~*Kapitel 6*~
Stars Hollow, Herbst 2004
Lorelei schloss die Autotür mit einem lauten Knall und sah sie mit funkelnden Augen an âSie kennen also meine Mutter?â
Jerusha stöhnte, wohl wissend dass sie in der Falle saÃ. âNein, tue ich nicht.â
âUnd deshalb haben sie sich eben so aufgeregt?â
âDas ähm, das hatte etwas mit meiner â mit meiner Religion zu tun.â Innerlich schrie Jerusha, etwas blöderes hätte sie wohl kaum sagen können.
âSchon klar.â Lorelei machte es sich gemütlich. âAlso â woher kennen sie sie?â
âIch kenne sie nicht. Nicht sonderlich gut. Vielleicht bin ich ihr ein oder zweimal begegnet.â
âEin oder zweimal?â, hakte sie nach.
âVielleicht auch dreimal.â
âOder viermal, oder fünfmal â oder vielleicht auch öfter?â
âDas wäre ââ, sie seufzte und lies den Motor an. âDas wäre durchaus möglich. Wenn sie mich jetzt entschuldigen würden, ich bin müde, ich möchte nachhause, ich möchte in mein Bett.â
âNein.â Lorelei dachte nicht daran sich abwimmeln zu lassen.
âNein?â
âNein. Ich werde diesen Wagen nicht verlassen, bis ich weià woher sie sie kennen.â
âWir waren auf einer Party, ich hatte kein Geld für die Toilettenfrau, sie hat mir fünf Dollar geliehen. Zufrieden?â
âKlar.â Lorelei legte ihre FüÃe auf das Armaturenbrett. âHaben sie ihr das Geld zurückgezahlt?â
âNein, habe ich nicht.â Jerusha griff nach ihrer Handtasche, zog eine Fünf-Dollarnote hervor und reichte sie Lorelei. âIch will sie nicht um ihr Erbe bringen.â
âDanke.â Sie steckte das Geld ein, machte jedoch keinerlei Anstalten sich vom Fleck zu rühren.
âWürden sie jetzt bitte aus ihrer groÃen Güte heraus meinen Wagen verlassen?â
âWenn ich ihnen die Geschichte mit der Klofrau glauben würde, dann ja.â Sie tat als ob sie nachdenken würde und zuckte schlieÃlich entschuldigend mit den Achseln. âAber ich tue es nicht.â
âDann werden sie den Rest ihres Lebens in meinem Wagen verbringen müssen.â
âOkayâ, grinsend verschränkte Lorelei die Hände hinter dem Kopf und sah Jerusha herausfordernd an. Diese lies sich zurückfallen, schloss die Augen und zählte leise bis Hundert. âGehe ich recht in der Annahme, dass sie noch immer hier sind, wenn ich meine Augen wieder öffne?â
âJa.â
âPenetrant.â
âDanke.â
Langsam aber sicher begann Jerusha die Geduld zu verlieren. âGott, Lorelei, ich flehe sie an, gehen sie, laufen sie, verschwinden sie.â
âDas würde ich ja gerne. Aber ich kann nicht.â
âWenn ich ihnen noch mal fünf Dollar gebe, verlassen sie meinen Wagen dann?â
âMmhh..â Lorelei legte den Kopf schief. âDas hätte vielleicht funktioniert als ich vier war, aber heute â nein.â
âIch werde sie niemals wieder loswerden, oder?â
âNein â es sei den sie erzählen mirâ¦â
â...woher ich Emily kenne, ich habâs verstandenâ, sie zündete sich eine Zigarette an. âWir waren mal befreundet, aber das ist schon sehr, sehr lange her. Sie mag mich nicht und ich mag sie nicht. Ende der Geschichte.â
âUnd deshalb haben sie sich dann eben so aufgeregt?â, bohrte sie weiter.
âIch habe nun mal ein gutes Herz.â
âIngggggggâ¦. Falsche Antwort. Und sie wollen mich doch loswerden, schon vergessen?â
Nahezu verzweifelt sah Jerusha sie an âWie könnte ich?â
âAlso!?!â
âSie wird mich töten. Nein, sie wird mich nicht nur töten, sie wird mir das Herz mit einem Löffel aus der Brust reiÃen, es in kleine Streifen schneiden und an die Tauben verfüttern.â
âDas sähe ihr durchaus ähnlich, ja.â
âDas sähe ihr ähnlich? Wenn ich so was sage ist das in Ordnung â aber sie sind ihre Tochter.â
Lorelei zuckte mit den Achseln âMan kann sich seine Eltern nicht aussuchen.â
âWas soll das denn heiÃen?â
âDas ich, wenn ich die Wahl zwischen den Flodders und den Gilmores gehabt hätte, die Waltons genommen hätte.â
âDie Flodders sind die penetranteste Erscheinung seit der Erfindung der Braunschen Röhre.â
âGanz meine Meinung.â
âSie mögen die Waltons nicht und hätten sie trotzdem lieber als ihre eigenen Eltern?â
âBingoâ, Lorelei klopfte einen Trommelwirbel auf ihren Schenkeln und Jerusha sah sie fragend an. âWarum?â
âIch dachte sie kennen meine Mutter.â
âEbenâ, erwiderte Jerusha und die Bestimmtheit in ihrer Stimme lies Lorelei einen Augenblick zögern, ehe sie antwortete.
âSoll dass ein Witz sein? Richard und Emily hätten sich lieber einen Hund als ein Kind anschaffen sollen.â
âDas ist wirklich ihr ernst, oder?â
âAber hallo.â
Fassungslos sah sie Lorelei an, während langsam eine Idee Gestalt annahm â sie hatte schlieÃlich nichts mehr zu verlieren. âSchnallen sie sich anâ, befahl sie.
âWas?â
âNa los, schnallen sie sich an.â
âWieso?â
âWeil wir einen kleinen Ausflug machen werden und ich nicht möchte das sie mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe knallen, falls ich scharf bremsen sollte.â
Hartford, Frühjahr 1968
Lorelei Gilmore hatte es die Sprache verschlagen. Hatte sie bislang gehofft Richard würde sich doch noch eines Besseren besinnen, so bestand jetzt wirklich keine Hoffnung mehr. Niemand war verantwortungsbewusster als ihr Sohn und Emily hatte es geschafft ihn endgültig an sich zu binden. Dabei war sie sich gerade in letzter Zeit so sicher gewesen das die Ehe der beiden nicht mehr von langer Dauer sein würde. Richard hatte mehr Zeit im Büro und auf Reisen verbracht als mit seiner Frau. Lorelei hatte das als gutes Zeichen gedeutet â kein Mann würde seine Frau derart vernachlässigen wenn er glücklich mit ihr war. Doch scheinbar hatte auch ihre Schwiegertochter bemerkt, dass ihr Aussehen alleine nicht reichen würde Richard noch länger zu halten. Sie hatte sowieso nie verstanden wie er diese Frau hatte heiraten können. Andererseits hatte sie Emilys Mutter gekannt und das erklärte eigentlich alles. Der Apfel fiel nun mal nicht weit vom Stamm. Lorelei räusperte sich.
âWelch wundervolle Nachricht. Findest du nicht auch, John?â, fragte sie ihren Ehemann.
Dieser nickte. âAllerdings. Eine neue Generation Gilmores â darauf sollten wir trinken.â
âDas finde ich allerdings auch.â Richard erhob sich und ging zur Bar. âIch denke eine schöne, kühle Flasche Moet et Chandom wird dem Anlass gerecht.â Mit einem lauten Knall öffnete er die Flasche und goss den Champagner in die Kristallgläser.
âWann wird es denn soweit sein, Emily?â, fragte Lorelei und nahm Richard dankend ein Glas aus der Hand.
âVoraussichtlich im Dezemberâ, erwiderte ihre Schwiegertochter glücklich.
Lorelei zog skeptisch die Augenbrauen zusammen und hob ihr Glas. âAuf die werdende Mutter.â
John Gilmore sah seinen Sohn an. âUnd den Vater natürlich.â Sie stieÃen an. âWie laufen die Geschäfte Richard?â
âDanke der Nachfrage, Vater. Es könnte nicht besser sein. Erst letzte Woche konnte ich die Japaner für uns gewinnen. Es war nicht einfach, aber ich habe sie überzeugt. Du solltest die Verträge sehen â sie haben mehr Klauseln als die amerikanische Verfassung.â
âDas klingt interessant. Du hast sie nicht zufällig hier?â
âZufällig liegen sie auf dem Schreibtisch in meinem Arbeitszimmer.â Die beiden Männer standen auf. âIhr entschuldigt uns für einen Augenblick?â
Emily protestierte. âWie könnt ihr jetzt an Versicherungen und Verträge denken?â
âEin erfolgreicher Geschäftsmann sollte immer an seine Arbeit denken, Emily. Geht schon, wir werden uns auch alleine zu beschäftigen wissenâ, forderte Lorelei ihren Mann und Sohn auf.
Als sie weg waren musterte sie Emily âIm Dezember alsoâ, sie nippte an ihrem Champagner âDas sind wirklich schöne Neuigkeiten â zumal Richard in letzter Zeit soviel unterwegs war.â
âNun ja â er hatte in den letzten Wochen wirklich viel zu tun.â Emily begann sich unbehaglich zu fühlen, da sie zu ahnte worauf ihre Schwiegermutter hinaus wollte.
âJapan soll ein sehr schönes Land sein. Wie lange war er gleich dort?â
âDrei Wochen, Mutterâ, erwiderte sie kühl.
âDrei Wochen sind eine lange Zeit, vor allem wenn man so â so glücklich verheiratet ist wie ihr.â Ihr letzter Satz hing lange im Raum ehe sie süffisant fort fuhr. âWas sagt eigentlich dein Vater zu diesen Neuigkeiten, Emily?â
Detroit, Herbst 2004
Jerusha bog in die heruntergekommene Einfahrt eines riesigen Anwesens und bremste scharf.
âDa wären wirâ, sie zog die Handbremse an und schaltete den Motor aus. Lorelei öffnete den Gurt und sah sie böse an. âNa endlich.â
Jerusha konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen âIch weià gar nicht was sie haben, Lorelei.â
âSie sind neun Stunden am Stück gefahren, wir haben nur einmal angehalten um zu tanken, und ich durfte weder auf die Toilette gehen noch mir einen Kaffee besorgen.â
âSie werden es überleben.â Jerusha stieg aus und bedeutete Lorelei ihr zu folgen. âDas hier ist die Heywood-Villa.â
âHeywood?â, fragte Lorelei erstaunt. âDas ist der Mädchenname meiner Mutter.â
âWas sie nicht sagenâ, antwortete Jerusha mit nicht zu überhörendem Sarkasmus in der Stimme. Sie ging auf einen alten Baum zu, griff in ein Astloch und zog einen Schlüssel hervor. âManche Dinge ändern sich eben nie.â Sie sah Lorelei lächelnd an. âDen haben wir hier deponiert als wir elf waren.â
âWer ist wir?â
âSean Connery und ich - natürlich Emily und ich.â Sie steckte den Schlüssel in das verrostete Schloss und die Tür öffnete sich mit einem lauten Knarren.
âWowh. Hier ist seit Jahren nicht mehr sauber gemacht worden.â Lorelei drehte sich im Kreis und musterte das mit Staub und Spinnenweben überzogene Mobiliar in der Eingangshalle.
âWer hätte es den tun sollen? Die Heinzelmännchen?â
Lorelei hob die Hände âDie Besitzer?â
âDer Besitzerâ, korrigierte Jerusha sie.
âUnd wer ist das?â
âThomas Heywood natürlich.â
âMein GroÃvater? Aber ich dachte er wäre ââ, verwirrt sah sie Jerusha an. âKeine Ahnung was ich dachte.â
âSie dachten er wäre tot. Tja, dass ist er nicht. Er lebt seit Jahrzehnten in Afrika.â
âAfrika?â Lorelei verstand langsam gar nichts mehr, am wenigsten weshalb Jerusha sie in eine verstaubte Villa am anderen Ende der Welt gebracht hatte.
âJa, seit 1966, das Jahr in dem Alyson starb. Er hat seine Siebensachen gepackt und ist auf Nimmerwiedersehen in den Weiten des afrikanischen Buschs verschwunden.â
âDann muss er sie ja wirklich geliebt habenâ, Lorelei bemerkte Jerushas irritierten Blick. âNa, wenn er nach dem Tod seiner Frau die Einsamkeit suchtâ, fuhr Lorelei fort und ihr Gegenüber begann schallend zu lachen. âHey, was ist daran so witzig? Hören sie sofort auf zu lachen!â
âTut mir leidâ, sie rang nach Luft. âAber das war wirklich zu komisch.â Jerusha wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. âThomas und Alyson als Romeo und Julia. Sie haben wirklich Humor.â
âHören sie auf zu lachen und sagen sie mir lieber was so komisch an dieser Vorstellung ist, ich weià es nämlich nichtâ, schmollend schob Lorelei die Unterlippe vor. âIch weià scheinbar überhaupt nichts.â
âDas sehe ich. Na los, kommen sie mit.â Jerusha stieg die Treppen empor und führte Lorelei zu einem Zimmer am anderen Ende des Hauses. âDas war das Zimmer ihrer Mutter.â
Sprachlos sah Lorelei sich um, der Gedanke dass sie die Erste war die seit Jahren in diesem Zimmer war, jagte ihr kalte Schauer über den Rücken. Ihr Blick blieb an einem vergilbten Kleid hängen, das an einer Schranktür hing. âIst das?â Sie lies den mit Spitze besetzten Stoff durch ihre Finger gleiten.
âIhr Brautkleid, ja.â Jerusha lächelte. âSie hätten sie darin sehen sollen. Sie sah aus wie eine Prinzessin.â
âAber warum ist es hier? Ich meine, es hängt hier als ob sie es ausgezogen hätte und danach nie wieder hier warâ, sie kannte die Antwort auf ihre ungestellte Frage. âSie war danach nie wieder hier.â Lorelei lieà das Kleid los und sah Jerusha fragend an. âAber warum?â
To be continued.
ATN: Bei soviel Lob, Schokolade und Tänzen kann ich einfach nicht nein sagen *GG* Also hier ausnahmsweise gleich ein neues Kapitel â viel Spaà beim Lesen! Riska