~*Kapitel 12*~
Hartford, Herbst 2004
Der Raum war von einer nahezu gespenstischen Stille durchflutet, lediglich das Kratzen zweier Füller auf Papier erfüllte die Luft. Richard schraubte den Deckel wieder auf seinen Stift und schob die Papiere zu seinem Anwalt. Dieser grinste fröhlich, so eine billige Scheidung hatte er noch nie eingefädelt â er würde eine fette Provision bekommen.
Auch Emily reichte ihr Scheidungsdokument weiter und die Blicke des frisch geschiedenen Paares trafen sich. Was tat man in so einem Fall? Bei einer Hochzeit besiegelte man den Bund mit einem Kuss â aber bei einer Scheidung? Sie wandten ihren Blick schnell voneinander ab, erhoben sich beinahe gleichzeitig von den schweren Bürostühlen und begannen die Hände der einzelnen Anwälte im Zimmer zu schütteln. Einer nach dem anderen verlies das Büro bis schlieÃlich nur noch Richard und Emily übrig waren.
âNunâ, er räusperte sich und zog an seiner Fliege.
âJaâ, erwiderte Emily und beide nickten verlegen.
âEmily, ich - â, setzte Richard an, hielt jedoch inne, da es ihm unpassend erschien.
âWas denn?â, fragte sie nahezu sanft.
âNichts.â Zum Teufel mit dem Zeitpunkt fuhr es ihm durch den Kopf. âDas heiÃt, ich - ich wollte nur sagen, egal wie es in letzter Zeit zwischen uns lief, die gröÃte Zeit unserer Ehe waren wir doch glücklich, oder etwa nicht?â
Sie konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. âJa, die gröÃte Zeit.â
âGut. Das ist wirklich gutâ, erwiderte er und ein Hauch von Unsicherheit lag in seiner Stimme.
âWir hatten wirklich eine schöne Zeitâ, sagte sie erneut. Auch wenn er nicht mehr ihr Ehemann war, wollte sie doch sicher gehen, dass es ihm gut ging. Ohne ihn, wäre sie heute nicht das was sie war. Wie viele Nächte war sie wach gelegen und hatte das leere Kissen neben sich angestarrt. Wie oft war sie kurz davor gewesen auf seine Versöhnungsversuche einzugehen. Aber es ging einfach nicht mehr. Sie hatten sich beide zu sehr verändert. Sie waren nicht mehr die die sich ineinander verliebt hatten, sie hatten schon vor langer Zeit aufgehört es zu sein. âEs hätte keinen Sinn mehr gehabt, Richard, ich hoffe du weiÃt das. Wir haben nebeneinander her gelebt und nicht miteinander. Wir haben schon lange keine Ehe mehr geführt.â
Richard rang sich ein Lächeln ab. âIch weiÃâ, er wusste tatsächlich dass sie Recht hatte. Aber was ihm momentan am meisten zusetzte, war ein seltsames Gefühl der Befreiung. Emily war nicht mehr seine Frau und sosehr dieser Gedanke ihn auch irritierte, war er doch erleichtert, dass die Sache endlich endgültig zu Ende war. Zumal er sich nicht sicher war, ob er wirklich noch etwas für sie empfand oder ob es nur Sentimentalität war. Seit über einem Jahr war er ständig in der Schwebe gehangen, hatte sich auf nichts mehr konzentrieren können, aber jetzt würde er endlich einen Schlussstrich ziehen können. Es war vorbei und für ihn würde ein neuer Lebensabschnitt beginnen. âVielleicht sollten wir uns jetzt einfach auch die Hände schütteln und gehen.â
âJa, das würde der Situation gerecht werden.â Sie standen sich eine Weile schweigend gegenüber und keiner macht Anstalten sich zu rühren.
âAber â vielleicht sollten wir es auch einfach lassenâ, sagte Richard schlieÃlich und sie nickte erleichtert. âMachâs gut, Emilyâ
âJa, du auchâ, antwortete sie mit fester Stimme und beobachtete wie er das Zimmer verlies. Jetzt war es also tatsächlich vorbei. Nicht nur das â auch die Befürchtung Bedauern zu empfinden stellte sich nicht ein. Im Gegenteil, sie fühlte wie eine schwere Last langsam von ihren Schultern wich. Vielleicht hätte damals auf ihre Mutter hören sollen. Emily, heirate niemals einen Mann den du liebst, das macht die Ehe nur unschwer komplizierter. Sie mich an â ich bin die glücklichste Ehefrau auf Erden, weil es mich nicht kümmert was mein Mann treibt, ebenso wenig wie ihn es kümmert was ich tue. Wir sind das perfekte Paar. Sie würde es schon schaffen sich mit Abraham zu arrangieren, sie war schlieÃlich keine Siebzehn mehr. Was konnte er ihr denn jetzt noch anhaben? Emily lies sich wieder in einen der Sessel fallen und rieb sich die Schläfen. Weshalb hatte sie nur geglaubt, er würde tatsächlich auf ihre kleine Erpressung eingehen? Wie hatte sie nur so dumm sein können? Sie hatte Unabhängigkeit gewollt und jetzt, jetzt würde sie abhängiger sein als jemals zuvor. Ihr dummer Stolz hatte sie wieder mal Dinge tun lassen die sie hinterher bereute, nur das diesmal kein Richard da sein würde um sie zu retten. Der Kreis hatte sich geschlossen. Alles was sie jetzt noch tun musste, war es Lorelei so schonend wie möglich beizubringen. Sie hätte am liebsten laut aufgelacht. Wie bringt man seinem einzigen Kind bei, dass man auf ganzer Linie versagt hat, ohne es laut aussprechen zu dürfen?
Hartford, Frühsommer 1985
Lorelei hatte es ihnen letztlich sagen müssen, sehr viel länger würde sie ihren Zustand selbst mit den weitesten Pullovern nicht verbergen können. Sie war schwanger, sie würde Mutter werden. Sie konnte es sich überhaupt nicht vorstellen. Mutter, wie das klang â sie war doch gerade mal sechzehn, wie konnte sie da für ein kleines, hilfloses Baby sorgen? Lorelei hielt die Luft an und beobachtete ihre Eltern schweigend. Erstaunt stellte sie fest, dass das erwartete Geschrei ausblieb. Im Gegenteil, ihr Vater schien immer kleiner zu werden, während ihre Mutter nahezu emotionslos ihre Hände anstarrte.
âGehe ich recht in der Annahme, dass Christopher der Vater ist?â, sagte Emily schlieÃlich und ihre Tochter nicke. âWissen es seine Eltern schon? Weià er es überhaupt schon?â
âNatürlich weià er es. Er ist schlieÃlich der Vater und deshalb sagt er es auch in eben diesem Moment seinen Elternâ, antwortete Lorelei pampig.
âWir werden mit deiner Schule telefonieren müssen.â Sie wand sich an Richard. âSie werden es ihr doch nicht verbieten können ihren Abschluss zu machen? Sie ist schlieÃlich Klassenbeste â Richard?!?â Wie aus einer Trance gerissen, sah ihr Mann sie erstaunt an. âWas hast du gesagt, Emily?â
âDie Schule, Richard. Wir zahlen eine Menge Geld für die Ausbildung unserer Tochter â sie werden sie doch wohl ihren Abschluss machen lassen.â
âIch habe keine Ahnung wie die Schule das handhabt.â Er sah seine Tochter an. âWie handhabt es deine Schule denn in solchen, ähm, solchen Fällen?â
Lorelei zuckte mit den Schultern. âWoher soll ich das wissen?â
âGab es denn bislang noch keinen Präzedenzfall?â, fragte er.
âNein Vater, soweit ich weià bin ich die erste die Schande über die Schule gebracht hat und schwanger geworden ist, obwohl man uns in dem altehrwürdigen Institut täglich vor Sex vor der Ehe warnt.â Nichts â ihre Eltern gingen auf ihre Provokation nicht ein, sondern starrten wie Junkies mit leerem Blick durch das Zimmer. Sie regten sich über einem blöden Weinfleck auf dem FuÃboden auf, aber nicht darüber wenn ihre einzige Tochter schwanger war. Es war fast so als ob sie nie etwas anderes von ihr erwartet hätten und jetzt lediglich überrascht waren, dass sie es ihnen schon vor dem Abendessen gesagt hatte.
Emily erhob sich. âIch werde Christophers Eltern anrufen.â
âJa, tu das. Wir werden eine Menge zu besprechen haben.â Auch Richard stand auf und die beiden gingen in sein Arbeitszimmer, während sie eine verdutzte Lorelei zurücklieÃen. Sie hatte alles erwartet, aber gewiss nicht das, sie verstand die Welt nicht mehr. Etwas unbeholfen streichelte sie über ihren Bauch. âEgal was passiert, versuch erst gar nicht sie zu verstehen.â
Stars Hollow, Herbst 2004
âWowh!â, war alles was Lorelei auf die Offenbarung ihrer Mutter erwidern konnte. Sie konnte es einfach nicht glauben. Nicht nur das ihre Eltern die Scheidung tatsächlich durchgezogen hatten, sondern das â das war einfach nur âUnglaublichâ, entfuhr es ihr. âDu bist gerade mal seit ein paar Stunden geschieden und willst schon wieder heiraten? Das ist doch verrückt. Ich meine ich bin diejenige die sagen sollte, hey, Mom, ich heirate â aber du, du nicht! Du â Argh!â
âIch hätte es dir vielleicht schon früher sagen sollen, Lorelei, aber ich wollte erst einen passenden Zeitpunkt abwarten. Er, er hat sich jedoch nie gefunden, also tue ich es jetzt. Es ist nicht so, dass ich Abraham Palmer erst seit gestern kenne. Im Gegenteil, wir kennen uns schon sehr, sehr lange. Ich kannte ihn schon bevor ich deinen Vater kennen lernte. Bevor ich deinen Vater heiratete ââ, sie hielt inne. Sie konnte einfach nicht, sie brachte es nicht über die Lippen. Aber sie musste es tun, ihr blieb keine andere Wahl. Wenn sie nicht wollte dass Lorelei die ganze Wahrheit erfuhr, dann musste sie wohl oder übel bei dieser Lüge bleiben. âWir haben uns vor kurzer Zeit wieder getroffen und sind hin und wieder Essen gegangen. Als er mich dann vor zwei Monaten gefragt hat, ob ich seine Frau werden wolle habe ich eingewilligt und deinen Richard um die endgültige Scheidung gebeten.â
âWowh.â Lorelei nickte und fuhr sich über die Stirn. âWowh, wirklich wowh.â
âBitte, Lorelei, ich will mich nicht mit dir streitenâ, sagte sie mit einem flehenden Unterton.
Irgendetwas stimmte hier nicht, dessen war sich Lorelei sicher. Es stimmte ganz und gar nicht. Vielleicht hatte ihre Mutter sich von Richard scheiden lassen, aber niemals wegen eines anderen Mannes. Sie hatten vielleicht nicht das beste Verhältnis - aber Lorelei wusste ganz genau, dass Emily zu so etwas ganz einfach nicht fähig gewesen wäre. Sie mochte vielleicht die meiste Zeit unterkühlt handeln, aber das hatte sie niemals in Bezug auf ihren Ehemann getan. Sie erinnerte sich an Jerushas Worte. Versuche einfach nicht nur diese unglaublich herrische Frau mit dem Kontrollzwang in ihr zu sehen, sondern einfach nur â nur Emily. Ihr Vater war immer der einzige Schlüssel zu dieser anderen Emily gewesen. Nein, korrigierte sie sich. Jerusha, auch sie hatte den passenden Schlüssel. Und langsam dämmerte es Lorelei, dass sie bei ihrem nächtlichen Ausflug nach Detroit nicht die ganze Wahrheit erfahren hatte. Da musste noch etwas anderes sein, sonst würde ihre Mutter sich jetzt nicht so verhalten. Sie log sie an, dass lag auf der Hand. Ihre Mutter log sie ohne mit der Wimper zu zucken an, weil sie die Wahrheit nicht erfahren sollte.
Emily beobachtete ihre Tochter schweigend und räusperte sich schlieÃlich. âWie hast du das gemeint, Lorelei?â
âWas?â, erwiderte sie und ihre Mutter zögerte ehe sie leise antwortete.
âDas du mir sagen solltest, dass du heiraten wirst.â
âSo was überhörst du natürlich nicht. Das entlockt mir doch gleich noch ein Wowh!â Lorelei verdrehte genervt die Augen. Ihr bleib wohl keine andere Wahl als mit der Sprache herauszurücken. Sie hatte sich zwar andere Umstände dafür gewünscht, aber wenn sie es jetzt nicht tat, dann würde sie es vermutlich nie tun. âTja, du hast richtig gehört, vielleicht solltest du noch etwas warten, Mom. Dann könnten wir ja eine nette, kleine Doppelhochzeit veranstalten, denn ich werde tatsächlich heiraten. Das wolltest du doch immer. Deine Tochter wird endlich heiratenâ, sie war erleichtert es gesagt zu haben. âLuke und ich werden heiraten.â
âDas ist, das sind sehr schöne Nachrichten, Loreleiâ, stotterte Emily.
âDas ist alles was du dazu zu sagen hast? Du erinnerst dich doch noch an Luke â der Kerl mit dem Cafe und den Baumwollhemden.â
âNatürlich erinnere ich mich.â
âWarum regst du dich dann also nicht darüber auf? Ich werde jemanden heiraten der in deinen Augen wohl kaum der Richtige für mich sein kann.â
Emily presste die Lippen aufeinander. âLiebst du ihn?â, fragte sie.
âJa, natürlich, sonst-â, sie war verdattert ob der für ihre Mutter so untypischen Frage.
âWeshalb sollte ich dann etwas dagegen haben?â Emily griff eilig nach ihrer Handtasche. âErzähl deinem Vater schnellst möglich davon.â
âOkay, gutâ, sie runzelte nachdenklich die Stirn. Hier stimmte etwas ganz gewaltig nicht. âDas werde ich machen.â
âWir sehen uns, Lorelei.â Schon in der Tür, drehte sie sich noch einmal um. âHerzlichen Glückwunsch.â
âMmhmh.â Weg war sie. Lorelei kam sich vor als wäre sie von einem Laster überrollt worden. Herzlichen Glückwunsch. Sag es deinem Vater. Sie griff nach dem Telefonhörer und wählte die Nummer Richard Gilmores, legte jedoch auf als sich seine Stimme am anderen Ende der Telefonleitung meldete. Wenn ihre Mutter schon so seltsam reagierte, was würde dann ihr Vater tun? Gott, sie sollte sich eigentlich freuen. Emily hatte nichts gegen ihre Hochzeit mit Luke. Sie sollte Luftsprünge machen, aberâ¦.Verdammt, sie nahm erneut den Hörer ab und begann zu wählen.
âRory? Komm her, bitte, schnellâ, sprudelte es aus ihr heraus. âDas ist Sodom und Gomorra, Infame Lügen und Gefährliche Liebschaften in einem und es ist ein verdammt schlechtes Remakeâ¦..â
New Haven, Frühjahr 1965
So leise wie möglich schloss Emily die Tür des Lofts hinter sich und zog vorsichtig ihre hochhakigen Schuhe aus. In leicht gebückter Haltung schlich sie durch den Flur, als plötzlich das Licht anging und sie eine schwere Hand auf ihrer Schulter spürte, die sie herumriss.
âAbrahamâ, sagte sie erstaunt und fühlte wie sein Griff um ihre Schulter sich festige.
âHast du etwa geglaubt ich würde dir das durchgehen lassen?â, fragte er mit einem gefährlichen Glitzern in den Augen.
Sie fühlte einen Stich in ihrer Brust und versuchte so ahnungslos wie möglich zu klingen als sie antwortete âWovon redest du?â
âIch rede von deinen heimlichen Treffen mit diesem Kerl.â
Emily rang nach Atem. âDas, da ist nichts, Abraham, er ist nur ââ, im nächsten Moment fand sie sich auf dem harten FuÃboden wieder und seine Hand schloss sich hart um ihr Kinn. âAbraham, bitteâ, flehte sie ihn an und versuchte sich ihm zu entwinden.
âAbraham, bitteâ, äffte er sie nach. âDu bist meine Frauâ, zischte er in ihr Ohr. âHast du mich verstanden? Meine Frauâ, mit fahrigen Händen begann er die Knöpfe ihres Mantels zu öffnen.
âLass dasâ, flehte sie ihn an und versuchte ihn von sich zu stoÃen, doch er hielt sie mit seinem ganzen Gewicht zurück.
âDer einzige der das Recht hat mit dir zu schlafen, bin ich.â Sein heiÃer Atem brannte auf ihrer Haut. âDu magst vielleicht nicht so gut wie Alyson sein, aber das lernst du schon noch. Hast du mich verstanden, Emily?â Sie nickte und schloss die Augen, während sie ihn ohne weitere Gegenwehr auch den ReiÃverschluss ihres Kleides öffnen lies.
To be continuedâ¦..