Lorelai liegt in ihrem Bett, es ist dunkel, nicht ganz, von drauÃen kommt ein wenig Licht, wirft unheimliche Schatten an die Decke. Schatten die aussehen wie gemeine Monster, dürre Gestalten mit gefährlichen Krallen. Sie hält den Atem an und lauscht, es ist still, alles was sie hört ist das Pochen ihres eigenen Herzens. Obwohl sie müde ist, kann sie nicht einschlafen, hat Angst, die Schatten würden sich dann von der Wand lösen, lebendig werden. Christopher hat ihr erst heute erzählt, dass sie nur darauf warten, bis man eingeschlafen ist. Dann nehmen sie einen mit, zu einen Ort an dem es fürchterlich furchtbar ist, an dem es kalt ist und nichts zu Essen gibt, an dem man nicht spielen darf und immer nur dasitzen muss. Ihre Mom hat ihr zwar erklärt, dass das nicht passieren kann, aber trotzdem, man weià ja nie, auch Erwachsene wissen nicht immer alles. Aber sie sind groÃ, sie passen auf einen auf.
Vorsichtig steht sie auf, sie will nicht riskieren, dass sie es merken, geht auf Zehenspitzen durch das Zimmer, hält manchmal an, überprüft, ob die Monster noch an der Decke sind oder schon begonnen haben ihr zu folgenâ und da, sie bewegen sich. Lorelai stöÃt einen spitzen Schrei aus, reiÃt die Tür auf, rennt durch den Flur, stolpert, weil sie sich immer wieder umdreht, flüchtet ins Schlafzimmer ihrer Eltern.
âMomâ, schreit sie in blinder Panik, Tränen in den Augen und ihre Eltern fahren auseinander.
Emily rafft eine Decke um sich, springt auf. âLorelaiâ, sie schiebt sie aus dem Zimmer, schlieÃt die Tür hinter sich. âWas hast du denn, Schätzchen, mmh?â, sie geht auf die Knie, streicht eine Locke aus dem Gesicht ihrer Tochter.
âDie Monsterâ, flüstert sie in das Ohr ihrer Mutter und spürt wie sie hochgehoben wird.
âLorelai, ich hab die doch gesagt es gibt keine Monsterâ, erinnert sie ihre Tochter, trägt sie zurück in ihr Zimmer, legt sie behutsam zurück ins Bett, deckt sie zu.
âAber Christopher hat gesagt, es gibt sie dochâ, protestiert sie, er ist schlieÃlich ihr bester Freund und würde sie nicht anlügen, niemals. âEr hat gesagt, sie warten bloà bis man schläft. Und dann nehmen sie einen mit.â
âNiemand wird dich irgendwohin mitnehmenâ, versucht sie Lorelai zu beruhigen, ist in Gedanken woanders, fragt sich was sie gesehen hat, wie viel. Emily mustert sie sorgfältig, stellt erleichtert fest, dass ihre Tochter vor lauter Aufregung über imaginäre Schreckgestalten scheinbar nichts mitbekommen hat. âDas verspreche ich dir.â
âUnd wenn doch?â, wieso will ihre Mom denn nicht begreifen, dass es die Monster eben doch gibt, ganz sicher, sie haben sich schlieÃlich bewegt, sie hat es selbst gesehen.
âVertrau mir, Engelchen, hier in deinem Bett bist du absolut sicher. Und jetzt solltest du wirklich schlafen, es ist schon spätâ, sie steckt die Decke fest, doch Lorelai strampelt sich frei, fällt ihrer Mutter um den Hals.
âIch will dass du hier bleibst, Mom.â
Emily seufzt, drückt sie zurück ins Bett. âDu brauchst doch keine Angst vor ein paar Schatten zu haben, du bist doch schon ein groÃes Mädchen, oder?â Lorelai sieht sie mit groÃen Augen an, nickt schlieÃlich tapfer. âSiehst duâ, sie lächelt, schiebt das schlechte Gewissen zur Seite, gibt ihrer Tochter einen Kuss. âGute Nacht, Lorelai.â
âGute Nachtâ, murmelt sie, schlieÃt die Augen, tut als würde sie einschlafen, wartet bis ihre Mutter weg ist, sieht wieder auf die Zimmerdecke, an der die Schatten leise und unheimlich tanzen. Früher wäre ihre Mom dageblieben, hätte sie in den Arm genommen und ihr eine Geschichte erzählt, früher war überhaupt alles anders, bis ihr Dad zurückgekommen ist. Sie sagen zumindest er wäre ihr Dad, aber sie findet ihn komisch. Nicht mehr so komisch wie am Anfang, da hat er nie was gesagt und sie immer bloà seltsam angesehen, gleich wieder weg geschaut, wenn sie es bemerkt hat. Jetzt redet er sogar manchmal mit ihr, fragt sie wie es im Kindergarten war. Aber er bringt ihr nie Geschenke mit, so wie William es gemacht hat. AuÃerdem sollte der doch ihr neuer Daddy werden, zumindest bis ihr alter Daddy auf einmal da war, ein groÃer Mann, den sie überhaupt nicht kennt. Na ja, mittlerweile ein bisschen besser. Sie mag ihn auch mehr, weil er manchmal ganz lustig ist, er bringt ihre Mom zu lachen. Ãberhaupt mag ihre Mom ihn scheinbar sehr, er darf bei ihr im Bett schlafen, dabei ist er schon viel gröÃer als sie und sie kann sich nicht vorstellen, dass er sich vor irgendwas fürchtet. Aber scheinbar machen das Erwachsene so, wenn sie verheiratet sind, hat zumindest Christopher ihr erzählt. Er weià unglaublich viele Dinge, obwohl sie sich jetzt nicht mehr sicher ist, ob er sie mit den Monstern vielleicht nicht doch beschwindelt hat. Sie wird ihm einfach erzählen, dass sie sich mit ihnen angefreundet hat, genau, noch besser sie befreundet sich tatsächlich mit ihnen.
âHallo ihrâ, wispert sie deshalb, die Schatten fangen wieder an zu wackeln, sie tun mir nicht, sie tun mir nichts, denkt sie, glaubt aber nicht wirklich daran. Gar nichts, wiederholt sie deshalb, ich brauche keine Angst vor ihnen zu haben. Sie macht die Augen wieder zu, auf und zu, Schatten da, Schatten weg, Schatten da, Schatten weg. Sie will nicht hier bleiben, überlegt, ob sie vielleicht zu ihrer GroÃmutter ins Gästezimmer soll, befindet jedoch, dass es wohl keine sonderlich gute Idee ist und beschlieÃt zu Loretta, dem Kindermädchen zu gehen, die hat keinen Mann, die wird sie nicht wegschicken.
***
Sie klettert wieder zurück ins Bett, lehnt sich an Richard, der seine Arme um sie schlieÃt, küsst seinen nackten Oberarm. âTut mit leidâ, sie erwartet keine Antwort, lauscht ihren Atemzügen, fragt sich, wann endlich alles wieder vollkommen normal sein wird. Wieder? War es denn jemals vollkommen normal? Vielleicht, am Anfang, als sie sich in ihn verliebt hat. Als sie noch nicht wusste, was es bedeutet, es nur ein aufregendes Spiel war, bei dem niemand ernstlich verletzt werden konnte.
Er vergräbt sein Gesicht in ihrem Haar, atmet den Duft tief ein, er liebt ihn, so wie er alles an ihr liebt, obwohl er nicht der Einzige ist, der sich verändert hat - auch sie ist anders geworden. Erwachsen, schieÃt es ihm durch den Kopf, wir haben selbst die letzten Reste unserer Kindheit hinter uns gelassen. Wir mussten beide lernen, dass das Leben kein Spiel ist, dass es ein Kampf ist, immerzu, ohne Ende. Nun, natürlich gibt es eines, aber bis dahin werden sie sich erst durchschlagen müssen und wofür? Für die wenigen Momente in denen alles abfällt, in denen man für kurze Augenblicke vergisst, dass man eigentlich nur ein Roboter ist, eine Maschine, die sich durch dieses Leben schlägt, letztendlich ganz verbeult sein wird von den vielen Schlägen die man einstecken musste. Selbst seine vierjährige Tochter kämpft mit Dämonen, für sie haben sie noch eine Gestalt, sind real, aber mit der Zeit wird auch sie erkennen, dass es die eigene Angst ist, vor der man sich wirklich fürchtet.
Er streichelt Emily sanft über den Arm, die feinen Härchen darauf richten sich unter seiner Berührung auf, sie kuschelt sich tiefer in seine Umarmung. Obwohl er ihr Gesicht nicht sehen kann, weià er, dass sie lächelt. Dasselbe Lächeln in das er sich vor über sechs Jahren verliebt hat, es hat nichts von seiner Wirkungskraft auf ihn eingebüÃt. Im Gegenteil, er hat es noch mehr zu schätzen gelernt, nicht nur weil er es in Vietnam so oft vor sich gesehen hat, sondern weil es seltener geworden ist, eine rare Kostbarkeit.
âVielleicht sollten wir ihr doch ein Kaninchen kaufenâ, ganz unvermittelt kommt ihm der Gedanke, ist eigentlich Naheliegend. Emily und er haben es geschafft, sie sind sich wieder Nahe gekommen, näher als jemals zuvor, aber Lorelai. Er findet keinen Zugang zu ihr, ertappt sich manchmal selbst dabei, wie er sie verblüfft ansieht, es nicht glauben kann, dass sie tatsächlich sein Kind ist, dass er ihr Vater ist. Nicht weià wie er das sein soll, ein Vater.
âWas?â, erstaunt dreht sie sich um, runzelt die Stirn.
âHat sie nicht gesagt, dass sie eines möchte?â, ja, das hat sie, hat es beim Abendessen mit feierlicher Miene verkündet. âWarum sollten wir ihr den Gefallen nicht tun?â
Sie schüttelt den Kopf, lacht dabei. âWeil sie glaubt, das Tier wird anfangen mit ihr zu sprechen, eine groÃe Uhr herausziehen und sie mit ins Wunderland nehmen.â
âWoher willst du wissen, dass es das nicht tun wird?â, grinsend sieht er sie an, genieÃt ihre Reaktion, dieses Gespräch über etwas so Alltägliches.
Ihr geht es genauso, mehr noch, sie ist froh darüber, dass er ihr damit anbietet, die Bürde von Lorelais Erziehung zu teilen, so sehr sie ihre Tochter liebt, es ist schwer die Verantwortung alleine zu tragen. âFalls du tatsächlich ein Kaninchen mit derartigen Fähigkeiten findest, dann ist dir meine ewige Bewunderung sicher.â
âIch dachte die hätte ich schonâ, entgegnet er zwinkernd, zieht sie an sich heran, ihre Nasenspitzen berühren sich beinahe.
âFür andere Qualitäten, Richard Gilmoreâ, haucht sie mit einem vielsagenden Lächeln, küsst ihn, ihr Haar kitzelt auf seiner nackten Haut, jagt einen Schauer der Erregung durch ihn hindurch.
Später liegt sie noch lange wach, ihr Kopf ruht auf seiner Brust, bewegt sich im Takt seiner Atemzüge. Sie liegt wach und versucht an nichts zu denken, einfach nur seine Nähe zu genieÃen, in seinem Arm einzuschlafen, aber es gelingt ihr nicht.
âRichard?â, flüstert sie so leise wie möglich, will ihn nicht aufwecken, hofft er wird aufwachen.
âMmh?â, murmelt er verschlafen, legt einen Arm um sie, küsst ihr Haar.
Sie beiÃt sich auf die Unterlippe, sammelt sich und ihre Worte. âWas würdest du dazu sagen, wenn wir, wenn wir noch ein zweites Kind bekommen würden?â
Er schrickt auf, schiebt sie ein Stück zur Seite, setzt sich auf, hellwach, alarmiert, entsetzt. Er hat aufgepaÃt, nicht mit ihr geschlafen, wenn er sich nicht sicher sein konnte, dass sie ihr Diaphragma eingesetzt hatte. Dieser Fehler war ihm nur einmal unterlaufen, ein unbedachter Moment zwischen Tür und Angel, und dann - âDu bist doch nicht etwa....â, er sieht sie durchdringend an, sie schüttelt den Kopf, streicht sich das Haar hinter die Ohren.
âNein, natürlich nichtâ, sie mustert ihn, versucht zu ergründen, was sein Gesichtsausdruck zu bedeuten hat, versucht das seltsames Gefühl in ihrer Magengegend zu ignorieren. âIch weià auch nicht, vermutlich hätte ich nicht mit dem Thema anfangen sollenâ, sie lächelt, drückt seine Hand. âLass uns schlafen.â
âEmilyâ, er seufzt, hat geahnt, dass dieses Thema irgendwann zur Sprache kommen würde, will ehrlich sein. âIch halte ein weiteres Kind für keine gute Idee. Mehr noch, ich möchte offengestanden keine weiteren Kinder mehr. Ich hoffe du verstehst das.â
Sie versteht nicht, zu dem Unverständnis gesellt sich Wut. Sie haben nicht darüber geredet, nicht bis jetzt, was wenn sie tatsächlich schwanger wäre? Was hätte er dann gesagt, getan? âUnd was ist mit Lorelai? Denkst du über sie genau so?â, sie versucht ihre Stimme zu dämpfen, ihren Tonfall zu mäÃigen, es will ihr jedoch nicht gelingen. âDenkst du es war falsch sie zu bekommen?â
âGott, nein, natürlich nicht. Lorelai ist ein wunderbares Kind, du bist eine wunderbare Frau. Dennoch â nichtâ, er deutet beinahe hilflos in den Raum, ânicht hier. Ich hoffe du respektierst diesen Wunsch.â
Zornestränen glitzern in ihren Augen, sie rührt sich nicht, nickt irgendwann doch unsicher, legt sich wortlos zurück in die Kissen. Reagiert nicht darauf, als er seinen Arm um sie legt und weitere erklärende Worte flüstert, schläft irgendwann ein, erwacht am nächsten Morgen in einem leeren Bett.
ATN: ... Halleluja.....