Hallo,
Das neue Kapitel ist da.
Ich hoffe, es gefällt euch. Ich würde mich sehr über Feedbacks freuen.
LG HobbyWriter
Kapitel 6
Ãlvaro zappte gelangweilt durch die zehn Fernsehkanäle der Pension, ehe er das Gerät ganz abschaltete. Was versprach er sich von diesem Abend eigentlich? Sara war gegangen, sie würde niemals wiederkehren. Sie würde nicht plötzlich von der Tanzfläche auf ihn zukommen. Ihn nicht sanft auf den Arm boxen, wenn er sie mit einer fiesen Neckerei begrüÃte. Sie würde nichts schlagfertig erwidern. Ihr lautes Lachen würde nicht die Musik übertönen. Sie würde mit keiner Haarsträhne spielen, während sie von ihrem Aufenthalt schwärmte. Denn sie war nicht hier. Nichts in der Bar würde Ãlvaro an Sara erinnern. Er presste die Augen einen Moment zusammen und atmete tief durch. Was hatte sie nur getan? Was hatte er nur getan? Es war alles seine Schuld. Er war es, der an ihrer Stelle sein sollte.
Sophia stand unschlüssig vor dem Badezimmerspiegel, einen Handtuchturban auf dem Kopf, eine Wimpertusche in der Hand. War das die Vorbereitung für einen amüsanten Abend? Sie dachte an ihn, an den sie nicht mehr denken hatte wollen. Er hatte es geliebt, wenn sie Wimperntusche trug. Es würde ihre Augen betonen. Wie würde er wohl reagieren, würde er sie hier sehen, im Nebenzimmer ein beinahe Fremder. Er würde sie dumm und leichtsinnig schimpfen. Immerhin war sie doch die stets korrekte Elitestudentin. Vielleicht war sie niemals sie selbst gewesen. Hatte ihr Inneres stets sorgsam verborgen. Vielleicht sollte sie diesem Abend tatsächlich eine Chance geben. Nicht um allen zu beweisen, dass sie nicht in die stereotype Schublade passte, die man für sie gebaut hatte. Sondern um es sich selbst zu beweisen. Diesen Abend wollte sie Sophia sein. Entschlossen begann sie ihre Augen und schlieÃlich Lippen zu schminken, ehe sie ihr Haar föhnte und schlieÃlich in das beerenfarbene Kleid schlüpfte. Sie besah sich im Spiegel und empfand sich als verkleidet. Hatte sie ihre alte Maske nun nicht lediglich durch eine neue ersetzt?
Aus dem Spiegel mühte sich das Gesicht einer Frau um ein Lächeln. Sie trug Lidschatten passend zur Augenfarbe, Wimperntusche und einen beerenfarbenen Lippenstift. Die unteren Augenlider zierte ein dünner schwarzer Strich, welcher die Augen gröÃer erschienen lieÃ. Das glänzende Haar fiel ihr offen bis fast zur Taille. Sie blies sich eine kürzere Strähne aus dem Gesicht und atmete tief durch, ehe sie ihre Hand zögern auf die Türschnalle legte.
Ãlvaro erhob sich, als er das Ãffnen der Badezimmertür vernahm. Sophia trat, den Blick auf ihre Zehenspitzen gerichtet, aus dem Raum. Sie seufzte leise und hob unsicher den Kopf. Er würde sich gewiss über sie lustig machen. Ihre Augen begegneten Ãlvaros. Seine Miene schien leicht angespannt, war aber nicht zu deuten. Er musterte sie einen Moment von oben bis unten, ehe er sich abwendend meinte: „Bist du fertig? Können wir gehen?“ Der Tonfall schien gewohnt gleichgültig. Sophia nickte. „Klar.“ Ein Gefühl von Enttäuschung machte sich für einen Moment in ihrem Herzen breit. Was hatte sie erwartet? War ihre Seele bereits so angegriffen, dass sie auf Komplimente und Bewunderung angewiesen war? Sophia mühte sich um ein Lächeln. „Ich hole nur meine Tasche.“ Sie griff nach ihrer Geldbörse und steckte sie in die erschreckend winzige Tasche, welche ihr Anjali kurz vor der Kassa als absolutes Muss eingeredet hatte.
Ãlvaro beobachtete sie amüsiert. „Was? Das darf sich schon Tasche nennen? Ich dachte das wäre ein gröÃeres Brillenetui.“
Sophia grinste. „Erschreckend nicht?“
Sie saÃen an einem von drei Blumentöpfen umgebenen Tisch im Restaurantgarten. Wenige Meter neben ihnen spielte eine Band traditionelle italienische Musik. Sophia sah Stirn runzelnd auf die Flamme der Kerze, ehe sie den Kopf hob und Ãlvaros Blick begegnete.
„Ganz schön kitschig, was?“
Sophia nickte. „Soll die Gäste wohl von ihrem unperfekten Leben ablenken.“ Sie beobachtete Kopf schüttelnd das Paar am Nebentisch, welches sich wortlos anhimmelte und gegenseitig mit Pasta fütterte. „Die sind ja schlimmer als Susi und Strolchi.“
Ãlvaro grinste. „Du gehört wohl nicht gerade zu den Romantikern.“
Sophia hob ihre Augenbrauen. „Du wirkst auch nicht gerade wie einer, der seiner Freundin regelmäÃig Blumen schenkt.“
„Nur, wenn ich etwas angestellt habe.“
„Wie diese Tankstellen-Männer?“
„Tankstellen-Männer? Eine neue Spezies?“
Sophia nippte an ihrem Wasser und drehte ein paar Spaghetti auf der Gabel. „Genau genommen, eine sehr alte. Das sind Männer, die ihren Frauen nach dem Seitensprung schnell mal aus schlechtem Gewissen ein paar billige Blumen von der Tankstelle kaufen, ehe sie nachhause kommen.“
Ãlvaro kaute an einem Stück Pizza und betrachtete sein Gegenüber amüsiert. „Und was schenken betrügende Frauen ihren Männern?“
Sophia zuckte mit den Schultern. „Wenn Frauen fremdgehen hat dies tendenziell tiefere Gründe als den puren Geschlechtsakt.“
„Nein, wirklich? Woher hast du das denn? Der Cosmopolitan?“ Ãlvaro zog belustig eine Augenbraue hoch.
Sie schüttelte den Kopf. „Sie gehen eher fremd, wenn die Partner ihnen nicht geben können, was sie brauchen.“
„Einen multiplen Orgasmus?“
„Du bist ein Idiot.“ Sophia kräuselte die Stirn. Sie blickte erneut zu dem Paar am Nebentisch, welches nun Händchen hielt. Der groÃe Stein am Ring der Frau blitzte auf. Sophia seufzte leise und wandte sich wieder an Ãlvaro. „Meine beste Freundin verlobte sich am Tag vor der Collegeabschlussfeier. Sie war mit ihrem Partner erst seit wenigen Monaten wieder zusammen, aber sie kannten sich schon ein paar Jahre, seit sie 17 gewesen waren. Ab dem Tag der Verlobung war ich fast völlig abgeschrieben. Sie schwebte in eigenen Welten, bekam gar nicht mit, wie es in meinem Leben zunehmend bergab ging.“ Sophia zuckte mit den Schultern. „Vermutlich war es nicht einmal böse gemeint, ich war ihr wahrscheinlich immer noch wichtig, aber ich fühlte mich im Stich gelassen. Als sich unsere Wege im Herbst nach dem College trennten, verloren wir zunehmend den Kontakt, weil die geographische Entfernung immer gröÃer wurde. Trotz allem hatte ich niemals zuvor und niemals danach wieder so eine gute Freundin gefunden.“ Sie seufzte leise und schrak zurück als sie Ãlvaros Handfläche auf ihrem Handrücken spürte. Dennoch entzog sie ihm die Hand nicht.
„Ruf sie an. Vielleicht kannst du eine Zeit lang zu ihr.“, meinte er leise.
Sophia schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, dazu ist es zu spät. Sie würde das alles nicht verstehen. Zudem möchte ich ihr nicht zur Last fallen. Sie hat genug mit ihrem Job und Kind zu tun. Wahrscheinlich hat sie sich längst einen neuen Freundeskreis aufgebaut. Sie hat immer schnell Freunde gefunden. Im Gegensatz zu mir.“ Sie hielt kurz inne. „Meine Zukunft, sollte ich denn eine haben, liegt irgendwo am Ende des Freeways. Ich werde nicht mehr zurück blicken. Es zumindest versuchen.“
Ãlvaro zog seine Hand langsam von Sophias. „Das ist auch mein Plan.“
„Gut.“, Sophia nickte. „Vielleicht schaffen wir es ja gemeinsam. Zumindest für eine gewisse Zeit.“
Er hob sein Glas Wein. „Auf einen gelungenen Abend.“
Sie lächelte schwach und hob ihres, um mit ihm anzustoÃen.
Aus der Bar ertönten schnelle lateinamerikanische Rhythmen. Sophia verzog keine Miene, als ihr beim Betreten des Gebäudes eine Rauchwolke entgegen strömte. Sie sah sich unsicher um. Auf der Tanzfläche tanzten sechs Paare. Die Körper der Frauen und Männer schienen dabei in ständiger Berührung miteinander. Sie wurden während dessen von vier an der Bar sitzenden Personen beobachtet. Rund um die Bartheke standen mehrere Tische, die meisten davon bereits besetzt. Ãlvaro führte Sophia vorbei an lachenden Gruppen zu einer kleinen Sitznische mit direkter Sicht auf die Tanzfläche. Sie setzte sich auf die kleine Bank, er ihr gegenüber auf einen Stuhl.
Sie schlugen die Getränkekarten auf und lasen sich durch die sieben bunten Seiten.
„Was wirst du nehmen?“, fragte Sophia.
„Ich werde mit einem Bier beginnen.“
Sophia runzelte die Stirn und las einige der ihr fremden Namen nochmals. „Vielleicht wäre es besser, wenn ich nur ein Soda trinke.“ Sie blickte unschlüssig auf die geschwungenen Buchstaben, gab sich schlieÃlich einen Ruck. „Nein, ich werde einen Cosmopolitan probieren.“ Sie nickte entschlossen.
Nachdem sie die Getränke bestellt und bekommen hatten, betrachtete Sophia die Wände des Lokals, auf welchen SchwarzweiÃ-Fotos von Kuba, wie die Titel an den Rändern beschrieben, hingen. „Ich war noch nie in einem lateinamerikanischen Abendlokal.“, erzählte sie fasziniert und nippte an ihrem Glas. Sie verzog kurz den Mund, als die Flüssigkeit ihre Lippen berührte, was ihrem Gegenüber ein leichtes Lächeln abrang.
„Gefällt es dir hier?“, fragte Ãlvaro.
Sophia nickte. „Diese Erinnerung an andere Zeiten.“, sie wies auf die Bilder und nippte ein weiteres Mal an ihrem Glas. „Die Musik.“ Sie blickte auf die Tanzfläche. „Meine Mutter rümpfte stets die Nase über diese Tänze, beschimpfte sie als ordinär.“ Sie schüttelte den Kopf. „Aber diese tanzenden Paare dort... es ist, als würden sie ein Bild zeichnen. Es ist pure Kunst.“ Sie leerte den Rest des Glases und deutete einer vorbei gehenden Kellnerin, dass sie ein weiteres wollte.
Ãlvaro lächelte. „Und Leidenschaft.“, fügte er hinzu. „Ein Lebensgefühl.“
Sophia nickte. „Ich wusste und ahnte nicht, wie sehr mir dies alles gefallen würde.“
„Sophia.“ Ãlvaro zögerte. „Hast du Lust mit mir zu tanzen?“
„Was?“ Sie kräuselte die Stirn, ihr Hals wurde trocken. „Ich kann das nicht. Ich wäre wie eine Ente zwischen Schwänen. Wie ein tollpatschiger Elefant zwischen anmutigenden...“
„Elefanten sind nicht tollpatschig.“, unterbrach er sie. „Ich tanze normalerweise auch nur sehr selten. Wir wären also beide Elefanten.“ Plötzlich verschwand jeglicher Glanz aus seinen Augen. „Sara, sie tanzte gerne und immer, wenn sich ihr die Gelegenheit dazu bot.“ Er leerte den Rest seines Bieres.
Sophia lächelte. „Sie hätte sich gewiss über mich kaputt gelacht, hätte sie mich jemals tanzen gesehen.“
Ãlvaro schüttelte den Kopf. „Sara lachte andere niemals aus. Sie hätte dich gewiss sehr gemocht.“
Sophia zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich nicht. Aber das ist okay. Ich gelte nicht gerade als umgänglich und unkompliziert.“
„Du und nicht unkompliziert? Das schockiert mich nun zutiefst.“ Der ironische Unterton war nicht zu überhören.
Sie kräuselte die Lippen. „Die Menschen, die es wert sind, wissen mich zu schätzen.“
Ãlvaro nickte. „Ich habe die Trägheit mancher Männer nie verstanden. Mit komplizierteren Frauen ist das Leben doch viel spannender. Sie sind eine Herausforderung.“
„Ach.“ Sophia warf ihm einen belustigten Blick zu. „Und du wirst gerne herausgefordert?“ Sie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, wobei sie von Ãlvaro beobachtet wurde. Von seinem erneut nicht zu deutendem Blick verunsichert, fragte sie: „Wie war Sara so? War sie kompliziert?“
„Nein.“ Seine Augen fixierten das leere Bierglas. „Nur sehr selten. Etwa wenn es um die letzte Rippe einer Schokoladentafel ging. Diese musste stets ihr gehören.“ Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.
Sophia lachte. „Natürlich, das war ihr gutes Recht.“
„Hast du Geschwister?“, fragte er plötzlich.
„Nein.“ Sophia seufzte. „Es hätte meine Kindheit aber vermutlich erträglicher gemacht.“
Ãlvaro betrachtete sie nachdenklich. „War es so furchtbar?“
Sie seufzte leise. „Die meiste Zeit zumindest.“ Sie zögerte. „Ich...ich habe dich viel über Sara gefragt. Wenn es dir unangenehm ist, musst du es mir sagen.“
Er drehte sein Glas nachdenklich in den Händen. „Eigentlich tat es gut über sie zu sprechen. Ãber das Positive...“
Sophia lächelte leicht. „Dann erzähle mir mehr über sie. Wie gefielen ihr diese nostalgischen Fotografien? Was studierte sie?“
Sophia nippte gerade an ihrem sechsten Cosmopolitan, Ãlvaro an seinem fünften Bier, als eine junge Frau plötzlich vor ihrem Tisch stand. „Hey.“ Sie schenkte Ãlvaro ein breites Lächeln, ignorierte Sophia jedoch vollkommen. Diese betrachtete die Fremde genauer. Sie trug ein Top mit tiefem Ausschnitt und einen kurzen Rock, die rotbraunen Locken bedeckten ihre Schultern.
Ãlvaro musterte sie ebenso, murmelte jedoch nur einen gleichgültigen GruÃ.
„Tanzen wir?“ Die junge Frau strich sich eine Locke aus der Stirn.
„Ich bin nicht alleine hier.“ Er wies auf Sophia.
Die Frau schenkte dieser nur einen kurzen Blick. „Deine Freundin?“
„Meine Verlobte.“
Sie sah von Ãlvaro zu Sophia und zuckte schlieÃlich mit den Schultern, ehe sie sich abwandte und wortlos zu einem anderen Tisch ging.
„Du hättest mit ihr tanzen können.“ Sophia nippte an ihrem Glas und musterte ihr Gegenüber eingehend. „Wie du selbst sagtest: Hier interessiert sich niemand dafür, wer wir sind. Du hättest sie nicht belügen müssen.“
„Ich habe gerade keine Lust zu tanzen. Zudem ist sie nicht mein Typ.“
Sie schüttelte den Kopf. „Und wer ist dein Typ? Die Kleine aus dem Diner?“
„Eher. Oder zickige Blondinen.“
„Paris Hilton?“
Ãlvaro hob eine Augenbraue. „Mit ein paar Kilos mehr vielleicht.“
Sophia leerte den Rest ihres Glases.
Er beobachtete sie grinsend. „Es scheint dir ja doch zu schmecken.“
Sie schenkte ihm ein Lächeln, welches breiter wurde, als ein neues Lied begann. Ihr Blick wanderte zur Tanzfläche, schlieÃlich zu Ãlvaro. „Tanzt du mit mir?“
Dieser seufzte. „Ich habe noch genauso wenig Lust wie vor zwei Minuten.“
Sophia zog einen Schmollmond. „Aber ich liebe dieses Lied.“ Ihre Stimme überschlug sich bei der Hälfte des Satzes.
Ãlvaro musterte sie amüsiert. „Vielleicht wäre es nun an der Zeit nur mehr Soda zu trinken.“
„Ich dachte, ich solle mich amüsieren?“
Er erhob sich seufzend. „Also schön. Aber wir hören sofort auf, sollte dir schlecht werden. Die Jeans ist neu. Ich habe keine Lust ein Souvenir dieses Abends heraus waschen zu müssen.“
Sie stand vergnügt auf. „Natürlich, Sir.“
Ãlvaro führte sie an den Rand der Tanzfläche, legte einen Arm um ihre Hüften und ergriff mit der Hand des anderen Arms die ihre. Sophia wich nur kurz zurück, als seine Finger geradezu auf ihrer Haut zu brennen schienen. Er zog sie etwas näher, so dass sie seinen Atem auf ihrem Nacken fühlen konnte. Sie fröstelte kurz. „Hör einfach nur auf den Rhythmus und lass dich führen.“ Er wollte sie mit seinen Schritten ziehen, sie stolperte jedoch zur Seite. „Mit Emanzen zu tanzen ist ein echter Horror“, meinte er seufzend.
Sophia lachte und verstand selbst nicht warum. Sie versuchte ihren Körper zu entspannen und ihre Bewegungen mit Ãlvaros und dem Rhythmus in Einklang zu bringen. Plötzlich spürte sie wie ihr Herz schneller schlug und sich der Raum langsam zu drehen begann. Sie bekam zwar nur vage mit, wie Ãlvaro sie stützte und zurück zum Tisch begleitete, protestierte jedoch heftig: „Das Lied ist noch nicht zu Ende!“ Sie lieà sich schlieÃlich neben ihn auf die Bank ziehen.
„Für dich schon, princesa.“ Ãlvaro strich ihr eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn und bestellte ein Glas Wasser für sie, welches er ihr schlieÃlich vor die Lippen hielt. „Trink das.“
Sie stieà es weg, so dass die Hälfte auf seinem Hosenbein landete. „Was ist das?“
Er stieà einen unverständlichen Fluch aus. „Das ist Gift, Sophia. Ich habe bis heute damit gewartet.“
Sophia trank das Wasser schlieÃlich schluckweise. „Mir ist schlecht.“, murmelte sie danach.
Ãlvaro betrachtete sie mitleidlos. „Wenn man nichts verträgt, trinkt man auch nicht diese Mengen Alkohol in diesem Tempo.“, rügte er sie.
„Sag mir nicht, was ich tun soll! Du bist nicht mein Vater!“ Sie erhob sich auf wackligen Beinen.
„Wohin willst du?“
Sophia rollte mit den Augen. „Zum Sanitärraum. Gestattet?“
Ãlvaro betrachtete sie Stirn runzelnd. „Soll ich mitkommen?“
„Wozu? Willst du zusehen?“
Er seufzte genervt. „Mach doch, was du willst.“
Sophia zuckte mit den Schultern und wankte zu den sichtbar angeschrieben Sanitärräumen.
Zehn Minuten später stand sie vor einem der Spiegel über den Waschbecken und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser. Sie starrte auf das Spiegelbild mit den geschwollenen Augen, der zerlaufenen Schminke und den blassen Wangen. Sophia wandte sich angewidert ab. Dieser Abend hätte nicht in diese Richtung gehen dürfen. Der Tag war doch zuerst so gut verlaufen, sie hatte Hoffnung geschöpft und ihre Schmerzen für wenige Stunden vergessen können. Ãlvaro hätte ohne sie ausgehen sollen. Sie begann zu zittern und schreckte zusammen, als plötzlich die Tür geöffnet wurde.
Eine junge Frau betrat den Raum und blieb zögernd vor Sophia stehen. „Alles okay?“, fragte sie. „Kann ich dir helfen?“
Sophia fixierte ihr Spiegelbild. „Ich kann mich so nicht hinaus wagen.“
Die Fremde nickte leicht. „Dabei kann ich vielleicht wirklich helfen.“ Sie öffnete den Zippverschluss ihrer Tasche und kramte darin. Reichte Sophia schlieÃlich Abschminktücher und Make-Up.
„Danke.“ Sophia ergriff zitternd die Utensilien. „Damit löst sich wohl nur mein geringstes Problem, aber immerhin.“ Sie mühte sich um ein leichtes Lächeln.
Als sie zurückkam, war Ãlvaro in ein Gespräch mit zwei Männern und einer Frau vom Nebentisch vertieft. Sie zögerte, als er sie nicht bemerkte, setzte sich aber schlieÃlich neben ihn auf die Bank.
„... eine geniale Idee Obamas.“, sagte Ãlvaro gerade. Er wandte sich zu Sophia und musterte sie eingehend. „Geht es dir ein wenig besser?“, fragte er.
Sie nickte leicht. „Können wir kurz miteinander sprechen?“ Sie schenkte den Personen des Nebentisches ein höfliches Lächeln.
Sophia und Ãlvaro standen auf und entfernten sich ein paar Schritte. „Es tut mir leid.“, sagte die junge Frau. „Ich trinke zu selten und vertrage deshalb wirklich nichts“
Ãlvaro schenkte ihr einen gleichgültigen Blick. „Was soll’s? Passiert jedem Mal, dass er zu viel erwischt.“
„Mir bisher nur damals in Florida.“
Er grinste. „Die legendäre Springbreak-Reise.“
Sophia lächelte kurz. „Genau.“ Sie zögerte. „Hör mal, ich bin müde. Ich werde zurück zur Pension gehen. Klopf mich dann einfach wach.“
Ãlvaro musterte sie nachdenklich. Auf Sophias Stirn hatte sich eine leichte Falte gebildet, ihre Augen glänzten. „Bist du sicher?“
Sie nickte langsam. „Es ist besser, wenn ich bald zu Bett gehe. Das gilt jedoch nicht für dich. Deine Schwester liebte diese Bar. Vielleicht findest du ja auch eine tanzwillige, nicht betrunkene Frau.“ Sie mühte sich um ein Lächeln.
„WeiÃt du überhaupt noch den Weg?“, fragte Ãlvaro.
„Ich habe einen guten Orientierungssinn.“
Der kühle Wind berührte ihre Schulten. Sophia fröstelte. Sie legte die Arme um ihren Körper und ging die StraÃe hinunter. Nun konnte es nicht mehr soweit sein. Sie fühlte sich noch immer benebelt vom Alkohol, sank schlieÃlich erschöpft auf eine Steinbank. Lediglich für einen Moment, wie sie sich selbst gedanklich versprach. Ihre Lider wurden schwerer und gaben schlieÃlich nach.
Der leichte Druck von etwas Schwerem und Kühlem auf ihren Schultern, lieà sie erwachen. Sophia nahm als erstes die schwarze Lederjacke um ihren Oberkörper wahr. Sie hob den Kopf und blickte in Ãlvaros Augen. „Habe ich so lange geschlafen?“ Sophia musterte ihn verwirrt.
Er schüttelte den Kopf. „Ich dachte, es wäre besser dir nachzugehen, damit du auch sicher in der Pension ankommst.“
Sophia kräuselte die Stirn. „Du hast dich um mich gesorgt?“
Ãlvaro machte eine abweisende Handbewegung. „In dieser Situation hätte ich mich um jeden gesorgt. Du magst dich vielleicht ein wenig besser fühlen, aber du kannst ja noch nicht einmal gerade gehen.“
„Ich bin so furchtbar müde.“ Sie gähnte. „Kann ich nicht hier schlafen? Nur ein bisschen?“
Ãlvaro seufzte. „Nein, du gehst jetzt.“ Er half ihr hoch und stützte sie mit beiden Armen.
„Ich habe deinen Abend verdorben.“ Sophia lehnte sich gegen die Pensionszimmertür, die Ãlvaro gerade geschlossen hatte. Er betrachtete sie eingehend. Sophias Augen glänzten, ihre Wangen waren leicht gerötet. Stirn und Lippen gekräuselt.
„Es war ein schöner Abend.“, sagte er und schenkte ihr ein kurzes Lächeln. Sophia machte einen Schritt nach vorn und stolperte dabei fast über den Zimmerteppich. Ãlvaro fing sie auf.
„Ich möchte nur noch schlafen.“, flüsterte sie.
Er führte sie zu ihrer Bettseite und half ihr sich hinzusetzen. „Hilf mir mit dem Kleid.“, sagte sie gähnend.
Ãlvaro starrte sie ungläubig an. „Wie bitte?“
Sophia blickte hilflos auf ihren Körper. „Das Kleid. Ich kann nicht in meinem neuen Kleid schlafen.“ Ihre Stimme überschlug sich.
Er lachte. „Du benimmst dich wie ein kleines Mädchen. Dein Kleid wird es überleben.“
„Nein! Bitte hilf mir!“ Sie blickte ihn flehend an.
Ãlvaro sah genervt auf sie hinab. „Nüchtern kann ich dich besser leiden.“, stöhnte er, griff aber schlieÃlich zögernd nach dem Stoff ihres Kleides.
„Nun mach schon. Oder hast du etwa noch nie eine Frau ausgezogen?“
Ãlvaro hob eine Augenbraue. „Nicht unter diesen Umständen.“ Er schob das Kleid langsam über Sophias Kopf. Sein Blick verharrte einen Moment auf ihrem Körper, ehe Ãlvaro sich abwandte und das Kleidungsstück über den Stuhl hängte, welcher nahe dem Bett stand. „Die Unterwäsche behältst du aber an.“, entschied er. „Nun deck dich zu und schlaf endlich!“ Er drehte sich erst wieder um, als er das Rascheln der Bettdecke vernahm. Sophia lag in der Mitte des Doppelbettes zu einem Embryo zusammengerollt. „Ãlvaro.“, sagte sie mit brüchiger Stimme.
Der Angesprochene seufzte. „Was ist? Möchtest du eine Gute-Nacht Geschichte hören?“ Er näherte sich langsam.
Sie deutete auf seine Bettseite. „Komm her, nur eine Minute.“
Ãlvaro setzte sich zögernd. „Ich stoppe aber die Zeit.“
Sophia musterte ihn unsicher. „Ich bin nur eine zusätzliche Last für dich. Das war ich schon immer und für jeden.“ Eine einzelne Träne rann über ihre Wange. „Vielleicht ist es besser, du fährst ohne mich weiter. Oder du nimmst den rotbraunen Lockenkopf oder die orientalische Jessica Rabbit vom Diner mit.“
Er sank seufzend in die weiche Matratze und drehte sich zu ihr. „Du bist keine Last. Ich finde dich mittlerweile sogar relativ amüsant.“
„Amüsant?“ Sophia kräuselte die Stirn. „Du bereust also nicht mich mitgenommen zu haben?“ Ihr Kopf schmerzte, ihre eigene Stimme hörte sich plötzlich wie die einer Fremden an.
Ãlvaro strich eine Träne von ihrer Wange, wobei Sophia zusammenzuckte. „WeiÃt du, ich bereue sehr, sehr viele Dinge in meinem Leben. Dich mitgenommen zu haben gehört jedoch nicht dazu.“
Sie rückte näher. „Ich bin abstoÃend.“, meinte sie scheinbar zusammenhangslos bei dem Gedanken an ihr Spiegelbild im Sanitärraum der Bar.
„Das bist du nicht.“ Er schüttelte den Kopf. „Du hast lediglich zu viel getrunken. Da neigt man dazu, Dinge vollkommen verzerrt zu sehen.“
Sophia lächelte. „Du bist so lieb.“, sagte sie. Ihre Hand fuhr durch sein kurzes Haar. Die junge Frau rutschte noch ein Stück näher, so dass ihr geschwächter Körper beinahe den Ãlvaros berührte. Sophias Herzschlag beschleunigte sich, sie begann zu zittern, als sie die Distanz noch etwas verringerte. Eine scheinbar fremde Frau streifte schlieÃlich die Bettdecke ab.
Von Ãlvaro ging etwas Faszinierendes aus. Die Nähe zu ihm schien einerseits verlockend, andrerseits auch bedrohend. Es war Hitze und Kälte zugleich, welche Sophia erfasste.
Ãlvaro betrachtete sie eingehend. Er wusste, dass er sie nun eigentlich stoppen und vom Bett aufstehen müsste, konnte sich jedoch nicht dazu überwinden. Ein schlechtes Gewissen begann an ihm zu nagen, als Sophia ihre Lippen auf seine presste. Ãlvaro genoss ihren heiÃen Atem, die Weichheit ihrer Haut. Er zog Sophia näher an sich. Eine seiner Hände wanderte zu ihrem GesäÃ, die andere zum Verschluss ihres BHs. Plötzlich hielt Ãlvaro inne und stieà die junge Frau grob von sich. „Verdammt, ich kann das nicht, Sophia! Was ist plötzlich in dich gefahren? Du bist noch immer vollkommen vom Alkohol benebelt! Du weiÃt ja gar nicht, mit wem du dich hier einlässt!“ Ihr Anblick lieà ihn schlieÃlich verstummen. Sophias Augen waren gerötet. Sie hatte die Arme, auf denen die Druckstellen seiner Finger noch sichtbar waren, zitternd um ihren Körper geschlungen.
„Verdammt!“ Er erhob sich, ohne sie noch eines weiteren Blickes zu würdigen, zog seine Lederjacke über und verlieà das Pensionszimmer.