Seit Minuten versucht er die zwei schlaffen, blaÃblauen Stoffenden an seinem Hemdkragen zu einer akkuraten Schleife zu binden, scheitert jedoch immer wieder, fährt sich statt dessen prüfend über das Kinn und stellt erleichtert fest, dass er auf eine zweite Rasur verzichten kann. Betrachtet sich weiterhin kritisch im Spiegel, fragt sich woher er das Bildnis darin kennt. Er ist nervös, furchtbar nervös. Nervös scheint ihm nicht einmal ein passender Ausdruck für das zu sein, was er momentan empfindet. Alles wird sich entscheiden, alles hängt von wenigen Minuten ab, niemand könnte dieser Sache weniger gewachsen sein als ich, denkt er resigniert.
âRichard?â
Er erschrickt, er hat sie nicht kommen hören. Sie ist plötzlich hinter ihm aufgetaucht, ihr Spiegelbild neben seinem. Er mustert sie so unauffällig wie möglich, ist ein wenig verwundert über ihre elegante Kleidung, so gar nicht angemessen für diese Tageszeit. Ebensowenig der stilvolle Knoten der ihr Haar zusammenhält. Sie sollte gehen, nicht er, sie würde keinerlei Probleme haben.
âLaà mich dir helfenâ, sie lächelt schwach, bindet die Fliege im Handumdrehen, er hält die Luft an, tritt sofort einen Schritt zurück als sie fertig ist, zupft ein wenig verärgert an der blauen Schleife. âIch verstehe wirklich nicht weshalb du darauf bestehst, dass ich eine Fliege trage, Emily.â
Sie verdreht die Augen, nicht weil die Frage sie stört, sondern um ihre Unsicherheit zu verbergen. Sein brüskes Verhalten, seine Distanziertheit, sie weià nicht wie sie damit umgehen soll, ist mit ihrem Latein am Ende. âWeil alle anderen Krawatten tragen werden, Richard, deshalbâ, entgegnet sie so fröhlich und bestimmt wie möglich, kommt sich vor wie ein kleiner Taschenspieler, billige Tricks, mehr nicht.
âWieso sollte ich mich von der Masse abheben wollen?â, er greift nach dem Jackett und zieht es über sein Hemd, zupft die Manschettenknöpfe zurecht, seine Hände zittern. Er dreht sich ein Stück zur Seite, weil er nicht will, dass sie es bemerkt.
âUm in Erinnerung zu bleibenâ, ein wenig tadelnd klingt ihr Ton, erinnert an den einer Mutter die ihrem Sohn zum zwanzigsten Mal ermahnt, er solle bei Tisch gerade sitzen.
âIch gehe nicht zu einer Modenschauâ, ein letzter Blick in den Spiegel, prüfend, er ist nicht wirklich zufrieden mit dem was er sieht, kann nichts mehr daran ändern. âIch versuche lediglich Floyd Stiles davon zu überzeugen, mir eine Stelle in seiner Firma zu geben.â
âDie du auch bekommen wirstâ, sie unterdrückt den Impuls ihre Hand beschwichtigend auf seine Schulter zu legen, fühlt sich mit einem Mal ganz klamm. âIchâ, sie presst die Lippen aufeinander, geht ein paar Schritte rückwärts, stolpert beinahe über den Bettpfosten. âIch sollte besser gehen, sonst komme ich noch zu spät.â
Er hebt fragend die Brauen. âZu spät?â, daher diese Aufmachung, für wen, für wen? âWohin willst du denn?â
âZu einem Treffen des Frauenvereinsâ, sie zuckt entschuldigend mit den Schultern.
Er fragt sich wem diese Geste gilt, ihm oder ihr selbst. Für einen Augenblick hat er das Gefühl, sie möchte noch etwas hinzufügen, aber sie tut es nicht, vermutlich hat er sich geirrt, sie geht ohne einen weiteren Blick, ohne sich umzudrehen aus dem Zimmer.
Zu einem Treffen des Frauenvereins. Gott, was hast du denn da verloren, Emily? Frauenvereine, furchtbare Organisationen, gegründet um Klatsch und Gerüchte auf professioneller Basis austauschen zu können, schreckliche Weiber, die meisten nicht intelligenter als die überteuerten Perlen um ihren Hals.
Er läÃt sich auf einen Stuhl fallen, beginnt sich seine Schuhe anzuziehen, teure Lederschuhe, auf Hochglanz poliert, nicht so wie die plumpen Stiefel die er jahrelang an den FüÃen hatte. Auch das Hemd, die Hose, vermutlich sogar die Socken, alles nur vom Feinsten. Emily hat ihr Bestes gegeben ihn auszustaffieren, gibt sich überhaupt alle Mühe es ihm so angenehm wie möglich zu machen. Er versteht einfach nicht, weshalb sie sich überhaupt so anstrengt, warum sie alles daran setzt ihm eine perfekte Ehefrau zu sein, er verlangt es nicht von ihr. Er weià er sollte ihre Bemühungen vielleicht mehr schätzen, aber es fällt ihm schwer das zu tun, es erscheint ihm alles so bedeutungslos. Das was er wirklich von ihr will, kann sie ihm nicht geben, kann er nicht von ihr verlangen.
Es fällt ihm schwer sich wieder einzugewöhnen, alles hat sich verändert, die Menschen, die Dinge. Vielleicht ist auch alles beim Alten geblieben und nur er hat sich verändert. Vor ein paar Tagen war er an seinem Grab. Sein Grab, wie das klingt, er lacht leise in sich hinein. Vermutlich haben nur wenige Menschen die Gelegenheit dazu am eigenen Grabstein zu stehen. Er hat eine Hortensie abgebrochen und darauf gelegt. Totgesagte leben länger, ein schlechter Scherz. Aber hat er nicht tatsächlich eine Ahnung davon, wie es sein muss tot zu sein? Sie haben in eingepfercht, ein tiefes Loch, kaum gröÃer als einen Quadratmeter, dicke Holzbalken die ihn von der Freiheit trennten, die Tage - unerträglich. Fragen, ständig, immer und immer wieder dieselben Fragen. Fragen auf die er keine Antworten hatte, Fragen die er nicht beantworten durfte. Die sadistischen Spielchen, Russisches Roulette, für ihn ist es keine Metapher, er hat zugesehen wie sie es gespielt haben, hat selbst mitgemacht. Hat Glück gehabt, dass die Kugel immer einen anderen traf, den anderen das Gehirn zermalmte und nicht ihm. Manchmal hat er sich aber auch gefragt, wer der eigentliche Gewinner ist. Derjenige der überlebt, oder derjenige der nicht mehr leben muss. Zuflucht fand er nur in der Nacht, in seinen Träumen, Träumen von ihr.
Jetzt ist es anders, die Träume sind es vor denen er sich fürchtet. Auch die Realität ist nicht so wie er sie sich erträumt hat, selten ist etwas so, wie man es sich vorstellt. Und er hatte bei Gott genügend Zeit sich diese Realität auszumalen, was er nun empfindet gehörte nicht dazu.
Emily ist zwar seine Ehefrau (die Hochzeit, eine kleine Zeremonie, in aller Eile arrangiert, keine acht Tage nachdem er vor ihr gestanden war), und dennoch. Es ist perfide, er erträgt weder ihre Absenz, noch ihre Nähe, weià nicht ob er sie liebt oder haÃt. Ihre Anwesenheit, als müsste er in Honig ertrinken, eine klebrige Masse die seinen Körper umhüllt, jede Bewegung unmöglich macht, zäh und träge in seine Atemwege flieÃt, ihn erstickt, während er sie gleichzeitig gierig in sich aufsaugt.
ATN: Kürzer als gewollt, aber hab schlieÃlich versprochen heute noch was zu posten und der Rest braucht noch sehr viel Ãberarbeitung... Riska