Hallo meine Lieben :knuddel:
@Sky Angel: Vielen Dank für dein tolles FB! :freu: Freut mich, dass dir der Teil gefallen hat!
@sweetie:
Zitat:bin ziemlich krank gewordn...
Gute Besserung!
@alle: Bin zwar mit der Seminarsarbeit noch nicht fertig, hab aber trotzdem weiter geschrieben
Hoffe, euch gefällt der neue Teil!
20. Teil
Der Schnee war durch die Abgase der Autos grau geworden. Der kalte Wind blies mir ins Gesicht als ich den dunklen Weg entlang ging. Ich spürte meine Glieder kaum mehr.
Der Grabstein war dunkelgrau, das Grab ungepflegt. Ich zündete eine kleine Kerze an und faltete meine Hände. Mein Blick glitt über dem Baum neben ihrem Grab. Ich spürte wie meine Beine langsam den Halt verloren. Die Kälte des Schnees umgab meinen Körper. Meine Glieder schmerzten. Bei jeder Träne durchfuhr ein Schauer meinen Körper. Ich blickte auf die Inschrift des Grabes. Ich wollte
sprechen, doch die Worte kamen nicht über meine Lippen. Meine Glieder begannen taub zu werden. Meine Augen wanderten über den verlassenen Friedhof. âBitte verzeihe mir.â Presste ich mit letzter Kraft heraus, bevor die Welt um mich von der Dunkelheit verschlungen wurde.
Mein Körper war schweiÃgebadet. Ich strich mir keuchend die feuchten Haare aus der Stirn. Der Himmel trug die verschiedensten Rotschattierungen. Lautes Rufen kleiner Kinder tönte von der StraÃe. Sie wollten noch im Schnee spielen, bevor sie zur Schule gehen mussten. Ich verspürte einen schmerzhaften Stich und fasste an meine Brust. Meine Augen wanderten suchend durch das Zimmer. Ich war es von Zuhause gewohnt eine Wasserflasche in meinem Schlafzimmer zu haben.
Zuhause â War Seattle mein Zuhause? Hatte ich überhaupt ein Zuhause? In den Jahren mit Jenny hatte ich daran geglaubt. Doch meine Jüngste war erwachsen geworden und nach Kalifornien gegangen um zu studieren. Sie alle waren gegangen.
Ich strich die salzigen Tränen von meinen Wangen. Ich war es, die zuerst gegangen war.
Aber ich war wiedergekommen. Als es bereits zu spät war.
Mein Körper zitterte. Ich glaubte das Zimmer würde sich um mich drehen. Die bekannte Ãbelkeit breitete sich in meinem Magen aus.
Ich legte eine Hand auf den Nachtisch und stand langsam auf. Vorsichtig verlieà ich das Zimmer.
Der Boden des Flurs war kalt. Ich blieb vor der Treppe stehen. Es war zu früh. Doch ich wollte nichts sehnlicher als zu ihr zu gehen.
Der Druck auf meinem Herzen verstärkte sich. Ich holte tief Luft.
Die Tabletten - Ich musste nach ihnen suchen. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen vor die Augen.
Ich hatte Seattle in Eile verlassen und nur schnell das Nötigste eingepackt.
Die Tabletten mussten noch auf meinem kleinen Nachtisch in meiner Wohnung liegen.
Ein Gefühl der Beklemmung beschlich mich. Wie hatte das nur passieren können?
Ich beschloss mich auf mein ältestes und wirkungsvollstes Heilmittel zu verlassen â schwarzen Kaffee.
Zu meiner Ãberraschung nahm ich, nur wenige Meter von der Küche entfernt, das unverwechselbare Aroma heiÃen Kaffees auf.
Ich atmete tief durch. Zuerst wäre ich lieber alleine gewesen, doch mit jemandem zu reden schien vielleicht die bessere Möglichkeit mich ein wenig zu beruhigen und abzulenken.
Noch immer unschlüssig betrat ich den kleinen Raum und erkannte mit Ãberraschung, dass es keine meiner Töchter war, die bereits den Drang nach Kaffee verspürt hatte.
Ramon sah ebenso überrascht von einer Zeitung hoch.
âGuten Morgen.â Sagte ich leise und nahm eine Tasse aus dem Schrank.
âGuten Morgen.â Antwortete er mir, während ich mir heiÃen Kaffee in die Tasse goss.
Wir saÃen uns schweigen ein paar Minuten gegenüber, bevor er mich schlieÃlich fragte: âKonntest du auch nicht mehr schlafen?â
Diese Frage um diese Uhrzeit an eine Gilmore zu richten, sollte sich eigentlich erübrigen. Doch diese Frage war besser als die unangenehme Stille.
Ich nickte schlieÃlich leicht. âEs ist nicht leicht.â
Er schien zu wissen wovon ich sprach. âDas wird es auch nicht werden.â
Ramon hatte mit achtzehn Jahren seinen Vater verloren. Ich wusste nicht viel über meinen Schwiegersohn, aber aus den wenigen mir bekannten Dingen, konnte ich schlieÃen, dass sie sich sehr nahe gestanden haben mussten.
Ich ahnte auch, dass er in diesem Moment, als er schweigend seinen Kaffee umrührte und den Tassenrand mit dem Blick fixierte, an seinen Vater dachte.
âCarmen ist ein wundervolles Mädchen.â Ich musste um unseren beider Wille das Thema wechseln. Meine Enkeltochter schien ein idealer Gesprächsstoff zu sein, denn seine Miene erhellte sich bei dem Namen seiner Tochter.
âJa, sie ist wie ihre Mutter.â Er lächelte leicht.
In diesem Moment erkannte ich es. Jahrelang hatte ich es nicht bemerkt oder nicht bemerken wollen. Doch jetzt konnte ich im Glanz seiner Augen erkennen, wie sehr er Carol liebte.
Ich erwiderte das Lächeln. âCarol ist bestimmt eine gute Mutter.â
Ramon nickte. âDie Beste.â
Es machte mich befangen über meine Tochter zu sprechen. Ich wich seinem Blick aus.
âCarmen hat mir von ihrem Freund erzählt.â Ich nippte an meiner Tasse.
Er blickte mich irritiert an. âWovon sprichst du? Sie ist erst zwölf Jahre alt. Carmen hat noch keinen Freund. Das alles ist rein platonisch.â
Ich verkniff mir ein Lächeln. âEntschuldige. Ich habe da wohl etwas missverstanden.â
âAnscheinend.â Sein Blick war noch immer ein wenig misstrauisch. âCarmen hat noch kein Interesse an Jungs. Sie interessiert sich nur für ihr Schreiben, tanzen, Bücher und Musik. Vor allem für Bücher.â Erklärte er überzeugt.
Ich lächelte leicht. âDie Leidenschaft fürs Lesen liegt wohl in der Familie.â
âGott sei Dank. Sonst hätte ich Carol vielleicht nie kennen gelernt.â Er trank den letzten Schluck aus seiner Tasse und schenkte uns beiden nach.
âDanke.â Ich blickte ihn fragend an. Es war mir peinlich, dass ich Carol nie gefragt hatte, wie sie sich wirklich kennen gelernt hatten. Den Grund dafür konnte ich mir selbst nicht erklären.
Er nippte an seinem Kaffee und musterte mich nachdenklich. SchlieÃlich begann er. âEs war ein sehr heiÃer Tagâ¦â
--------- Flashback Carol --------
Carol strich sich die feuchte Haarsträhne aus der Stirn. Die Sonne brannte auf ihren Arm. Sie blickte aus dem leicht verschmutzten Fenster des Busses. Sie kannte die StraÃe zu dem kleinen Marktplatz. Carmen, Chantal und sie waren dort vorgestern entlang gegangen. Sie musste noch weit von der Bibliothek entfernt sein. Carol dachte an Carmens Worte, dass eine Busfahrt unnötig lang wäre. Carol hielt es dennoch für die beste Möglichkeit. Miguel hatte ihr zwar angeboten, sie zu fahren, Carol wollte jedoch noch ein wenig lesen und das wäre während einer Autofahrt mit ihm nicht nur unhöflich sondern auch unmöglich gewesen. Ein kurzer Blick auf ihre Uhr sagte ihr, dass sie noch mindestens eine halbe Stunde Zeit haben würde. Sie nahm ihren Rucksack, welcher zuvor bei ihren FüÃen gestanden hatte, auf ihren Schoà und öffnete ihn. Ihr älterer Sitznachbar warf ihr einen kurzen Blick zu, widmete sich dann wieder der halbnackten Frau in seiner Zeitung.
Krieg und Frieden, Schuld und Sühne, Stolz und Vorurteil. Carmen hatte sie ausgelacht. Wozu nimmt man eigene Bücher mit, wenn man zu einer Bibliothek fährt?
Carol hatte schlieÃlich drei andere Bücher wieder ausgepackt. SchlieÃlich musste noch Platz sein für die ausgeborgten Bücher. Aber ihre drei Lieblinge mussten mitkommen. Das war klar. Sie beschloss einen gröÃeren Rucksack zu kaufen, bevor sie zurück zum Wohnheim fahren würde.
Die Entscheidung während der Busfahrt Krieg und Frieden zu lesen, fiel ihr nicht schwer. Sie schlug das Buch auf und begab sich in die Welt der Familien Kuragin, Bolkonskij, Besuchow, Drubezkoj, Karagin und Rostow.
Die Vollbremsung des Busses brachte sie schlieÃlich zurück in das gegenwärtige Puerto Rico. Ihr Sitznachbar musste bereits ausgestiegen sein. Sie blickte irritiert aus dem Fenster. Der Bus hatte bei einer kleinen hölzernen Bank gehalten. Dahinter konnte man einige Boote, Schiffe und zwei Yachten erkennen. Carmen war während ihres bisher einmonatigen Aufenthalts erst einmal am Hafen gewesen. Sie kannte sich in San Juan nicht aus, wusste aber, dass die Bibliothek nicht am Hafen war. Ein Blick auf ihre Uhr teilte ihr mit, dass sie bereits vor fünfzehn Minuten an ihrem Ziel angekommen wäre. Sie sprang fluchend auf. âIch muss hier raus!â Rief sie dem Fahrer, welcher eigentlich bereits weiterfahren wollte, zu. Er rollte seufzend mit den Augen.
Carol lächelte dankbar und lief zur Tür. In ihrer Eile stolperte sie jedoch und der gesamte Inhalt des nicht geschlossenen Rucksacks leerte sich. Eine ältere Frau schüttelte den Kopf. âDie Jugend von heute ist so unachtsam!â
âEntschuldigen Sie! Ich bin gleich fertig!â Rief Carol dem Fahrer zu.
âHast du dir wehgetan?â Ein junger Mann griff nach einem ihrer Bücher und ihrem Handy und gab es in ihren Rucksack.
Carol blickte ihn verwundert an. Sie hatte ihn zuvor gar nicht bemerkt. âNein. Danke.â
Er packte den letzten Rest ein und nahm den Rucksack. âKomm.â
Sie nickte schnell. âVielen Dank!â Rief sie dem Fahrer noch schnell zu, bevor sie ausstieg. Kaum hatte sie den Bus verlassen, fuhr dieser auch mit Vollgas weiter.
âEr wird mich nie wieder freiwillig mitnehmen.â Carol blickte dem Bus nach.
âBestimmt nicht.â Der Mann grinste.
Sie betrachtete seine Gesichtszüge. Carol konnte sich nicht erinnern jemals zuvor einen so gut aussehenden Mann gesehen zu haben. Ihr Blick glitt über seinen Körper. Er schien zu trainieren. Das würde Carmen gefallen. Am meisten faszinierten sie jedoch seine dunklen Augen.
âAlles in Ordnung?â Er blickte sie fragend an.
Carol errötete, worüber sie sich später ärgerte. âJaâ¦ich bin nur etwas verwirrt. Es ging alles so schnellâ¦hast du denn auch zu spät gemerkt, dass wir schon da sind?â
âNein. Ich hätte erst an der nächsten Haltestelle aussteigen müssenâ¦â
âOh. Das tut mir leid.â
Er zuckte mit den Schultern. âDas sind nicht einmal zehn Minuten zu FuÃ.â
Ein kurzer Hoffnungsschimmer leuchtete in Carols Augen auf. âWie weit ist es denn zur Bibliothek?â
Er musterte sie verwundert. âZu welcher?â
Carol überlegte. âIch weià den Namen nicht. Sie ist gleich bei einem Park. In dem Park ist ein Springbrunnen.â
Er zog die Augenbraue in die Höhe. âGibt es dort auch etwas Einzigartigeres?â
Sie runzelte die Stirn. âDa ist so eine Kircheâ¦sie hat ein sehr untypisch kräftiges gelbâ¦undâ¦die Nationalbank!â
Er blickte sie ungläubig an. âWir waren vor Ewigkeiten an dieser Haltestelle.â
âNunâ¦â Sie blickte auf ihre Zehenspitzen.
âDu brauchst mindestens vierzig Minuten, wenn du zu Fuà gehst.â Erzählte er.
Carol strich sich den Schweià von der Stirn. âWann geht denn der nächste Bus?â
âIn einer halben Stundeâ¦â
âDann muss ich wohl gehen.â Sie seufzte. Warum musste sie auch beim Lesen immer die Zeit vergessen?
âWozu nimmt man eigentlich drei Bücher mit, wenn man zur Bibliothek fährt?â
âFür die Fahrt.â Erklärte sie. âIch weià anfangs nicht, was ich lesen möchte.â
âDann entscheidest du dich für Krieg und Frieden? Schwere Kost für eine Busfahrtâ¦â
Sie blickte ihn irritiert an.
âIch habe dich die ganze Fahrt beobachtet. Es wundert mich, dass dich dieses Buch so fesseln kann. 250 Personenâ¦mit komplizierten Namen, die man sich sowieso nicht merken kann.â
âDoch, das ist möglich.â Carol grinste. âIch liebe dieses Buch. Man befindet sich in einer anderen Welt, kaum hat man es aufgeschlagen.â
âDu redest wie meine Mutter.â
âIst das gut oder schlecht?â Sie blickte ihn erwartungsvoll an.
âEs ist Furcht erregend.â Er grinste.
âLiest du denn nicht gerne?â
âNicht so etwas.â
âDas ist ein Klassiker!â
âWenn du es sagstâ¦â
âDas sagen die Leute seit weit mehr als hundert Jahren.â
âUnd deshalb muss es stimmen?â
âLies es ein einziges Mal ganz durch und du wirst der Menschheit Recht geben.â
âDenkst du?â
âIch weià es.â Sie blickte ihn überzeugt an.
Er grinste. âGut. Ich werde es lesen. Mal sehen, wer Recht behält.â
âOkayâ¦â Sie lächelte leicht. âKannst du mir den Weg beschreiben?â
Er blickte sie kurz irritiert an. âWarteâ¦â Er zog eine Karte aus seiner Hose. âDu kannst sie haben. Es ist ein sehr komplizierter Wegâ¦ich bin ihn bis jetzt nur gefahren.â Er reichte ihr den Stadtplan.
âDanke. Das ist sehr nett von dir.â Carol lächelte leicht. âWie heiÃt du eigentlich?â
âRamon Hernandez.â
âMein Name ist Carol Huntzberger. Studierst du auch?â
âNein. Bist du nach Puerto Rico gezogen oder machst du nur ein Auslandsjahr hier?â
Carol fragte sich, ob es ihn wirklich interessierte oder er nur höflich sein wollte. âLetzteres.â
Er nickte. âIch muss jetzt gehen. Wenn ich noch einmal zur spät komme, brauche ich gar nicht mehr zu kommen.â
âEntschuldige. Ich habe dich aufgehalten.â
âIch freue mich, dass ich dir weiterhelfen konnte. Ich wünsche dir noch ein schönes Jahr im schönsten Land der Welt.â Er grinste.
Carol spürte ein leichtes Gefühl der Enttäuschung, für welches sie sich gleich darauf innerlich schalt. Was hatte sie erwartet? Er war lediglich hilfsbereit gewesen. Das war alles. Sie musste endlich erwachsen werden.
Ihre letzten Freunde, eigentlich alle Freunde auÃer ein einziger, hatten ihr nur Kummer bereitet. Die Liebe war ihr Fluch. Es war ihr scheinbar nicht vergönnt glücklich zu sein. Sie hatte alle verloren, die sie jemals geliebt hatte. Carmen hatte gesagt, eine Frau brauche keinen Mann um glücklich zu sein. Damit hatte sie Recht. Carol musste erst einmal ihr eigenes Leben in Ordnung bringen und zu sich selbst finden, bevor sie sich wieder verlieben durfte.
âDanke.â Carol lächelte leicht. Sie wollte sich umdrehen, schaffte es jedoch nicht ihren Blick von seinen Augen zu wenden.
âMachâs gut.â Er lächelte ihr kurz zu, bevor er sich umdrehte und ging.
âDu auch!â Rief sie ihm nach.
Carol schlug den Stadtplan auf. Vielleicht musste sie in dieselbe Richtung. Es war unlogisch, das wusste sie. Ihre Hoffnung wurde zerstört, als sie die Bibliothek fand. Sie blickte Ramon seufzend nach. Warum konnte sie nicht einmal so sein wie Carmen? Ihre beste Freundin hatte keine Angst vor Zurückweisungen Sie hätte ihn einfach gefragt ob er sie wieder sehen wolle. Carmen hatte es leichter, denn sie hatte nicht Carols Vergangenheit.
Carol seufzte und machte sich auf den Weg zur Bibliothek.
--------- Flashback Carol Ende ---------
âWann habt ihr euch wieder gesehen?â
âTja, die Welt ist oft kleiner als man denktâ¦â
âIch wusste gar nicht, dass Carols Lieblingsbuch Krieg und Frieden war.â
âIst.â Verbesserte Ramon mich seufzend. âSie hat jetzt auch noch Carmen angesteckt. Die Kleine hat letzte Woche begonnen es zu lesenâ¦â
Ich lachte. âSie hat eben das Gilmore Blut.â
Plötzlich vernahm ich zaghafte Schritte. Jenny rieb sich verschlafen die Augen. Sie gähnte. âDiese Uhrzeit ist für Studenten wirklich der Horrorâ¦â
âHaben wir dich aufgeweckt?â Ich stand auf und umarmte sie.
âNein. Was macht ihr beide denn schon so früh auf?â Jenny blickte verwundert von Ramon zu mir.
âWir haben uns unterhalten.â Erklärte ich kurz und strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn.
âUnterhalten?â Sie warf mir einen misstrauischen Blick zu. âDafür ist es aber sehr leise gewesen.â
Plötzlich wurde mir bewusst, dass das wohl die erste richtige Unterhaltung ohne Streit gewesen war, die ich mit meinem Schwiegersohn geführt hatte.
âRamon hat mir erzählt, wie er Carol kennen gelernt hat.â
âHat er dir auch von dieser einen ganz besonderen Strandparty erzählt?â Jenny grinste ihn frech an.
âNein, und das wirst du auch nicht tun.â
âIch liebe diese Geschichte!â
âIch hasse sie. Es ist nicht gerade witzig, wenn du kurz davor bist, der Frau, die du mehr als alles andere liebst, einen Heiratsantrag zu machen, und sie sich plötzlich übergeben muss.â
Jenny lachte. Ihre Augen blitzten fröhlich. âEs ist auch nicht gerade intelligent, einer Frau an einem Abend, der zum Betrinken gedacht ist, einen Antrag machen zu wollen.â
âDas ist ein Punkt für dich, Kleines.â
Jenny schenkte sich grinsend Kaffee in eine Tasse. âDamit steht es dann seit meinem zehnten Geburtstag 47:21.â
âDu zählst mit?â
âNatürlich. Das ist ja der Spaà daran. Und ich bleibe ungeschlagen.â
âDas hole ich schon noch auf.â
âDas ist unmöglich. Wenn wir fair wären, müssten wir nämlich meine zwanzig Punkte unserer langen Autofahrt vor ein paar Jahren dazuzählen. Ich habe sie dir zuliebe vergessen.â
âWie nett du doch bist.â Meinte er sarkastisch.
âWelche lange Autofahrt meint ihr?â Vom Flughafen bis zu Carols Haus war es nicht so weit.
Jenny tauschte einen kurzen Blick mit Ramon. Ich glaubte, für einen Moment Schrecken in ihren Augen aufblitzen zu sehen, tat es aber als Einbildung ab.
âWir haben einmal zu viert einen längeren Ausflug gemacht. Alejandro, Carol, Ramon und ich.â Sagte Jenny schnell.
Einen Tagesausflug in Puerto Rico. Vielleicht zu einem schönen weiÃen Sandstrand, so wie es Carol und Jenny liebten. Ein Picknick am heiÃen Sand, danach Abkühlung im türkisblauen Meer. Ein schöner und einleuchtender Gedanke.
Und ich hätte es von Herzen gerne geglaubt.
Aber meine Jüngste war eine schlechtere Lügnerin als Mum, Carol und ich zusammen. Ihre leicht zitternden Lippen und ihr ausweichender Blick verrieten sie.
Was könnte an einer Autofahrt oder dessen Ziel so schlimm sein, dass mich sogar Jenny belügen wurde?
Die einzige einleuchtende Antwort schien mir so unwirklich, dass ich sie sofort wieder verdrängte.
Carmens fröhliche Stimme unterbrach meine dunklen Gedankengänge. Luke und sie wünschten uns einen guten Morgen und aÃen schnell eine Kleinigkeit, bevor sie nach Hartford aufbrachen.
âRory?â Luke legte seine Hand auf meine Schulter. âKönntest du deiner Mutter heute die Tabletten geben? Ich habe dir alles notiert.â
Ich nickte und versuchte zu lächeln. âKein Problem.â Mein Magen zog sich zusammen. Die Angst, sie könnte mich wieder nicht erkennen, quälte mich seitdem ich am Vortag ihr Zimmer verlassen hatte.
âSie bekommt die ersten um acht Uhr?â erkundigte ich mich sicherheitshalber. Ich wollte alles richtig machen.
Er nickte und küsste mich sanft auf die Wange. âBis später.â
Carmen umarmte mich kurz. âIch hab dich lieb, Grandma.â
âIch dich auch, mein Schätzchen. Pass gut auf deinen UrgroÃvater auf, ja?â
Carmen nickte eifrig. âGeht klar.â Sie lief Luke fröhlich nach.
âSie ist so süÃ!â Jenny strahlte. Ihre Augen hatten diesen besonderen Glanz, wenn sie strahlte. Wie damals, als sie diese eine Puppe mit den bunten Zöpfen bekommen hatte, oder wie sie das erste mal alleine mit dem Rad und später mit dem Auto gefahren war.
Wie sie mir von Andrews Liebesgeständnis erzählt hatte. Als sie mit dem silbernen Ring von Alejandro zurückgekommen war. Und wie jedes Mal, wenn sie von meiner Mutter, zu der ich keinen Kontakt mehr gehabt hatte, zurückgekommen war. Ich musterte meine Tochter und erkannte die Veränderung. Es war nicht derselbe Glanz. Denn da war auch noch ein trauriger Schimmer.
--------- Flashback Jenny ---------
Jenny strich sich die Tränen von der Wange und trank von ihrem Kaffee. Sie konnte ihrer GroÃmutter nicht in die Augen sehen. Lorelai war die zweite gewesen, der sie ihr furchtbares Geheimnis anvertraut hatte. Ihre Schwester hatte ruhig reagiert und sie in die Arme genommen. Sie hatte ihr versprochen immer für sie da zu sein.
Lorelai griff nach Jennys Hand und strich ihr sanft über den Handrücken. âWarum hast du nicht mit deiner Mutter gesprochen?â Es lag keinerlei Vorwurf in ihrer Stimme.
Jenny lehnte den Kopf an ihre Schulter. âDas geht nicht. Mum darf nicht aufgeregt werden. Es zerfrisst mich. Ich habe mein kleines Mädchen getötet. Es wäre ein Mädchen gewordenâ¦ich weià es.â Sie schluchzte.
Lorelai strich sanft über ihren Kopf. âMeine Kleineâ¦â
âGrandma, ich würde am liebsten sterben.â
Sie hob sanft das Kinn ihrer Enkeltochter. âSieh mich an.â Ihre Augen blickten streng.
âSag so etwas nie wieder, hörst du? Damit verletzt du nicht nur deine Grandma und deinen Grandpa, sondern auch deine Mum und deine Geschwister. Und deinen Dadâ¦â
Jenny nickte. âIch bin eine Mörderinâ¦â Sie schluchzte.
Lorelai umarmte sie.
âGrandma?â Presste Jenny unter Tränen hervor.
âJa?â
âDarf ich ein paar Tage hier bleiben?â
âSo lange du möchtest.â
âDanke.â
âSoll ich mit deiner Mutter sprechen?â Lorelai strich Jenny sanft durchs Haar.
âNein. Sie soll es nicht wissenâ¦â
âBist du dir sicher?â
Jenny nickte leicht. âJa. Es ist besser so.â
âWie geht es deiner Mutter?â
âEtwas besser.â
âIch möchte sie jeden Tag anrufen, aber ich schaffe es nicht.â Lorelais Augen tränten. Sie hatte das nicht ihrer Enkelin erzählen wollen. Aber ihr Mund war schneller gewesen.
âGrandma?â Jenny blickte sie unsicher an, ihre Augen geschwollen vom Meer der Tränen.
âJa, mein Schatz?â
âIch denke, es geht ihr ganz genausoâ¦â
Lorelai biss sich auf die Unterlippe. âDenkst du?â
âDu bist ihre Mutter. Sie liebt dich. Genauso wie Carol Mum liebt. Und Mum liebt Carol.â
âEs ist alles nicht so leicht. Es sind zu viele Jahre vergangenâ¦â
Jenny nickte leicht. Ihre Familie war schon lange auseinander gebrochen. Sie hatte Angst vor Dingen, die noch geschehen könnten. Denn die Hoffnung auf eine gute Wendung hatte sie aufgegeben.
Da waren ihre Mum und Matt. Ihre Grandma und ihr Grandpa. Carol und Ramon. Ihr Dad. Und irgendwo dazwischen â da war sie selbst.
---------- Flashback Jenny Ende ----------
Langsam ging ich mit dem Tablett die schon leicht knarrende Treppe zu Mums Schlafzimmer hinauf. Es war kurz vor acht. Ich musste pünktlich sein.
Je näher ich der letzten Stufe kam, desto gröÃer wurde der Druck auf meinem Herzen. Meine Hände begannen zu zittern.
Ich ahnte noch nichts von den Abgründen unserer Vergangenheit, welche sich noch offenbaren würden. Während ich Mums Schlafzimmer langsam betrat, hörte ich noch das Klingeln des Telefons und Jennys fröhliche Stimme, die sich mit
Gilmore meldete.
So wie es immer hätte sein sollen.
Hätte ich damals schon gewusst, mit wem sie so fröhlich plauderte, hätte ich diesen Satz von ganzem Herzen bestätigt.
Freu mich schon auf euer FB!
Bussi Selene