Hey Leute. Tut mir leid, dass es so lang gedauert hat, aber ich war mit der Schule für ein paar Wochen in Amerika (das war voll cool) und hatte kein Internet. Naja, aber jetzt bin ich ja wieder da und hier der neue teil. Viel SpaÃ!
ELENA
Ich glaube nicht, dass viele Leute zu meiner Beerdigung kommen würden. Meine Eltern, klar, und meine GroÃeltern und vielleicht Mr. Taylor, mein Gesellschaftskundelehrer.
Ich stelle mir sanfte Hügel vor, die wie grüner Samt aussehen und Statuen von Gott und Engeln und das groÃe, braune Loch in der Erde, wie ein aufgeplatzter Saum, das den Körper verschlingen wird, der ich mal war.
Ich stelle mir vor, dass meine Mom einen Hut mit schwarzem Schleier trägt, wie Jackie O, und schluchzt. Mein Dad hält sich an ihr fest. Sarah und David starren auf den glänzenden Sag und bitten Gott, dass er ihnen noch mal vergibt für die vielen Male, die sie gemein zu mir waren. Könnte sein, dass auch ein paar aus der Hockeymannschaft kämen, Lilien in den Händen und um Fassung ringend. âDie Elenaâ, würden sie sagen und sie würden nicht weinen, obwohl sie's gern täten.
Meine Todesanzeige würde auf Seite 24 in der Zeitung stehen und wenn Henry Bloom sie sehen würde, käme er vielleicht auch zur Beerdigung, das schöne Gesicht verzerrt vor Trauer um das Mädchen, das leider nicht mehr seine Freundin werden kann. Ich stelle mir auch alle möglichen Blumen vor, Gartenwicken und Löwenmaul und dicke blaue Hortensien. Ich hoffe, jemand würde âIf I Could Writeâ von Sam Phillips singen. Und später dann, wenn die Blätter sich verfärbt hätten und der erste Schnee fiele, würde ich ab und an in ihren Köpfen aufbranden wie eine Flutwelle.
Zu Sarahs Beerdigung werden alle kommen. Krankenschwestern, mit denen wir uns angefreundet haben und andere Krebspatienten, die noch auf ihren Glücksstern hoffen und Leute aus der Stadt, die für Sarahs Behandlung Geld gesammelt haben. Sie werden Trauernde am Friedhof abweisen müssen. Es wird so viele üppige Blumengestecke geben, dass sie welche davon für wohltätige Zwecke verschenken. Die Zeitung wird einen Artikel über ihr kurzes und tragisches Leben bringen.
Und zwar auf der ersten Seite, darauf könnt ihr wetten.
Richter Hampton trägt Gummilatschen, wie FuÃballer, wenn sie ihre Stollenschuhe ausgezogen haben. Ich weià nicht, wieso, aber irgendwie fühle ich mich dadurch besser. Ich meine, es ist schon schlimm genug, dass ich überhaupt hier im Gericht bin und jetzt nach hinten in sein Zimmer geführt werde. Da tut es irgendwie gut, dass ich nicht die einzige bin, die nicht ganz in ihre Rolle passt.
Er nimmt zwei Dosen aus einem Zwergenkühlschrank und fragt, was ich trinken möchte. âCola wäre tollâ, sage ich.
Der Richter öffnet eine Dose Cola. âWusstest du, dass ein Milchzahn, den man in ein Glas Cola legt, nach ein paar Wochen völlig verschwunden ist? Kohlensäure.â Er lächelt mich an. âMein Bruder ist Zahnarzt in New Haven. Zeigt den Trick jedes Jahr den Kindergartenkindern.â
Ich trinke einen Schluck Cola und stelle mir vor, wie meine Innereien sich auflösen. Richter Hampton setzt sich nicht hinter seinen Schreibtisch, sondern auf einen Stuhl direkt neben mir. âEs geht um folgendes, Elenaâ, sagt er. âDeine Mom behauptet, du willst das eine und dein Anwalt behauptet, du willst das andere. Nun, unter normalen Umständen, würde ich davon ausgehen, dass deine Mutter sich besser kennt als dein Anwalt, den du erst vor zwei Tagen kennengelernt hast. Aber du bist schlieÃlich zu deinem Anwalt gegangen, um ihn zu engagieren. Und deshalb möchte ich gern aus deinem Mund hören, wie du die Sache siehst.â
âDarf ich Sie was fragen?â
âKlarâ, sagt er.
âMuss es einen Prozess geben?â
âNaja ... deine Eltern könnten deinem Wunsch nachgehen und die Sache wäre vom Tischâ, sagt der Richter.
Träum weiter.
âAndererseits, wenn jemand einen solchen Antrag einreicht â wie du es getan hast -, dann muss die Gegenseite â in dem Fall deine Eltern â vor Gericht gehen. Wenn deine Eltern wirklich glauben, dass du noch nicht in der Lage bist, solche Entscheidungen selbst zu treffen, müssen sie mir ihre Gründe darlegen, weil ich ansonsten automatisch zu deinem Gunsten entscheide.â
Ich nicke. Ich habe mir geschworen, auf alle Fälle ruhig zu bleiben. Wenn mir die Nerven durchgehen, hält der Richter mich nicht mal für fähig, überhaupt irgendetwas zu entscheiden. Ich habe die tollsten Absichten, werde aber abgelenkt, als ich sehe, wie der Richter seine Dose Apfelsaft hebt.
Vor gar nicht so langer Zeit, als Sarah im Krankenhaus war, um sich die Nieren untersuchen zu lassen, gab eine neue Krankenschwester ihr einen Becher und bat sie um eine Urinprobe. âWenn ich wiederkomme, bist du fertigâ, sagte sie. Sarah â die sich den herrischen Ton nicht gefallen lassen wollte â beschloss, der Krankenschwester eine Lektion zu erteilen. Sie schickte mich zu den Getränkeautomaten, um genauso einen Saft zu holen, wie ihn der Richter gerade trinkt. Sie goss davon etwas in den Becher für die Probe und als die Krankenschwester wiederkam, hielt sie den Becher gegen das Licht. âHmâ, sagte Sarah. âSieht ein bisschen trübe aus. Ich filtere ihn lieber noch mal durch.â Und dann hob sie den Becher an die Lippen und trank ihn leer.
Die Krankenschwester wurde kreideweià und floh aus dem Raum. Sarah und ich kriegten und nicht mehr ein vor Lachen. Den Rest des Tages brauchten wir uns nur kurz anzublicken und schon prusteten wir wieder los, lösten uns förmlich in Gelächter auf.
Wie ein Zahn und dann ist nichts mehr da.
âElena?â, sagt Richter Hampton und dann stellt er die blöde Dose Saft auf den Tisch und ich breche in Tränen aus.
âIch kann meiner Schwester keine Niere spenden. Ich kann einfach nicht.â
Wortlos reicht Richter Hampton mir eine Packung Kleenex. Ich knülle ein paar zu einem Ball zusammen, betupfe mir Augen und Nase. Eine Weile sagt er nichts, lässt mir Zeit. Als ich aufblicke, sehe ich, dass er wartet. âElena, kein Krankenhaus in diesem Land wird jemanden gegen seinen Willen ein Organ entnehmen.â
âWas glauben Sie denn, wer die Unterschrift dazu gibt?â, frage ich. âNicht das kleine Mädchen, das in den OP gerollt wird â die Eltern.â
âDu bist kein kleines Mädchen, du könntest protestierenâ, sagt er.
âJa klarâ, sage ich, schon wieder unter Tränen. âWenn du meckerst, weil jemand zum zehntenmal eine Nadel in dich reinsticht, dann findet das jeder normal. Alle Erwachsenen lächeln bloà aufgesetzt und sagen sich gegenseitig, dass keiner freiwillig um mehr Nadelstiche bittet.â Ich putze mir die Nase mit einem Kleenex. âDie Niere â das ist nur heute. Morgen is es was anderes. Irgendwas anderes ist immer.â
âDeine Mutter hat gesagt, du willst den Antrag zurückziehenâ, sagt er. âHat sie mich belogen?â
âNein.â Ich schlucke schwer.
âWarum...hast du sie dann belogen?â
Darauf wüsste ich tausend Antworten, ich entscheide mich für die einfachste. âWeil ich sie lieb habeâ, sage ich und wieder kommen mir die Tränen. âEs tut mir leid. Es tut mir wirklich leid.â
Er blickt mich forschend an. âWeiÃt du was, Elena? Ich werde jemanden benennen, der deinem Anwalt hilft, mir zu sagen, was das beste für dich ist. Wie findest du das?â
Meine Haare sind mir vors Gesicht gefallen. Ich streiche sie mir hinter die Ohren. Mein Gesicht ist so rot, dass es sich aufgedunsen anfühlt. âOkayâ, antworte ich.
âOkay.â Er drückt den Knopf einer Sprechanlage und bittet darum, alle wieder hereinzuschicken.
Meine Mutter kommt als erste ins Zimmer und will gleich zu mir, doch Campbell und sein Hund sind schneller. Er hebt die Brauen und macht das Daumen-hoch Zeichen, aber es ist eine Frage. âIch kann mir noch immer kein klares Bild machenâ, sagt Richter Hampton, âdaher werde ich eine Verfahrenspflegerin benennen, die sich zwei Wochen mit Elena beschäftigen wird. Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass ich die voller Kooperation beider Parteien erwarte. Die Verfahrenspflegerin wird mir Bericht erstatten und in zwei Wochen findet dann eine Anhörung statt. Wenn Sie mir zu dem Zeitpunkt noch etwas Wichtiges mitteilen müssen, haben Sie dann Gelegenheit dazu.
âZwei Wochen -â, sagt meine Mutter. Ich weià genau, was sie denkt. âEuer Ehren, mit Verlaub, zwei Wochen ist eine sehr lange Zeit angesichts der ernsten Krankheit meiner älteren Tochter.â
Sie sieht aus, wie jemand, den ich nicht wiedererkenne. Ich habe sie als Tiger erlebt, der gegen ein medizinisches System ankämpft, das ihr nicht schnell genug ist. Ich habe sie als Felsen erlebt, an den wir übrigen uns klammern können. Ich habe sie als Boxer erlebt, der kampflustig wieder aufsteht, ehe der nächste Schlag des Schicksals kommt. Aber ich habe sie noch nie als Anwältin erlebt.
Richter Hampton nickt. âAlso schön. Die Anhörung ist nächste Woche. In der Zwischenzeit möchte ich, dass mir Sarahs Krankenakten zur -â
âEuer Ehrenâ, fällt ihm Campbell Alexander ins Wort. âWie Sie wissen, bedingen es die seltsamen Umstände dieses Falls, dass meine Mandantin mit der gegnerischen Anwältin unter einem Dach lebt. Das ist ein eklatanter Verstoà gegen das Gesetz.â
Meine Mutter schnappt nach Luft. âSie wollen doch wohl nicht beantragen, dass mir meine Tochter weggenommen werden soll.â
Weg? Wo sollte ich denn hin?
âWie soll ich wissen, dass die gegnerische Anwältin nicht versuchen wird, sich durch das Zusammenleben mit meiner Mandantin Vorteile zu verschaffen, Euer Ehren, und sie möglicher weiÃe unter Druck zu setzten.â
Campbell blickt den Richter unverwandt an. âMr. Alexander ich denke nicht daran, das Kind aus seiner Familie zu reiÃenâ, sagt Richter Hampton, wendet sich dann aber an meine Mutter. âIch mache Ihnen, Mrs. Huntzberger alledings zur Auflage, mit Ihrer Tochter nicht über den Fall zu sprechen, es sei denn, ihr Anwalt ist dabei. Wenn sie dem nicht zustimmen können oder wenn ich höre, dass Sie sich nicht an die Vereinbarung gehalten haben, muss ich zu drastischeren MaÃnahmen greifen.â
âVerstanden, Euer Ehrenâ, sagt meine Mutter.
âNun denn.â Richter Hampton erhebt sich. âWir sehen uns alle nächste Woche.â Als er aus dem Zimmer geht, machen seine Sandalen leise saugende Klatschgeräusche auf dem Fliesboden.
Kaum ist er weg, wende ich mich meiner Mutter zu. Ich kann das erklären, will ich sagen, doch die Worte schaffen es nicht laut aus meinem Mund. Plötzlich stupst eine feuchte Nase gegen meine Hand. Jude. Sogleich wird mein Herz, dieser rasende Zug, langsamer.
âIch möchte mit meiner Mandantin sprechenâ, sagt Campbell Alexander.
âIm Moment ist sie meine Tochterâ, sagt meine Mutter und sie nimmt meine Hand und zerrt mich vom Stuhl. An der Tür kann ich mich noch einmal umdrehen. Campbell Alexander schäumt.
Ich hätte ihm sagen können, dass es so kommen würde. Tochter übertrumpft alles, egal was gespielt wird.
Der Dritte Weltkrieg bricht unvermittelt aus, nicht durch einen ermordeten Erzherzog oder einen verrückten Diktator, sondern durch eine verpasste Abzweigung. âLoganâ, sagt meine Mutter und reckt den Hals. âDas war die Vanderbit Avenue.â
Mein Vater blinzelt, taucht aus seinen Gedanken auf. âDas hättest du mir auch früher sagen können.â
âHab ich doch.â
Bevor ich die Vor- und Nachteile einer Einmischung in eine fremde Schlacht auch nur abwägen kann, sage ich: âIch hab nichts gehört.â
Der Kopf meiner Mutter fährt herum. âElena, im Augenblick bist du nun wirklich die letzte, deren Meinung ich mir anhören muss oder will.â
âIch wollte doch bloà -â
Sie hebt die Hand wie die Trennscheibe in einem Taxi und schüttelt den Kopf.
Ich lehne mich auf dem Rücksitz gegen die Seitenwand und ziehe die FüÃe hoch, blicke nach hinten und sehe nur schwarz.
âLoganâ, sagt meine Mutter. âDu hast sie schon wieder verpasst.â
Als wir ins Haus kommen, fegt meine Mutter an Sarah vorbei, die uns die Tür geöffnet hat und an David, der vor dem Fernseher sitzt und sich etwas ansieht, das nach dem verschlüsselten Playboy-Kanal aussieht. In der Küche öffnet sie Schränke und knallt sie zu. Sie holt etwas zu essen aus dem Kühlschrank und stellt es mit Wucht auf den Tisch.
âHeâ, sagt mein Vater zu Sarah. âWie gehtâs dir?â
Sie antwortet ihm nicht und stürmt in die Küche. âWas ist denn passiert?â
âWas passiert ist? Tja.â Meine Mutter durchbohrt mich mit einem Blick. âDa fragst du besser deine Schwester.â
Sarah wendet sich mir zu, mit erwartungsvollen Augen. âErstaunlich, wie still du jetzt bist, wenn kein Richter dabei istâ, sagt meine Mutter.
David schaltet den Fernseher aus. âSie hat dich vor einen Richter geschleift? Mensch, Elena.â Meine Mutter schlieÃt die Augen. âDavid, ich glaube, du gehst jetzt besser.â
âDas lass ich mir nicht zweimal sagenâ, erwidert er, seine Stimme wie zerbrochenes Glas. Wir hören die Haustür auf- und zugehen, sie erzählt eine ganz andere Geschichte.
âRory.â Mein Vater kommt herein. âWir müssen uns alle ein bisschen abregen.â
âAbregen? Ich habe eine Tochter, die soeben das Todesurteil ihrer Schwester unterschieben hat, und ich soll mich abregen?â
Die Küche wird so still, dass wir den Kühlschrank flüstern hören. Die Worte meiner Mutter hängen wie überreife Früchte in der Luft und als sie zu Boden fallen und zerplatzen, setzt sie sich ruckartig in Bewegung. âSarahâ, sagt sie und eilt mit ausgestreckten Armen zu meiner Schwester. âSarah, das hätte ich nicht sagen sollen. Ich hab das nicht so gemeint.â
In meiner Familie ist es eine traurige Gewohnheit, dass wir nicht das sagen, was wir sollten und das, was wir sagen, nicht so meinen.
Sarah legt eine Hand vor den Mund. Sie geht rückwärts zur Küchentür hinaus, stöÃt gegen meinen Vater, der sie festhalten will, doch sie entwindet sich ihm und rennt die Treppe hoch. Ich höre, wie die Tür zu unserem Zimmer zuknallt. Meine Mutter geht ihr natürlich nach.
Also tue ich, was ich am besten kann. Ich gehe in die entgegengesetzte Richtung.