zimmer verschwunden.
...steps back through The words I should have said to you They all got lost - you went away Well I feel sick and... Musik drang aus Rorys Zimmer als Luke die Haustür aufdrückte und Jess hinter sich her zog âLore?â Luke warf einen kurzen Blick ins Wohnzimmer, entdeckte Lorelai aber nicht, also wendete er sich zur Küche. Er hatte Glück.
Lorelai saà am Küchentisch, über eine Zeitschrift gebeugt, ihre Lieblingstasse gefüllt mit dampfendem Kaffe stand direkt neben ihr.
Sie hatte Luke nicht rufen hören, aber als sie einen Schatten vor sich wahrnahm hob sie den Kopf.
Erst trat Luke in ihr Blickfeld und sie begrüÃte ihn mit einem schwachen Lächeln, während er sich zu ihr beugte und ihr einen zärtlichen Kuss gab.
Als er sich von ihr löste, wanderte Lorelais Blick zu einer weiteren Person dicht hinter Luke. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich Schlagartig.
Sie war sich nicht sicher wie sie reagieren sollte.
Niemand sprach ein Wort. Lorelai starrte Jess an. Jess starrte zu Boden und Luke schaute von einem zum andern.
âWo ist Rory?â, fragte er schlieÃlich an Lorelai gewandt. Sie deutete nur mit einer Kopfbewegung zur Zimmertür âSeit ich ihr Samstag Morgen gesagt hab das du nach Kalifornien geflogen bist, ist sie nicht mehr rausgekommen. Zumindest nicht solange ich hier war.â
Alle drei schauten zur Tür. Die Musik hatte ausgesetzt, fing aber sofort wieder an. Das gleiche Lied. ...Taking steps back through The words I should have said to you They all got lost - you went away Well I feel sick and You just don't care anymore, anymore...
âIch sollte...â Jess deutete mit der Hand zur Tür.
âVersuch dein Glück!â Der Sarkasmus in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
Luke legte eine Hand auf Lorelais Schulter und schaute sie viel sagend an.
Lorelai war nicht wohl bei dem, was Luke ihr begreiflich machte. Trotzdem erhob sie sich und verlieà gemeinsam mit ihrem Ehemann die Küche.
Jess wartete bis die Beiden im Wohnzimmer waren, bis er zögerlich an die Tür klopfte.
Keine Reaktion. Er versuchte es noch mal. Wieder keine Antwort. Die Musik war so laut aufgedreht, dass es ihn eigentlich nicht wunderte. Sie hörte das Klopfen nicht.
Langsam drückte er die Türklinke nach unten und öffnete die Tür.
Rory lag auf ihrem alten Bett, mit dem Rücken zu ihm. Er sah das sie weinte. Ihr ganzer Körper zitterte. ...God I wish that i could make this right I wish that there was something worth the time for her to give to me A phone call from LA is my present There is nothing left for me to give I wish I could And I know that I should but You know I know I won't ... Jess ging zu der Stereoanlage die auf der hölzernen Kommode stand. Ganz langsam drehte er die Lautstärke runter, bis nur noch ein schwaches Summen zu hören war.
Rory drehte sich leise schluchzen auf den Rücken. Mit Beiden Händen fuhr sie immer wieder über ihr Gesicht. Sie hatte die Augen geschlossen. Sie wusste wer in ihrem Zimmer stand, wusste wer sie anstarrte, aber sie wollte ihn nicht sehen.
âVerschwinde!â Ihre Stimme war nicht mehr als ein flüstern, aber er hörte sie und es brach ihm das Herz. âRory...â âNein!â Sie sprang aus ihrem Bett auf. Ihre Augen waren gerötet, ihr Gesicht war blass, die Wangen eingefallen. Jess schnappte nach Luft als ihre Hand seine Wange traf. âNicht Rory...â Sie imitierte seinen flehenden Tonfall âNie wieder, Rory! Was denkst du dir eigentlich?â Sie drehte sich von ihm Weg und fing an im Zimmer hin und her zu laufen, ihre Arm fest um sich geschlungen âDu bist nicht hier weil du es willst! Du bist hier weil Luke dir keine andere Möglichkeit gelassen hat und das ist nicht was ich mir gewünscht habe. Nicht für uns und nicht für unser Baby!â Rory schluckte. Ihre Kehle brannte wie Feuer, ihr Hals schmerzte bei jedem Wort, ihre Lunge verkrampfte sich bei jedem Atemzug. âDu solltest nicht hier sein.â
âVerdammt, Rory!â Jess spürte die Wut in ihm brodeln, ohne zu wissen woher sie kam âIch bin nun mal hier!â âDu bist nun mal hier?â Rorys Fingernägel krallten sich in ihre Oberarme, im selben Moment in dem ihre Stimme lauter wurde âWarum warst du letzte Woche nicht hier? Du bist ein Idiot, zu glauben du könntest kommen und gehen, wie es dir passt! Die Zeiten sind vorbei!â âUnd was ist mit dir? Du rastest aus, weil ich keine Freudensprünge gemacht habe, als du mir gesagt hast das ich Vater werdeâ, schrie Jess zurück âDu sagst mir das es Ok ist das ich Zeit brauche. Willst aber nicht das ich mir die Zeit nehme!â âDu bist einfach abgehauen!â Rory wischte sich eine Träne von der Wange.
âHättest du mich gehen lassen?â
âDas werden wir wohl nie erfahrenâ, konterte sie, ihren Blick auf die Yale Pinwand neben ihrem Bett gerichtet.
Beide schwiegen.
Minuten verstrichen, ohne das sie sich rührten.
âWir sollten nach Hause fahrenâ, sagte Jess schlieÃlich leise. Rory schüttelte nur den Kopf.
âRory, wir sollten wirklich...â
âFahr du nach Hauseâ, erwiderte sie kühl âIch bleibe hier!â
Jess schluckte âA...â
âGeh einfach!â Rory funkelte ihn wütend an. âIch will dich nicht mehr sehen!â
Jess bewegte sich nicht. Er wollte, konnte aber nicht. Er stand wie versteinert da und versuchte hinter Rorys ablehnende Fassade zusehen. Nichts.
âGeh. Tu mir den gefallen und geh!â Rory atmete schnaubend durch âWarum sollte ich mit dir kommen? Um wieder zu erleben wie du mich im stich lässt? Wie du mein Kind im Stich lässt? Ich habe das alles mit meinem Vater durch gemacht und ich werde nicht zu lassen das es meinem Baby genau so geht. Entweder du bist da oder du bist es nicht und mit deinem kleinen Ausflug hast du bewiesen, dass es für dich unmöglich ist immer da zu sein. Also ist nur letzteres eine wirkliche alternative.â
â... Bitte sprechen sie nach dem Signalâ Rory wartete bis das Piepsen aufhörte und fing an zu reden âUhm... Hier ist Rory... Also, ich weià ich hab mich lange nicht gemeldet, aber ich bräuchte deine Hilfe. Ich brauche ganz schnell eine Wohnmöglichkeit in New York und dachte du weiÃt vielleicht was. Ruf mich einfach zurück. Meine Handynummer hast du ja.â Sie drückte die Verbindung hab und legte ihr Handy auf dem Nachttisch neben ihrem Bett. Es war noch früh, noch nicht mal die Sonne war aufgegangen und im Haus herrschte Totenstille, aber sie war hell wach. Die ganze Nacht hatte sie kein Auge zu tun können und auch jetzt war ihr nicht nach schlafen.
Jess saà an einem der runden Tische im Cafe, in der Nähe der Uni und wartete auf Ty.
Er wartete schon seit zwei Stunden. Nicht das sie ihn versetzte hätte, er war nur nicht in der Lage gewesen noch weiter zu schlafen, oder überhaupt zu schlafen.
Rorys Worte hallten in seinem Kopf wieder. Vielleicht hatte sie Recht. Vielleicht konnte er nicht der Vater sein, der er seien sollte. Vielleicht konnte er überhaupt kein Vater sein. Wollte er überhaupt Vater sein?
Die Frage verfolgte ihn seit über einer Woche und immer wenn er dachte eine Antwort gefunden zu haben, passierten Dinge die alles wieder umwarfen.
Er wusste das Rory es ohne ihn schaffen konnte, aber er war sich nicht sicher ob er wollte das sie es ohne ihn schaffte.
Er wollte, dass sie ihn brauchte. Aber das tat sie nicht.
Eine Hand wurde vor seinem Gesicht hin und her geschwenkt. Nur langsam tauchte er aus seinen Gedanken auf. Tiana stand direkt vor ihm und schaute besorgt zu ihm hinab. âHey.â Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, als er Ty begrüÃte. Sie sagte nichts, während sie sich neben ihn setzte, nur ihr Blick ruhte auf ihm.
Josey kam zu den Beiden und nahm Tianas Bestellung auf. Die Beiden wechselten ein paar kurze Worte miteinander.
Als Josey wieder in Richtung Tresen verschwunden war wendete Ty sich endlich an Jess. âForscher wären sicher daran interessiert deine Gehirnwindungen zu erforschen!â Ihr Blick wandelte sich von Besorgnis zu ernstzunehmender Wut.
Jess schaute sie nur an. Ihm war bewusst was jetzt kam und noch mehr war er sich darüber klar, dass sie recht hatte. Aber er wollte es nicht hören âTy, können wir das bitte ein andermal diskutieren? Mir ist echt nicht daran!â
Tiana schüttelte ungläubig den Kopf âDenkst du Rory war danach, dass du abhaust?â
Er konnte den Seufzer nicht unterdrücken, der in ihm aufstieg âNein. Aber was soll ich jetzt machen?â Jess suchte Augenkontakt mit Ty âDie Zeit zurückdrehen ist wohl eher unwahrscheinlichâ, fügte er in einem sarkastischen Unterton dazu.
âDu sagst mir ich soll dich zurück rufen, gehst aber nicht an dein Handy. Toll, Gilmore! Aber zu deiner Frage. Bei mir ist ein Zimmer frei. Komm einfach vorbei sobald du kannst!â
Englische Literatur, der Kurs zog an ihm vorbei. Er machte Notizen, verstand aber nicht ihren Zweck. Er hörte zu und verstand kein Wort. Er sah sich um und die Bilder verschwammen vor seinen Augen.
Er fühlte sich eingesperrt, obwohl er jede Freiheit hatte. Alles was geschah, sah für ihn aus wie ein Film. Er war nicht Teil des ganzen. Ein grauer Nebel überzog alles. Seinen Block, seinen Laptop, seine Studienkollegen, den Professor.
Nachdem der Kurs offiziell beendet wurde, hielt ihn nichts mehr.
Er verstaute seinen Laptop und die restlichen Unterlagen und verlieà noch vor den anderen Studenten den Hörsaal.
Er wollte nur noch nach Hause. Ein Bier, sein Bett. Den Tag beenden obwohl er noch nicht mal richtig begonnen hatte.
Sie saà in ihrem kleinen Prius und konzentrierte sich auf die StraÃe. Der Highway war voll, trotzdem war sie bisher gut durchgekommen und Staus schien es zur Zeit auch nicht zugeben. ...touch so close and real And I know My church is not of silver and gold, It's glory lies beyond judgement of souls The commandments are of consolation and warmth ... Rory drehte das Radio etwas lauter. Sie hatte ein flaues Gefühl im Magen, wenn sie an das dachte, was kommen würde. Sie war sich nicht sicher ob es richtig war. Ob es das war was sie tun sollte. ...you know our sacred dream won't fail The sanctury tender and so frail The sacrament of love The sacrament of warmth is true The sacrament is you I hear you weep so far from me I taste your tears like you're next to me.. Aber für den Moment konnte sie nicht anders. Sie konnte nicht bleiben, nicht bei ihm, nicht in ihrer gemeinsamen Wohnung. Sie konnte nicht verzeihen, noch nicht, vielleicht nie. ...that my weak prayers are not enough to heal All the ancient wounds so deep and so dear The revelation is of hatred and fear You know our sacred dream won't fail The sanctury tender and so frail... Es hatte sie soviel gekostet, so viel Ãberwindung und Hoffnung, ihm wieder zu vertrauen und sie wusste nicht ob sie dazu in der Lage war das Alles noch mal durchzuziehen.
Er sperrte die Tür auf und trat in die leere Wohnung. Sein Blick wanderte von einer Ecke in die andere, während er die Tür hinter sich ins Schloss fallen lieÃ.
Er war schon dabei seinen Blick zu senken und das Wohnzimmer zu verlassen als seine Aufmerksamkeit auf einen blauen Jeansblazer gelenkt wurde.
Sein Herz schlug schneller. Er wusste nicht was es zu bedeuten hatte, aber etwas würde passieren, vielleicht gab sie ihm doch noch eine Chance.
âRory?â Jess ging in den Flur. Er warf einen kurzen Blick in die Küche und war gerade dabei die Badezimmertür zuöffnen als ein leisen Poltern aus dem Schlafzimmer zu ihm drang. âRoryâ, fragte er wieder, als er die nur angelehnte Tür aufdrückte.
Sie gab ihm keine Antwort, stattdessen lief sie weiter zwischen Kleiderschrank und Bett hin und her. Jedes mal die Arme mit Blusen, Hosen, Shirts und Unterwäsche beladen.
âWas machst du da?â Jess stand in der Mitte des Zimmers. Eigentlich wusste er bereits was sie tat. Er wollte es nur nicht wahrhaben.
âPacken!â Rory schaute ihn noch nicht mal an. Sie legte ein paar Oberteile in die geöffnete Reisetasche drehte sich um und ging wieder zurück zum Schrank.
âWarum?â Er atmete tief durch, bereitete sich auf die Antwort vor, darauf zu fühlen wie jemand ein Messer in ihn rammte und langsam drehte.
âIch ziehe aus.â Rory stand mit dem Gesicht zu ihm, aber ihr Kopf war gesenkt. Sie konzentrierte sich auf den ReiÃverschluss, zog erst die eine, dann die andere Seite zu. Sie bückte sich und griff eine weitere Tasche vom Boden. Diese landete auf dem Bett direkt neben der anderen. Rory fing an Kleinkram darin zu verstauen. Ein paar Bücher, CDs, ihr Make Up, Schmuck.
Jess sah jede ihrer Bewegungen, prägte sich jeden Gegenstand ein den sie in die Tasche warf. Aber er war unfähig zu reagieren. Kein Wort wollte über seine Lippen kommen, kein Reflex wollte ihn aus seiner Erstarrung lösen.
Er schaute sie nur an.
Rory war sich darüber bewusst, dass er mitten im Zimmer stand, dass er sie beobachtete, aber sie konnte sich einfach nicht dazu durchringen aufzusehen.Sie wusste auch so, was sie sehen würde. Sie kannte ihn zu gut um es nicht zu wissen. Sie kannte seinen Blick, sie hatte ihn so oft gesehen.
Damals im Bus, als er versprochen hatte sie anzurufen, in Wirklichkeit aber auf dem Weg nach Kalifornien war. Als er ihr gesagt hatte das er sie liebt, damals auf dem Firelight - Festival. In ihrem Studentenwohnheim, kurze Zeit später, als er wollte das sie mit ihm kommt. An dem Abend an dem er wieder nach Stars Hollow kam, einen Tag vor Luke und Lorelais Hochzeit. Zwei Tage später im Studentenwohnheim, als sie ihm ein Vielleicht an den Kopf schmiss und so viele andere Male, das sie sie kaum noch zählen konnte.
Bei ihrem ersten, oder eher zweiten Treffen, als sie ihn Dodger genannte hatte. Auf der Brücke nach dem Tanzmarathon.
Rory nahm den kleinen Bilderrahmen von ihrem Nachttisch. Sie spürte einen leichtes Ziehen in der Nähe ihres Herzens als sie das Bild kurz anschaute. Luke, Lorelai, Lucan, Jess und sie selbst, ein paar Tage nach ihrer Abschlussfeier in Yale.
Rory lieà das Bild in der kleinen Tasche verschwinden, so wie die anderen Bilderrahmen, die auf dem Tisch verteilt standen. Sie schaute sie nicht an. Sie konnte nicht.
Langsam verschloss sie die Tasche und hing sie sich über die Schulter, die groÃe Tasche griff sie mit beiden Händen und hievte sie vorsichtig vom Bett.
Sie versuchte seinen Augen auszuweichen, aber es war so gut wie unmöglich. Langsam bewegte sie sich in Richtung Tür. Mit jedem Schritt kam sie ihm näher.
Er rührte sich nicht als sie direkt neben ihr stand, er rührte sich nicht als sie ihn ein zwei Schritte hinter sich gelassen hatte. Erst als sie bereits auf der Türschwelle stand, spürte sie wie er nach ihrem Arm griff.
Rory lieà die Reisetasche auf den Boden sinken und drehte sich zögernd zu ihm um.
âGeh nicht!â Er schaute ihr direkt in die Augen und alles was er sagen konnte, war geh nicht. âBitte, geh nichtâ, wiederholte er leise. Rory atmete tief an, straffte ihre Schultern. Sie liebte ihn, aber Liebe ohne Vertrauen war nichts Wert, das hatte sie dank ihm gelernt.
Ohne den Blick von ihm zu nehmen, schüttelte sie den Kopf, sie bückte sich und nahm die Tasche wieder zur Hand. Erst langsam, dann sicheren Schrittes trat sie rückwärts in den Flur. Sie schüttelte seine Hand ab. Ohne ein Wort, ohne die kleinste Gefühlregung, drehte sie sich um. Kein Blick zurück.
Jess stand in der Tür zum Schlafzimmer. Er hatte sich keinen Millimeter bewegt, erst als er die Wohnungstür zuschlagen hörte, gaben seine Beine nach.
Mit einem sachten knallen landete er auf seinen Knien. Er spürte den Kloà in seinem Hals und zum ersten Mal seit vierundzwanzig Stunden erlaubte er sich, den Kloà nicht zu schlucken.
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 23.09.2005, 15:36 von
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