Okay, hat eine Weile gedauerst, aber es geht weiter. Diesmal sogar ein bisschen länger.
Viel Spaà beim Lesen und FB geben.
Als Rory um die Kurve stolperte, sah sie vor sich eine kleine Wiese mit ein paar Bäumchen. Auf einer Bank saà ein Junge, etwa in ihrem Alter, und las in einem Buch.
Ein junger, schwarzer Hund mit weiÃer Schwanzspitze lief schnüffelnd über die Wiese. Sobald er Rory sah, kam er schwanzwedelnd auf sie zugestürmt. Sie bückte sich und hob ihn auf, drückte den dicken, zappelnden Hundekörper an sich. Der Hundegeruch beruhigte sie, und sie spürte, wie ihre Panik langsam nachlieÃ. Sie lieà sich von dem Welpen den salzigen Schweià vom Gesicht lecken, bevor sie ihn wieder absetzte.
Der Junge hob den Kopf und pfiff dem Hund. Er trug ein beiges Hemd und Jeans. Er hatte dichtes, dunkles Haar und gebräunte Arme.
âHierher, Kleinerâ, rief er.
Der Welpe lief sofort zu ihm hinüber. Rory folgte auf direktem Weg.
âHalloâ, rief sie.
Von ihrem schnellen Lauf war sie immer noch auÃer Atem.
âHast du was dagegen, wenn ich mich eine Minute zu dir setze?â
Der Junge sah sie an, vertiefte dann aber wieder seinen Blick ins Buch und zuckte mit den Schultern. Rory fasste das als Ja auf und setzte sich.
In Gesellschaft dieses Jungen, der die Ruhe selber war, schien es komplett verrückt, von namenlosen Ãngsten zu reden. Sie verpackte ihre Furcht in weniger abschreckende Worte.
âIch bekam Angst da hinten. Ich dachte, es sei jemand hinter mir her.â
Der Junge seufzte. Offensichtlich war er nicht erfreut, von jemandem gestört zu werden. Trotzdem hob er den Kopf und sah an ihr vorbei zur StraÃe. Niemand zeigte sich.
âIch bleibe einfach nur ein bisschen hier sitzen, bis ich wieder zu Atem kommeâ, sagte Rory. âWenn es dir nichts ausmacht.â
Er schüttelte nur den Kopf und blätterte um. Ein ziemlich wortkarger Mensch, dachte Rory.
Nach einer Weile hatte sie sich wieder gefangen.
âSieht so aus, als ob mein Verfolger nicht mehr auftaucht, wer immer es warâ, sagte sie.
Jetzt, wo ihre Angst weg war, machte die Gegenwart des Jungen sie verlegen.
âVielleicht hat er es sich anders überlegtâ, sagte er, ohne von seinem Buch aufzublicken.
Rory lächelte. Das war nett von ihm. Indem er sie nicht ansah, ersparte er ihr die Peinlichkeit, ihr zu zeigen, was er wirklich von ihr dachte. Wahrscheinlichkeit glaubte er insgeheim, dass sie ihn nur anmachen wollte. Daran musste er bei Mädchen gewöhnt sein, so gut wie er aussah.
âSeltsam, ich hätte schwören können, dass jemand da war â oder etwasâ, versuchte sie sich zu rechtfertigen. Der Welpe kletterte auf ihr herum und knabberte an ihren Fingern.
Der Junge warf ihr einen raschen Blick zu, als versuche er sich ein Bild von ihr zu machen. Sie wartete ab, ob er etwas sagen würde. Aber er schwieg, das tat er wohl gerne. Also quasselte sie weiter, verbarg ihre Verlegenheit hinter Worten.
âIch komme aus Boston. Ich mache hier Ferien, gleich in dem Hotel dort hinten. Dem Independence Inn. Ich bin gestern erst angekommen. Ich bin Rory Hayden.â
âJessâ, antwortete er nur. Dann merkte er, wie unhöflich das war und setzte fort. âIch wohne dort hinten.â Dabei wies er mit dem Kopf in eine Richtung, wo wohl Stars Hollow lag.
Die Unterhaltung kam erneut zum Stocken, doch Rory wollte sie unbedingt in Gang halten, nicht nur, weil sie keine Lust hatte, alleine zurück zum Hotel zu gehen. Sie wollte auch etwas über diesen Jess erfahren.
âWie heiÃt dein Hund?â, erkundigte sie sich deshalb.
âErnest. Von Ernest Hemingway.â
âDu liest Hemingway?â
âDu kennst Hemingway?â, fragte Jess erstaunt.
âNa klar kenne ich Hemingway. Jeder der liest, kennt ihn.â
Jess grinste leicht.
âEntschuldige, hier in Stars Hollow gibt es nur nicht viele Leute, die ein Buch aufschlagen. Wenn ich genauer darüber nachdenke, bin ich sogar der einzige. Und den groÃen Ernest Hemingway kennt hier mit Sicherheit auch keinerâ, meinte er sarkastisch.
âDer groÃe Ernest Hemingwayâ, wiederholte Rory belustigt.
âWas war das?â, fragte Jess.
âWas war was?â
âNa, dieser Unterton in deiner Stimme. Magst du etwa Hemingway nicht?â
âMan kann nicht sagen, dass ich ihn nicht mag. Ich finde ihn nur ⦠anstrengend. Ayn Rand ist besser.â
âJa klar, die ist natürlich nicht anstrengendâ, meinte Jess spöttisch.
âNein, ist sie nicht. Ich habe âDer Ursprungâ zum ersten Mal gelesen, als ich Zehn war.â
âZehn?â
âJa.â Rory grinste. âAber ich habe kein Wort verstanden, also hab ich ihn mit 15 noch einmal gelesen.â
âIch habe es noch nicht geschafft, mich da durchzukämpfenâ, erklärte Jess.
âWirklich? Versuch es! âDer Ursprungâ ist ein Klassikerâ, forderte ihn Rory auf.
âJa, aber Ayn Rand ist aus politischer Sicht eine Hinterwäldlerin.â
âMag sein, aber niemand kann einen 40-Seiten Monolog so schreiben wie sie.â
Jess seufzte.
âNa gut, ich werde es noch einmal probieren, dafür musst du Ernest Hemingway noch eine Chance geben.â
Rory seufzte und Jess merkte, dass sie zögerte.
âErnest hat nur gute Dinge über dich zu sagenâ, versuchte er ihn ihr daher schmackhaft zu machen.
âNa gut, ich gebe ihm noch eine Chanceâ, willigte Rory ein und Jess grinste zufrieden.
Die beiden schwiegen eine Weile, bis es schlieÃlich Jess war, der die Stille durchbrach.
âUnd was bringt dich dazu, in einem Kuhdorf wie Stars Hollow Urlaub zu machen?â
âDu scheinst aber eine hohe Meinung von Stars Hollow zu habenâ, stellte Rory fest.
Als Jess nicht antwortete, sondern nur mit den Schultern zuckte, begann sie zu erzählen.
âIch möchte etwas über meine Mum in Erfahrung bringen.â
âWas ist mit ihr?â
Rory versuchte es als etwas völlig Normales hinzustellen.
âSie starb, als ich fünf war. Sie ertrank, in einem See ganz in der Nähe.â
Jess schwieg. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte.
âIch erinnere mich nicht daran. Mein Vater hat wieder geheiratet, und ich habe eine Halbschwester, Georgia, aber wir nennen sie nur Gigi. Sie ist ganz in Ordnung. Meine Stiefmutter ist auch nicht übel, aber ich nenne sie Sherry, nicht Mum, weil â naja, ich hatte schon eine Mutter, auch wenn sie tot ist.â
Jess schloss sein Buch und nickte mitfühlend.
âJa, ich glaube, seine eigene Mutter kann man nie vergessenâ, sagte er und dachte dabei an seine Mutter, die bei ihm einen ziemlich bleibenden Eindruck hinterlassen hatte.
âNaja, ich fürchte, ich habe wohl ein schlechtes Gedächtnis. Ich erinnere mich nämlich nicht mehr an sie. Keine Spurâ, meinte Rory betrübt.
Jess zuckte mit den Schultern.
âDie meisten Leute wissen nicht mehr viel aus der Zeit, als sie klein waren.â
âAber du erinnerst dich doch noch an Leute, die du kanntest, als du fünf oder sechs warst, oder?â
Er überlegte und runzelte dabei die Stirn.
âAn so viele nun auch wieder nicht.â
Dann grinste er. Sie mochte sein Grinsen. Es hatte etwas Spitzbübisches an sich.
âIch erinnere mich noch an einen Typâ, erzählte Jess. âStanley Comax. Er hatte abstehende Ohren und ein Gesicht wie ein Ãffchen. Stan war mein bester Freund ⦠Aber wir sind dann auf verschiedene Schulen gegangen und unsere Wege haben sich getrennt.â
Rory musste zugeben, dass sie ihn mochte. Normalerweise kam sie mit Jungen in ihrem Alter nicht besonders gut zurecht. Sie schienen Angst vor ihr zu haben. Vielleicht lag es daran, dass sie kein Blatt vor den Mund nahm, oder es lag an ihren Kleidern. Die kleidete sich nicht gerade konventionell, aber sie war nicht bereit, ihren Stil für irgendjemanden zu ändern. Gleichaltrige interessierten sich meist nicht für die Dinge, die sie interessierten, weshalb sie dann in einem fort quasselte, lauter dummes Zeug, bei dem jeder denken musste, dass sie nichts als Stroh im Kopf hatte. Aber jetzt saà sie schon zehn Minuten da und fühlte sich in Jessâ Gesellschaft so wohl, als hätte sie ihn ihr ganzes Leben lang gekannt.
âOb ein fünfjähriges Kind wohl an Gedächtnisschwund leiden kann, was meinst du?â, fragte sie ihn.
Wieder überlegte er, bevor er antwortete.
âSicher, warum nicht? Aber die Eltern des Kindes würden es wahrscheinlich gar nicht merken. Ein kleines Kind hat schlieÃlich nicht so viel zu vergessen.â
Rory lächelte leicht, doch es wirkte künstlich. Die bloÃe Andeutung, dass sie im Zusammenhang mit ihrer Mutter an Gedächtnisschwund litt, war schon schlimm genug. Aber von ihren Panikattacken durfte er nichts erfahren. Sonst würde er sie bestimmt für einen echten Freak halten.
âWahrscheinlich hältst du mich für ziemlich durchgeknalltâ, sagte sie und sah Jess an.
âEigentlich nicht. Die Welt ist doch reichlich verrückt.â
Er nahm Ernest von ihrem Schoà und setzte ihn ins Gras.
âSoll ich dir vielleicht das wunderbare Stars Hollow zeigen?â, fragte er sarkastisch und stand auf. âAnschlieÃend bringe ich dich ins Hotel, wenn du magst. Dann brauchst du keine Angst vor irgendwelchen Typen haben, die dir nachschleichen.â
Es dauerte einen Augenblick, bis Rory begriffen hatte, was er damit meinte. Sie hatte vollkommen vergessen, dass sie das Gefühl gehabt hatte, beobachtete zu werden. Selbst die Panikattacke war ihr entfallen. Es war fast so, als sei es jemand anderem passiert. Sie war glücklich und freute sich wie ein Kind, das gerade ein neues Fahrrad bekommen hat. Nein, sogar noch glücklicher. Wie war es möglich, dass ihre Stimmungen so schwanken konnten? Du bist ganz schön verrückt, dachte sie, doch sie lächelte bei dem Gedanken. Niemand, der wirklich verrückt war, konnte sich so gut fühlen. Sie stand ebenfalls auf und folgte Jess und dem kleinen Hund.
What happened?
Schau doch mal vorbei