5.Kapitel
Bring me to life, bring me to life
Die Schwester und der Arzt starrten ihn an, denn sie konnten nicht glauben, dass er tatsächlich da war.
“Oh, Gott sei Dank!” rief die Schwester dann.
“Ich bin Doktor Adams, der Arzt ihrer Frau” stellte sich der Mann vor.
“Sie ist nicht meine Frau. Sie ist meine....” Luke wusste nicht was er sagen sollte. Er wusste nicht was sie waren. Wenn sie noch etwas waren. Nach neuen Monaten der Trennung.
“Wo ist sie?” fragte er stattdessen. Der Wunsch sie zu sehen überwältigte ihn. Es war sein einziger.
“Bevor wir sie zu ihr lassen können, müssen wir mit ihnen sprechen. Würden sie mir bitte in mein Büro folgen?” sagte der Arzt. Luke nickte und folgte ihm. Er wollte sie nur sehen.
Fast eine Stunde später kam er wieder aus dem Büro. Sein Kopf pochte schmerzhaft. Er fühlte sich glücklich und traurig. Aufgeregt und taub vor Schock. Sie hatten ihm so viele Dinge gesagt, aber er konnte sich nur an ein paar erinnern: Krebs, Bestrahlung, Operation, Lunge, Chemotherapie, Gewichtsverlust, weigert sich zu essen, Spender, Selbstaufgabe, Antikörper... könnte sterben. Die Worte schwirrten in seinem Kopf umher und machten ihn schwindelig. Er lieà sich auf einen Stuhl fallen, aber es half nicht.
Er hatte den Ausführungen des Arztes gut folgen können, denn er kannte die Fachbegriffe noch. Von seinem Vater. Der an Krebs gestorben war. Ihm wurde schlecht. Er rannte zur nächsten Toilette und übergab sich, fühlte sich danach nicht besser. Er musste sie unbedingt sehen.
“
Ich habe dieses Boot nie fertig gestellt. Es steht seit fünfzehn Jahren unfertig in dieser Garage”
“
Hey, Luke, glaubst du nicht, dass du etwas vorschnell entschieden hast? Ich meine, du warst wütend und vielleicht bereust du eines Tages dass du das Boot weggegeben hast.”
“
Nein, es ist besser das Ding jetzt loszuwerden!”
“
Aber...”
“Ich habe das Boot nicht mehr angeschaut seit mein Vater krank wurde. Nicht einen Blick darauf geworfen!”
“
Noch ein Grund mehr!”
“
Wenn es weg ist muss mich nicht mehr damit auseinandersetzen. Es ist Zeit um das hinter mir zu lassen, weiÃt du?”
“
Aber...”
“
Ich bin okay, wirklich! Danke fürs mitnehmen!”
“
Nichts zu danken!”
“Kann ich sie jetzt sehen?” fragte er nach einer weiteren halben Stunde die Schwester. Er fühlte sich etwas besser und lief nicht mehr wie ein Betrunkener.
“Ja, aber sie schläft. Und Sie müssen im Hinterkopf behalten, dass sie nicht weiÃ, dass wir Sie benachrichtigt haben. Es könnte sein, dass sie sich aufregt. Oder überhaupt keine Reaktion zeigt.”
“Ja, ich weiÃ, das hat man mir bereits gesagt”
“Tun Sie was Sie denken es könnte ihr helfen. Wir haben keine Ideen mehr. Aber das wichtigste wäre dass sie isst und das sie schläft. Länger als zehn Minuten. Sie hatte von Anfang an Probleme damit. Dass sie jetzt schläft ist ein kleines Wunder, allerdings wird sie in weniger als fünf Minuten wieder wach sein. Ihr Körper könnte wirklich etwas mehr Ruhe gebrauchen.” sagte die Schwester und er nickte nur. Dann folgte er ihr.
Sie hielten vor einem groÃen Fenster an. In dem Raum dahinter stand ein Bett und in dem Bett erkannte er die Umrisse eines menschlichen Körpers. Die Schwester lächelte ihn noch einmal aufmunternd an und lieà ihn dann alleine.
Es standen Geräte in dem Raum. Und ein riesiges Bett. Er sah, dass sie ein weiÃes Tuch auf dem Kopf trug.
Sie hatte ihm gesagt, dass sie ihre Haare verloren hatte. Ihre schönen braunen Locken.
Das Zimmer sah traurig und deprimierend aus. Wörter von denen er nie gedacht hatte, dass er sie in Zusammenhang mit ihrem Namen gebrauchen könnte. Sie war funkelnd, lustig und wunderschön. War es gewesen.
Er sah zwei pinke Bilderrahmen auf ihrem Nachttisch und konnte in einem sein Bild sehen. Und plötzlich musste er dort hinein gehen. Er musste für sie da sein. Sie brauchte ihn. Und er brauchte sie mindestens genauso sehr. Er war sich nur nicht sicher ob sie das wusste.
“
Siehst du, deshalb halte ich mich an diesem Tag von den Leuten fern. Ich versaue es einfach immer!”
“
Oh Luke, es tut mir Leid! Ich hätte auf dich hören sollen! Ich hätte mich da raushalten sollen. Ich hab nicht nachgedacht. Ich meine, ich habe nicht so gedacht wie du dachtest und meine Denkweise ist manchmal ziemlich seltsam wenn man nicht ich ist, und manchmal auch wenn ich ich bin...”
“
Denk du weiterhin so wie du denkst!”
“
Kann ich machen! Kommst du mit rein?”
Er öffnete die Tür langsam und leise und kämpfte gegen die Ãbelkeit die ihn überkam, als der starke Medikamentengeruch, anstelle des Geruchs den er erwartete hatte, in seine Nase drang. Ihr Geruch.
Er stellte die Tasche die er trug neben die Tür und ging zu ihrem Bett, hielt an als er neben ihr stand.
Sie hatte keine Haare. Sie war ganz grau. Sie war zu dünn. Sie war einsam. Ihr Gesicht war noch tränennass. Sie sah mehr tot als lebendig aus. Er hatte Probleme sie zu erkennen. Vielleicht hatte die Schwester ihm das falsche Zimmer gezeigt. Das konnte nicht sie sein! Für einige Sekunden weigerte er sich das zu glauben.
Aber dann rümpfte sie im Schlaf die Nase, wie sie es immer tat, kurz bevor sie aufwachte. Er hatte es schon so oft gesehen. Und da wusste er dass sie es war.
So leise wie möglich beugte er sich vor, machte seine Schuhe auf, zog sie aus und lieà sie neben dem Bett stehen. Er setze sich auf das Bett, passte auf, dass er sie nicht weckte. Er hob seine Beine und legte sie neben ihre. Nur auf die Decke, nicht darunter. Er drehte sich auf die Seite und schaute ihr beim Schlafen zu. Wie er es zuvor getan hatte. Vor zuvor.
Nach einigen Sekunden drehte sie sich auch auf die Seite und er dachte sie würde aufwachen, aber sie tat es nicht.
Unbewusst rutschte sie näher zu ihm und presste ihre Stirn unter sein Kinn,ihre Nase an seine Brust. Er hörte, dass sie tief einatmete. Dann kuschelte sie sich an ihn. Langsam hob er seinen linken Arm und legte ihn vorsichtig um ihre Schultern, zog sie noch näher zu sich.
Sein Kinn lag auf ihrem stoffbedeckten Kopf. Aber er wollte nicht tief einatmen. Denn sie roch nicht wie sie selbst. Falls das Sinn machte.
Sie wieder sicher in den Armen zu halten nach neun Monaten zwischen Hoffnung und Verzweiflung war als würde ein Traum wahr werden.
Er hatte Angst sie zu zerdrücken, denn sie sah aus als wäre sie aus Glas und fühlte sich genauso kalt an.
Er hörte sie seufzen und bildete sich ein er hätte sie seinen Namen flüstern hören. Aber als er sie anschaute schlief sie noch immer. Die Schwester hatte Unrecht gehabt. Sie schlief. Dieses Mal vielleicht länger als zehn Minuten.
Er konnte sich nicht zurückhalten und drückte einen Kuss auf ihre Stirn, was sie erneut seufzen lieÃ.
Als er die Augen schloss, um sich das Gefühl sie wieder in den Armen zu halten einzuprägen, bemerkte er, dass er weinte. Tränen rannen über seine Wange, eine nach der anderen.
Also hielt er die Augen geschlossen um die Tränen aufzuhalten und schlief langsam ein.
Sie war nicht die Einzige die seit neun Monaten nicht richtig geschlafen hatte.
TBC