In Vertretung für Riska: Ein neuer Teil von Ãther:
Es tut so weh zu lieben.
Warum erwarten wir immer, dass es
wunderbar ist?
Liebe ist Schmerz ohne Ende.
Als würde einem Säure ins Herz
gegossen.
Elizabeth George
Fünf
Sie sagen nichts, schweigen, seit Minuten schon. Aber hat nicht auch sie selbst erst einmal geschwiegen? Fassungslos das Ergebnis des Schwangerschaftstests angestarrt, obwohl es sich eigentlich nur um eine Formalität handelte? Sie wusste es schon vorher, ihre Periode war seit beinahe vier Monaten ausgeblieben, ihre Kleider zu eng, diese verfluchte Ãbelkeit jeden Morgen. Sie hat es ignoriert solange es ging, bis sie es nicht mehr ignorieren konnte. Sie ist schwanger, sie würde ein Baby bekommen, weià nicht was sie davon halten sollte. Hat sich sogar für einen Augenblick gewünscht, ihre Mutter würde es tun, würde sie in den Arm nehmen und ihr sagen, was sie davon halten soll, aber jetzt â wie sie sie ansieht, entsetzt und ungläubig. Wenn sie wenigstens Wut ausmachen könnte, aber nichts, gar nichts, bei keinem von beiden.
Christopher hat zuerst gelacht, dachte es sei ein Scherz, hat sich gar nicht mehr einbekommen bei der Vorstellung der Gesichter seiner Eltern. Hey, ihr werdet GroÃeltern, ist das nicht klasse? Nun, vermutlich wird er ihre Reaktion gerade live und in Farbe erleben, witzig finden wird er sie allerdings nicht mehr.
âMom?â, fragt sie leise, hält es nicht mehr aus und Emily zuckt erschrocken zusammen.
Sie mustert ihre Tochter, natürlich denkt sie, das Debütantinnenballkleid, das bleiche Gesicht jeden Morgen. Du hättest es sehen müssen, deine Tochter ist schwanger und du hast es nicht bemerkt, sie stattdessen zum joggen geschickt. Du hast es nicht bemerkt. Sie ist schwanger und es ist deine Schuld, warum hast du nicht besser auf sie aufgepasst, ihr soviel durchgehen lassen?
Jetzt ist es zu spät, sie ist an der einzig wirklich wichtigen Aufgabe in ihrem Leben gescheitert. Hat sich stattdessen in Selbstmitleid und Schuld gesuhlt, hat sich den Kopf über ihr eigenes Leben zerbrochen, dabei ganz vergessen, dass sie nicht alleine ist.
Dieselbe Nacht - sie kann nicht daran denken, will nicht daran denken. Hat diesen einen Gedanken nie zu Ende geführt, ihn weg geschoben. Gehofft, William hätte sie belogen. Was wenn er der Vater ist und nicht Christopher, so wie Lorelai behauptet. Behauptet sie es? Oder weià sie es hundertprozentig? Sie kann nicht fragen, müsste es tun, kann es einfach nicht. Richard, schieÃt es ihr durch den Kopf, sie sieht ihn an und ihr Magen verkrampft sich. Er weià nicht, hat ja keine Ahnung, Gott sei dank, er darf es nicht erfahren, niemals, wenigstens dafür kann sie sorgen. Ãberhaupt gibt es soviel Dinge um die sie sich jetzt kümmern muss, wenn jetzt für etwas kein Platz ist, dann für Ohnmacht.
Sie räuspert sich, versucht ihrer Stimme einen gefassten, beherrschten Tonfall zu geben. âWir werden mit Straub und Francine darüber sprechen müssen. SchlieÃlich ist ihr Sohn genauso daran beteiligt, wie du es bist.â Ihre Worte klingen hohl und leer, lächerlich, sie weià es selbst, aber irgendwo muss sie anfangen, irgendjemand muss es tun. Richard rührt sich nicht, es scheint als habe er ihre Worte nicht einmal gehört.
Lorelai hingegen hat sie gehört, verdreht die Augen, wie das klingt, Christopher ist genauso daran beteiligt, typisch. Seine Eltern werden das allerdings anders sehen, da ist sie sicher, weià genau, dass sie ihr die Schuld geben werden. So wie ihre Eltern vermutlich Christopher die Schuld zuweisen würden, wenn er das Mädchen wäre. Es sind doch immer die Frauen, die hinterher abgestempelt werden, haben sie schon gehört? Ein Kind, mit Sechzehn, unehelich, der Niedergang der Kultur, ein weiterer Kopfschuss für die Moral des amerikanischen Volkes. Sie kann das Gerede jetzt schon hören, es kotzt sie jetzt schon an. âUnd dann?â, fragt sie trotzig. Besser patzig sein, als zuzugeben, dass sie Angst hat. Eine S.cheiÃangst. Keine Ahnung wovor genau, sie ist einfach da. âVeranstalten wir dann eine groÃe Babyparty mit Geschenken und Kuchen und alles wird gut?â
âIch darf doch sehr bitten, Lorelaiâ, entgegnet Emily ungehalten, erstaunt, dass ihre Tochter in Anbetracht der Situation derartig reagiert. Irritiert, dass ihr Mann noch immer schweigt. âDu solltest jetzt auf dein Zimmer gehen.â
âAuf mein Zimmer?â, holt sie aus, will protestieren, lässt es, kommt der Aufforderung ihrer Mutter nach, wünscht sich Christopher wäre hier, würde sie in den Arm nehmen und trösten. WeiÃ, dass er es nicht tun würde, da er derjenige ist, der sie braucht.
Sobald sie sicher sein kann, dass Lorelai auÃer Hörweite ist, wendet sie sich an Richard, wartet auf eine Reaktion, doch er starrt einfach nur weiter apathisch vor sich hin.
âRichardâ, sagt sie schlieÃlich leise, er blickt auf, sieht sie mit wässrigen Augen an. âEs ist nicht gerade das, was wir uns für Lorelai vorgestellt habenâ, würgt sie hervor, lässt lange Pausen zwischen den einzelnen Wörtern, so als hätte sie Mühe mit der Sprache, die sie spricht. âAber wir können nichts daran ändern.â
âÃndernâ, wiederholt er, schnaubt, schüttelt wütend den Kopf. âIch werde ihm den Hals umdrehen, sich an meiner Tochter zu vergehen! Dieser kleine ââ
âBitteâ, fällt sie ihm ins Wort, legt beschwichtigend eine Hand auf seinen Arm. âDas bringt doch nichts. Wir müssen sachlich bleiben, Richard.â
âSachlich?â, donnert er, sieht sie verzweifelt an. âWar Christopher etwa sachlich, als er Lorelai geschwängert hat?â
âWarst du es, als du mich geschwängert hast?â, fragt sie, presst die Lippen aufeinander, weià nicht, was sie zu dieser Antwort getrieben hat.
âDas war doch etwas völlig anderes, Emily!â, hält er entgegen, kann absolut nicht verstehen, was dieser Einwand soll. âWir waren verlobt.â
âNicht beim ersten Malâ, sagt sie leise, nicht beim ersten Mal, nicht die Male danach. Sie waren vielleicht älter als Lorelai und Christopher, aber waren sie auch tatsächlich verantwortungsbewusster? Sie war verliebt in Richard, konnte kaum noch klar denken. Hätte alles für ihn getan, verlobt oder nicht.
âAber es war klar, dass wir heiraten würdenâ, das war es, von Anfang an, nur eine Frage der Zeit. Emily konnte doch unmöglich ihre Beziehung mit der zweier verliebter Teenager gleichstellen. âUnd wenn ich mich recht entsinne, dann warst du sehr lange sehr zurückhaltend.â
âDu warst verlobt Richard. Mit einer anderen. Man lässt sich nicht mit der Frau eines anderen ein!â Eine verheiratete Frau sollte sich nicht mit einem anderen einlassen.
âAber man stellt ihm ein Ultimatum?â
âDas stimmt doch überhaupt nicht!â
âAch nein? Wer hat mir denn nach unserem ersten Kuss unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass es dabei bleibt, es sei denn ââ
âEs sei denn, ich hätte das Gefühl, du meinst es wirklich ernst. Das kannst du wohl kaum ein Ultimatum nennen.â Ich hätte dir eines stellen sollen, als du dich freiwillig gemeldet hast. Vielleicht hätte dich das ja davon abgehalten zu gehen, mich alleine zu lassen. Uns alleine zu lassen.
Eine Diskussion die zu nichts führen wird, lediglich an Dingen rührt die schon ewig zurückliegen, vergessen sind. Es geht hier nicht um Emily und ihn, nicht um ihre Beziehung, ihre Ehe. Es geht um ihre Tochter. âDann verteidigst du Lorelais Verhalten also?â
âJa, nein. Ich â was ich damit sagen will ist: sie ist jung und verliebt, Richard. Da macht man schon Mal Dummheitenâ, ihre eigenen Worte lassen sie erstarren, es sind nicht ihre, es sind die ihrer Schwiegermutter. Sie hat diesen Satz gehasst und jetzt verwendet sie ihn tatsächlich selbst. Fragt sich, was für Erklärungen sie der Gesellschaft wohl liefern wird, welche Lügengespinste sie wohl weben wird. âIchâ, hilflos sieht sie ihn an, schluckt, er weià nicht wie es ist, er war nicht hier. Wenn er hier gewesen wäre, wäre alles anders geworden. âIch fürchte, wir sind einfach nicht in der Position ein Urteil über Lorelai oder Christopher zu fällen, da sie nicht unbedingt unter weniger widrigen Umständen geboren wurde.â
âDas ist doch ââ, er wird unterbrochen, die Türklingel schneidet jedes weitere Wort ab. Straub und Francine, denkt er, natürlich, wer sonst?
Sie denkt dasselbe, steht auf, flüstert ihm ein âBitteâ zu, ehe sie zur Tür geht.
Er weià nicht so Recht wie er es verstehen soll, gibt sich kaum Mühe die beiden Besucher oder ihren Sohn zu begrüÃen. Hört ihnen wie in Trance zu, bemerkt erstaunt, dass Emilys Tonfall schärfer wird, sie Lorelais Verhalten beinahe öffentlich gut heiÃt, sich keinerlei Mühe gibt Francine, die am Rande eines Nervenzusammenbruchs steht, zu trösten, die Vorhaltungen Straubs entschieden zurückweist.
âWer sagt uns denn, dass Christopher wirklich der Vater ist?â
Lächerlich, unverschämt, seiner Tochter auch nur annähernd so etwas zu unterstellen, er sollte ihn am Kragen packen und â
âWillst du etwa meiner Tochter unterstellen, sie würde lügen? Dass sie ââ, sie stoppt, natürlich, das musste ja kommen, es hat sich nichts daran geändert, wird es vermutlich nie. Es sind die Frauen, denen man vorwirft verdorben zu sein, die Männer trifft keine Schuld, selbstverständlich nicht. âSie ist schwanger. Von eurem Sohn.â Gott, bitte, lass es wahr sein.
Emilys Worte lösen einen erneuten Weinkrampf bei Francine aus, diese Frau verhält sich wirklich unmöglich, als ob es etwas bringen würde zu heulen. Wenigstens ist Emily einigermaÃen gefasst, eine Katastrophe, wenn sie sich genauso albern verhalten würde. Und hat sie nicht irgendwie Recht? Sie waren nicht verheiratet, als Lorelai geboren wurde.
Wenn er jedoch früher von ihrer Schwangerschaft erfahren hätte, dann hätte er sie sofort geheiratet, hätte keine Sekunde gezögert es zu tun, selbst dann, wenn er sich nicht sicher gewesen wäre, dass sie die Richtige für ihn ist. Wer einen Fehler macht muss auch dafür gerade stehen, so war es schon immer, weshalb sollte sich jetzt etwas daran geändert haben? Christopher wird Verantwortung übernehmen müssen, für sein Kind, für Lorelai.
âSie werden heiratenâ, hört er sich selbst sagen, kann sich beinahe selbst dabei zusehen, wie er aufsteht und einen Plan verkündet, der eigentlich keiner ist, denn der Plan sah anders aus. Lorelai ist eine brillante Schülerin, sie würde mühelos in Yale aufgenommen werden, hätte eine glänzende Zukunft vor sich, doch jetzt hat sie all ihre Chancen verspielt. Der alte Plan ist ersetzt worden, die seidene Decke einem Flickenteppich gewichen.
Er geht, hält Francines Geheule keinen Augenblick länger aus, zieht sich in sein Arbeitszimmer zurück, wirft Emily einen letzten Blick zu. Fragt sich zum ersten Mal, was wirklich geschehen ist, als er in Vietnam war. Weshalb sie ihm das antun konnte.