Man trifft sich immer drei Mal
#1

Titel: Man trifft sich immer drei Mal
Autor: Carö
Genre: Romance
Raiting: PG13
Disclaimer: Numb3rs gehört mir nicht.

EDIT: Das erste Kapitel habe ich überarbeitet.


Man trifft sich immer drei Mal

Tag 1, Mittwoch

Liebe Amita,
nur noch wenige Wochen und wir werden uns endlich wiedersehen. Jan ist schon sehr gespannt auf Dich, denn ich habe ihm viel von Dir erzählt. Es ist wirklich toll, dass Du es geschafft hast. Auch wenn ich viel Stress habe, freue ich mich jetzt noch mehr auf die Hochzeit und die Zeit mir Dir. Ich muss Dir so viel erzählen und noch mehr zeigen, denn ich liebe nicht nur Jan sondern auch diese Stadt.
Deine Wendy

Bevor ich die Postkarte wieder als Lesezeichen verwende, habe ich diese noch einmal gelesen. Ich weiß nicht, wie oft ich das in den letzten Tagen, heute und während dieses Fluges schon getan habe, ich kann einfach nicht genug bekommen. Mittlerweile sind aus den Wochen Tage geworden und daraus Stunden, jetzt sind es nur noch Minuten, die mich von ihr trennen.

Vor zwei Jahren direkt nach dem Studium ist meine beste Freundin nach Hamburg gezogen, denn sie hatte während ihres Auslandssemesters an der Technischen Universität in Berlin ihren Traummann kennen gelernt. Nach dem Semester kehrte sie zwar zurück in die USA an die Harvard Universität, aber ihre Beziehung endete nicht. Zwei Jahre später legten wir unsere Abschlussprüfung erfolgreich ab und sie wagte nur wenige Tage später den großen Schritt. Sie zog nach Deutschland, genauer gesagt nach Hamburg, wo ihr Freund Jan ursprünglich herkommt. Während der ganzen Zeit hatten sie sich nicht gesehen, aber das Experiment war geglückt. Sie sind noch immer glücklich wie am ersten Tag und das Glück wollen sie jetzt besiegeln.

Seit wir unseren Abschluss gemacht haben, sind schon zwei Jahre vergangen und genau so lange habe ich sie nicht mehr gesehen. Doch nun steht die Hochzeit der beiden ins Haus, die ich auf keinen Fall verpassen wollte. Zuerst sah es nicht so aus, dass ich dabei sein könnte, denn ich hatte zu viel Arbeit. Doch eine plötzliche Geschäftsreise nach London, um dort die neuesten Programme meiner Firma vorzustellen, kam mir wie gelegen. Dreisterweise habe ich mir, nachdem ich zwei Jahre lang fast urlaubslos gearbeitet habe, eine Woche Urlaub drangehängt, was der Chef nur zähneknirschend zugelassen hat und kann so an diesem Ereignis teilnehmen.

In Kürze wird mein Flug aus Heathrow in Fuhlsbüttel landen, darum packe ich schon mal mein Handgepäck zusammen und lege es in das Fach über mir, kurz bevor das Signal zum Anschnallen ertönt. Dann beginnen die längsten 15 Minuten meines bisherigen Lebens - die Landung. Schließlich kommt das Flugzeug zum Stillstand und nur noch wenige Minuten trennen mich von meinem Ziel.

Als das Anschnallsignal erlischt, stehe ich sofort auf, um schnellstmöglich das Flugzeug zu verlassen. Vorher muss ich nur noch schnell meinen Rucksack aus dem Gepäckfach über dem Sitz holen. Ich richte mich auf und greife in das schon offene Fach, das der Passagier hinter mir gerade geöffnet hat. Seine Tasche scheint festzustecken, denn er zerrt heftig daran, wie ich im Augenwinkel sehe. Doch viel Beachtung schenke sie ihm nicht sondern ergreife meine eigene Tasche. Als ich mich mit dieser in der Hand dem Ausgang zuwende, spüre ich einen Schlag mit etwas schwerem an meiner Schulter, worauf ein stechender Schmerz diese durchfährt. Mit einem vor Wut und Schmerz verzerrtem Gesicht drehe ich mich um.

“Sie verdammter Idiot ...“
“Entschuldigung, das war nicht ...“
“Wenn Sie ihre Tasche nicht, ohne jemanden zu verletzen, aus dem Fach herausbekommen, sollten sie sich vielleicht Hilfe suchen, die das kann und nicht mich damit treffen.“
“Es tut mir ...“

Um ihm noch weiter zuzuhören, bin ich viel zu wütend und zu sehr in Eile, daher lasse ich ihn einfach stehen und gehe zügig auf den Ausgang zu. Mein Weg führt mich direkt zur Gepäckausgabe. Binnen kürzester Zeit halte ich meinen Koffer in der Hand und verlasse den Sicherheitsbereich. Endlich kann ich mein Mobiltelefon wieder anschalten und erhalte sofort eine Textmitteilung.

Hey Amita! Wir schaffen es leider nicht, Dich abzuholen. Komm zum Rathausmarkt. Wir treffen uns dort beim Starbucks um 17 Uhr. Wendy

Es ist gerade mal 15 Uhr, ich habe also genügend Zeit. Trotzdem befolge ich die Anweisungen direkt und winke, als ich den Ausgang passiert habe, ein Taxi heran. Obwohl meine Geduld schon fast am Ende ist, weiß ich, dass sie ihre Gründe für die Verspätung hat. Nachdem ich etwas mehr als zehn Kilometer gefahren bin, hält das Taxi, ich bezahle das Entgelt mit einem angemessenen Trinkgeld und steige aus. Das prachtvolle Gebäude, das wohl das Rathaus ist, zieht mich in seinen Bann. Trotzdem halte ich nach dem Coffeeshop Ausschau, der mir sogleich auffällt, denn eine leichte Müdigkeit überkommt mich gerade. Daher kaufe ich mir einen großen COW, mit dem ich mich nach draußen setze und das rege Treiben auf dem Platz vor mir beobachte.

Ich hole meinen Laptop aus dem Rucksack und beginne, den Bericht zu tippen. Das Programm ist gut angekommen und das schreibe ich genau so. Während einer kurzen Denkpause, trinke ich gerade einen Schluck Kaffee, als jemand an meine Schulter tippt. Für Wendy und Jan ist es noch zu früh, darum drehe ich mich ruckartig herum und denke dabei nicht an den Becher in meiner Hand, dessen restlicher Inhalt sich über die helle Hose meines Gegenübers verteilt.

Erschrocken schaue ich auf und die Person entschuldigend an. “Es tut mir l...“ Erst jetzt erkenne ich ihn. Schlagartig steigt mir die Schamesröte ins Gesicht, während ich gleichzeitig das Grinsen bemerke, das auf seinem Gesicht deutlich hervortritt.
“Soll ich jetzt auch ein paar Hasstiraden auf Sie loslassen oder denken wir beide einfach nur, was für eine peinliche Situation das hier ist?“
So gerne ich es möchte, ich kann nichts erwidern, denn er hat Recht. Mein Verhalten von vorhin ist mir unsagbar unangenehm.
“Wenn Sie jetzt meine Entschuldigung annehmen, sind wir quitt.“
Ein Nicken ist meine Antwort.
“Dann werde ich mal wieder gehen. Aber bedenken Sie: Man trifft sich immer dreimal im Leben.“
“Dann hoffe ich, dass unser nächstes und letztes Treffen unter anderen Umständen sein wird.“

Langsam habe ich zur Routine zurückgefunden, bin nett und freundlich, aber gleichzeitig distanziert - eine typische Geschäftsfrau. Während er davon schreitet, wende ich mich wieder meinem Laptop zu, beobachte jedoch aus dem Augenwinkel heraus, wie er den Laden betritt. Als er drin ist, setze ich mich leicht um, so dass ich einen besseren Blick auf den Eingang habe. Nein, ich bin gar nicht neugierig und schaue nur sehr selten zur Eingangstür, nebenbei berühre ich sogar ein paar Tasten, ich muss schließlich den Schein wahren. Kurze Zeit später verlässt er das Lokal mit einem Kaffee in der Hand und setzt sich ein paar Tische entfernt von mir hin.

Wirklich genau kann ich ihn nicht ansehen, aber er sieht in seinem schwarzen Sakko, das er zu einer hellblauen, verwaschenen Jeans und dem T-Shirt einer Band trägt, nicht schlecht aus. Er ist mit mir von London her geflogen, aber sein Englisch ist so amerikanisch, wie es nur sein kann. Wozu denke ich überhaupt darüber nach? Wenn er seinen Kaffee getrunken hat, wird er sowieso aufstehen und gehen. Dass er extra den ganzen Weg vom Flughafen hierher gefahren ist, um Kaffee zu trinken, verwundert mich aber schon. Vielleicht ist er auch einfach nur hier verabredet, ebenso wie ich. Ich sollte mich lieber um meinen Bericht kümmern. Viel fehlt nicht mehr. Ein paar Worte tippe ich noch, ehe ich das Dokument abspeichere und den Laptop herunterfahre.

Mit einem Blick auf die Uhr erkenne ich, dass sie mich bald abholen werden. Für einen weiteren Kaffee lohnt es sich nicht mehr. Darum lehne ich mich einfach zurück und beobachte die Menschen, die kreuz und quer über den Rathausmarkt gehen, manche schlendern, manche haben es eilig. In meinem Augenwinkel sehe ich noch immer den Mann von vorhin. Auch er scheint zu warten, denn er reckt sich immer wieder ein Stück unter dem Schirm hervor, um auf die Uhr am Rathaus zu schauen.

Als die Uhr zur vollen Stunde schlägt, höre ich ein Kreischen und schaue auf. Großen Schrittes kommt Wendy auf mich zu, die an der Hand ihren Verlobten hinter sich herzieht. Unbewusst springe ich vom Stuhl hoch, ergreife meinem Rucksack und meinen Koffer und gehe auch auf Wendy zu. Als ich sie erreiche, fallen wir uns in die Arme und reden sofort los. Jan, dem Mann an ihrer Seite, schenke ich keine Beachtung, denn für mich gibt es nur meine allerbeste Freundin. Daher erkenne ich auch erst, dass Jan weg ist, als ich mich ihm schließlich doch vorstellen möchte.

Verwirrt schaue ich Wendy an, die auf eine Stelle hinter mir zeigt. Daraufhin drehe ich mich um und entdecke, dass Jan den Mann, den ich wüst beschimpft und dann bekleckert habe, herzlich umarmt, genauso wie ich meine Freundin umarmt habe. Meinen Blick richte ich wieder auf sie und schaue sie eindringlich an.

“Wer ist das?“
“Charlie, ein Freund von Jan.“
Darauf sage ich nichts sondern schaue sie nur fordernd an, denn ich möchte mehr Informationen haben.
“Sie haben sich kennen gelernt, als mein Schatz nach der Schule ein Jahr in England gejobbt hat. Jan hatte damals einen Aushilfsjob an der Camebridge Universität, an der Charlie unterrichtet.“
“Verdammt.“
“Was ist denn?“
“Er hat Recht, man sieht sich immer dreimal im Leben.“ Ich unterbreche mich selbst. „Ich erklär’s Dir später, denn ich möchte endlich Deinen Traummann kennen lernen.“

Gemeinsam gehen wir zu den Männern, die schon jetzt in einem Gespräch vertieft sind.

“Hallo Jan, ich bin Amita.“ Meine Hand streckt sich ihm ganz automatisch entgegen, die er ergreift.
“Es freut mich, Dich kennen zu lernen.“
“Die Freude ist ganz meinerseits.“ Dann wende ich mich dem anderen Mann zu. „Du hattest wohl Recht, dass wir uns noch mal treffen würden. Es tut mir leid, dass ...“ Ich komme nicht dazu, mehr zu sagen.
“Ist schon gut. Du hast es mir ja heimgezahlt.“
Betroffen schaue ich seine Jeans an, deren untere Hälfte mit braunen Flecken gesprenkelt ist und dann in sein Gesicht, in dem ich ein Lächeln entdecke. „Gut, aber ich weiß trotzdem nicht, wie Du heißt, na ja, eigentlich schon...“ Langsam aber sicher beginne ich, abzuschweifen, reiß mich aber zusammen. „Lange Rede, kurzer Sinn; ich bin Amita.“
“Dass ich Charlie bin, weißt Du ja offenbar schon. Ich bin gespannt, wie unser jetziges, das dritte Treffen verlaufen wird.“
Darauf erwidere ich nichts mehr sondern lächle nur noch freundlich und wende mich dann Wendy zu.

Ich will alles über die anstehende Hochzeit erfahren, doch für ein ausführliches Gespräch haben wir noch keine Zeit. Erst einmal gehen wir vier gemeinsam zum Auto, um damit zur Wohnung zu fahren, die in Altona liegt. Während der Fahrt erfahre ich endlich, was das Paar aufgehalten hat. Scheinbar hat die Tortenbestellung nicht geklappt, weswegen sie in Windeseile einen neuen Konditor gesucht haben, der bereit ist, den kurzfristigen Auftrag anzunehmen. Nebenbei macht Wendy mich und Charlie mehrfach auf die Schönheit Hamburgs aufmerksam, während wir durch die Stadt fahren.

Schließlich, nachdem Jan mehrere Runden um den Block gefahren ist, um einen Parkplatz zu finden, betreten wir den Flur einer geräumigen Wohnung im 4. Stockwerk. Wir werden durch jeden Raum geführt. Rechts vom Eingang führt eine Tür ins Arbeitszimmer, das Charlie zugeteilt wird. Gegenüber befindet sich das Bad. Daneben liegt das Gästezimmer, das ich beziehen werde. Nebenan ist das geräumige Schlafzimmer der Gastgeber. Auf der anderen Seite des Flures befindet sich eine großzügige Wohnküche mit anschließender, sich über die komplette rechte Seite erstreckende Dachterrasse. Bis zum Hochzeitstag werde ich hier sein und dann gemeinsam mit Charlie in ein nahe gelegenes Hotel ausquartiert. Darum hat sich Wendy gekümmert, denn sie will kurze Wege zu mir haben, um die Zeit sinnvoll zu nutzen. Das hat sie mir schon im Vorfeld am Telefon gesagt. Außerdem will ich Jan besser kennen lernen, den ich bisher nur am Telefon gesprochen habe.

Meinen Bericht habe ich beinahe vergessen über den Trubel, der plötzlich herrscht, aber den muss ich noch abschicken. Zaghaft klopfe ich an die Tür des Gästezimmers, wo sich der Internetanschluss befindet. Als ich „Herein“ höre, öffne ich langsam die Tür. Nachdem sie offen ist, gewährt sie mir einen freien Blick auf ihn, der sich gerade ein frisches T-Shirt über seinen Kopf zieht, weshalb ich noch einen Blick auf seinen Oberkörper werfen kann. Neben einer guten Ausarbeitung der Muskel entdecke ich schwarze, gekräuselte Haare. Als er das T-Shirt gänzlich herunterzieht, hebe ich rasch meinen Blick, um nicht ertappt zu werden und schaue ihn an.

„Ich möchte kurz eine E-Mail versenden. Ist das okay für Dich?“
„Klar.“
Kurz betrachte ich ihn noch, als er sich zu seinem Koffer hinunter beugt, dann öffne ich meinen Laptop und fahre ihn hoch. Was ich währenddessen machen soll, weiß ich nicht. Ich kann ein Gespräch mit ihm anfangen, einfach still verharren oder mit ihm rumknutschen, zumindest sind das ein paar Möglichkeiten, die mir in den Kopf schießen. Stille lautet mein Entschluss. So warte ich mit ihm im Rücken, bis ich mich einloggen kann. Danach schließe ich das Internetkabel an die dafür vorgesehene Buchse an, gehe online und öffne die vorbereitete E-Mail.
“Hast Du keinen Urlaub?“
Die Frage trifft mich unvorbereitet und plötzlich fühle ich mich unwohl, fühle mich beobachtet. Deshalb drehe ich mich um und schaue ihn kurz an. „Doch, in wenigen Minuten schon.“ Dann klicke ich auf senden.
“Ich dachte schon, dass Du mit Deinem Job verheiratet bist.“
Ich bin fertig, daher drehe ich mich um, mustere ihn ganz genau und bemerke, wie sich seine Mundwinkel beim Andeuten des Scherzes leicht verziehen. „Nicht ganz, aber wir stehen uns sehr nah. Ehrlich gesagt, überlege ich im Moment, ob ich nicht zu ihm ziehen soll. Er hat so eine schöne Wohnung.“ Inständig hoffe ich, dass ich mich nicht in ihm täusche und er Humor hat.
“Zimmer mit Aussicht?! Das würde ich mir auch überlegen.“
“Natürlich, aber andererseits hat diese Welt so viele tolle Männer zu bieten, da überlege ich doch, ob es sinnvoll ist, die alle aufzugeben - wegen einer Wohnung.“ Für einen Moment zu lang schaue ich ihn direkt an und denke gleichzeitig daran, dass es da nicht viel aufzugeben gibt, denn für eine Beziehung, geschweige denn ein Privatleben an sich fehlt mir die Zeit.
“Dann bin ich ja beruhigt. Nicht dass Du es schaffst, beinahe die Hochzeit eines Freundes zu vergessen, weil Du immer nur an das Eine denkst.“
Für einen Moment hält er inne und ich frage mich sofort, ob er das so meint, wie ich es verstehe. Aber ich sage nichts, denn ich will nicht schon wieder in ein Fettnapf treten.
“Immer arbeitest und den Spaß vergisst.“
Schlagartige Erleichterung erfüllt mich, er ist also für einen Spaß zu haben und sieht dabei auf den zweiten, genaueren Blick mit seinem schwarzen Locken richtig gut aus, zumindest für meinen Geschmack. Auch seine Augen mag ich, denn sie sprühen vor Energie, haben aber auch dieses verräterische Glitzern in sich. Wenn ich mich nicht täusche, schauen sie manchmal aber auch traurig. Gefühlvoll beschreibt die Sache ziemlich gut. „Nein, soweit ist es noch nicht.“ Es wird Zeit, mein Zimmer zu beziehen. „Ich geh dann mal, aber wir werden uns heute bestimmt noch mal sehen.“
“Das hoffe ich.“

Zum Abschied lächle ich ihn an, ehe ich durch die Tür trete. Auf dem Flur kreuzt sich mein Weg mit Wendy, die gerade aus dem Bad kommt und mich freundlich anlächelt, aber wir sagen beide nichts. Allerdings hebt sie eine Augenbraue verdächtig, doch das kann ich nicht deuten, daher betrete ich einfach das Gästezimmer. Ich öffne meinen Koffer und hänge die Sachen auf, die keine Falten haben dürfen. Dann ziehe ich ungestört ein frisches T-Shirt an und binde meine Haare zu einem Pferdeschwanz. So verlasse ich das Zimmer wieder und gehe in die Küche, in der Wendy, Jan und Charlie beisammen sitzen und Kaffee trinken. Ich setze mich dazu und lausche dem Gespräch der Männer, die sich über gemeinsame Bekannte unterhalten - ein sehr langweiliges Thema.

Meine Aufmerksamkeit gilt nicht lange dem Gespräch, denn Wendy ist gerade sehr still. Das Lächeln, das ich ihr zuwerfe, erwidert sie auch nur halbherzig. Ich ergreife das Wort. „Verzeiht mir, aber ich habe Wendy, meine beste Freundin, seit zwei Jahren nicht gesehen, daher muss ich ihr viel erzählen. Wir zwei werden Euch deshalb heute Abend alleine lassen. Es könnte später werden.“ Ich stehe auf, gehe zu ihr und ziehe sie von ihrem Stuhl hoch. Ich mache ein paar Schritte auf die Tür zu, ehe ich mich noch einmal umdrehe und in zwei verwirrt schauende Augenpaare blicke. „Viel Spaß.“ Auf dem Flur bleibt Wendy plötzlich stehen, so dass ich fast in sie hineingehe.

„So kann ich doch nicht los. Ich muss mich umziehen.“ Sie zupft an ihrer perfekt sitzenden Hose und dem schlichten T-Shirt.
“Du bist wunderschön so. Wir gehen jetzt los.“ Meine Stimme lasse ich leicht herrisch klingen, denn ich möchte diesen Abend mit ihr verbringen.
“Ich hole nur schnell meine Tasche und die Autoschl...“
“Wir nehmen die öffentlichen Verkehrsmittel oder ein Taxi, aber nicht das Auto. Heute Abend feiern wir das Wiedersehen und einen Miniaturjunggesellinnenabschied.“ Ich versuche zu deuten, was ihre Augen sagen, doch es gelingt mir nicht. „Bitte.“
“Okay.“

Dass es Wendy widerstrebt, ist offensichtlich, aber ich freue mich, dass sie doch mitkommt. Kurze Zeit später sitzen wir in einem Taxi Richtung St. Pauli, denn dort ist laut meinem Reiseführer immer etwas los und wird ein vielfältiges Programm geboten. Nachdem wir angehalten und ausgestiegen sind, gehen wir an verschiedenen Etablissements vorbei. Ich bin erstaunt; hier gibt es wirklich alles, sogar Schauspielhäuser. Nachdem wir die Hälfte der Reeperbahn hinter uns gelassen haben, betreten wir eine Stripteasebar, in der zu meiner Freude auch ein paar Männer die Hüften schwingen. Zur Feier des Tages bestelle ich eine Flasche Sekt, auch wenn die Preise zu hoch sind, denn ich möchte auf den Putz hauen. Obwohl Wendy meine Idee anscheinend nicht gefällt, kümmere ich mich heute nicht darum und tue das, was will, und zwar feiern.

Ich hebe mein Glas. „Auf die Zukunft.“
“Ja.“
Die Einsilbigkeit erstaunt mich. „Du bist so merkwürdig. Was ist los?“
Das erste Mal schaut sie mich heute Abend an. “Der Hochzeitsstress, die Vorbereitungen - alles. Diese Tortengeschichte heute hat mir den Rest gegeben.“
“Brauchst Du Hilfe.“
Wendy schüttelt nur den Kopf.

Das reicht mir nicht als Antwort, aber ich belasse es dabei und erzähle ihr stattdessen von der erfolgreichen Messe, von meinem Job und informiere sie über die Sachen, für die wir am Telefon meist keine Zeit haben. Das Gleiche macht sie nach mir, so erfahre ich die Details der Hochzeit, bekomme Labskaus und dessen Zusammensetzung erklärt, was ich für eklig befinde, höre Geschichten über Jans Leben und ihren Startschwierigkeiten mit der deutschen Sprache. So verbringen wir einen Abend und leeren nicht nur die eine Flasche Sekt. Mit der Zeit ist auch Wendy locker geworden, es ist scheinbar nur der Stress, zumindest hoffe ich das inständig.

In den frühen Morgenstunden sind wir die letzten Gäste und werden freundlich, aber bestimmt vor die Tür gesetzt. Leicht angeheitert kehren wir zurück. Dabei kichern und gackern wir laut. Als wir die Wohnung betreten, tippt Wendy mir auf die Schulter und erlangt meine Aufmerksamkeit. Übertrieben deutlich legt sie ihren Finger auf die Lippen. Ich kann nicht an mir halten und pruste sofort wieder los. Deshalb setzt sie wohl noch ein „Psst“ hinterher, zu laut, um leise zu sein. Dann trennen sich unsere Wege vorm Gästezimmer. Ich winke ihr kurz hinterher, bevor ich es betrete. Drinnen ziehe ich mich aus und schlüpfe in eine leichte Stoffhose und ein Top, ehe ich mich auf den Weg ins Bad mache. Ich putze nur meine Zähne, denn ich möchte nur noch ins Bett. Ich gehe in das Zimmer und wundere mich, dass das Licht nicht mehr brennt. Habe ich es ausgemacht? Ich erinnere mich nicht. Der Weg zum Bett erscheint mir lang. Irgendwie ist es komisch, was Alkohol doch so anrichtet.

Als ich die Decke zurückschlage, ergreift etwas meine Hand. Ich möchte schreien, doch dann wird das Licht angemacht. Erstaunt schaue ich auf die Person, die in meinem ... Nein, das ist es nicht, es ist sein Bett. Vor mir liegt er, die Decke ragt bis zum Bauchnabel und ich habe freien Blick auf seinen Oberkörper. Ein schöner Anblick. Meine Hand hält er noch immer, was mich wundert, denn ich stelle keine Gefahr dar. Aber auch ich bewege mich nicht, ebenso mein Blick. Ich sehe ihn, seine Muskeln, seine Haare. Seine Hand hält mich noch immer kräftig fest und ich lasse langsam meine Augen zu seinem Gesicht wandern und entdecke das mittlerweile bekannte Grinsen, das seine Lippen umspiele.

„Was?“
“Nichts.“
“Mein Name ist nicht Hase, falls Du das gehofft hast.“
“Nein, Dein Name ist ‚Mich hört man 10 Kilometer gegen den Wind’. Ihr hattet wohl ein Glas zu viel.“
“Vielleicht waren es auch zwei.“
“Glaub mir, ich merke es kaum.“

Er ist witzig, das muss ich ihm lassen, doch ich brauche eine Möglichkeit, wie ich hier herauskomme. Ich könnte einfach gehen, aber das mache ich nicht. Noch während ich überlege, richtet er sich auf, so dass er auf dem Bett sitzt, lässt meine Hand aber nicht los. Die Decke ist dabei noch ein Stück tiefer gerutscht und lässt etwas mehr Haut frei, so erhasche ich einen Blick auf seine Boxershorts.

„Schottenkaro.“
“Ich hätte auch noch blaues Karo im Angebot, falls Dir das mehr gefällt.“

Was bildet er sich ein, frage ich mich und entdeckte ein weiteres Mal sein Grinsen. Für ihn ist scheinbar alles ein Witz. Endlich gibt er meine Hand frei und ich gehe nicht, stattdessen schaue ich ihm in die Augen und bewege meinen Kopf auf ihn zu. Kurz bevor unsere Nasenspitzen berühren, drehe ich den Kopf leicht nach rechts, um ihn mit meinen Lippen zu spüren. Innig küsse ich ihn, nur um mich Sekunden später von ihm zu trennen.

„Schlaf schön.“ Das dazugehörige Grinsen ist perfekt. Ich drehe mich zur Tür.
„Nicht so schnell, meine Liebe. So kommst Du mir nicht davon.“

In meinem Rücken spüre ich eine Bewegung, als er wieder meine Hand ergreift und mich zu sich herumzieht. Dann legt er mir seine Hände an den Hinterkopf und beugt sich zu mir. Dann schließe ich die Augen und spüre nur noch die warmen Lippen. Länger als ein paar Sekunden dauert es nicht und er lässt mich stehen, dabei möchte ich im Moment so viel mehr.

„Träum süß.“

Schon liegt er wieder im Bett und dreht mir den Rücken zu, dann löscht er das Licht und ich muss wohl oder übel die Nacht allein verbringen. Ich gehe in mein Zimmer und lege mich hin, doch der Schlaf will nicht über mich kommen, denn ich möchte alles, nur nicht schlafen. Nur zwei Türen trennen mich im Moment von dem, was ich will.

Danke an Jo & XY ungelöst - die weltbesten Künstlerinnen
Ideenlos und stolz darauf!
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#2

Gott, cih glaubs ja nicht, ich geb grad FB bei einer Long-Fic... Ich werd sowas von vergessen, weiterzulesen, also bitte erinner mich dran...
Und dann bin ich auch noch erste - welch Sarkasmus, denn ejtzt kann ich mich gar nicht an anderen FBs orientieren xD
Naja, was soll ich sagen... Caro halt. lol. Und noch dazu verdammt lang o__O. So lang is ungefähr das ganze Concrete Angel xD. Ne, nich gaz aber trotzdem... SO lange Kapis zu schreiben... Nicht schlecht xD. Und jetzt zum inhaltlichen... Jaaaa, wie is der Inhalt, wie soll ich das sagen :pfeif:
Ne, im Ernst jetzt, ist ein echt geiler Anfang. Vor allem der Cliffhanger ist in meinen Augen irgendwie... mies. Obwohl er gar nicht so mies ist, aber ich glaub ja, du verstehst, was ich meine =)
Ich freu mich auf Fortsetzung und: Du bist dran =)

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#3

Die FF ist echt cool Smile
Schade, dass da nicht mehr gelaufen ist Wink , aber das wäre schon ein bisschen zu schnell gegangen.
Super, dass du wieder ein paar neue Personen erfunden hast.
In deiner FF ist Amita auf eine andere Uni gegangen und trotzdem lernt sie jetzt Charlie kennen Smile
War echt lustig, wie die beiden sich kennengelernt haben Big Grin
Bin gespannt wie es weitergeht, also schreib fleissig weiter!
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#4

hallo mir gefällt deine FF sehr gut und der Name Charlie gefällt mir besonderst gut, den hört man nicht so oft. schreib brav weiter bussi

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Liebe kann alles überwinden, das ist wahre Liebe!
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#5

Gleich drei Feedbacks auf einmal. Ich werde verwöhnt. Big Grin

@Avi:
Oy, so ein langes FB. Danke schön. Jetzt weiß ich also, wie Du beim FB geben vorgehst, gar nicht die FF oder den OS lesen sondern einfach, was die Vorposter geschrieben haben. Das finde ich jetzt mal sehr verdächtig, wenn ich ehrlich sein soll. Wink Übrigens siehst Du einen Cliffhanger, wo keiner ist. Ich habe dort keinen eingebaut. Jetzt frage ich mich aber, ob da nicht indirekt vielleicht doch einer ist. Ein Teufelskreis.

@katalin:
Auch an Dich einen lieben Dank für das FB. Ich erfinde gerne neue Personen, auch wenn ich sie in diesem Fall etwas zusammengestrichen habe. Eigentlich hatte Wendy einen größeren Part. Joa, ich mag die Art und Weise, wie Amita und Charlie sich kennen gelernt haben, auch sehr, sonst hätte ich es wohl nicht so geschrieben. Zum Rest sage ich mal nichts, das musst Du dann schon selbst lesen.

@DASEWIGEESI:
Dir möchte ich natürlich auch danken, denn FB zu anderen Serien zu bekommen ist schon schwer. Ich mag den Namen Charlie auch sehr, warum weiß ich nicht. Lüge, ich weiß es doch, tue aber mal unwissend. *lol*

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#6

Tag 2, Donnerstag

Der nervtötende Klingelton meines Mobiltelefons hat mich geweckt; ich habe eine Kurzmitteilung erhalten. Mit brummendem Schädel richte ich mich auf, greife danach und öffne die Nachricht.

Ramanujan, benötigen DRINGEND Anleitung bzgl. Programm! Chef springt im Dreieck!! Gruß Becker

Einen Tag Urlaub habe ich bis jetzt gehabt, von dem ich die meiste Zeit überall verbracht habe, nur nicht im Urlaub. Jetzt das und diese verdammten Kopfschmerzen. Besser kann mein Tag nicht anfangen. Aus meiner Tasche hole ich meinen Laptop und fahre ihn hoch. Währenddessen möchte ich ins Bad gehen, vielleicht hilft etwas Wasser meinem Geist auf die Sprünge, doch die Tür ist abgesperrt. Mir bleibt nichts übrig, als die Alternative zu probieren, die ich hoffentlich in der Küche finden werde. Es gibt schon Kaffee, das weiß ich, als ich die Tür öffne, denn mir strömt der Duft schon entgegen. Welch ein Glück ich doch habe. Ich gehe direkt auf die Maschine zu, an der ein Zettel lehnt. Die Schrift erkenne ich sofort, sie ist genauso wie früher.

Guten Morgen, Amita! Entschuldige bitte, dass wir nicht da sind, aber Jan musste überraschend zu einem Klienten und ich bin mitgefahren. Allerdings ist Charlie da, er wollte nicht mitkommen und wird bestimmt etwas mit Dir unternehmen, wenn Du möchtest. Sei lieb zu ihm. Wink Wir sind hoffentlich zum Mittagessen wieder da. Kaffee ist frisch gebrüht, Brot usw. im Kühlschrank. Bedien Dich einfach. Wendy

Das passt ja wie die Faust aufs Auge. Charlie blockiert das Bad, die Gastgeber sind verschwunden und ich muss arbeiten. Irgendwie gefällt mir der Urlaub im Moment nicht, vielleicht sind es die Kopfschmerzen, vielleicht die Gesamtsituation. Aber das Gefühl hält nicht lange an, denn eigentlich weiß ich, dass es richtig war herzukommen. Wie oft heiratet schon die beste Freundin? Erst mal schenke ich mir Kaffee ein, sonst werde ich diesen Morgen nicht überleben. Meine Tasse stelle ich auf den Tisch und kehre dann zurück in mein Zimmer, um den Laptop zu holen.

Der Chef kann froh sein, dass ich die Dateien vor der Abreise noch auf den USB-Stick gezogen habe, damit ich während der Messe in London daran arbeiten kann. Dort hat mir natürlich die Zeit gefehlt und ich habe kein bisschen getan. Den Stick schiebe ihn in die dafür vorgesehene Buchse, öffne die Datei und speichere sie auf dem Laptop ab. Schnell überfliege ich das bisher Geschriebene. Viel habe ich im Büro nicht geschafft, denn ständig habe ich am anderen Programm arbeiten müssen. So recht fällt mir jetzt auch nichts ein, daher beantworte ich die Kurzmitteilung meines Kollegen und teile ihm mit, dass ich daran arbeite und hoffe, die Datei um die Mittagszeit per E-Mail zu versenden. Begierig trinke ich einen Schluck Kaffee, der die Lebensgeister in mir weckt.

Dann mache ich mich wieder über meine Arbeit her. Schnell finde ich Anschluss an die bisherige Ausarbeitung und tippe im rekordverdächtigen Tempo eine Seite. Dabei vergesse ich die Welt um mich herum und tauche ein in die Welt der Nullen und Einsen, des binären Codes ein. Hier kenne ich mich aus und fühle ich mich sicher. Die Liebe zur Informatik hat mit einem C64 begonnen, den meine Eltern mir einst zum Geburtstag geschenkt haben, dann habe ich einige Jahre später meinen ersten PC gekauft, woraufhin ich dann den Entschluss gefasst habe, Informatik zu studieren. Dass ich anschließend einen Job bei einer der größten IT-Firmen der Ostküste erhalten habe, ist eine glückliche Fügung, denn dort bin ich mittlerweile eine der am meisten geforderten Angestellten und das, obwohl ich erst zwei Jahre dabei bin, das ist nichts in dem Business. Viele aus meinem Jahrgang sind erfolglos auf der Strecke geblieben, aber ich habe es geschafft. Wieso ich, während ich arbeite, darüber nachdenke, weiß ich nicht, aber ich bin völlig überrascht, als ich plötzlich ein Räuspern hinter mir höre. Erschrocken drehe ich mich um und kippe dabei wieder versehentlich meinen Becher um, der zum Glück leer ist. Ich hebe den Blick und schaue in sein Gesicht. Sonderlich überraschend ist sein Grinsen, übrigens ein sehr breites Grinsen, nicht, eigentlich ist es allgegenwärtig.

“Musst Du mich so erschrecken?“
“Ja.“
Ich funkle ihn an, kann meine gespielt übertriebene Wut aber bei dem Grinsen nicht so ernst herüberbringen, wie ich gerne möchte. Eine Antwort gebe ich ihm sowieso nicht.
“Arbeitest Du schon wieder?“
“Der Chef benötigt das unbedingt von mir. Wie gut, dass es Mobiltelefone gibt und ich ständig erreichbar bin.“ Mit dem entsprechenden Blick deute ich darauf. “Urlaub ist etwas für Anfänger.“
“Dann verstehst Du mich so langsam?“
“Absolut. Ich würde viel lieber durch die Stadt bummeln oder so.“
“Dann mach es doch.“
“Später vielleicht. Ich muss das heute noch abschicken und mich ranhalten.“
“Geh doch erst mal ins Bad, es ist jetzt frei. Danach geht es bestimmt leichter.“
“Gute Idee. Das ist auch nötig.“ Bevor ich aufstehe, speichere ich die Datei noch schnell, dann gehe ich zur Tür, drehe mich aber noch einmal zu ihm um. „Hast Du schon gefrühstückt?“
“Nein.“
“Würdest Du mit mir frühstücken, wenn ich fertig bin.“
“Sehr gern.“


Die Küche verlasse ich endgültig und gehe sofort ins Bad. Nach einem kurzen Aufenthalt auf dem WC betrete ich die Dusche und lasse das Wasser über meinen Kopf strömen, als es die richtige Temperatur erreicht hat. Es erfrischt mich und die Kopfschmerzen werden erträglich. Plötzlich habe ich mehr Elan und gehe 30 Minuten später sauber in mein Zimmer und ziehe eine enge Jeans sowie ein sommerliches Top an, das viel Haut zeigt. Meine noch feuchten Haare stecke ich mit einer Spange hoch. So kehre ich in die Küche zurück. Was ich dort erblicke, macht mich wütend, wirklich wütend, denn abgesehen von einem gedeckten Tisch sehe ich Charlie, der an meiner Arbeit herumwerkelt.

“Was machst Du da?“
“Ich helfe Dir, damit Du schneller etwas von Deinem Urlaub hast.“
“Das sind Firmendaten, die sind geheim.“
“Dann solltest Du deinen Laptop ausmachen, wenn Du ihn nicht benutzt.“
Ich weiß, dass er Recht hat und kann kein Argument dagegen aufbringen, egal wie wütend ich bin, daher schweige ich.
“Das ist aber wirklich gut.“ Mit dem Finger deutet er auf den Bildschirm. “Nur solltest Du vielleicht noch darauf eingehen, dass das Programm einer gut angelegten Datenbank bedarf. Das könnte zu Problemen führen, wenn jemand, der nicht vom Fach ist, die Anleitung verstehen soll.“
Überrascht schaue ich ihn an, denn seine Aussage ist richtig. Das Gleiche ist mir beim Duschen auch eingefallen. “Was machst Du noch beruflich?“ Meine Wut verfliegt langsam und macht Interesse Platz.
“Ich bin Professor für Angewandte Mathematik.“
“Und da kennst Du dich mit dem Schreiben von Anleitungen aus?“
“Ich nutze hin und wieder meinen eigenen Computer, um Programme zu schreiben und zu verbessern. Damit nicht nur ich damit arbeiten kann sondern auch andere Personen, muss ich manchmal eine Anleitung schreiben.“
“Okay.“ Ich schaue auf die Lebensmittel. “Ich muss erst mal was essen.“
“Gute Idee. Übrigens hat Dein Telefon geklingelt, als Du geduscht hast.“


Während er sich eine Scheibe Brot nimmt, nehme ich mein Mobiltelefon zur Hand. Die Kurzmitteilung, die ich erhalten habe, kommt von Wendy.

Hey Amita, ich hoffe, Du hast Dich zurecht gefunden. Dauert bei uns länger, können uns erst heute Abend treffen. Essen zu viert? Ich meld mich. Wendy

Seufzend lege ich es wieder zur Seite. Die Nachricht ist besser, als ich erwartet habe. Doch viel Zeit verschwende ich im Moment nicht an Wendy, denn das verabredete Frühstück übt einen starken Reiz auf mich aus, also wende ich mich wieder Charlie zu, der mich anschaut.

“Alles okay?“
“Ja. Das war nur Wendy. Die beiden sind wohl bis heute Abend beschäftigt, wir müssen also selbst für unser Wohl sorgen.“
“Dann sollten wir damit anfangen.“
“Genau.“


Mein übliches Käsebrot ist schnell gemacht, unten eine Scheibe Weißbrot, darauf eine Scheibe Käse. Nichts weltbewegendes, aber etwas leckeres. Dagegen beobachte ich ihn, wie er eine Scheibe dunkles Brot nimmt, darauf eine Schicht Nutella streicht und oben drauf eine Scheibe Käse legt. Eine gewagte Kombination. Deshalb schaue ich ihn an, als er hinein beißt. Er zeigt keine besondere Reaktion, für ihn ist das scheinbar normal. Darum esse auch ich einen Happen. Schweigend sitzen wir uns gegenüber und kauen, bis ich mein Brot weglege.

“Was hast Du heute noch vor?“
“Ich werde wohl auf Sightseeingtour gehen. Die Speicherstadt soll toll sein.“
“Du glaubst nicht, was ich dafür geben würde, Dich zu begleiten, aber ...“ Wieder einmal lässt er mich nicht ausreden.
“Machen wir einen Deal. Ich helfe Dir bei Deiner Arbeit, dafür gehst Du mit mir Mittagessen und auf Sightseeingtour.“
“Das ist ein Deal.“


Über dem Tisch hinüber reiche ich ihm meine rechte Hand, die er ergreift, um den Pakt zu besiegeln, dabei entdecke ich wieder dieses verschmitzte Lächeln in seinem Gesicht. Dann wende ich mich wieder meinem Laptop zu und tippe fleißig Wörter ein, wobei ich jedoch des Öfteren über den Rand des Bildschirms schaue, um ihn zu beobachten. Seelenruhig belegt er sich unter meinem versteckten Blicken ein zweites Brot mit Salami. Nachdem ich schon wieder in meiner Welt bin und eine weitere Seite getippt habe, deckt er geräuschvoll den Tisch ab, so dass ich hoch schaue. Unsere Blicke treffen sich, worauf seine Reaktion ein Nicken ist, das ich nicht verstehe. Aber egal. Seinen Stuhl hebt er hoch, stellt ihn neben mich und setzte sich darauf. Die dadurch entstandene Nähe fühle ich nur all zu deutlich.

Er zeigt mir, was ich verbessern kann. Mit seiner Hilfe schaffe ich die Arbeit sehr schnell. Auf jeden Fall ist er kein Idiot, denn noch vorm Mittag sind wir fertig, doch durch die Zeitverschiebung wird der Chef es erst morgen haben, aber das ist mir egal. Ich frage Charlie, ob ich in sein Zimmer darf, um die E-Mail zu versenden, was er mit einem Nicken bestätigt. Darum verlasse ich die Küche und gehe ins Arbeitszimmer. Ich hoffe, dass ich keine Aufträge mehr erhalten werde und selbst wenn, ich werde sie nicht bearbeiten. Irgendwann ist auch mal gut. Mit dieser Einstellung im Kopf und dem Laptop in der Hand gehe über den Flur zu meinem Zimmer. Gleichzeitig tritt Charlie aus der Küche. Ich bitte ihn, mir fünf Minuten Zeit zu geben, was er bejaht. Dann dreht er mir den Rücken zu und ich öffne die Tür.

Dooferweise habe ich mich nicht erkundigt, was er vorhat. Deshalb weiß ich nicht, ob ich mit der Jeans und dem Top entsprechend angezogen bin, aber ihn deshalb fragen wird nur ein Klischee bestätigen, das ich nicht mag. Daher lasse ich einfach alles, wie es ist. Kennt er sich überhaupt aus? Auch das weiß ich nicht. Ich greife nach meiner Umhängetasche, in die ich meine Geldbörse, Digitalkamera, Mobiltelefon und alles, was eine Frau sonst so alles braucht, stecke und verlasse innerhalb der von mir gesetzten Zeit das Zimmer wieder.

Die Überraschung ist, dass Charlie noch nicht fertig ist. Ich warte tatsächlich auf ihn, denn er lässt sich Zeit, sehr viel Zeit. Als er schließlich herauskommt, hat sich nichts an ihm verändert, nur hat er jetzt einen Rucksack auf dem Rücken. Ich möchte gerade aus der Tür herausgehen, als mir siedendheiß einfällt, dass wir keinen Schlüssel haben. Doch als ich ihn darauf anspreche, klimpert er mit einem ganzen Schlüsselbund vor meinen Augen, den Jan ihm vorsorglich morgens gegeben hat. Nachdem das geklärt ist, verlasse ich die Wohnung, gehe zum Fahrstuhl und drücke den Heranholknopf, währenddessen zieht Charlie die Tür ins Schloss, schließt ab und kommt danach zu mir. Der Fahrstuhl fährt langsam herauf und öffnet schließlich vor uns die Türen. Er lässt mir den Vortritt, wofür er meine Anerkennung sicher hat, denn Manieren sind in meinem alltäglichen Job, der eine Männerdomäne ist, sehr selten. Der Ton und das Gebaren ist eher rüpelhaft, außer es sind Kunden dabei, dann sind die plötzlich ganz kleine, brave Schoßhündchen.

Gemütlich schlendern wir zum Bahnhof Altona. Es ist nicht der nahe liegende, aber ich möchte Hamburg anschauen. Das lädt zu einem kleinen Spaziergang ein. Kurz vorm Bahnhof ist eine Einkaufsstraße mit einem großen Shoppingcenter. Hier kann ich sicherlich die eine oder andere Stunde verbringen, aber ich denke nicht, dass Charlie darauf Lust hat. Also gehen wir auf den Bahnhof zu, der erst kürzlich umgebaut wurde. Mein Wissen teile ich Charlie mit, ob es ihn interessiert, weiß ich nicht. Wohin er möchte, ist nicht klar, aber bei dem schönen Wetter zieht es mich ans Wasser. Daher schlage ich vor, dass wir an die Alster fahren, denn dort können wir beides haben. Er stimmt zu und kurz darauf sitzen wir schon in der S-Bahn, die uns in die Innenstadt bringt. Auf dem Weg dorthin entdecke ich ein Musicaltheater, die in Hamburg sehr häufig sind. Als ich Charlie darauf hinweise, scheint es ihn nicht sonderlich zu interessieren, denn er schaut einfach weiter aus dem Fenster. Vielleicht benötigt er erst einen Gesamteindruck bevor er sich auf die Details konzentriert. Ich weiß es nicht. Am Hauptbahnhof steigen wir schließlich aus, zuvor habe ich aber schon einen Blick auf die Binnenalster und deren Fontäne werfen können. Auch darauf weise ich Charlie hin und dieses Mal schaut er auf.

"Das ist schön."
"Ja. Ich dachte, wir könnten dort Essen."
"Eine gute Idee."


Ich verstumme wieder, es gibt im Moment nichts zu sagen. Obwohl, eigentlich möchte ich mich gerne mit ihm unterhalten, aber er ist gerade abgelenkt, scheint mir. Wenige Sekunden später hält die S-Bahn und wir steigen aus. Wir gehen die Treppen hoch und dann zum erst besten Ausgang. Draußen erkenne ich, dass wir falsch sind, denn die Einkaufsstraße, die laut Stadtplan direkt am Bahnhof anschließen soll, ist nicht zu sehen. Jetzt ergreift Charlie das Zepter und geht zurück ins Gebäude. Er findet den richtigen Ausgang sofort und schon stehen wir auf der Mönckebergstraße - das Paradies, wenn man mich fragt. Doch mich fragt niemand und obwohl wir sie komplett ablaufen, um zum Wasser zu gelangen, schauen wir in kein einziges Geschäft. Im Moment ist mir aber auch nicht danach, denn eine neue Stadt hat mehr zu bieten als Einkaufsmöglichkeiten.

Plötzlich klingelt sein Mobiltelefon, deshalb hält er an und meldet sich, dabei entfernt er sich ein paar Schritte von mir, was ich durchaus verstehen kann. Schließlich muss ich nicht alles wissen, auch wenn ich das gerne möchte. Trotzdem schnappe ich ein paar Fetzen auf, es geht um etwas Mathematisches. Seine Kommentare zu meiner Arbeit waren also völlig fehl am Platz, denn er hat ja auch keinen Urlaub. Lange dauert das Gespräch nicht, denn nur Augenblicke später kehrt er wieder zu mir zurück.

"Familie." Automatisch gleitet mein Blick zu seinem Finger, kein Ring. "Mein Bruder, um genau zu sein. Ich soll ein paar Daten für ihn prüfen."
"Ist er auch Wissenschaftler?" Meinen Kommentar verkneife ich mir.
"Nein." Sein Lächeln, das allgegenwärtig ist, tritt in diesem Moment noch etwas mehr hervor. "Er arbeitet beim FBI."
"Wo kommst Du eigentlich genau her? Von Deiner Stimme her würde ich auf die Westküste tippen."
"Los Angeles."
"Was hat Dich nach England verschlagen?" Während ich ein wenig mehr ausfrage, gehen wir immer weiter. Im Moment interessiert mich Hamburg ehrlich gesagt weniger, auch wenn die ersten Eindrücke mich nicht enttäuscht haben.
"Eine Frau." Das ist es gewesen. Kein Ring, aber eine Frau. Typisch. Aber habe ich wirklich geglaubt, dass so ein Mann noch alleine die Welt erkundet?
"Wie steht's mit Dir, der viel beschäftigten IT-Fachfrau? Woher kommst Du?"
"Meine Wurzeln liegen in Indien, aber mein Leben an der Ostküste der Staaten. Gemeinsam mit Wendy habe ich in Harvard studiert, während sie nach dem Abschluss nach Deutschland gegangen ist, um mit Jan glücklich zu werden, habe ich einen Job bei IT Systems Inc. in Boston gefunden. Dort arbeite ich seit zwei Jahren."
"Du hast schon ein Leben, oder?"
"Manchmal schon, ja. In letzter Zeit habe ich aber wenig Freizeit, da gebe ich Dir Recht. Du hast es ja schon erlebt." Ich möchte es jetzt wissen. "Deins ist aber auch nicht sonderlich anders. Schließlich ruft Dein Bruder dich im Urlaub an, um ein paar Daten von Dir prüfen zu lassen."
"Bevor ich nach England gegangen bin, habe ich in L.A. am California Institute Of Science mein Studium beendet und ihm damals als Berater geholfen. Das hat sich durch die Kilometer, die zwischen uns liegen, nicht geändert. Allerdings versteht er, dass ich im Urlaub bin. Trotzdem werde ich es heute irgendwann machen, ich kann ihm das nicht abschlagen."
"Das verstehe ich."
"Eben. Außerdem sehe ich durchaus Parallelen zwischen unseren Leben. Ich denke, wir lieben beide unsere Jobs, gehen darin auf und vernachlässigen deshalb hin und wieder unser Privatleben."
"Aber Du lebst in einer Beziehung, also kann es so schwer nicht sein."
"Nein, ich lebe allein." Verwirrt schaue ich ihn an.
"Aber Du bist doch wegen einer Frau nach England gegangen?"
"Schon, aber das ist eine lange Geschichte. Sie ist eine brillante Wissenschaftlerin und hat eine Stelle in Oxford. Damals war sie Gastprofessorin an der CalSci, als ich gerade meine Doktorarbeit schrieb. Ich lernte sie kennen und verliebte mich. Als sie zurück nach Oxford ging, habe ich auf mein Herz gehört und das Angebot, in Camebridge zu unterrichten, angenommen. Alle haben mir gesagt, ich soll die Entscheidung überdenken, aber das habe ich nicht getan. Ich bin ihr einfach gefolgt. Leider war unsere Beziehung nicht für den Alltag gedacht. Wir hielten nicht mal ein Jahr durch, dann war es zu Ende. Wir haben uns freundschaftlich getrennt. Das ist die ganze Geschichte."
"Oh." Natürlich fällt mir nichts Besseres ein.
"Das ist schon länger her. Leider habe ich seitdem niemand mehr, der mich bremst, so dass ich eigentlich nonstop arbeite."
"Stimmt, so geht's mir auch."
"Dann bist Du also auch allein?"
"Ja."


Wieder stehe ich vorm Rathaus, das ich schon gestern gesehen habe. Nun sehe ich es aber mit interessierten Augen, denn ich habe nichts anderes, an das ich denken muss. Der Platz wirkt immer noch geschäftig. Darauf breitet sich das Gebäude aus. Um die ganze Schönheit in mir aufzunehmen, stelle ich mich so hin, dass ich direkt darauf blicke. Im Rücken befindet sich der Starbucks, in dem ich gestern meinen Kaffee getrunken habe, rechts die Alsterarkaden.

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#7

Das Essen ist mir jetzt egal, ich möchte nur die Stadt erkunden. Daher ziehe ich ihn am Arm zu den Alsterarkaden. Er gibt meinem Drängeln nach und folgt mir. Meinen Blick lasse ich über die Auslagen wandern. Hier reiht sich ein luxuriöses Geschäft ans nächste, alles hat einen Namen. Schweigend sauge ich diese Eindrücke auf und gehe weiter, nachdem wir die Alsterarkaden hinter uns gelassen haben. Widerstandslos geht er mit mir durch die Straßen. Bald darauf taucht das erste Wasser vor uns auf, die Alster. Am Ufer befinden sich einige Restaurants, die einen schönen Ausblick bieten. So ganz vergessen habe ich das Essen wohl nicht, denn ich drehe mich automatisch zu ihm um, um ihn zu fragen, ob wir nicht dorthin sollen. Doch er kommt meiner Frage zuvor, indem er nickt und mich wieder anlächelt.

Die Entscheidung fällt auf einen modernen Glaskubus mit einer zum Wasser hin ausgerichteten Terrasse. Sofort bestellt er für uns Mineralwasser, scheinbar hat er Durst, ich auf jeden Fall. Dann werfe ich einen Blick in die Karte, so viele Fischgerichte, aber wir sind schließlich am Wasser. Meine Entscheidung fällt auf Scampi mit Salat, während Charlie Forelle mit Salzkartoffeln bestellt. Dazu ordert er den passenden Wein. Das wird sicher lecker. Doch ich vergesse ihn und die Umgebung für einen Moment, als mein Blick aufs Wasser fällt und ich die Aussicht genieße.

"Einen Penny für Deinen Gedanken." Er reißt mich aus meiner Tagträumerei.
"Schön."


Daraufhin drehe ich mich zu ihm um und strecke ihm meine Handfläche entgegen. Lächelnd zückt er sein Portemonnaie und gibt mir, was ich verlange, einen Penny. Automatisch bildet sich auch in meinem Gesicht ein Lächeln. Gerade in diesem Augenblick kommt das Essen. Gegenseitig wünschen wir uns einen guten Appetit und beginnen zu essen. Es schmeckt fantastisch, daher genieße ich Bissen für Bissen und auch ihm gefällt es scheinbar, zumindest verrät sein Gesicht nichts Gegenteiliges. Ich finde es so lecker, dass ich schon fast fertig bin, als er sich nach meinem Gericht erkundigt. Zeitgleich bestätigt er mir, dass es ihm auch schmeckt.

"Für einen Professor bist Du erschreckend normal."
"Das Gleiche kann ich von Dir behaupten."

"Wir zerstören gegenseitig Klischees. Das hat doch mal was."

Schweigend setze ich die Mahlzeit fort. Schließlich winkt er den Kellner heran, bittet um die Rechnung und lädt mich ein, wofür ich mich bedanke. Bevor wir wieder losgehen, schaue ich auf die Uhr. Es ist noch früh am Nachmittag, daher schlage ich einen Spaziergang an der Alster vor. Wieder stimmt er meinem Vorschlag zu, das ist irgendwie so schön einfach mit ihm. Dieser Moment, dieser Tag muss festgehalten werden, daher hole ich aus meiner Umhängetasche die Digitalkamera und nehme die notwendigen Einstellungen vor. Wieder versteht er mich ohne Worte und stellt sich an meine Seite, legt seinen Arm um mich, das mache ich ihm nach. Dann strecke ich meinen Arm weg und drücke den Auslöser. Gemeinsam begutachten wir hinterher den Schnappschuss. Das Wasser ist kaum sichtbar, dafür zwei lächelnde Gesichter, von denen eines glücklich ist. Das weiß ich. Die Kamera stecke ich weg.

Langsam und gemütlich gehen wir los, sagen dabei aber nichts. Das Schweigen ist mir nicht unangenehm, denn es liegt nicht daran, dass ich nichts zu sagen habe. Ich schweige, weil ich mich auch wortlos wohl fühle. Trotzdem wird die angenehme Stille zwischen uns durchbrochen durch das Klingeln meines Mobiltelefons. Nach einem kurzen Blick auf das Display nehme ich das Gespräch an. Es ist Wendy, die mir sagt, wann und wo wir uns treffen, doch ich verstehe kaum ein Wort, denn die deutschen Namen sind schwer zu verstehen. Ich bin aufgeschmissen, bitte sie, kurz innezuhalten und winke Charlie heran. Aus der Tasche hole ich Zettel und Stift, die ich ihm in die Hand drücke, dann lasse ich sie alles von Anfang bis Ende buchstabieren. Am Ende steht Oberhafenkantine auf dem Zettel. Dort wollen die beiden sich mit uns in drei Stunden treffen. Das wäre dann auch geklärt. Ich verabschiede mich von ihr, stecke das Telefon zurück in die Tasche, ebenso Zettel und Stift, währenddessen informiere ich Charlie. Dann setzen wir unseren Weg fort.

"Woher kennst Du Dich so gut mit Programmen aus?" Die Frage spukt schon den ganzen Tag in meinem Kopf herum.
"Mein Job ist die angewandte Mathematik, weshalb ich schon diverse Programme selbst schreiben musste. Zudem habe ich Dir von meinem Bruder erzählt, für den ich hin und wieder als Berater tätig bin. Dabei habe ich einige Programme entwickelt, die der Verbrechensbekämpfung dienen."
"Du bist also ein Allroundtalent?!"
"Bedingt."


Viel mehr ereignet sich am Nachmittag nicht. Natürlich unterhalten wir uns, aber es ist nichts Weltbewegendes. Auch erkunden wir die Alster, die schön ist und zum Verweilen einlädt. Doch rechtzeitig, bevor wir verabredet sind, machen wir uns auf die Suche nach einem Taxi, um unsere Freunde zu treffen. Im Gegenzug fürs Mittagessen übernehme ich das Taxi, was Charlie nur widerwillig zulässt. Er ist wirklich gut erzogen, denn ich kenne eher die Taktik, dass jeder eine Hälfte oder aber man abwechselnd zahlt. Im Moment sollte ich keine Liste machen, die ihn betrifft, denn mir fällt nur ein Punkt ein, der gegen ihn spricht. Glücklicherweise verlangt das niemand von mir.

Als wir vorm Restaurant stehen, ist von Wendy und Jan noch nichts zu sehen. Deshalb werfe ich einen Blick auf die Oberhafenkantine, dem Restaurant, das unsere Freunde ausgewählt haben. Es ist ein altes Gebäude, sehr rustikal. Ich bin gespannt, was uns dort geboten wird. Als ich mich umdrehe, schaut Charlie auf den Hafen. Den Augenblick nutze ich, um ihn zu betrachten. Irgendwie wirkt er verloren oder sehnsüchtig, er sucht etwas, das er noch nicht gefunden hat. So in etwa würde ich es beschreiben. Manchmal muss ich mich wirklich ermahnen, bei den Gedanken, die mir zu ihm sonst noch durch den Kopf gehen. Schlimm wäre es, wenn er neben seinem mathematischen Talent auch noch eines in Gedankenlesen hätte. Dann müsste ich aber ganz schnell verschwinden.

Jetzt dreht er sich um und schaut mich an, fast umgehend erscheint wieder dieses Lächeln auf seinen Lippen. Es hat etwas Magisches an sich, das ich nicht beschreiben kann, doch es zieht mich sogleich in seinen Bann, wie all die Male davor. Lange kann ich meinen Gedanken nicht nachhängen.

"Hallo Ihr beiden." Wendy kommt auf uns zu. "Jan parkt nur rasch den Wagen, er kommt gleich nach. Wir sollen schon mal reingehen."

Wir machen genau das. Drinnen ist es sehr voll, wir finden Platz am Fenster. Ein kleiner Tisch für vier Personen. Wir werden informiert, dass dies das Restaurant eines bekannten Hamburger Kochs ist. Darum bin ich gespannt, was uns hier geboten wird. Doch darauf antwortet sie nur, dass es typische, deftige Hausmannskost ist, wie sie seit Jahrzehnten in Deutschland hergestellt wird. Ich bin überrascht, auf was für spleenige Ideen deutsche Köche kommen, und werde es auf jeden Fall probieren, doch erst mal warten wir auf Jan, der kurze Zeit später zu uns stößt. Wiener Würstchen mit Kartoffelsalat ist ein komisches Gericht, aber es liegt vor mir auf dem Teller. Nachdem ich die ersten Bissen gekostet habe, schmeckt es überraschenderweise verdammt gut, das könnte ich häufiger essen. Die anderen haben ebenso deftige Sachen bestellt, sind aber alle vom Geschmack überzeugt. Allerdings kennen meine Gastgeber dieses Lokal schon und gehen gerne hierher, denn, so sagt Jan, es schmeckt hier wirklich wie früher bei seiner Großmutter.

Nachdem wir mit dem Essen fertig sind, bleiben wir sitzen und unterhalten uns. Jeder erzählt, was er heute gemacht hat und wie die Pläne für morgen aussehen. Irgendwann unterhalten wir uns frei, es kommt alles zur Sprache, was angesprochen werden möchte. Darüber vergessen wir alle die Zeit, zumindest schaue ich erst nach Mitternacht auf die Uhr und bin erstaunt, wie spät es schon ist. Für den nächsten Tag haben Wendy und ich Shopping eingeplant, die Männer sind noch unschlüssig, halten sich aber die Möglichkeit offen, mit uns zu kommen. Mir ist es egal, solange sie den Shoppingwahn von zwei Frauen aushalten. Als auch das geklärt ist, entscheiden wir uns, in die Wohnung zu fahren, denn es war für alle ein langer Tag.

Das zukünftige Ehepaar geht sofort ins Schlafzimmer, während Charlie und ich im Flur stehen bleiben. Ich denke daran, was in der vergangenen Nacht geschehen ist und wünsche mir eine Wiederholung, eigentlich sogar mehr. Doch ich kann in keinem seiner Züge erkennen, was er denkt, was er von meinem Plan hält. Im Moment bin ich mir nicht mal mehr sicher, was er über letzte Nacht denkt. Das Gefühl, nichts zu wissen, macht mir Angst, denn es ist für mich ungewohnt. Ich schaue ihn an und bemerke, dass er auf mich zugeht. Deshalb, nur deshalb bewege auch ich mich in seine Richtung.

"Vielen Dank für den schönen Tag, Charlie."
"Ich muss mich bedanken."


In der Mitte des Flures treffen wir uns. Ich habe alles gesagt, was es zu sagen gibt, und ich mache das, was ich in dieser Situation mit allen Freunden machen würde, ich ziehe ihn in eine lockere Umarmung, wobei ich nur einen Arm um seine Schulter lege. Er macht es mir nach, legt auch einen Arm auf meinen Rücken, doch als ich mich daraus zurückziehen möchte, lässt er mich nicht gehen und umschließt mich mit beiden Armen. Ganz nahe stehen wir voreinander und schauen uns in die Augen. Ich verliere mich beinahe in seinen, denn sie sind so schön, strahlen mich an. Dieses Mal sehe ich kein Grinsen. Langsam bewegt er seinen Kopf auf mich zu, derweil schließe ich meine Augen und warte auf die Berührung unserer Lippen. Es ist so weit und es fühlt sich an, als ob ein Blitz durch meinen Körper fährt und jedes einzelne Haar aufrichtet. Wann ich das letzte Mal so gefühlt habe, weiß ich nicht mehr.

Er berührt nicht nur meine Lippen, auch meinen Hals, dabei bleiben seine Hände nicht auf meinem Rücken, sie gehen auf Wanderschaft, suchen ihren Weg. Hier sollen sie ihn nicht finden, ob wir in sein Zimmer gehen oder ins meins, ist mir egal, ich möchte nur aus dem Flur raus. Doch bevor es dazu kommt, hört er abrupt auf, gibt mir einen leichten Kuss auf die Stirn und wendet sich von mir ab. Ehe er auch nur einen Schritt auf sein Zimmer zumacht, tippe ich ihm auf die Schulter, woraufhin er sich umdreht. Tief schaue ich ihm die Augen, zeige ihm, was ich wirklich möchte, dann fasse ich ihm an die Schulter und ziehe ihn ein Stück zu mir herunter, dann küsse ich ihn mit eben solcher Leidenschaft wie er mich und lasse eine Hand von der Schulter seinen Rücken hinunter gleiten bis sie auf seinem Po zum Stillstand kommt. Obwohl ich mehr möchte, reiße ich mich zusammen und lass ihn so stehen.

Ich gehe zu meinem Zimmer und öffne die Tür, dann drehe ich mich noch einmal um. Er starrt mich an.

"Träum süß."

Ich betrete mein Zimmer, schließe die Tür, lege ich mich in Kleidung auf mein Bett und lausche, ob er in sein Zimmer geht, doch ich höre nichts, keine Schritte und nicht das Schließen der Tür. Irgendwann stehe ich wieder auf, entkleide mich und ziehe mein Nachtzeug an. Dringend muss ich aufs Klo, möchte aber nicht hinausgehen, denn wenn er mich noch einmal anschaut, werde ich nicht widerstehen. Doch als ich die Tür öffne, ist niemand auf dem Flur. Ich habe es nicht mitbekommen. Unter seiner Tür scheint Licht hervor, er ist also da drin.

Ich betrete das Bad, ohne großartig zu denken, und sehe gerade noch, wie er seine mit Schottenmuster karierten Boxershorts über seine Scham zieht. Verdammt! Wieso? Teufel und Engel sind nichts gegen die Kräfte, die jetzt in mir miteinander kämpfen. Wieso sage ich nichts? Wieso sagt er nichts? Oh nein. Ich merke, wie ich langsam aber sicher rot anlaufe.

"Entschuldige bitte die Störung." Er grinst. Er grinst! Wieso grinst er?
"Tu Dir keinen Zwang an. Ich bin fertig." Die Hände wäscht er sich, das finde ich gut.
"Nein. Das kann warten. Ich werde jetzt ... Du weißt schon."
"Du möchtest gehen?" Sein Grinsen wird immer breiter.
"Ja." Natürlich möchte ich nicht gehen, aber das werde ich ihm garantiert nicht sagen.


Ich drehe mich um, ein Anfang. Dann gehe ich einen Schritt auf die Tür zu, zwei Schritte. Hinter mir bewegt sich nichts, zumindest erscheint es mir so, doch beim dritten Schritt fühle ich, wie er meine Haare zur Seite schiebt und mit den Lippen sanft meinen Nacken berührt, fast nicht spürbar, aber doch da. Langsam drehe ich mich um, wobei seine Lippen sich kaum von meiner Haut lösen. Erst, als wir voreinander stehen, bewegt er sich einige Zentimeter weg, so dass ich ihm in die Augen schauen kann. Ich sehe genau das in ihnen, was ich in mir fühle. Lange bleibt die Distanz nicht zwischen uns, denn ich strecke mich ihm entgegen, fordernd. Er nimmt mein Angebot an und küsst mich wieder, leidenschaftlicher als die anderen Male.

Ich möchte mit einem Fuß die Tür zustoßen, doch sie fällt nicht ins Schloss. Plötzlich ist da ein Räuspern. Charlie trennt sich von mir und schaut hoch, ein Grinsen, allerdings peinlich berührt. Ich drehe mich um und schaue Jan an, der vor der Tür steht und uns angrinst. Verdammt. Verdammt! Wieso ich? Wieso hier? Sag was, irgendwas. Und tatsächlich, Jan sagt was.

"Es tut mir leid, Euch zu stören, aber ich müsste mal für kleine Jans."

Toilette, klar. Raus. Schnell. Mein Hirn kennt plötzlich nur noch einzelne Wörter. Ich bin verwirrt, überfordert und vor allem peinlich berührt. Die Farbe meines Gesichts möchte ich nicht sehen. Tomatenrot ist sicherlich dezent dagegen. Langsam aber sicher trete ich den Rückzug an, quetsche mich unauffällig an Jan vorbei, wobei ich vermute, dass es durch das absichtliche nicht auffallen noch wesentlich auffälliger ist, und gehe in mein Zimmer. Auf Toilette war ich zwar immer noch nicht, aber das muss ich jetzt aushalten.

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#8

Zitat:
mir fällt nur ein Punkt ein, der gegen ihn spricht
Und der wäre? Etwa, dass er so ungeschickt ist? Wink

Super, wie sich Amita und Charlie näher gekommen sind Big Grin
Wieso musste Jan gerade kommen?

Schreib bitte schnell weiter!

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#9

Awwww, die sind sich näher gekommen, das is toooll! (Langsam beginne ich, sogar die Charaktere zu verstehen :gg: )
Sehr süß, auch wenn ich echt keinen Plan hab, was der Punkt ist, den sie nicht mag an ihm :gg:
Auf jeden Fall sehr sehr geiles Kapi <3

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#10

Da ich noch am finalen Schliff des nächsten Kapitels arbeite, gibt es erst mal ein kleines Re-Feedback.

@Katalin:
Vielen Dank für Dein Feedback.
Wann ist er ungeschickt? *grübel* Nein, das ist es nicht. Mehr verrate ich aber auch nicht dazu.^^
Jan musste kommen, damit ich meine Geschichte so schreiben kann, wie ich sie haben will. Das ist eigentlich schon alles.

@Avi:
Du solltest dringend eine Folge gucken, damit Du endlich den ganzen Plan hast.
Ich habe nicht behauptet, dass sie den Punkt an ihm nicht mag. Sie hat gesagt, dass ihr nur ein Punkt einfällt, der gegen ihn spricht. Darin ist keine Wertung enthalten.^^
Selbstverständlich danke ich auch Dir und mache mich nun an die finale Bearbeitung.

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