Aug in Aug, in der Kühle,
laà uns auch solches beginnen;
gemeinsam
laà uns atmen den Schleier,
der uns voreinander verbirgt,
wenn der Abschied sich anschickt zu messen,
wie weit es noch ist
von jeder Gestalt die er annimmt,
zu jeder Gestalt,
die er uns beiden geliehn.
Paul Celan
EINS
Es ist unmöglich so, wie du sagst! Ist es so, wie du sagst? Trage ich alleine die Schuld? Nur meine Fehler? Nur mein Versagen? Warst nicht du es, die immer wieder sagte, es gehören zwei dazu? Weshalb plötzlich nur ich? Wo ziehst du diese seltsame Grenze an der aus einem Zwei werden, aus Zweien einer?
Servierst es mir so schmackhaft wie möglich, vergisst dabei, dass selbst die köstlichsten Speisen bitter schmecken, wenn dich nur ein einzelnes Haar von der zweischneidigen Klinge trennt. Ich bin satt, keinen Bissen mehr bringe ich herunter, selbst die Luft scheint alt und verbraucht. Sagst es war schlecht, fragst wieso ich überhaupt zurückgekommen bin. Bist nicht du zurückgekommen? Ich habe dich gewarnt, du wolltest nicht hören, du wolltest es so.
Du willst gehen? Dann geh. Ich werde dich nicht aufhalten. Wie sollte ich auch? Wer gibt mir das Recht dazu?, so denkt er und die Tränen brennen in seinen Augen wie Feuer, wie der billige Schnaps in seiner Kehle. Das wievielte Glas ist es? Das fünfte, das sechste? Bestellt noch einen, versucht mit ihm den ätzenden Geschmack nach Galle zu vertreiben, der sich seit Tagen beharrlich hält. Sie hat die wärmende Decke mitgenommen, sie hat sie um ihn gelegt und sie ihm wieder entrissen. Das bleibt also übrig, wenn man die Hüllen abnimmt, sorgfältig, Schicht für Schicht, Gift und Geifer, die kläglichen Reste seiner selbst. Ihm wird jetzt tatsächlich schlecht, der Boden unter seinen FüÃen scheint sich zu drehen. Er bemerkt nicht wie er fällt, spürt nur den dumpfen Scherz, als sein Kopf auf den Tresen schlägt.
Seine Zunge ist pelzig vom billigen Fusel, er bewegt vorsichtig den Kopf, kann förmlich spüren, wie sein Hirn an die Schädeldecke knallt. Ãchzt, blinzelt im grellen Neonlicht, versucht auszumachen wo er ist. Kahle Wände, ein verdrecktes Kellerfenster, eine durchgelegene Matratze, eine Frauenstimme. âGuten Morgenâ, er greift sich an die Stirn hinter der es bedrohlich pocht, erwidert ihren Gruà stumm. âKaffee?â
Er gibt ein Grunzen von sich, das sie als Zustimmung deutet. Drückt ihm Sekunden später eine Tasse in die eine, eine Tablette in die andere Hand. Dankbar schluckt er die weiÃe Pille und spült sie mit dem braunen Gesöff herunter. Stellt sich vor, wie sie sich in seinem Magen auflöst, in sein Blut geschwemmt wird und hoffentlich schnell seinen Kopf erreicht.
âWenn manâs nicht gewöhnt ist, hatâs böse Folgen, mein Selbstgebrannterâ, merkt die Frau mit einem Grinsen an und entblöÃt dabei ihre schiefen Zähne.
Früher warst du bestimmt hübsch, denkt er, bevor der Alkohol die feinen Ãderchen in deinen Augen und deinem Gesicht zum Platzen gebracht hat, bevor der Rauch und die schlechte Gesellschaft in deiner Spelunke tiefe Furchen in dein Gesicht gegraben haben. Vielleicht warst du aber auch schon immer so hässlich, bist schon so auf die Welt gekommen und gehst deshalb nie nach drauÃen, um deiner gelben, ledrigen Haut etwas Sonne zu gönnen.
âJa, jaâ, sagt sie und ihre blutunterlaufenen Augen, verraten das sie genau weià was er denkt. âSiehst heut morgen nich besser aus, bestimmt nich, solltest nich in Spiegel gucken, besser nich.â
âTut mir leidâ, entgegnet er halbherzig. Er nimmt noch einen Schluck, verzieht angewidert das Gesicht.
Sie tätschelt ihm die Wange. âMuss es nich, Jüngelchen.â
Er lacht, kann nicht anders, obwohl sein Schädel bei jeder Bewegung dröhnt, lacht bis ihm die Tränen kommen. Tätschelt ihm die Wange, wie ein altes russisches Mütterchen, dabei ist sie ist kaum älter als er, vermutlich sogar jünger, es lässt sich schwer sagen, bei Menschen diesen Schlags ist die Natur meist doppelt so grausam.âGottâ, bringt er um Atem ringend hervor.
âDer hört dich nichâ, sie schnalzt mit der Zunge. âIch schon, ich tät dir schon zuhören. Wenn de willst, kannst mir ruhig alles erzäln. Vergess es sowieso wieder, mir erzähln ständig irgendwelche feine Pinkel wo der Schuh drücktâ, sie wiehert als sie sein verblüfftes Gesicht bemerkt. âHätst nich gedacht, was? Aber du bist nich der Erste und wirst auch nich der letzte sein. Ständich is einer von euch hier, könnt euch vollaufen lassen, ohne das es jemand mitkriecht, derâs nich mitkriechen soll. Anominitätâ, sie dehnt das letzte Wort, ihre Zunge knallt wieder schmatzend gegen ihren Gaumen, ein zufriedenes Schmatzen, er unterlässt es sie zu korrigieren.
âWie heiÃen sie?â, fragt er, während er so unauffällig wie möglich seine Taschen absucht, erleichtert feststellt, dass sein Portemonnaie noch da ist, wo es zuletzt war.
âZitty, manche sagn auch Zittelchen, vor allem wenn se besoffen sind.â
âNun, Mrs. Zitty, ich danke ihnenâ, er steht auf, zieht seine Geldbörse hervor. âWas bin ich ihnen schuldig?â
Sie wiehert wieder, schlägt sich vor Vergnügen auf die Schenkel. âMit mich musste nich so vornehm tun, macht sonst auch kein Schwein.â
Er geht nicht darauf ein, langsam beginnt es ihm zu dämmern wo er tatsächlich hingeraten ist, alles was er will ist so schnell wie möglich zu verschwinden, er will nach Hause, sich den Dreck und den Gestank abwaschen, sich in sein sauberes Bett legen, schlafen. Er zieht eine Fünfzigdollarnote hervor, reicht sie ihr. âIst das genug?â Sie sagt nichts, also gibt er ihr einen zweiten Schein, was sollâs denkt er sich, was sollâs, bloà weg hier.
âIs viel zuviel, aber ich nehmâs trotzdemâ, sie lässt das Geld schleunigst in einer ihrer Rockfalten verschwinden. âUnd falls de reden willst, weiÃt ja wo mich findstâ, brüllt sie ihm hinterher, ihm der es so eilig hat von hier wegzukommen, dass er sich beherrschen muss nicht zu rennen. Aber sie weiÃ, dass er wieder kommen wird. Sie kommen alle wieder.
Und sie behält Recht. Schon wenige Stunden später ist er wieder da, die Bartstoppel sorgfältig entfernt, das schmutzige, zerknitterte Hemd gegen ein frisch gestärktes getauscht, der süÃe Geruch nach Alkohol und Zigarren ist dem eines herben Eau de Cologne gewichen.
âNa?â, gackert sie und stellt ein volles Glas vor ihn. Etwas zu heftig nimmt er es, ein GroÃteil der klaren Flüssigkeit ergieÃt sich auf den fleckigen Tresen. Schweigend leert er den Rest und sie füllt es erneut. âDas Geheimnisâ, sagt sie, âDas Geheimnis sind die Birnen. Nich viele, nur nâ paar. Süà und saftig müssen sie sein, ich nehm nur die Besten, kommt der Kundschaft zugute. Nâ paar hochprozentige Vitamine ham noch keinem geschadet.â
Ihr Lachen macht jedem Pferd die Ehre, denkt er sich, fragt sich gleichzeitig weshalb er doch wieder gekommen ist. Sie weià es.
Er sieht sich um, obwohl es noch früher Nachmittag ist, ist der kleine Raum gut gefüllt. In der Ecke hängt ein alter Fernseher über den ein Footballspiel flimmert. Der Ton ist ausgeschaltet, aber die Gruppe von Männern um ihn herum, tut ihr bestes diesen Mangel mit lautstarken obszönen Kommentaren ihrerseits auszugleichen. Zwei Tische weiter räkeln sich zwei Frauen auf einer verschlissenen Ledercouch. Sie sehen gelangweilt aus, es ist noch zu früh für sie, noch ist das einzige was sie schlucken Zittys Fusel. Eine der beiden bemerkt, dass er sie beobachtet und zwinkert ihm einladend zu, schnell wendet er sich ab, bestellt noch ein Glas.
âNich so hastig, nich so gierigâ, mahnt Zitty ihn. âIs noch lange nich Feierabend, davor hab ich keine Zeit für dich. Schätz bist nich scharf noch ne Nacht hinten zu pennen.â
Bestimmt nicht, eine Nacht hier reicht für ein ganzes Leben. âWas erzählen die anderen ihnen denn so?â, fragt er so beiläufig wie möglich. Wer sind die anderen würde er gerne wissen, traut sich jedoch nicht auch diese Frage auszusprechen.
âDies un das. Viel S.cheiÃ, langweiliger S.cheiÃ.â
âWarum hören sie ihnen dann zu?â
Sie bleckt ihre verwahrlosten Zähne zu einem Lachen, deutet auf die zwei Frauen auf der Couch. âIrgendwann wolln alle bloà noch mit eim reden, bei denen istâs auch nicht mehr lang hinne, wissenâs bloà noch nichâ, sie zuckt mit den Schultern. âHam Glück das es hier draussn nich soviel gibt, inner Stadt würd die keiner nich mit sein Arsc.h anschaunâ, sie lässt ihn stehen und bringt den Männern unter dem flimmerndem Bildschirm noch eine Runde Bier, kommt zurück und knüpft nahtlos an ihren letzten Satz an. âWeiÃt de, so is es besser, find ich. Reden is nich so anstrengend wie bumsen.â
Er zuckt zusammen, leert verlegen sein Glas, was mach ich hier, was mach ich hier, echot es in seinem Kopf.
Zitty bemerkt dass er sich unbehaglich fühlt, sie ist vielleicht nicht die Hellste, aber was Männer betrifft, die können ihr nichts vormachen, die kennt sie. Und der hier, der gehört zu einer ganz besonderen Sorte, das hat sie schon gestern gesehen, hätte sie es nicht gesehen, dann hätte sie ihn von den Jungs vor die Tür werfen und nicht ins Hinterzimmer tragen lassen. âWeiÃt duâ, stimmt sie einen versöhnlichen Ton an und füllt sein Glas als Zeichen des guten Willens bis zum Rand. âIs mir schon klar, dass du normal nich so mit Leuten wie mir zu tun hast, klar wie KloÃbrüheâ, sie lacht über ihren eigenen Scherz, auch er ringt sich ein höfliches Lächeln ab. âAber was de deshalb nich wissen kannst, is, und jetzt pass gut auf, ich sag nämlich nicht oft so ne schlaue Sachen. Es ist so, dass wir, also wir Nutten, wir sind so was wie Psischiatören von euch Männern, verstehst de? Die wenigsten kommen weil se fummeln wolln, sondern weil se heulen wolln. So ist das nämlichâ, stolz blickt sie ihn an. Das hättest du wirklich nicht gedacht, sagt ihr Blick, es wäre dir nie in den Sinn gekommen, dass eine wie ich das begreift, so was Kompliziertes überhaupt denken kann.
Er hätte es tatsächlich nicht gedacht, gesteht er sich ein. Und wenn er sie so ansieht, kann er sich auch nicht vorstellen, dass ein Mann bei ihrem Anblick tatsächlich ein anderes Bedürfnis als das zu reden empfinden würde. Sie hat wirklich etwas an sich, dass die Zunge löst. Oder ist es nur ihr Schnaps, der ihn plötzlich gesprächig stimmt? âWissen sieâ, fängt er an, zeichnet Muster in die Schnapspfütze auf dem Tresen. âSie ist weg.â
âWer?â, fragt sie, als ob sie es nicht wüsste!
âMeine Frau.â
âHast sie betrogen?â Sie schnalzt mit der Zunge, eine abstoÃende Angewohnheit, findet er, eine unmögliche Frage.
âNeinâ, er unterstreicht seine Aussage indem er die Schnapspfütze mit einer kräftigen Handbewegung wegwischt.
âEcht nich?â, das gibtâs nicht, denkt sie, das kannste mir nicht erzählen.
âEcht nichâ, antwortet er in ihrem Jargon und beide lachen über seinen unbeholfenen Scherz. Sie glaubt ihm trotzdem nicht, der Kerl, soân Kerl, den muss erst noch einer backen. Wenn das stimmt, dann glaub ich es trotzdem nicht. Das sagt sie ihm auch und er sieht sie mit wässrigen Augen an. Hossa, denkt sie, da ham wir aber einen Nerv getroffen, aber wie, volle Kanne rein gestochen in den faulen Zahn.
âHey, hey, wer wird denn gleich so ein Gesicht ziehen?â, sie klopft ihm mit einer Hand auf die Schulter, die andere benützt sie um eine neue Runde Bier für die grölenden Footballfans zu öffnen. âHarryâ, versucht sie das Geschrei zu übertönen. âHol Mal grad euer Bier selber ab, kann hier nicht weg.â
Ein beleibter Kerl mit öligem Haar schiebt sich zum Tresen. âZittileinâ, lallt er. âIch bezahl nich nen Dollar für die übel Brühe, wenn ich sie mir auch noch selber holen muss.â
âSoll ich dir deine Pappe zeigen, Harry, bezahlst doch sowieso nichâ, ungerührt drückt sie ihm ein Tablett in die Hand und er balanciert es angestrengt zurück an seinen Tisch. Besser selber tragen, als gar keins, besser selber tragen, als die Sch.eiÃpappe zu bezahlen.
âZurück zu unsâ, sie sieht ihn durchdringend an, blinzelt träge. âWenn de nix gemacht hast, warum soll sie dann weg sein, mmh? Müsst ja blöd sein nen schmucken Kerl wie dich einfach so sitzen zu lassenâ, schön blöd, sinniert sie, ziemlich blöd, total bescheuert, mir würd das nicht passieren.
âSie sagt, es täte ihr zwar wirklich leid, aber sie könnte nicht mehr länger bei mir bleiben, weilâ, er hebt sein Glas, prostet ihr zu. âWeil sie nicht glücklich ist.â
Zitty lacht ihr dröhnendes Pferdelachen. âAlso ist sie blödâ, bekräftigt sie ihre eigene Aussage. Wie könnt jemand nicht glücklich sein, wenn er Kohle hat? Und Kohle hat ihr neuer Freund hier bestimmt, alleine seine Manschettenknöpfe müssen ihn ein Vermögen gekostet haben. Aber sie kennt die Geschichte schon, die erzählen sie ihr alle. Sie ist unglücklich sagen sie, sie will mehr, blabla, kein Wunder das ihre Männer sich anderweitig vergnügen, wer hat schon Lust sich mit verwöhnten Kindern herumzuschlagen?
âSie ist nicht blöd.â Hola, den hatâs wirklich erwischt, so was aber auch, der ist wirklich mehr am Ende als sie dachte. âSie ist, sie istâ¦â¦..â, er schüttelt den Kopf, er hat keine Lust zu reden, so plötzlich wie das Verlangen da war, ist es jetzt wieder weg. Wie sollte sie ihn auch verstehen? Er sieht doch, dass sie sich insgeheim lustig über ihn macht. Unschlüssig setzt er einen Fuà auf den Boden auf. Soll er wirklich gehen?
âWillst de wirklich schon gehn?â, fragt Zitty ihn prompt und er zuckt mit den Achseln. âWolln schon, aber nich wissen wohin, was?â
Verflucht, kann sie Gedanken lesen? Ein unbehagliches Ziehen breitet sich in seiner Magengegend aus, er schluckt, will etwas sagen, doch seine Zunge scheint wie fest gewachsen. Er schafft es sie mit einem leisen Plopp von seinem Gaumen zu lösen, dasselbe Geräusch das Zitty ständig produziert. Ironie des Schicksals, scheint an ihrem Selbstgebrannten zu liegen, ausser Birnen vermutlich auch noch Klebstoff drin. âIschtzâ, er räuspert sich, seine Zunge gehorcht ihm wirklich nicht mehr so wie sie es sollte. âIch könnte nach hause gehen. Ich habe ein sehr schönes Haus. Ein prachtvoller Bauâ, Zitty hört geduldig zu wie er die architektonischen Beschaffenheit seiner Villa bis ins kleinste Detail beschreibt, Baujahr, Material, Stil, Restaurationen. Meine Fresse, meine Hütte hier ham se in drei Wochen hochgezogen. Verschalung hier, Verschalung da, Beton rein, fertig. Holzboden, pah, denkt sie, schlecht, schlecht, Parkett, geht doch gleich kaputt, die Jungs sauen hier rum wie sie wollen. Aber schön ist es bestimmt, so mit Efeu und Wein drum herum (Unkraut, mehr nicht, grüne Schmarotzer), ein Garten, ein groÃes Bad. Wer so ein Haus hat, hat bestimmt ein Bad mit diesen Blubberbläschen, muss schön sein da drin zu liegen. Sauna, hört sie ihn sagen. Nein danke, ich schwitz bei der Arbeit schon genug, Pool, oh ja, das wär doch mal was. Und ein Butler der mir Champagner und diese Fischeier reicht. Sehr vornehm, elegant, wie bei Königs. Doch langsam hat sie genug gehört, soll er doch nicht um den heiÃen Brei herum reden. Klar istâs schön, klar istâs groÃ, hast schlieÃlich Geld, aber leer istâs auch.
âTjaâ, schlieÃt er seinen Vortrag, spült die letzten Worte mit den Resten der klaren Flüssigkeit herunter und stellt das Glas vorsichtig ab, kein Geräusch ertönt dabei. Ãberhaupt ist es seltsam still geworden. Der Bildschirm läuft noch immer, die Männer sind verschwunden. Der groÃe Zeiger der Uhr rückt auf neun zu.
âTjaâ, sagt auch sie, schnappt sich einen leeren Bierkasten und macht sich daran die leeren Flaschen der Jungs darin zu verstauen. âFrühschichtâ, erklärt sie knapp und er blickt sie verständnislos an. âNa ja, müssen halt früh raus, malochen. AuÃerdem hamâs ihre Fraun gar nich gern, wenn se die ganze Nacht bei mir rumlungern.â Sie schnieft und wischt sich mit dem Ãrmel ihrer Bluse die Nase entlang. âAber in zwei Stunden komm die Jungs vonner Spätschicht, dann gehtâs erst richtig los. Jetze is erst Mal Lochâ, schwungvoll lässt sie den Bierkasten hinter den Tresen knallen und die Flaschen scheppern laut. Gemächlich schlendert sie zu einem alten Kühlschrank, dessen Front mit Zeitungsartikeln, Bildern, Postkarten und Magneten zu gekleistert ist, haut kräftig mit dem Fuà dagegen, er öffnet sich knarzend. Die Lampe ist kaputt, das stört sie nicht, sie weiÃ, wo was liegt, hat es schlieÃlich selbst gepackt. So befördert sie eine Tüte hervor, zieht eine Serviette heraus und breitet sie über den klebrigen Tresen, packt drei Sandwiches aus, schiebt eines davon zu ihrem einzigen Gast. âHier, das de mir nich vom Fleisch fällst, wär schade drum.â
Dankend nimmt er es an, er hat noch nichts gegessen heute, alles was er zu sich genommen hat war der Schnaps, der bedenklich in seinem Magen gluckert, wie Schwefel im Geysir. âIslandâ, schmatzt er deswegen zwischen zwei Bissen. âSchon mal dagewesen?â
Sie lacht und er kann das halb zerkaute Sandwich in ihrem Mund sehen, einzelne Teile wirbeln durch die Luft. Gott, fragt er sich zum tausendsten Mal, was mach ich hier. âNeinâ, grunzt sie vergnügt. âBin noch nich mal aus Connecticut rausgenommenâ, sie fegt sich ein paar Krümel von der Bluse. âNa ja, New York war ich schon, hab da mal gearbeitet, war aber nix für mich. Zu viel los, kennst da keinen, keiner kennt dich. Ist sicherer hier.â
Er mach ein Geräusch, das nur als abfälliges Schnauben zu deuten ist. âVermutlichâ, stimmt er ihr dennoch zu, beiÃt in sein Sandwich und kaut bedächtig auf dem Bissen herum.
Zitty wischt sich über den Mund, der von der Mayonnaise glänzt. âIstâs schön in Island?â, fragt sie, überlegt wo das wohl ist, Island. Klingt kalt, warum sollte man wohin fahren woâs kalt is?
âWeià nicht genauâ, er schüttelt lachend den Kopf. Er weià es wirklich nicht. Er war da, dreimal, dreimal mit dem Taxi ins Konferenzzentrum und zurück. Island besteht für ihn aus einem Flughafen, endlos langen StraÃen, dem penetranten Geruch von Duftbäume in den Taxen, Hotelzimmern. Geysire kennt er nur von Fotos, aus Hochglanzmagazinen, Dokumentationen, den Broschüren in der Hotellobby.
Zitty greift sich eine weitere Sandwichhälfte, beginnt auch diese gierig herunter zu schlingen. Kaut sie überhaupt, überlegt er, beobachtet wie Stück für Stück des weiÃen Brotes in ihrem Mund verschwinden, wie die groÃen Bissen ihre Speiseröhre hinab wandern, lauscht dem Schmatzen, schrickt auf als er ihre unerwartete Frage hört. âHastân Foto?â
Irritiert sieht er sie an âVon Island?â
Sie lacht, verschluckt sich, hustet und befördert dabei wieder zerkaute Sandwichreste in die stickige Luft. âNeâ, keucht sie, schlägt sich dabei auf ihre dürre Brust, âvon deiner Frau.â
Er zögert. Ja, hat er. Natürlich. Er zieht seine Geldbörse hervor, klappt sie auf, greift zielsicher hinein und befördert ein Foto zu Tage. Zitty wischt sich die klebrigen Finger an ihrem Rock ab, ehe sie neugierig danach greift, es sich dicht unter die Nase hält, schlieÃlich ein schiefes Pfeifen von sich gibt. âDeshalb hatâs dich also in unser Kaff verschlagen.â
Jetzt ist es an ihm sich zu verschlucken, nicht am Sandwich, das ist bereits weg, an ihren Worten. Sie grinst ihn fröhlich an. âNa Farnsworthâ, dröhnt sie.
âFarnsworthâ, stimmt er ihr tonlos zu, überlegt fieberhaft woher sie weiÃ. Woher könnte sie denn wissen, es ist Jahre her, ihm scheint es beinahe ein anderes Leben gewesen zu sein.
âPassiert ja nich viel hierâ, befriedigt sie seine Neugier, mildert sie seine Verblüffung. âEigentlich nixâ, hebt einen Finger zu ihrer Stirn, kratzt sich demonstrativ. âSommer 70 muss es gewesen seinâ, grübelt sie. Nein, sie grübelt nicht. Sommer 71 war es, sie erinnert sich ganz genau, passiert ja nicht alle Tage, so âne Sensation. Skandal ham sogar die Spatzen von den Dächern gepfiffen und den Besuchern ein Hohnlied gesungen, ihnen auf ihre vornehmen englischen Melonen geschissen.
âSommer 71â, korrigiert er, was sie schon längst weiÃ. Sie kneift die Augen zusammen, läÃt wieder ihre Zunge schnalzen, gibt ihm das Foto zurück.
âFarnsworth is nich hierâ, erzählt sie, obwohl er es vermutlich gar nicht hören will, eben weil er es hören will. âIs auf Urlaub. Macht er jedes Jahr um diese Zeit, hat ne eigene Insel irgendwo. Fährt immer mit andere Weiber hin. Der Dreckskerl wird älter, aber die bleiben immer gleich alt, jedes Jahr ne andere. Sandy, meine Nachbarin, die putzt für ihn, die könnt ihnen Geschichten erzählenâ, sie macht eine zweideutige Geste, kichert vergnügt, versucht ihrem Gesicht jedoch urplötzlich eine ernste Miene zu geben, was herauskommt ist eine schiefe Miene. âHat ihm das Herz gebrochen damals, sagt Sandy, hat sich nich mehr eingekriegt, soll allet klein gehauen haben, wie ne Furorie soll er getobt ham, mit Schaum vorm Mund.â
âSein gutes Rechtâ, brummt er, sein Blick geht ins Leere. Was machst du nur? Was machst du nur?, flüstert eine Stimme in seinem Hinterkopf. Er steht auf, taumelt ein wenig, stützt sich an dem verschlissenen Barhocker ab. âZitty, ich danke ihnen vielmals.â
âAber wofür denn?â, langsam beginnt sie daran zu zweifeln, ob er noch ganz richtig ist. Island und so, vom Schnaps allein kann das nicht kommen. Sie hat es ja damals auch nur aus der Zeitung mitgekriegt und das Getratsche natürlich. Wochenlang, heut noch hin und wieder, beim StraÃenfest, wenn alle von den alten Zeiten quatschen. Aber wat wirklich passiert ist, weià auch nicht einer so richtig. Wenn sie das jetzt rauskriegen würd, dass wär ne Nummer. Alleine der Gedanke daran läÃt sie vor Freude quieken. âSach malâ, rückt sie schlieÃlich mit der Sprache raus, so leid er ihr tut, so verlockend ist auch die Möglichkeit die sich ihr bietet. âSach Mal, was genau willsde denn eigentlich hier? Is doch allet schon Schnee von gestern.â
Er beginnt dröhnend zu lachen, sie weicht zwei Schritte zurück, er beugt sich daher ein wenig über den Tresen âWas ich will?â, er winkt sie an sich heran. âIch wollte ihm eine reinhauenâ, er erschrickt über seine eigenen Worte, sie klingen hart, drohend, wie das Knurren eines ausgehungerten Hundes. Zieht die Luft tief ein, löst seine verschwitzten Finger voneinander, die er, ohne es zu bemerken, zu einer Faust geballt hatte.
âDu ihm? Na da hät er aber mehr Grund dazu, würd ich sagnââ, entgegnet Zitty. âWo se doch den Farnsworth hat an der Nase herumgeführt mit ihrân Balg.â Sie stupst ihn, er schwankt, rudert mit den Armen, läÃt sich wieder auf den Hocker fallen.
âFalsch, ganz falsch meine liebe Zittyâ, er schnappt sich die Schnapsflasche und schenkt sich selbst nach, ignoriert Zittys empörten Blick. âEr hat mir schon vor Jahren eins auf die Nase gegebenâ, er schüttet den Alkohol in seinen Rachen. âGemerkt, gemerkt hab ichâs erst jetzt.â
Sie rümpft die Nase, meine Herrn, das soll jetzt mal einer verstehn, gerade mir kommt er so, kann er sich nich deutlicher ausdrücken, dem muss man ja alles aus der Nase ziehn. âIs se deshalb weg?â, fragt sie also.
âWollen sie das wirklich wissen?â
Du bis mir ja echt ne Nummer, blöde Frage, aber ehrlich, wär ich gerne reich? Na also, wer nicht, denkt sie. âWennâs dir hilft wieder nen klaren Kopf zu kriegen, sicher dochâ, sagt sie so schmeichelnd wie möglich, versucht ihrer Stimme einen gleichgültigen Ton zu geben, obwohl sie nichts brennender interessiert. âSommerâ, hilft sie ihm auf die Sprünge, als er länger nichts sagt. In einer Stunde wird die Bude wieder voll sein, da wird sie keine Zeit haben ihm zuzuhören. âSommer 71.â
âDaâ, keucht er, âda war alles schon vorbeiâ, seine Stimme klingt belegt, seine Augen sind ganz glasig vom Schnaps und der Erinnerung. âAlles schon lange vorbei.â
To be continued