Er nimmt noch einen Schluck, läÃt die beiÃende Flüssigkeit eine Weile in seinem Mund zirkeln, ehe er sie schluckt, sie sich mit einem scharfen Brennen den Weg in seinen Magen bahnt. Wann hat es tatsächlich angefangen, überlegt er. Mit den Franzosen? Kennedy, Johnson, Nixon? Früher? Später? Es gibt keinen Anfang, es gibt ja auch kein Ende. âFarnsworth. Peco-Tiefkühlkost â ihre Garantie für ein gesundes Lebenâ, äfft er den Werbespruch nach und schnaubt verächtlich.
***
Hochkonzentriert läÃt sie ihre Augen über die Papiere fliegen, das einzige Geräusch im Raum ist das Rascheln der dünnen Seiten, ihr Atmen. Hin und wieder greift sie nach einem der dicken Bücher die auf dem Tisch verstreut liegen, schlägt etwas nach, seufzt, wendet sich wieder der Lektüre zu. Er könnte ihr ewig dabei zusehen, Stunden, Tage, den Rest der Ewigkeit. Ein weiÃes Band hält ihr Haar, nicht eine Strähne bedeckt ihr Gesicht, aristokratisch, denkt er, schön, wie auf einem Gemälde von Renoir. Sanfte Pinselstriche, dezente Farben, perfekt geschwungene Linien, ein Meisterwerk, unbezahlbar. Unerreichbar. Er ist nicht verbittert, nein, enttäuscht vielleicht, für den Moment abgeschlagen, zurückgedrängt in diesem Duell ohne Waffen. Sie legt die Papiere zur Seite, er sieht sie erwartungsvoll an. âUnd?â
âDu solltest dir einen promovierten Anwalt nehmenâ, entgegnet sie und hebt die Augenbrauen, schiebt ihm die Notizen zu. âEinen Gutenâ, fügt sie hinzu.
âSoll das heiÃen, du gibst auf?â, neckt er sie, erntet den erwarteten Gesichtsausdruck, ein seufzendes Lachen.
âEs soll heiÃen, nimm dir einen promovierten Anwalt.â
Er verschränkt die Arme, lehnt sich auf die Tischkante. âIch habe doch dich.â Zumindest ansatzweise.
âWilliamâ, setzt sie an, will versuchen es ihm zu erklären. âDas ist ein kompliziertes Gebiet. Ein Präzedenzfall. Es gibt viel zu viele Variablen. Du wolltest meinen Rat und das ist er. Du brauchst jemanden der etwas davon versteht. Auf dem praktischen Gebiet.â
âKomm schon, das ist sicherlich nicht alles, was dir dazu einfälltâ, fordert er sie heraus, er will wissen was sie tatsächlich von der Idee hält. Er findet sie â das würde er natürlich nie aussprechen, schon gar nicht in ihrer Gegenwart â genial. Es ist etwas Neues, es paÃt perfekt, man wird es ihm nachmachen, alle werden sie ihn kopieren, doch er wird immer der Erste gewesen sein, so was merken sich die Leute. Natürlich hat man ihn schief angesehen, als er vor ein paar Jahren damit begonnen hat Geld und Investoren zusammen zutreiben. Ein dürrer Neunzehnjähriger, der mit der Idee Gemüse und andere Lebensmittel einzufrieren hausieren geht. Blödsinn, Schwachsinn, braucht keiner haben sie gesagt. Tiefkühlkost â wozu? Die Hausfrau kauft frisches Obst und Gemüse, nur frische Waren sind gute Waren. Pah, Ignoranten, blöde Mistkerle, sie haben Pech gehabt, all jene die nicht auf den unaufhaltbar schneller werdenden Siegeszug der Peco-Tiefkühlkost aufgesprungen sind. In ein paar Jahren wird ganz Amerika seinen Namen kennen, das ganze Land seine gefrorenen Erbsen und Karotten essen. Die Hausfrau von heute? Ja, sie hat vielleicht noch Zeit, aber in ein paar Jahren, wenn immer mehr Frauen studieren werden, arbeiten werden, dann wird er den Markt bereits beherrschen. Und das Militär! Er könnte Johnson gar nicht dankbarer sein, selbst im drückend heiÃen Dschungel sehnt sich der Amerikaner noch nach Stechrüben und Bohnen, Vietnam, eine kleine Goldgrube â und kein Ende in Sicht!
âIch halte es fürâ, sie nickt zögernd mit dem Kopf, macht eine ausladende Handbewegung, sucht nach den passenden Worten, der richtigen Verpackung für ihre Meinung, so ehrlich wie möglich, ehrlich ja, verletzend nein.
âLächerlichâ, kommt er ihr mit einem breiten Grinsen zuvor. Sie protestiert, natürlich, wie sollte es anders sein? âDas habe ich nicht gesagt!â
âAber gedachtâ, es ist ja auch ein wenig diffus, das sind Neuerungen immer. Der Kern jeder Revolution ist im Grunde völlig abstrus.
Sie lacht, ihre Wangen nehmen eine rosige Färbung an. âZugegeben â es erscheint mir weder taktisch noch logisch ein cleverer Schachzug zu sein. Du könntest dich in Teufelsküche bringen. Ich sehe wirklich nicht, welchen Nutzen du und deine Firma daraus ziehen könntet, den Schaden, den sehe ich da eher. Ich verstehe sowieso nicht, wie du überhaupt Geld mit gefrorenen Steaks machen kannst.â
âWeil es bequemer ist alles auf einmal zu kaufen. Wozu Metzgereien, Bäckereien, Gemüsehändler, Obstverkäufer wenn ich alles in einem einzigen Laden bekommen kann? Du willst Erdbeeren im Winter â bitte, kein Problem, haben wir.â
â
Kalte Erdbeeren. Wozu gibt es Feinkosthändler?â, hält sie entgegen, nicht zum ersten Mal, sie haben diese Diskussion schon oft geführt.
âNicht jeder hat die finanziellen Mittel sieben Dollar für eine Schale Erdbeeren zu zahlenâ, seufzt er, sie wird nie verstehen, dass nicht jeder mit einem goldenen Löffel im Mund zur Welt kommt. Ihr einziger Fehler, diese Versnobtheit, aber auch diesen Makel findet er mittlerweile geradezu rührend. âEin Pfund für fünfzig Pence, das kann sich jeder leisten!â
âSicher doch, der Bauarbeiter investiert sein Geld in Erdbeeren. Du solltest lieber gefrorenes Bier anbieten, mein Lieberâ, ein spöttisches Grinsen huscht über ihr Gesicht, William Farnsworth hat wirklich seltsame Ideen, erst eisige Spinatklumpen, jetzt die Verbrauchergarantie. Sie versteht worauf er damit hinaus will, die Menschen haben es gerne ordentlich, wollen sich sicher sein nur das Beste zu bekommen. Aber rein rechtlich â eine verdorbene Packung und er hat eine Klage am Hals, bei den Massen die er produziert - wer kauft das kalte Zeug? - wird es nicht bei einer bleiben. Zu riskant, selbst für jemanden wie ihn, jemanden der gerne hoch pokert. Aber Poker und russisches Roulette sind zwei verschiedene Spiele, beim ersten verliert man Geld, beim zweiten alles. Alles. Ein unangenehmes Ziehen breitet sich in ihrem Magen aus, sie versucht es zu ignorieren, sich ganz auf Williams Erläuterungen zu konzentrieren.
âDu hörst mir überhaupt nicht zuâ, beschwert er sich trotzdem, verzieht mit gespielter Empörung das Gesicht. Etwas stimmt nicht, da ist er sich sicher, seit Tagen kapselt sie sich ab, er musste sie regelrecht zwingen sich die Entwürfe anzusehen, so ist sie normalerweise nicht, es ist als ob plötzlich etwas fehlt. Er weià nicht was, will es wissen, muss es wissen. Er befeuchtet sich die Lippen, holt tief Luft. âWoran denkst du wirklich?â, fragt er und sie zuckt zusammen, ihre Augen flackern kurz auf, er kann förmlich hören wie ihr Puls schneller wird, wie sie überlegt was sie sagen soll. Sag es, beschwört er sie, erzähl es mir, bitte. Ich mag es nicht, wenn du so bist.
âEr hat sich freiwillig gemeldetâ, sie hat es gesagt, spürt wie sie eine Gänsehaut von ihren eigenen Worten bekommt und sich ihr Magen noch mehr verknotet.
William keucht kurz auf, er wünschte es wäre aus Entsetzen, aber so ist es nicht, er freut sich. Was für sie so unaussprechlich ist, das sie es nur flüstern kann, ist für ihn etwas, das er am liebsten laut heraus singen würde, durchs Haus tanzen und ihre Worte lachend wiederholen. Aber das muss warten, jetzt muss er sich erst um sie kümmern, ihr das Gegenteil von dem weis machen, was er sich erhofft. Wie erbärmlich ich doch bin, schieÃt es ihm durch den Kopf. Bin ich das wirklich? Nein, so ist es nicht, ich habe nichts damit zu tun, wenn ich davon profitiere ist es nicht meine Schuld, versucht er sich selbst aufzuheitern, das schlechte Gewissen im Keim zu ersticken. Was jetzt noch fehlt sind die richtigen Worte, die richtige Mischung aus Entsetzen, Ungläubigkeit und Mitgefühl. âNeinâ, sagt er schlieÃlich, ein einfaches Wort, der Tonfall zählt, es ist noch zu früh für viele Worte.
Ihr Mund ist ganz trocken, sie schluckt, sieht ihn an, weià nicht was sie sagen soll, weià nicht was sie davon halten soll. Sie kann nicht rational darüber nachdenken, es entzieht sich jeden logischen Denk- und Vorgehensweisen. Sie hat auch nichts gesagt, als er es ihr mitteilte. Offenbarte wäre das passendere Verb, denn kam es nicht einer grausamen Offenbarung gleich? Freiwillig, niemand zwingt ihn, aus freien Stücken will er in diesen verdammten Krieg. Patriotismus, Familientradition, Pflicht, Ehre und Stolz. Er hat versucht es zu erklären, aber sie versteht es nicht, will es gar nicht verstehen. Familientradition. Deinen Vater hat sie das Leben gekostet, verdammter Vollidiot, hätte sie am liebsten geschrien, doch sie hat es nicht. âIch bin so wütend auf ihnâ, sagt sie, âEr muss doch nicht, er ist im AbschluÃjahr, sie ziehen keine Studenten ein.â Schon gar keine die Geld haben, fügt sie in Gedanken hinzu, spricht es jedoch nicht aus, kann es nicht, schämt sich es überhaupt zu denken.
âVielleicht brauchen sie ihn nicht.â Eine Lüge, dass wissen sie beide. Aber was sollte er sonst sagen? Er will ihr nicht weh tun, er liebt sie, er begehrt sie, sehnt sich nach ihrer Berührung, es tut ihm schon körperlich weh, fällt ihm von Tag zu Tag schwerer sich zu beherrschen, nicht herauszuplatzen mit der Wahrheit. Manchmal kommt er sich vor wie im Fieberwahn, vor allem morgens, wenn er aufwacht, naÃgeschwitzt weil er wieder die ganze Nacht von ihr geträumt hat. Davon wie er sie endlich berühren darf, jede Stelle ihres verheiÃungsvollen Körpers, davon wie sie sich einander hingeben. Er weicht ein Stück zurück, setzt sich, um seine Erregung zu verbergen. Nicht jetzt. Wann dann?
âVielleichtâ, ihre Stimme ist so leise, dass er sich anstrengen muss sie überhaupt zu verstehen. âAuÃerdem, du weiÃt doch wie kurzsichtig er ist, sie nehmen keinen Halbblinden, oder?â Auch eine Lüge, sie macht sich etwas vor, die Hoffnung stirbt zuletzt. Hoffnung, so weit war sie also schon. Er ist doch noch da, Richard ist noch hier. Die Wut hingegen, ihre Wut ist verflogen und einer fürchterlichen Angst gewichen. Vor ihrem inneren Augen läuft immer und immer wieder dasselbe entsetzliche Szenario ab, was ist wenn er geht, was ist wenn er nicht zurückkommt? Erschrocken schlägt sie die Hand vor den Mund, sie hat den letzten Satz laut gesagt, er hängt im Raum, schwirrt durch ihn hindurch wie ein Bataillon von Pfeilen.
Sie springt auf, greift nach ihrer Tasche. âWenn du wirklich vorhast deinen Kunden eine Garantie zu geben, dann nimm dir einen anständigen Anwaltâ, befiehlt sie, ist wieder umgeschwenkt, von einer Sekunde zur anderen, sie ist eine Meisterin darin. âIch muss in meinen Kursâ, ein Lächeln zum Abschied, sie schlieÃt die Tür, ist weg, ihr Entsetzen hat sie dagelassen, hat es William vermacht. Er ist entsetzt, dieses Mal ist er es wirklich. Ihre Augen, denkt er, ihr Blick, als sie es sagte, wie ein Schwan dessen Flügel gebrochen ist, ein Schwan, der weiÃ, dass er sterben wird, wenn er nicht mehr wird fliegen können.
Er hat die Schlacht schon lange verloren, sie hat nie stattgefunden, fällt es ihm wie Schuppen von den Augen, er ist der Verlierer eines Wettkampfes, den man aus Mangel an Teilnehmern abgesagt hat.
To be continued
ATN: Konnte heut Nacht nicht schlafen, LOL, hier also ein kleiner âZwischenteilâ, gehört auch noch zu Eins, ebenso wieâs der nächste wird...... Enjoy & Review
Riska PS: Hoffe die Story lässt sich für euren Geschmack nicht zu langsam an.....